Exerzitienvorträge 1884

      

7. Vortrag:  Gehorsam der Gnade gegenüber.

Schwester Genovefa und Bischof de Segur.
Tragen wir entschlossen die Mühen der Exerzitien! Ich sage immer dasselbe; aber ich tu es, weil ich aus der Erfahrung weiß, dass Gott will, dass wir auf diese Weise unsre Exerzitien verbringen.

Schwester Maria-Genovefa war während ihrer Exerzitien immer tief betrübt; sie hatte nichts davon und war doch eine große Heilige. Zu ihr hegte ich dasselbe Vertrauen wie zur Guten Mutter. Sie sagte mir Dinge voraus, die samt und sonders in Erfüllung gingen. Ihre Aussagen waren wie bei den alten Propheten doppelt: die erste ging nach einigen Tagen in Erfüllung und diente als Garantie, dass auch die zweite sich später erfüllen werde. Alle Schwestern achteten sie hoch. Bischof de Segur hatte großes Vertrauen zu ihr. Er suchte sie auf und war überzeugt, dass er bei ihr um vieles bereichert werde. „Nun, liebe Schwester“, sagte er eines Tages zu ihr, „Gott erweist Ihnen große Gnaden. Was gibt er Ihnen denn in diesem Augenblick, sagen Sie mir etwas von ihm!“ – „Ja, Hochwürdigster Herr, der liebe Gott teilt mir mitunter Gnaden mit, doch zur Zeit gibt er mir gar nichts und ich weiß nichts. Obendrein bin ich ein Dummkopf und kann nicht einmal lesen.“ Das war alles, was Bischof de Segur von der Schwester erfahren konnte.

Die letzten Verheißungen der Guten Mutter für die Oblaten.
Ich komme heute vom Hundertsten ins Tausendste. Ich stehe nämlich unter dem Eindruck einer tiefen Erregung: Genau zu dieser Stunde und an diesem Tag vor 9 Jahren spendete ich der Guten Mutter die letzten Sterbesakramente. Folgende Worte richtete sie da an mich: „Sie werden auf sich selbst gestellt sein, um alle Mühsale zu ertragen. Aber seien Sie versichert, ich werde bei Ihnen sein und Sie nicht im Stich lassen. Ich werde Ihnen mit meinem Gebet nahe sein. Was immer geschehen mag und wenn alles verloren scheint, verlieren Sie nicht den Mut! Seien Sie gewiss, dass es der Wille Gottes ist, dass die Oblaten existieren, dass ihr Orden gegründet ist. Er wird sich Ihrer bedienen, um große Wirkungen in der ganzen Welt hervorzubringen. Man wird den Eindruck haben, der Erlöser lebe wieder auf der Erde, man wird sein Tun und Handeln sehen und erleben.“

Die Zeit, die ihr noch zu leben blieb, d.h. fast zwei Monate, lebte sie nur noch für die Oblaten. Sie litt für sie und dachte nur an sie. Was sie mir da sagte, tröstete mich ungemein. Ihre Worte verwirklichten sich und bewahrheiteten sich weiter, das versichere ich euch. Bitten wir darum die Gute Mutter, uns ins Verständnis des Gehorsams einzuführen, den sie so treu übte.

Der Gehorsam der Guten Mutter schon im Noviziat.
Gehorchen, das Bedürfnis immer zu gehorchen – das war ihr Leben. Ihre Novizenmeisterin sagte von ihr: „Man spürte, wie ihr Gehorsam dem Befehl zuvorkam.“

Niemals, unter keinem Vorwand wollte sie sich von der Ordensregel, den Satzungen und jeglicher Anweisung entfernen. Für sie war nach ihren eigenen Worten der Gehorsam der liebe Gott selbst, der sie besuchen kam.

Die Gnade und die Eucharistie. „Wenn man nur verstünde, was sich da abspielt, sagte sie, wenn Gott eine Gnade schickt, wenn das Wort (gem. ist Christus) mit dem Vater zusammenwirkt, um eine Gnade zu gewähren, welch ein großes, göttliches Geschehen! Die Eucharistie ist großartig, sie ist noch göttlicher als dieses Zusammenwirken des Wortes mit dem Vater. Wenn man das begriffe, würde man bei diesem Anblick vor Liebe vergehen!

