3. Vortrag: Die Betrachtung.
Fahrt mit den Exerzitien so fort, wie ihr sie begonnen habt. Sie tragen, wie ich gestern so eindringlich gesagt und heute Morgen wiederhole, ihre Gnade mit sich. Schaut die Martyrer an: Sie ertrugen schlechte Behandlung, Qualen und Tod, und gerade dadurch vollzogen sie ihr Blutzeugnis. Exerzitien sind kein Martyrium, doch für eine Anzahl Seelen sind sie eine mühselige und schmerzhafte Zeit. Wir sagen ja nicht, Exerzitien seien Menschenwerk. Sie sind Gotteswerk! Vor allem wirkt die Gnade Gottes darin. Wir erleiden da mehr, sind sie doch eine Handlung, wo wir uns ganz oder fast ganz passiv verhalten. Was sind schon unsere guten Vorsätze, unsere persönlichen Gedanken? All das ist ja ganz schön, aber sie gleichen dem Windhauch, den man forttragen will, wäre Gott nicht da, um alles auf Felsengrund zu bauen, auf solides Gestein.
Exerzitien sind für uns wie eine Art Sakrament, eine Zeit, wo Gott in unseren Seelen wirkt. So wie wir zu den Sakramenten die erforderliche Vorbereitung beibringen, heißt es, zur Gnade der Einkehrtage sich bereiten. Zunächst müssen wir die Hindernisse beseitigen, dann uns auf Gott einlassen, sein Licht erbitten und ihm folgen, seinen Willen über uns anerkennen, auch einige Entschlüsse fassen, dann sind unsere Exerzitien gut, sehr gut. Versteht wohl: Ich will nicht jedes eigene Tun von den Exerzitien ausschließen, jeden menschlichen Akt verbieten. Ist man aber ein bisschen älter geworden, dann sieht man den Wert von Vorsätzen und menschlichen Willensakten, man erkennt, was selbst aus den solidesten geworden ist, verspürt das Bedürfnis, all das auf den Menschen zu stützen. Vollzieht also gut die Übungen der Exerzitien, wahrt die Stille in euren Bewegungen, Worten und Gedanken. Haltet euch gesammelt bei Gott auf, klein und bescheiden, hört auf sein Wort. Achtet weniger auf das, was von euch kommt. Menschenwort geht so schnell vorbei und schafft nichts Besonderes.
Es sind Exerzitien, die die Exerzitien machen (Gute Exerzitien garantieren allein den Erfolg derselben). Wir kommen gleich zu einer anderen Frage. Aber für diese da, machen wir uns das zum Grundsatz. Es muss das innere Fundament unseres Glaubens und Wollens sein. Die so verstandene Einkehr bewirkt, dass wir treu den Exerzitienübungen obliegen, den Geist der Sammlung pflegen, das innere Schweigen ernst nehmen. Die Sammlung lässt uns in der Gegenwart Gottes verharren: Gott mit uns und in uns. Ich wünsche sehr, dass ihr so diese Tage verbringt. Es ist die Methode des hl. Franz v. Sales, die Basis jeder Heiligung.
Heute Morgen wollen wir ein Wort über die Betrachtung sagen, über die Weise, sie während dieser Einkehrtage wie das ganze Jahr hindurch zu vollziehen. Wir definieren die Betrachtung (orasion) so: Eine Unterhaltung mit Gott, ein intimes Zwiegespräch mit Ihm über unsere Bedürfnisse, über unsere persönlichen Belange wie über die der anderen, wenn wir mit solchen beauftragt sind.
Das innere Gebet (orasion) ist kein Akt, der eine Vermittlung bräuchte, weder eines Buches noch verstandesmäßiger Überlegungen. Ich spreche hier ja nicht über die verstandesmäßige Betrachtung (meditation), sondern vom inneren Gebet (orasion), jenem Gebet, das uns mit Gott vereinigen und das Spezifikum der Oblaten des hl. Franz von Sales sein soll.
