Exerzitienvorträge 1885

      

5. Vortrag: Die Keuschheit.

Exerzitien sind ein intimes Zwiegespräch mit Gott. Wir setzen diese Einkehrtage fort, wie wir sie begonnen haben, in der Absicht also, sie durchtränken zu lassen vom Geist von oben, der zu unserer Seele spricht in der Einsamkeit, so wie er es einstmals tat in der Stille des Abendmahlsaales.

Pflegen wir diese traute Einsamkeit mit ihm. „Rede Herr, Dein Diener hört!“ Ich wünschte, die Exerzitien bestünden in einer innigen Unterhaltung mit Gott.

Aber, Herr Pater, werdet ihr mir sagen, der liebe Gott sagt zu mir nichts, und was noch schlimmer ist, ich weiß ihm auch nichts zu sagen. Es gibt zwei Möglichkeiten: entweder fällt euch die Vereinigung mit Gott leicht, dann steht euch der Himmel offen: das ist die Jakobsleiter, auf der die Engel auf- und niedersteigen. Oder aber ihr erlebt und seht nichts: dann gleicht ihr dem Propheten Jeremias im Brunnen, der vom Schlamm und Schmutz eurer Erbärmlichkeiten wie eurer Untreuen angefüllt ist. Jeremias erwarb für sich wie für das Volk Israel Verdienste. Er war von den Juden, die ihn verachteten und hassten, in die Kloake geworfen worden, während Gott ihm große Geheimnisse offenbarte, die er den Völkern und Generationen weitergeben sollte. Das Wort des Jeremias war also nicht tot, es wird vielmehr weiterhallen bis zum Ende der Zeiten und Welten.

Daniel in der Löwengrube. Daniel befindet sich inmitten der Finsternisse und Ängste. Schaut ihn an: Wird er alleine gelassen? Nein, sondern ein Kind, ein Prophetensohn erscheint ihm, von einem Engel herbeigetragen. Er bringt ihm Nahrung. „Mann Gottes, Daniel!“ Was bedeuten diese Worte? „Mann Gottes, Freund Gottes“? Nun, dass er gleichsam der Mensch ist, an den Gott allein dachte. Denkt darüber nach!

Die Trockenheiten der Exerzitien. Ob das göttliche Licht euch leuchtet oder ihr in tiefen Finsternissen herumtappt, ob euer Herz in Vertrauen oder Gottesliebe schwelgt oder niedergedrückt ist, und wie unter einem Bleigewicht zermalmt scheint: Gott ist immer mit euch. Es ist merkwürdig und ich habe es erfahren, dass die von Gott am meisten bevorzugten Seelen während ihrer Exerzitien nichts von ihm bekamen. Ich kannte heilige Seelen, die zu andern Zeiten von Gott alle Arten von Gnadenerweisen erhielten und deren Wille sich ohne Unterlass zu Akten von Hochherzigkeit aufgerufen fühlten und ein eifriges Verlangen nach Heiligkeit verspürten, die aber während Exerzitien nichts dergleichen erlebten. Ich nenne unter anderem die Schwester Maria Genofeva, die sich beständigen Umgangs mit Gott erfreute. Doch zur Zeiten der Exerzitien schien sich ein Schleier vor ihre Augen zu breiten und sie sah nichts mehr. Sie litt wie in einer Art Todeskampf, und das dauerte während der ganzen Einkehrtage. Zieht darum großen Nutzen aus diesen Trockenheiten, wenn Gott euch ihrer würdigen sollte! Am heutigen Tage werdet ihr bestimmt nicht allein gelassen. Denn heute Abend muss ich mich um unsere Seelsorgewerke kümmern… Würden die Leiter dieser Werke da fehlen, wäre es ein großer Nachteil, denn gerade ihre Gegenwart unterhält ja das Leben und die Bewegung dieser Werke. Heute Abend werdet ihr also mit Gott vereint bleiben und ihr werdet eure Einkehr bei ihm fortsetzen.

