Exerzitienvorträge 1887

      

2. Vortrag: Die Exerzitien unseres Herrn.

Wir halten Exerzitien, um uns auf das Apostolat vorzubereiten, für das die göttliche Vorsehung jeden von uns bestimmt hat. Nicht die Prediger und Priester, nein auch die einfachen Ordensleute, die Brüder, die Handarbeit verrichten, haben ihr spezifisches Apostolat zu vollbringen. Das Werk ihrer Hände ist ja nicht tot und unfruchtbar, wenn sie es vollziehen im Verein mit der Kommunität, mit dem Direktorium, somit im Zustand vollkommener Einheit mit Gott. Dieses Werk ist nicht nur nicht unfruchtbar, es ist vielmehr, wenn der Bruder den wahren Sinn dieser religiösen Arbeit versteht und sich zu Eigen macht. äußerst fruchtbar. Zuerst für ihn selbst. Empfängt er doch mehr Segen, ja viermal so viel Segen und Früchte als jener, der nur mit Geist und Intelligenz arbeitet. Unser Herr erinnert sich da, dass er selbst Handarbeit geleistet hat. Er hat eine Vorliebe für solche, die schaffen, wie er es einst getan hat. Denn jeder liebt es, andere dasselbe tun zu sehen, was er selbst getan hat. Das ist keine bloße Theorie, sondern ein dauerndes und immerwährendes Faktum. Darum sind unsere Brüder entweder sehr gut, oder sie taugen nicht viel, da sie mehr Gnaden empfangen als die anderen und somit größere Freude unseres Herrn sind. Wenn unser Herr durch die Straßen von Nazareth ging, mit wem sprach er da? Wer waren seine Freunde? Auch dort gab es Angesehene, Reiche, Pharisäer. Unser Herr aber war ein kleiner Arbeiter, an dem man vorüberging, ohne ihn anzusehen. Die Gemeinschaft mit unserem Herrn getane Arbeit trägt also Gnade und Segen mit sich. Was ihr allein tut, ist schön, ist das Salz. Werden unsere Arbeiten aber mit unserem Herrn gemeinsam verrichtet, mit seinem Schweiß und seinen Mühsalen, so tragen sie ihre Gnade in sich. Darum ist das Los, das den Brüdern bereitet ist, ein gutes, sie haben in Wahrheit den besseren Teil erwählt. Das also gilt für euch, wenn euer Apostolat gute Wirkungen hervorbringen soll.

Der hl. Hieronymus erzählt, zu seiner Zeit habe man verschiedene Handarbeiten, von der Hand unseres Herrn gefertigt vorgezeigt. Wunderbare Gnaden schienen von diesen Gegenständen auszugehen und erregten Bewunderung. Man hätte glauben können, unser Herr wäre persönlich zugegen in diesen Gegenständen. So wird auch eure Arbeit, wenn der Herr dabei mitgewirkt hat, denselben Erfolg zeitigen.

Doch das sollte nicht das Thema dieses Abendvortrages sein. Ich sagte es nur, damit ihr alle auf diesen Gedanken des Apostolates eingeht. Denn dieses Werk, wenn es kraftvoll angegangen wird, bringt viel größere Wirkungen hervor als wenn es mit halbem Herzen in Angriff genommen wird. Wir wollen uns darum alle in unseren Exerzitien, in unseren „Einsamkeiten“ für dieses Apostolat vorbereiten. Ich liebe diesen Ausdruck unseres hl. Stifters:  Einsamkeit. Wenn wir hier auch in Gemeinschaft versammelt sind, so versetzt uns diese Versammlung, weit entfernt uns zu zerstreuen, wirklich in eine Einsamkeit und erleichtert die Sammlung. Auch der Herr ging wie wir in die Einsamkeit. Wir sollen ihn darin nachahmen und die unsere so zubringen wie er die seine verbracht hat. Ich sehe im Leben unseres Herrn drei große „Einsamkeiten“: jene, die er vierzig Tage lang in der Wüste verbrachte, bei der er Hunger litt. Die zweite im Getsemani, dem Ölgarten. Da duldete er die Martern, die Ängste eines Todeskampfes, eines höchsten, ja göttlichen Todesleidens. Denn wäre er nur Mensch gewesen, hätte er sie nicht durchgestanden. Und die dritte war schließlich jene auf dem Berg Tabor, wo der hl. Petrus im Übermaß der Freude ausrief: Hier ist gut sein. Lasst uns drei Zelte aufrichten.

Auch unsere Einsamkeiten werden stets denen unseres Herrn gleichen. Für gewisse Seelen wird sie in inneren Trockenheiten, in Hunger und Versuchungen, also jener der Fastenzeit bestehen. Das ist die Wüste, wo es nichts zu essen gibt, wo nichts erholt, nichts tröstet. Um uns nichts anderes als Versuchungen. Durch alle Arten von Phantasiebildern und Einflüsterungen versucht Satan, die arme Seele zu quälen, sie zur Sinnlichkeit, zum Stolz, zur Anmaßung und Mutlosigkeit zu verführen. Diese Einsamkeiten dauert vierzig Tage lang. Das erleben wir häufig, und oft ereignet sich etwas Ähnliches in unseren Seelen während der Exerzitien. Für wen ist die Einsamkeit denn nicht eine Zeit der Prüfung, der Versuchung der Entmutigung. Eine Zeit, wo die verletzte Eigenliebe sich aufbäumt, das kranke Herz sich an seine Wunden erinnert, sodass kein Raum mehr bleibt für anderes. Eine Zeit, wo wir keine Worte finden für den lieben Gott und keine geistliche Nahrung zu unserer Stärkung?