Worin besteht also d i e s e Betrachtung? Wir definieren sie am besten, indem wir sagen, wie wir sie vollziehen. All unsere Akte gehen zu Gott empor, zum Himmel. All unser Tun im Laufe eines Tages bildet die notwendige und wesentliche Materie unserer Heiligung und unseres Heils. Nicht unsere Gedanken und Worte gewinnen den Himmel, sondern allein unsere Taten. Die einzelnen Übungen unseres Tagewerks, die Umstände, die unsere Zeit ausfüllen, unsere Arbeiten, das formt unser Leben und Tun, und mit dem erringen wir den Himmel. Füllen wir unsere Betrachtung also mit all dem aus, da es ja unsere Nöte wiedergibt, somit den Inhalt unseres Lebens und damit unserer Ewigkeit ausmacht. „Aber, Herr Pater, das zerstreut uns doch!“ Nicht im Mindesten. Oder ist der Kaufmann etwa abwesend und zerstreut, verliert er seine Zeit, wenn er seine Gewinne und Verluste überschlägt, wenn er Rechenschaft ablegt über das, was ihm jedes Ding einbringt, wenn er dies und jenes Geschäft tätigt? Ist das Zeitverlust? Wenn wir so betrachten, verlieren wir keine Zeit. Nehmen wir doch unsere inneren Pflichten, unser Direktorium vor: welchen Punkt des Direktoriums haben wir Mühe zu betrachten, welcher bereitet uns die meisten Hindernisse? Darüber machen wir unsere Betrachtung und sprechen mit Gott. Wir sehen unsere Anstrengungen voraus und erbitten den Sieg für diesen Kampf. Und nach der Betrachtung machen wir uns gewissenhaft daran, diesen Teil des Direktoriums auszuführen, den wir mit Gott besprochen haben. Hat unsere Betrachtung keinerlei Einfluss auf unser Tagewerk? Unsere hl. Messe und Kommunion steht bevor: Warum die beiden großen Handlungen nicht in der Betrachtung vorbereiten? Sagen wir doch da Gott unsere guten Absichten, und beim Besteigen des Altars erinnern wir uns der Betrachtung und fühlen und ermutigt und unterstützt. Oder wir haben eine schwierige Klasse vor uns, unbelehrbare Schüler, Faulenzer. Warum darüber nicht mit Gott in der Betrachtung sprechen? Das ist aber komisch, sagt ihr vielleicht. O nein, das ist die echte Betrachtung, jene, wo ihr Gott zu Hilfe ruft, jene, die Gott auf eure Arbeit herabzieht. So arbeitet ihr mit ihm und tut nichts ohne ihn, euer Leben wird in Wahrheit ein geistliches, ein evangelisches Leben. Das ist keine Spekulation, sondern unser und der anderen Heil.
Wir hegen bezüglich der Betrachtung eine falsche Vorstellung, durch unsere Beziehung verfälscht. Welch ein Unglück! Das war nicht immer so, die derzeitige Methode kam erst später auf. „Aber, Herr Pater, die andere Betrachtungsmethode ist ungemein beachtlich.“ Jaja, mögen die Professoren der Sorbonne und die Theologieprofessoren diese andere Methode anwenden! Mögen die Gelehrten so beten. Gedankliche Überlegungen füllen ja alle ihre Tage aus, warum nicht auch ihre Betrachtungen? Wir hingegen bleiben lieber auf der Erde, unsere Betrachtung ist so einfach wie unser Leben, wir brauchen dazu keine Verstandestätigkeiten, keine Überschwänglichkeiten, wie Franz v. Sales sie nennt. Denn wir bereiten in unserer Betrachtung unseren Alltag vor. Und das sind eben unsere kleinen Belange und Geschäfte, unsere Unterrichtsstunden, Erwägungen und Herzensaffekte, unsere Willensakte.
So zielt unsere Betrachtung auf unsere Fehler, Erbärmlichkeiten, Rückfälle, Schwierigkeiten, Versuchungen und Kämpfe dieses Tages ab. Der Soldat, der zum Kampf auszieht, versorgt sich mit Patronen. Und ihr wollt diese ständigen Versuchungen, diese gefährliche Gesellschaft, ohne Schützenhilfe der Gnade angehen? Hat man über eine wichtige und ernste Angelegenheit zu verhandeln, bereitet man sich da nicht vor? Nur mit der Münze der Werke eines jeden Tages bezahlt ihr den Eintritt ins Paradies. Es lohnt sich darum, dass ihr euch das durch den Kopf gehen lasst und mit Gott besprecht.