Die Sammlung. Zwingt eure Seelen zur Sammlung und zum Schweigen! Wann und wie spricht Gott während dieser Tage? Im Lärm und im Kommen und Gehen? Gott sprach mit Jonas nicht auf dem Meer und nicht im Wetterdräuen (gem. ist ein Gewittertosen). Wie er auch zu Abraham nicht inmitten des vom Himmel fallenden Feuers und der Verbrennung Sodoms sprach. Die Stimme Gottes ist vielmehr ein leises Säuseln, das man wie den Hauch aus dem Mund eines Menschen kaum vernimmt. Der Prophet Elias hörte diesen Hauch, weil in seinem Inneren Schweigen herrschte. „Und ein starker und mächtiger Sturm erschütterte die Berge und zermalmte die Felsen.“ In diesem heftigen Sausen und Brausen war Gott nicht zugegen. „Nach dem Sturm brach ein Erdbeben aus“, aber Gott war auch in solchem Aufruhr und solchem Beben nicht zugegen. „Und nach dem Erdbeben fiel Feuer herab“, doch auch im Feuer kam Gott nicht. „Doch nach dem Feuer ließ sich das Säuseln eines zarten Lüftchens vernehmen.“ Ein leiser Atem also, wie der Hauch einer Menschenbrust. Und siehe da, es war Gott! Und der Prophet warf sich zu Boden, betete an und wartete.

Die Keuschheit. Lasst mich heute Morgen ein Wort zum dritten Gelübde des Ordensstandes sagen. Ich möchte hier nicht in die Einzelheiten der Betätigung dieser Tugend eintreten, denn eure hl. Regel zeigt alle Punkte auf, die Gegenstand eurer Verpflichtungen und Betrachtungen sein sollen. Im Übrigen hat das Gelübde aus sich heraus nur den Zweck, die Seele in einen Zustand innigster Vereinigung mit dem Erlöser zu versetzen, einen Zustand also, den unser hl. Stifter uns wünschte. Die Gelübde führen ja dahin, unseren Herrn Jesus Christus nachzuahmen. Durch die drei Gelübde, besonders das der hl. Keuschheit sollen wir nur mehr eine Seele mit Gott bilden.

Die Keuschheit, Gelübde des Priesters und des Ordensmannes.
Dieses Gelübde ist gleichzeitig ein priesterliches wie klösterliches Gelübde. Warum legt aber der Priester dieses Gelöbnis ab? Weil er im innigen Verkehr mit Gott stehen soll. Der Prophet, der Gott am tiefsten verstanden und dem sich Gott am innigsten geoffenbart hat, war der unverheiratete Elias. Er schaut Gott auf dem Berg Horeb wie auf dem Karmel. Er schaut Gott nicht nur, sondern empfängt von ihm die Offenbarung aller Dinge, der intimsten Pläne seiner Vorsehung. Gott zeigt ihm am Himmel jene kleine Wolke, der Fußspur eines Menschen im Sande ähnlich, die den Beginn der göttlichen Huld ankündigt. Denn die kleine Wolke dehnt sich bald aus und bedeckt den ganzen Himmel. Die Verehrung der seligen Jungfrau Maria nimmt hier ihren Anfang und breitet sich über die ganze Erde aus, die vom Wohlgeruch ihrer Jungfräulichkeit und Heiligkeit duften wird.

Johannes der Täufer – Johannes der Evangelist.
Der Täufer erkennt den Erlöser und zeigt auf ihn mit den Worten: „Seht das Lamm Gottes!“ Auch er war unverheiratet. Er trug die Krone der Jungfräulichkeit. Als einziger von allen Heiligen und Menschen war er gewürdigt, den zu offenbaren, der der Messias, das Lamm Gottes war. – Und welcher Apostel hat das göttliche Wort am besten gekannt, hat es verkündet, nimmt es sozusagen in die Hand, lässt es vom Himmel herabkommen und zeigt es uns als wahren Gott und Mensch? Es ist der keusche, der jungfräuliche Apostel Johannes, der Evangelist. „Was ich gesehen und mit meinen Händen berührt habe vom Worte Gottes, das verkünde ich Euch.“ Das heißt Priestertum. Um Gott sehen und ihn kennenzulernen, muss die Seele keusch und rein sein, muss man Gott mit seinem Herzen und seinen Händen berühren. Die Keuschheit ist somit die unerlässliche Vorbedingung des Priestertums. Gott teilt sich nur auf diesem Wege mit.