Die Gnade einlassen ist eine Art Kommunion. Denn in der Kommunion schenkt sich Gott uns… Und das Wort (gem. ist Christus) gibt sich uns ebenfalls, wenn wir die Gnade aufnehmen; es findet also eine Art Vereinigung zwischen Ihm und uns statt…“ Zu diesem Zitat mache ich meine Vorbehalte geltend, da ich nicht als Häretiker angesehen werden möchte. Diese Gedanken sind schwierig zu begreifen, vor allem für die Jüngsten aus uns; doch Gott verleiht die nötige Einsicht.

Die Zartheit der Guten Mutter im Gehorchen.
Diese Hochachtung der Guten Mutter für den Gehorsam ging bis zu einer erstaunlichen Gewissenszartheit. Man kann sagen, sie hegte eine wahre Verehrung für ihn. Die kleinste Nichtunterwerfung ihres Urteils lastete so schwer auf ihrem Herzen, dass sie bat, auf der Stelle beichten zu dürfen, denn, sagte sie, „ich könnte in diesem Zustand nicht in Vereinigung mit dem lieben Gott bleiben.“

Der hl. Bernhard und seine Schüler.
Heute Morgen las ich eine Stelle aus dem hl. Bernhard, die mich rührte. Der Heilige predigte und las die Messe gern in St. Denis bei Paris. Dort ging er in die Schulen und sprach mit den Kindern, die ihn gern hatten. Als er eines Tages mehrere für das Ordensleben gewonnen hatte, forderte er sie auf, mit ihm nach Paris zu gehen, um andere Ordensleute zu holen. Die Schüler wunderten sich, dass er Paris verlassen hatte, um jetzt dorthin zurückzukehren, um dort Ordensleute zu holen, und gingen mit ihm. In der Stadt angekommen, überquerten sie einige Straßen und erblickten plötzlich drei Geistliche, die ihnen entgegenkamen. Der hl. Bernhard spricht sie an: „Ich bin P. Bernhard, Gott schickt mich, um euch zu holen.“ Die Geistlichen folgten ihm auf der Stelle und erzählten ihm, während der hl. Messe sei ihnen der Gedanke gekommen, Ordensleute zu werden. Sie hätten sich gegenseitig diese Überlegungen mitgeteilt und hätten darin einen Befehl Gottes erblickt und sich auf den Weg gemacht, um ihn zu treffen. – Begegnen wir doch mit derselben zarten Treue den Einsprechungen Gottes und seinen geheimen Wünschen.

Bischof Lachat. Bischof Lachat, ein heiligmäßiger Bischof von Basel, fragte mich vor einiger Zeit in einem schwierigen Fall um Rat. Es handelte sich dabei um einen Klosterberuf. „Was raten Sie, die Sie doch Erfahrung in derlei Dingen haben, hier zu tun?“ – „Vielleicht sollte man abwarten“, gab ich zur Antwort, „und die Zeit arbeiten lassen.“ – „Wenn aber Gott zu dieser Seele gesprochen hat“, fuhr er fort,  „wer bin ich, die Befehle Gottes auf die lange Bank zu schieben?“ – Diese Antwort hat mich tief bewegt und ich begriff besser die Zartheit, die man in der Treue zu Gott walten lassen muss.

Die erste hl. Messe der kleinen Therese Chappuis.
Wer aber schenkt uns die Zartheit in der Treue? Wo hat die Gute Mutter dieses Geheimnis erlernt? Es war während der Französischen Revolution; sie war 4 Jahre alt, und die hl. Messe konnte nur heimlich des Nachts im väterlichen Haus gelesen werden. Das Kind bemerkte die Vorbereitungen dafür, und stellte Fragen, da sie noch nie von der hl. Messe gehört hatte. Sie bat so innig, ihr beiwohnen zu dürfen, dass man ihr die Zustimmung nicht versagen konnte und sich auf ihre Verschwiegenheit verließ. Und Gott offenbarte sich dem Kind: sie „verstand alles“! Hier erfuhr sie alles, was sie später über Gott Vater, über Jesus Christus, die hl. Messe und die Geheimnisse der Religion wusste. Denn in der Folgezeit lernte sie über all diese Dinge von niemandem mehr etwas. Bitten deshalb auch wir, Gott selbst möge unser Lehrer sein.