Würdet ihr eine halbe Stunde, eine ganze Stunde mit schönen Gedankenüberlegungen verbringen, so will ich nicht sagen, das sei verlorene Mühe und ihr hättet keine Verdienste erworben. Aber der Erfolg würde seine Wirksamkeit nicht auf die Handlung des Tagewerks ausdehnen wie es bei unserem inneren Gebet der Fall ist. In den frühen Kollegien war die Kapelle wohl getrennt vom Klassenzimmer, Altar und Katheder hatten keine Verbindung. Das waren zwei getrennte Welten ohne Berührungspunkte. Im Gegenteil, wollte man sie zusammenbringen, stießen sie sich wie entgegengesetzte elektrische Pole auseinander. Für uns dagegen muss der Erlöser alles bedeuten, sein Wort uns aus allem entgegen tönen. Er ist nicht nur unser Gesetzgeber, dessen Gesetzbuch wir kennen. Er ist viel mehr: „Euch nenne ich meine Freunde.“ Als Freund will er mit uns zusammenarbeiten, ja noch mehr: Er ist unser Leben, der Saft, der in allen Reben des Weinstocks zirkuliert. Er will unser Herz, unsere Seele, selbst unsere Glieder beleben.
So lehrt es das Evangelium, so auch unser hl. Stifter. Soll das heißen, dass ich bedingungslos jede Gedankenarbeit bei der Betrachtung zurück weise? Nein. An einem Festtag, wo ihr euch gedrängt fühlt, über ein Festgeheimnis nachzudenken, könnt ihr es tun. An einem andern Tag hingegen, zieht euch Gott ganz in seine Nähe, indem er euch die Erinnerung an seine Gnaden, die er gewährte, vor Augen stellt, dann betrachtet darüber. An Ostern wiederum macht ihr eure Betrachtung nicht über eure Schüler, auch nicht am Hohen Pfingstfest. Am Tag eures Namenspatrons oder eines anderen Heiligen, der euch nahegeht, wechselt wieder die Art zu betrachten. Sonst aber kommt immer wieder auf unsere Methode zurück. Glaubt nicht, die Art sei eintönig. Im Gegenteil, gerade so erhaltet ihr oft die Erleuchtungen und Gnaden, die die Herzen anrühren und gewinnen. Ihr müsst ganz durchdrungen sein vom Evangelium. Die Worte unseres Herrn sollen euer Leben beseelen, sein Atem und Wesen müssen in uns leben. Wir wollen ihn ja nicht nur mit unserem Verstand berühren, sondern auch mit unserem Herzen und unserem ganzen Sein. Lest das Evangelium, lest den hl. Franz v. Sales, den hl. Bernard, alle Kirchenväter. Findet ihr da nicht das wahre christliche und religiöse Leben? Unser Betrachten diene gerade als Vorbereitung für dieses christliche und religiöse Leben, unser liebender Dialog erwirkt von Gott die Gnade, von seinem Leben erfüllt zu werden.
Ich bitte euch um Verzeihung für die Art, wie ich euch diese Dinge vortrage, und die wenige Vorbereitung, die ich aufwandte. Ich habe im Übrigen nichts Neues und dem Rahmen Fallendes zu sagen, sondern möchte nur auf dem Grundsatz bestehen, wie wir unsere Betrachtung mit unseren Tagespflichten vornehmen sollen, unsre Worte und Handlungen in Verbindung mit Unserem Herrn vorbereiten und zurechtlegen, dass er sie segne und leite.
Ihr geht zur Hl. Beichte, das ist sehr schön. Denn so erfüllt ihr auf bestmögliche Weise eure Seelsorgepflichten. Habt ihr aber am Morgen eure Seele auf diese Aktion vorbereitet, habt ihr das nötige Licht erbeten und für die Seelen, mit denen ihr zu tun habt, gebetet, glaubt ihr dann nicht, Gott gibt euch im Beichtstuhl den Sieg über die Sünde, der eure Seele Gott zurückgibt. Habt ihr im Unterricht alle Arten von Schwierigkeiten, so sagt Gott dies ganz einfach in der Betrachtung und vertraut ihm eure Schüler an. Meint ihr nicht, wenn ihr so gehandelt habt, statt euch auf das: „Komm, Heiliger Geist“, zu Beginn des Unterrichts zu beschränken, das Wort Gott sei mit euch und gibt euch Licht und Kraft? Das nützt euch sicher mehr als eine Betrachtung über weiß Gott welche Wahrheit. Lasst uns also mit Vorliebe betrachten über unsere Beschäftigungen tagsüber. So wird unsere Betrachtung Wegbereitung für das ganze Tagewerk und umso wirksamer, als es alles in die Hände des Erlösers übergibt.