Mit umso tieferen Grund ist diese Tugend eine klösterliche, ja die Tugend des Ordensstandes mit Auszeichnung. Die Tugend eines Herzens, das Gott wahrhaft liebt und ihm geweiht ist. Das natürliche Mittel, zur Erkenntnis und Liebe Gottes und des Nächsten zu gelangen.

Die menschliche Liebe. Seht sie doch an, die menschliche Liebe, und sucht sie zu definieren: ihr werdet viele Worte gebrauchen, um etwas ganz Einfaches, Fühlbares und Greifbares auszudrücken, da es ja eben diese Liebe und die Leidenschaften sind, die heutzutage Menschen und Dinge bewegen. Sollte man etwa glauben dürfen, dass alle Politiker aus Prinzip und Vernunft für die Republik oder das Königtum eintreten? Reißt sie nicht die Leidenschaft mit sich fort? Aus welchem Grund ist man Freimauerer? Doch um seinen Ehrgeiz und seine Begierden zu befriedigen. Das ist doch das Entscheidende. Gott aber ist die Liebe. Alles, was uns ihm näherbringt, ist Gottesliebe. Jede Liebe außerhalb Gottes und  seines Gebotes ist dagegen Leidenschaft und Verfall. Wehe des Menschen, der sich leiten lässt durch den Sturm menschlicher Leidenschaft, die das Feuer der Hölle entfacht. Zunächst nur ein schwacher Funke im Charakter, daraus wird ein Feuer, das den Brand entfacht, der eine ganze Welt mit Blut und Ruinen anfüllt. Meine Freunde, was ist also die Liebe, die menschliche Liebe? Hier sitzt doch alles in den Sinnen, im Genuss, alles ist Sinnenlust. Ein Wesen kettet sich an ein anderes, und fast immer, wenn das religiöse Moment abgeht, steht eine Mauer auf gegen die Pflicht. Eine Art Erregung, ein Naturinstinkt, der sich grobschlächtig der Seele bemächtigt, um nicht mehr zu sagen. Und was bleibt von all dem übrig? Nichts. Was man Liebe nannte, verduftet bald. Sollte aber doch etwas zurückbleiben, dann besteht dies einzig in der Phantasie. Es war Rauch und Dampf, eine Seifenblase, die bald zerplatzt. Das ist rein menschliche Liebe, Ursprung und Quellgrund aller Übel der Welt, Widerpart des Reiches Gottes.

Dagegen muss die reine Liebe angehen. Priester und Ordensmann müssen keusch und rein sein: das ist wesentliche Voraussetzung für die Existenz des Priester- und Ordensstandes. Ein Priester, der die Keuschheit verliert, ist kein Priester mehr, ein Ordensmann kein Ordensmann mehr. Sie haben ihre Schultern mit einer Last beladen, die sie nicht tragen können. Das ist nicht mehr Leben, sondern Tod. Ich hab ein gutes Gehör: ihr sprecht noch. Es scheint also, wie die Apokalypse sich ausdrückt, dass noch Leben in euch ist. In Wirklichkeit seid ihr tot. Toter, so steig doch hinab ins Grab!
Die göttliche Liebe. Auf der andern Seite steht die göttliche Liebe, die wahre Liebe, die Gott selbst uns ins Herz legt, Liebe zu ihm, Liebe zu den Mitmenschen, mit denen wir nach seinem Willen zusammenleben sollen, die wir wahrhaftig recht und angemessen lieben sollen. Diese Liebe kommt nicht von der Natur, sie hat ihre Wurzel in der Gnade Gottes und ist die fruchtbringende Seite der Gottesliebe. Jedes Mal, wo unser Leben zur Tat wird, und unsere Neigung sich innerhalb der Grenzen der Caritas auswirkt, geht unser Herz auf Gott zu und bewegt sich mit seinem Mittelpunkt entgegen.