Seht ihr, das sind Exerzitien. Sind sie oft so geartet? Jawohl, sehr oft. Was ist da zu tun? Das, was unser Erlöser getan hat. Er hatte Hunger, sagte das Evangelium. Und er ertrug diesen Hunger. Er sprach mit niemandem darüber, nicht mit seinem Vater, der ihn leicht sättigen konnte. Auch nicht mit den Engeln. Sondern er verharrte in seinem Leid, in Trockenheit und Leere ohne irgendeine Erleichterung. Und das währte vierzig Tage. Es wird gesagt, sein Gefährte sei der Teufel gewesen. Mit dem führte er einen Kampf und schlug seine Einflüsterungen zurück. Auch betete er während dieser Tage nicht das „Vaterunser“, noch jenes andere schöne Gebet, das er später am Grab des Lazarus verrichtete. Es wird jedenfalls nicht erwähnt von irgendwelchen schönen Gebeten. Nur: „Darauf hungerte ihn.“ Das waren die Exerzitien unseres Herrn, und so werden auch die meisten Exerzitien der Ordensleute und der treuen Seelen aussehen.

Ihr seht, die geistliche Einkehr unseres Herrn ist eine Zeit der Trockenheit, der Not, des Leidens und der Angst. Wie verhält sich da unser Herr? Er erträgt den Hunger, die Ängste, die Versuchungen. Er tut nichts anderes als den Teufel vertreiben. Mag dieser immer wieder zurückkommen, der Herr verjagt ihn und tut es immer wieder. So also sehen unseres Herrn Exerzitien aus. Und das hält er nicht nur sechs Tage, auch nicht zehn Tage anbietet – nein, unser Herr hält vierzig Tage aus. Gewiss hat er gebetet und ein geordnetes Leben geführt, aber das Evangelium sagt es nicht. Es erwähnt lediglich, dass unser Herr Hunger hatte und den Dämon bekämpfte. Steigen uns da Versuchungen der Eitelkeit, der Selbstsucht, des Ungehorsams, der Rebellion gegen unsere Lage auf, bestürmen uns also solcherlei Dämonen, so geben wir ihnen zur Antwort: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Ich bin nicht wie alle anderen, die Tröstungen brauchen und Brot. Denn Du, mein Gott, hast mir gesagt, ich solle mich Dir übergeben, dann schenkst Du Dich mir. Das genügt mir, von diesem Wort nähre ich mich.“ Die Versuchung der Anmaßung wird nicht ausbleiben: Ich bin begabter als man meint, fähiger als der und der: „Du sollst den Herrn nicht versuchen.“ Ich will mich selbst erheben, sondern unterwerfe mich dem Urteil meiner Vorgesetzten, Herr, ich will nicht herrschen, sondern an dem Platz, an den Du mich gestellt hast. Nimmt die Mutlosigkeit zu, bist Du versucht, zu sagen: „Ich bete lieber meine Leidenschaften, eine weltliche Situation, Glück und Reichtum, die sich mir anbieten, an, so sagt nur: ‚Den Herrn und Gott, Deinen Gott, sollst Du anbeten und ihm allein dienen.‘ Das also heißt geistliche Einkehr. Und was geschieht am Schluss? Die Engel werden nahen und uns bedienen. Sie geben Brot, ohne dass wir sie darum bitten, und dazu alles, was uns gefällt. Ja, ihr werdet von den Engeln bedient werden, sobald ihr eure Geistliche Einkehr so wie unser Herr vollbracht habt.“

Sucht das gut zu verstehen und lehrt es die Seelen, es ist nämlich unbekannt. Nehmt das Evangelium, das Buch der Bücher, mit Ehrfurcht zur Hand und lest einige Worte daraus. Diese Worte gehören nicht der Vergangenheit an, sind nicht Bestandteil verflossener Zeiten. Nein, das Evangelium mit dem hl. Bernhard zusammen, legt es gleichsam auf euer Herz, indem ihr dabei ausruft: „O Göttliches Wort, gib, dass ich Dich verstehe. Durchdringe meine Eingeweide und erfülle mich. Gib mir das Licht, dass ich mit ihm wandle!“