Wie viele in der Welt machen denn schließlich ihre Betrachtung ernstlich mit Hilfe eines Buches? Ich kannte Seelen guten Willens, die es taten, gute Seminaristen, gute Priester. Sie halten ihre Betrachtung so wie sie ihr Brevier rezitierten und alle anderen Pflichten ihres Standes absolvieren. Von diesen wenigen abgesehen, wie viele Weltmenschen betrachten denn? Wieviele aber könnten es tun! Da muss ich wieder an das denken, was mein alter Theologieprofessor Chevalier uns einmal sagte: Er kannte einen ehrbaren Fuhrmann, damals gab es noch keine Eisenbahn, der von Paris nach Lyon über die Worte des „Vater unser“ betrachtete: „Gib uns heute unser tägliches Brot.“ Dieser Mann beschäftigte seinen Verstand und sein Herz mit diesem Bedürfnis seiner Seele, ohne seine Pflichten, seine Lebensweise und seine Pferde zu vernachlässigen. Er brachte lediglich den lieben Gott mit ins Spiel. So kann man seine Betrachtung in der Absicht verrichten, Gott zu gefallen, alle Einzelheiten des Tagewerks und des Lebens so gestalten, dass sie Gott gefallen. Das tat dieser gute Mann und hielt eine wertvolle Betrachtung, trotz Pferde und Wagen, indem er seiner Seele den Wunsch und den Gedanken trug, den Willen Gottes zu erfüllen.
Die so praktizierte Betrachtung ist in der Tat das sicherste und wirksamste Mittel, seine Berufung zu bewahren, die Gnade zu empfangen und zu vermehren, das Leben des Erlösers in uns neu zu beleben.
Höchstens könnte man dieser Methode den Vorwurf machen, dass sie die Zerstreuungen erleichtert und riskiert, uns nicht zu Gott emporzuheben, weil man inmitten der Dinge dieser Welt bleibt. Doch merkt man, dass man zerstreut ist, so bittet man Gott dafür um Verzeihung und führt alles wieder zu ihm zurück, und Gott wird uns diese Zerstreuung nicht mehr verübeln als die anderen, die wir sicher bei einer anderen Betrachtungsmethode hätten.
Ich spüre, dass ich heute Morgen meine Gedanken nicht so vortrage, wie ich es gern täte. Ich konnte mich nicht vorbereiten. Möge Gott selbst in eure Herzen legen, gut zu betrachten und euer Tagewerk wohl zurechtzulegen, damit von Augenblick zu Augenblick auf unseren Herrn zuschreitet.
So werdet ihr echte Kinder des hl. Franz von Sales sein und wie er alle Mittel benutzen, zu ihm zu gehen. „Ich habe nichts Besonderes geleistet in meinem Leben“, sagte er am Ende seines Lebens. „Und könnte ich auf diese Welt zurückkehren, würde ich mich darauf beschränken, jeden Augenblick dem Wohlgefallen Gottes zuzustimmen und alles anzunehmen, was er mir schickt. Dann hätte ich genug zu tun. Das ist der richtige Weg.“ Auf diesem Weg, liebe Freunde, befindet ihr euch auch.
Die so verstandene und vorgenommene Betrachtung ist die vollständige Anwendung dieser Lehre. Möge Jesus im hl. Sakrament seiner Liebe, wo er uns keinen Augenblick Tag und Nacht verlässt, unsere Vorsätze segnen. Was tut er in diesem Sakrament? Er hält sich in vollkommener Vereinigung mit dem Willen Gottes, der ihn in diesem Zustand will. Er ist aber auch in enger Vereinigung mit uns, für die er da ist, uns, die er sieht und denen er hilft. Seht seine Treue und seid auch ihr ihm treu. Bleibt in all euren Handlungen, Gebeten, Arbeiten, Prüfungen und Versuchungen in seiner Nähe. Habt ihr des Morgens euer Tagewerk in der Betrachtung vorbereitet und ihm aufgeopfert, habt ihr es so zurechtgelegt, dann findet ihr ihn jeden Augenblick neben euch.
Jesus, lass uns nie ohne Dich, bleib immer in unserer Nähe. „Bleib bei uns, Herr, denn der Tag hat sich geneigt, und es wird Abend.“ Ja, der Tag vergeht, wir sehen nicht mehr und wissen nicht mehr, wo unseren Fuß hinsetzen im Finsteren. Da wollen wir dich nicht verlassen, Herr, wir kennen die Gefahren, die uns bedrohen. Wir nehmen Dich am Morgen und behalten Dich am Abend und immer und für die Ewigkeit.