Franz v. Sales und das Gelübde der Keuschheit.
Das ist der tiefe Sinn, den unser hl. Stifter dem Gelübde der Keuschheit gibt. Lest in seinen Schriften, was er von diesem Gelübde schreibt. Die Keuschheit ist bei ihm identisch mit der Liebe, sie ist die rechte Ordnung in der Liebe. Denn unser Herz ist geschaffen für die Liebe. Sie ist die Blume im Feld unseres Herzens, „die Lilie auf dem Feld“. Der göttliche Heiland lustwandelt in diesem Feld, dort kann er sich niederlassen und seine Wonne finden. In ihm ist alles echt und rein. Auf seinem Weg türmt sich kein Hindernis auf, keine Gitterstäbe halten ihn zurück, „schauend durch die Gitterstäbe“. Sein Blick findet kein Hindernis, er schreitet voran und herrscht, und nichts widersteht ihm. Unser hl. Stifter kehrt, das Gelübde der Keuschheit sei eine Verpflichtung der Liebe. Wie verschieden beide Arten von Liebe doch sind! Hast Du die göttliche Liebe im Herzen, jene also, die nicht im Gefühl oder in einer Gemütsbewegung gründet, sondern tiefer wurzelt, dann herrschst du über deine Leidenschaften, über dich selbst. Hast du aber den guten Weg verlassen und hat die Liebe zu dir selbst, die Leidenschaften und Neigungen die Oberhand gewonnen, dann sinkt der Pegel der göttlichen Liebe, und verschwindet schließlich ganz. Sie gleichen den beiden Schalen einer Waage: steigt die eine Schale, so sinkt die andere in gleichem Maße. Die Skala stimmt genau. Ist deine Gottesliebe stark, dann steht es auch mit deiner Keuschheit gut. Hapert es hingegen mit deiner Keuschheit, kann die Gottesliebe nicht überragend sein.

„Haltet euch bereit für die Ankunft des himmlischen Bräutigams!“ Das ist die ganze Verhaltensregel, die der hl. Stifter uns für die Beobachtung der Keuschheit an die Hand gibt. Keinerlei materielle Vorschrift also, wie z.B., sich verteidigen gegen schlechte Gedanken, schlechte Handlungen, dem göttlichen Gebot entgegenstehende Dinge. Nicht auf diese Weise geht er vor. Er betrachtet vielmehr das Gelübde als einen Akt, als eine Folge von Akten der Gottesliebe. Um die Keuschheit zu beobachten, will er, dass die Seele Gott aus ganzem Herzen sucht und liebt.

Mutter Maria Salesia. Wenn ich das Leben der Guten Mutter studiere, finde ich in sämtlichen Dokumenten, die ich in Händen hatte, in Briefen, Zeugenaussagen, in meinen eigenen Erinnerungen das beständige Zeugnis dieser keuschen Treue zu Gott. Schon als kleines Kind war ihre Seele einzig auf den Erlöser ausgerichtet. Nur ein Punkt kann ihr von da an Pein verursachen: wenn sie bemerkt, dass sie es an Gottesliebe hat fehlen lassen, dass sie eine Schwäche gezeigt hat in dem, was Gott von ihr verlangte.

Ihr ganzes Leben war nur ein einziger langer Akt von Gottesliebe. Ihre Keuschheit hatte ihr ganzes Herz auf Gott orientiert. Auf ihrem Professtag hatte sie sehr vieles von Gott zu erbitten. Sie erbat aber nur eines: Gott möge nicht zulassen, dass irgendjemand sie auf natürliche Weise liebe. So stark war die Furcht, in ihr einer andern Liebe Zugang zu gewähren als jener, die sie gelobt hatte. Solch eine Bitte zeugt von einer seltenen Heiligkeit. Es bedurfte wahrlich einer ganz reinen Seele, um nichts anderes unter dem Totentuch zu erbitten.