Die zweiten Exerzitien unseres Herrn waren die im Ölgarten. Sie bestanden nicht nur aus Trockenheit und Versuchungen, sondern aus lebhaften Schmerzen, bitteren Ängsten und Todesschauern. Gibt es viele, die auf gleiche Weise Exerzitien machen? Nur einige bevorzugte Seelen. Im Heimsuchungskloster (von Troyes) hatte ich zwei große Heilige: Schwester Marie-Luise, die Ökonomin und Gründerin des Kloster, sowie die Schwester Marie-Genofeva. Das war ihre Art, Exerzitien zu halten. Gleich zu Beginn schon überfielen sie unaussprechliche Trockenheiten und Ängste, unüberwindliche Schwierigkeiten, wahre und grausame Qualen. Wie gesagt ist das nicht für viele bestimmt, sondern nur für die Vorzugsseelen. Nach dem, was man sah, was ihre Worte und Lebensweisen verrieten, brannte dann in ihrem Herzen eine tiefe Wunde, an der sie litten, eine ungemein schmerzhafte Prüfung, das Talent Blei, von dem die Schrift spricht. Ja, dieses Talent Blei drückte schwer auf ihr Herz und ihre Seele und zermalmte und vernichtete sie. Diese heiligen Seelen hatten nichts an Tröstungen und Erleuchtungen Gottes während der Exerzitien, nichts von Seiten Gottes, von Seiten der Erden, nichts von Seiten der Oberen. Die Übungen der Einkehr wandelten sich in Dornen und Nägeln, über die sie gehen mussten: es waren glühende Kohlen. Solche Exerzitien bleiben uns erspart. Soweit sind wir noch nicht. Wer aber kommt da zu ihrer Hilfe? Der Engel des Herrn, und er tut an ihnen, was er dem Herrn getan: er stärkt sie und hilft ihnen, den Kelch zu trinken. Ermuntert sie zum Beten: „Mein Gott, nicht mein Wille geschehe, sondern der Deine.“ Diese Art der Exerzitien ist selten. Die unseres Herrn waren kurz, sie dauerten nur drei Stunden. Das ist nur für eine kleine Zahl Seelen bestimmt und für wenige Tage bestimmt und für wenige Tage Dauer.

Und schließlich war da noch die Einkehr auf dem Berg Tabor, wo unser Herr sich offenbart und uns das Verständnis für das Gesetz vermittelt: Moses als die Liebe und die Zukunft, die er für uns bereithält. Elias als den Propheten, und unseren Herrn zwischen diesen beiden stehend. Seine Gegenwart ist ganz Lich, seine Gnade entflammt und verzehrt die Apostel. Und was tun die drei Apostel? Johannes ist versenkt in schweigende Anbetung und Liebe. Jakobus denkt an alle Worte des Herrn, die da in Erfüllung gehen. Und Petrus kann nicht mehr an sich halten, in der Begeisterung seines Glaubens möchte er dieses Glück nicht nur einen kurzen Augenblick genießen, sondern immer.

Diese Exerzitien dauern also nicht lange, auf Tabor vielleicht eine Viertelstunde, eine halbe Stunde, oder nur einen Augenblick. Wir dürfen nicht hoffen, hier auf Erden den Anblick des gegenwärtigen Erlösers eine längere Zeitspanne zu genießen, auch ist dies nicht für zahlreiche Zuschauer bestimmt. Und solltet ihr während der Exerzitien solcher Gnaden gewürdigt werden, sage ich euch das: macht es wie der Herr mit seinen Aposteln, als er vom Berg herab ging: er sprach zu ihnen von seinem Leiden und Sterben. Wenn ihr also solche großen Tröstungen erlebt, gebt euch ihnen nicht ganz und gar hin, solch seelischen Entrückungen, wo die Seele nicht mehr weiß, was sie sagt. Denkt an das, was nachher kommen kann, denkt an das Leiden und euren eigenen Tod, jene schmerzliche Zerstörung eures Seins, die euch nicht erspart bleiben wird.

Das, meine Freunde, sind die Exerzitien unseres Herrn, und das sind auch die unseren. Das haben auch wir zu tun. Noch einmal, diese Worte sind Geist und Leben. Unser Herr war gestern, er ist gestern, und wird morgen und allezeit sein: „Jesus Christus gestern, heute und in Ewigkeit.“ Die Exerzitien, das ist er: „Kommt und seht!“ Versteht und tut wie euch gesagt wird.

Liebe Freunde, was ich euch da gesagt habe, ist keine Rede, sondern eine Wirklichkeit, Dinge, die in diesem Augenblick geschehen. Geht mit unserem Herrn in eure Einkehrtage, seien es die vom Jordan, vom Ölgarten oder von der Verklärung. Verlasst unseren Herrn nicht. Ich empfehle große Sammlung. Ich war sehr zufrieden über den Beginn, es schien mir, dass wir alle über den eng vereint sind und ganz nah bei unserm Herrn. „Es schien mir“, ist nicht das richtige Wort, denn ich bin dessen ganz gewiss! Ich fühle es. Tut, was ihr könnt, um euch nicht von ihm zu trennen. Achtet auf seine Gnade, sagt ihm und wiederholt es immer wieder: „Herr, ich will bei Dir bleiben. Ich sehe Dich zwar nicht, höre Dich vielleicht auch nicht, fühle Dich nicht. Aber ich weiß, dass du da bist, und das ist mir genug. Ich vertraue auf Dich und überlasse mir Dich.“