2. Vortrag: Rechenschaft
Exerzitien sind eine Zeit der Krise. – Der erste Tag ist überstanden. Wir hielten uns auf dem Berg auf, verbrachten den Tag mit Moses und Elias bei Jesus. Vielleicht erlebten wir keine Tröstungen. Jesus war aber dennoch gegenwärtig und wir weilten in seinem Gezelt mit Hilfe des Gebetes. Der selige Josef Labre, der zu gewöhnlicher Zeit sehr viele Gnaden von Gott empfing, gestand, er mache seine Exerzitien nur mit großer Anstrengung.
Wie sollen wir nun die Zeit der Exerzitien gut verwenden? Halten wir sie so, als lägen wir auf dem Sterbebett, im Todeskampf.
Die Exerzitien sind eine Zeit der Krise. Es gibt Krisen, die retten und solche, die töten. Vergeblich werden die Exerzitien für uns jedenfalls nicht sein. Ich übertreibe nicht: sie sind entweder zu unserem Untergang oder zu unserem Heil.
An die Rechenschaft denken. – Der Heiland kommt da zu uns und sagt: Gib Rechenschaft von deiner Verwaltung!
Haben wir an unseren „Mietvertrag“ gedacht? Weil wir ohne grobe Verfehlungen dahinleben, denken wir auch an keine Rechenschaft. Das Urteil wird aber streng für uns Ordensleute ausfallen, strenger als für gewöhnliche Sünder.
Gott verlangt vom Sünder nur eins: Buße, einen Akt der Reue. Die Kirche spricht zu uns manchmal von der Buße, doch als Künderin des Evangeliums stellt sie uns hundertmal im Jahr vor Augen, dass wir Rechenschaft abzulegen haben über die uns anvertrauten Talente:
„Gib Rechenschaft von Deiner Verwaltung.“ Betrachten wir näher diese Rechenschaft:
Die Gelöbnisse der Taufe und der ersten hl. Kommunion. Da haben wir zunächst den Vertrag unserer Taufunschuld: was haben wir damit angefangen? Gewiss haben wir gebeichtet, es wurde uns verziehen. Aber es war ja ein Vertrag, und was wurde daraus?
„Gib Rechenschaft von Deiner Verwaltung!“
Dazu kommt der andere Vertrag unserer ersten heiligen Kommunion, jene feierlich erneuerten Taufgelöbnisse; was haben wir damit gemacht?
Dann die Gnaden der Weihen.
Wie wenig denken wir doch an unsere Weiheversprechen! Auch das waren Verträge, angefangen von den Versprechen der Tonsur über die Niederen Weihen bis zum Subdiakon und Diakonat… Läsen wir das Pontifikale durch – wir haben es vielleicht nicht zweimal im Leben durchgelesen –, fänden wir darin all die Verpflichtungen, die wir bei jeder dieser Weihen übernommen haben… Das sind Verpflichtungen, deren Tragweite ungeheuer ist. Seht nur, was die Kirchenväter, ein hl. Chrysostomos, ein hl. Hieronymus, in ihren Briefen darüber sagen und denken. Wir sind versucht, das für Literatur und für Geschichte zu nehmen. Wozu verpflichten uns allein schon die Versprechen der Tonsur? „Der Herr ist der Anteil meines Erbes und meines Bechers.“ Oder: „Die Messschnur, die die Grenzen meines Erbes abmaß, fiel mir auf köstlichen Boden.
Die Gnaden des Priestertums.
Und die Gelöbnisse des Priestertums? Hört, was der hl. Chrysostomos darüber in seinem Traktat über das Priestertum sagt: „Versteht die Heiligen, die an der Pforte des Priestertums stehen bleiben, weil sie die Last zu schwer fanden. Jeden Morgen die Stufen des Altars emporsteigen und Gott Fleisch und Blut Jesu Christi aufopfern mit den Worten: Das ist für meine und des ganzen Volkes Sünde. Die Kommunion spenden, wir denken nicht genug daran: ‚Gott den Seelen reichen!‘“ Die Gute Mutter sagte mir eines Tages ein Wort, das mir die Augen öffnete über die Größe dieser Handlung: Ich wollte sie nicht hören. „Jeden Morgen“, sagte sie mir, „geben Sie mir den ganzen Gott, und Sie wollen nicht, dass ich Ihnen meinerseits etwas von ihm gebe, ein Stückchen nur von seiner Wahrheit?“
Die Seelen lossprechen. – Welche Heiligkeit und Reinheit setzt das bei uns voran?
Die Gnaden des Ordenslebens und die ganz persönlichen Gnaden.
Die Gnaden der Berufung und des Ordenslebens: Dazu jene anderen Gnaden, die nur wir empfingen! Bekommen wohl ein Dorf, eine Stadt, eine ganze Provinz soviel Gnaden, wie wir sie allein erhalten? „Jakob habe ich geliebt, Esau dagegen gehasst.“ Sind wir nicht Jakob, und was müssen wir Gott nicht alles für diese Liebe zurückgeben? „Gib Rechenschaft von deiner Verwaltung!“ Diese Gedanken sollen uns nicht entmutigen! Demütigen wir uns vielmehr ob unserer Erbärmlichkeiten, aber erheben wir uns wieder mit Vertrauen! Wie solche ungeheuren Schulden abzahlen? Wie die ungeheure Lücke ausfüllen zwischen dem, was wir hätten tun müssen und dem, was wir getan haben?
Machen wir uns recht klein und niedrig und bitten Jesus, mit seiner unendlichen Barmherzigkeit diese ungeheure Kluft aufzufüllen. Sagen wir zu Jesus Christus: „Habe ich diese Pflichten übernommen, dann nur, weil Du es so gewollt hast. Du hast diese Verpflichtungen auf Dich geladen mit mir und für mich; hilf mir also jetzt, ihnen gerecht zu werden.“