Die Versuchung. Die Keuschheit lässt und mit besonderer Achtsamkeit gefährliche Gedanken, Blicke und Handlungen meiden. Seien wir also auf der Hut: Lassen wir unter keinem Vorwand das Böse, die Unruhe und Verwirrung sich nahen. Legen wir uns große Zurückhaltung und Bescheidenheit auf. Verschließen wir Augen, Ohren und vor allem das Herz dem Bösen, der Sünde. Rufen wir Jesus, Maria und Josef zu Hilfe. Sprechen wir diese hl. Namen mit dem Mund und vor allem mit dem Herzen aus. Die Versuchung bringt den Menschen zur Reife, sagt das Buch der Weisheit. Er kann nur, wenn er durch das Feuer gegangen ist, ganz geläutert werden. Das ist Weihrauch von erlesenem Duft, der da zum Herrn aufsteigt. Jawohl, täuschen wir uns nicht: dieser Kampf hat seine gute und notwendige Seite: die Engel schauen bei diesem Kampf zu, in der Hand eine Krone, einen Kranz, der umso schöner ist, je größer der Eifer und die Liebe war, mit der wir kämpften. So betrachtet, können uns die Versuchungen keine Angst einjagen. Sie unterstützen jene, die am Werk des Herrn mitzuarbeiten verpflichtet sind. Sie vermitteln ihnen das Wissen über den Wert des Kämpfens und des Leidens. Sie erfahren so, dass sie mit den Kämpfern und Siegern auf dem Gebiet der Versuchungen Mitleid haben sollen. Darum schwächt die Versuchung nicht die Tugend. Leiden und Prüfungen kommen ja nicht aus einer Verderbnis des Charakters, sondern verbünden sich vollkommen mit der Unversehrtheit der Seele und erhalten sie in der Demut.

Der hl. Paulus. Hatte dieser Heilige nicht den Stachel des Fleisches verspürt? Wurde er nicht bis in den dritten Himmel entrückt? Er behauptet, nicht zu wissen, ob dies mit seinem Leib oder ohne diesen geschah. O großer hl. Paulus, ich behaupte, es geschah in seinem Leib. Wärest Du nicht auch in Deinem Leib versucht worden, dann wäre dieser sicher auf der Erde geblieben. Aber da auch Dein Leib die Versuchung verspürte, wurde er auch zur Belohnung bis zu Gott entrückt. Deine Augen und Ohren haben da wahrgenommen, was bisher kein Mensch bewundern durfte. Darum wurde Dein Leib an der Freude mitbeteiligt, weil er auch am Leiden mitbeteiligt war. Daher also, du großer Heiliger, die Ekstase auch deines Leibes.

Meine Freunde, ihr seht also wohl, dass die Versuchungen uns nicht von Gott entfremden, sondern im Gegenteil uns ihm näher bringen. Sie verleihen eurer Seele neue Anreize und Lockungen zu dem hin, der euch liebt. Jede Versuchung gibt euch die Gelegenheit, ihm eure Liebe und euren Glauben zu beweisen.

Das sicherste Mittel der Versuchung gegenüber ist das Gebet, die Anrufung Jesu und Mariens. Rufen wir uns die Verheißung der Guten Mutter ins Gedächtnis, dass Gott der beharrlichen Seele die Treue bewahrt.

Die Keuschheit des Oblaten. Die Keuschheit des Oblaten hat ein besonderes Gepräge. Dürften wir uns Oblaten nennen, wenn unsere Keuschheit nur von jener von guten Christen gliche, die sittlich einwandfrei dahinleben oder die wie gute Ordensleute ein ganz einwandfreies Leben führen? Nein, das entspricht nicht unserer Berufung, sie weist ein besonderes Gepräge auf: die Berufung der Liebe zu unserem Herrn, zu einer ganz intimen Liebe, die uns mit ihm so stark vereint, dass wir uns von ihm gar nicht mehr trennen können. Er ist uns jeden Augenblick nah, wir sind allezeit in Gemeinschaft mit ihm, sprechen miteinander, tun alles mit ihm gemeinsam. Alles, was die hl. Regel uns auflegt, unsere Beziehungen zum Mitmenschen, unser Amt, unsere Seelsorgearbeit, all das geschieht für Ihn und mit Ihm. Das ist unser Leben, unser Siegel. So nimmt sich das Gelübde der Keuschheit für uns aus.

Aber, sagt ihr mir vielleicht, ich habe für unseren Herrn nicht viel Gefühl übrig, ich verspüre keine Liebe zu ihm. Kein spürbares Empfinden erwärmt mein Herz für ihn. Nun, das will unser Herr nicht einmal haben. Liebte etwa der hl. Petrus unseren Herrn nicht? Und doch legte er sich nicht wie der hl. Johannes beim Abendmahl an die Brust Jesu. Er liebt ihn mit seinem Glauben und seiner Hingabe. Als die Apostel im Fischerboot waren, hielt es Petrus nicht mehr dort, sobald er Christus erkannte. Seine Liebe drängte ihn so stark, dass er sich ins Meer stürzte und auf den Wogen dahinging. Johannes dagegen blieb im Boot. Petrus vergaß völlig, dass ihn Wasser umgab, so tief, dass es ihm zehnmal über den Kopf stieg und doch fürchtete er kein Untergehen. Liebe ist Sache des Herzens und offenbart sich oft in keiner Weise im Äußeren. Ist sie doch kein bloßes Gefühl, keine Herzensbewegung, vielmehr ein Akt des Willens.

Das also bedeutet bei uns Keuschheit, und  nach diesem Ziel streben wir. Wie unterhält man nun diese Keuschheit? Indem man in der Nähe Gottes verweilt. „Was wir gesehen und mit unseren Händen vom Wort des Lebens berührt haben…“ Das ist die Liebe. „Das ist das Leben, das wir führen.“ All diese Stellen haben Bezug auf unseren Herrn. Sie zeigen die innige Vereinigung, die Nähe, die geistliche Vermählung, die unsere Seele mit der des Erlösers verbindet. Worin besteht denn das so innige Band der Ehe? Es ist die Einheit zweier Herzen, die nur mehr ein Herz ausmachen, nur ein einziges Wesen bilden. Ich möchte euch das gut begreiflich machen, euch immer wieder sagen, was ich tausendmal aus dem Mund der Guten Mutter vernommen, wovon ich so lange Jahre Zeuge war. Sie unternahm nichts und sagte nichts ohne den Erlöser. Er war ihr immer gegenwärtig, sie fragte ihn ständig um Rat und nahm nichts ohne ihn in Angriff. Und das ist gerade der Inhalt des Keuschheitsgelübdes. Darum verbindet uns gerade dieses Gelübde am innigsten mit unserem Herrn.

Möchte doch Jesus, den wir im hl. Sakrament empfangen und im Tabernakel besuchen, in unsere Seelen kommen und diese Dinge uns verständlich machen! Wir werden dann nie mehr alleine arbeiten und leiden. Nein, Du Herr Jesus bist mit uns, und Deine Gegenwart flößt uns Mut ein. Auf dieser Erde, die nur Durchgang ist, wo alles in ständigem Fluss und Wechsel steht, und wir mit den Dingen unablässig uns wandeln, gib, dass wir unwandelbar bleiben und Dein Kommen jedem Mangel in uns genugtue. Richte in uns für immer Deine Wohnung auf. „Bleibe bei uns, Herr.“ O teure Keuschheit unseres Herrn, weile in unserem Fleisch und in unserem Herzen! Erlöser der Seelen, unsere ganze Hoffnung tragen wir in uns, wir können ohne Dich nicht sein, können gar nicht leben fern von Dir!

Erweise mir die Gunst Herr Jesus, auf den Spuren Deiner hl. Mutter zu wandeln, auf denen unserer Guten Mutter Salesia, unserer Lehrerin in der Gotteswissenschaft und unserer Fürsprecherin im Himmel.