9. Vortrag. Die Versuchung.
Die Versuchung erwarten. – Die Versuchung ist das Hindernis, das sich unserem guten Willen, unsern guten Vorsätzen entgegenstellt. Sie kommt nach den Exerzitien, und zwar stärker bei denen, die die Einkehrtage besonders gut gemacht haben. Ich sprach bereits von der Versuchung; lasst mich noch einmal darauf eingehen.
Der hl. Bernhard. – Ich gebrauche gern seine Lehre, die in so vielen Punkten der unseres hl. Stifters nahesteht. Der hl. Bernhard unterscheidet:
1. Die allgemeinen Versuchungen, die er „den Eber im Wald“ und „das Feuer, das den Wald vernichtet“ nennt.
2. Die den Ordensleuten eigenen Versuchungen, die er „die Füchslein, die den Weinberg zerstören“, nennt.
„Der Eber im Wald“: die Versuchung der Unkeuschheit.
Was tun die Eber in den Wäldern? Betrachtet sie in einem Jungholz, wo die zarten Triebe kaum den beschnittenen Stämmen entsprießen, welche Verwüstung sie von allen Seiten anrichten, sie entwurzeln oder zertrampeln, was sie nicht entwurzeln können…
Das ist das Bild der Versuchungen des Fleisches, wenn man ihnen Einlass gewährt in die Seele. Sie wirken verheerend nach allen Seiten, und bleiben einige Reiser und Triebe, Erinnerungen an Exerzitien oder vergangene Tugenden zurück, alles wird zertrampelt und in welch tristen Zustand versetzt! Und die Versuchung senkt uns ihre Einflüsterungen in die Ohren, durch die Augen, mit Hilfe all unserer Glieder.
Zuvorkommende Mittel und Heilmittel. – Was dann tun? Wie der große hl. Hiob, der allseits Versuchte, müssen auch wir einen Pakt mit unseren Augen, mit all unseren Gliedern abschließen. Ein Pakt ist wie ein Band: in der Morgenbetrachtung gehen wir diesen Pakt ein. Denn, vorausgesehen, wird uns die Versuchung nicht überraschen: ihr wisst ja, mit wem ihr es zu tun habt. Sodann riete ich euch bereits: Ruft Jesus, Maria und Josef an, die Unbefleckte Jungfrau. Eine Versuchung, das ist die Sache eines alleinstehenden Menschen, der zu Zeugen nur die Kräfte und Fähigkeiten seiner Seele sowie seinen Schutzengel hat. Rufen wir also die Hilfe unseres Schutzengels an, sammeln wir Kräfte in der Betrachtung und im Gebet und stärken wir so die Kräfte unserer Seele für die Stunde des Kampfes.
„Das Feuer, das den Wald vernichtet.“ – Die Versuchung zur Gottlosigkeit. Eine andere Versuchung also: ein Feuer, das den ganzen Wald vernichtet, das nicht einmal mehr nackte, zarte Schösslinge zurücklässt…rein gar nichts mehr. Aber wieso das? Könnte ein Ordensmann denn zur Gottlosigkeit versucht sein? Jawohl, und nehmt euch in acht davor!
Mittel zur Vorbeugung und zur Heilung.
1. Keine Zeitung lesen. – Die Versuchung ist heute allgemein verbreitet. Lest also nie Zeitungen. Da Gott auf unserer Seite steht, wozu ist dann die Politik nütze? Jawohl, in den Zeitungen und den darin propagierten Ideen steckt eine große Versuchung zur Verweltlichung, die Versuchung, alles rein natürlich zu erklären; der Naturalismus wurde aber auf dem Vatikanischen Konzil (1. Vatikanisches Konzil, Anm.) von der Kirche verurteilt. Haltet euch also mehr an den Papst, an das, was die römisch-katholische und apostolische Kirche glaubt und lehrt.
2. Sich nicht verbrüdern mit den Laien. – Hegt keine innige Freundschaft mit Laien, so gut sie auch sein mögen. Ein Laie zieht euch immer zu seinem Niveau herab, und ist die Verbindung (mit Gott) einmal gebrochen, so werdet ihr fallen. Von 100 Ordensleuten, die besondere Beziehungen zu Laien unterhielten, fielen 99, haben ihre Pflichten verletzt, und aus welchem Grund? Weil die Laien nicht die gleichen Ideen haben wie wir. Sie leben nicht im gleichen Element und ziehen euch auf ihre Stufe herab, seid dessen sicher!
Heißt das, wir sollten ihnen nichts Gutes tun? O nein, aber hütet euch, mit ihnen allzu vertraut zu werden.
3. Nicht mit jenen vertraut werden, die nicht klipp und klar katholisch sind. Bleiben wir Ordensleute! Sonst bekommt ihr bald Glaubenszweifel, ja ihr verliert den Glauben selbst! Unser Glaube wird angekränkelt, und das lässt sich leider bei einer großen Zahl von Christen heutzutage feststellen. Tun wie das aus Hochmut? Nein, wir handeln so, um die Unversehrtheit unseres Glaubens zu erhalten, um uns zu bewahren vor der Versuchung mangelnder Frömmigkeit. Besser ist ein unmoralischer Akt – das lässt sich gutmachen – als eine unreligiöse Handlung. Ein schlechter Priester, der gefallen ist, kann wieder gut werden und dann viel Gutes tun. Vom Verlust der Integrität des Glaubens, der Unreligiosität dagegen erholt man sich nie und niemals.
Machen wir es wie Hiob. Er hatte Versuchungen des Fleisches und schließt einen Pakt mit seinen Augen: „Ich habe einen Bund mit meinen Augen geschlossen, dass ich nicht einmal an eine Jungfrau denke.“ (Hiob 31,1). Als seine Freunde ihm auf dem Misthaufen gottlose Dinge anraten, richtet er sich auf und sagt: „Ich weiß nicht nur: ich glaube, sondern ich weiß – dass mein Erlöser lebt und ich am Jüngsten Tage von der Erde auferstehen werde.“ (19,25).
„Kleine Füchse“: die besonderen Versuchungen des Ordensmannes: Wünsche, Kritiksucht, Murren, Mutlosigkeit. – Der Eber, sagte der hl. Bernhard zu seinen Ordensleuten, haust in den Wäldern, die das „Klare Tal“ umgeben, wird aber unsere Mauern nicht übersteigen. Man würde ihn vertreiben, wenn man ihn kommen sieht. Dasselbe gilt vom Feuer: man würde es auslöschen. Mit den Füchslein, die sich einschleichen, ist es anders. Sie zwängen sich überall durch und nagen alles an:
1. die Personen: „Der und der versteht davon nichts, ich würde diese Aufgabe besser meistern… Was geht ihn das an? Hat er nicht das und das über mich geäußert?
2. die Angelegenheiten des Hauses: man kritisiert, man äußert Wünsche: „Es will mir scheinen, das Haus könnte besser sein, meine Zelle bequemer…“
3. die eigene Person: „Man versteht mich nicht, ich bin hier nicht auf dem richtigen Posten… Ich teile nicht die Meinungen meiner Umgebung und würde natürlich anderswo mehr Gutes wirken…“
4. das Institut: „Ich erfülle meine Regel schlecht, führe die Übungen nicht gut aus; dieses Haus passt also nicht für mich, da herrscht nicht die richtige Ordnung, das ist nicht seriös…“
Das Heilmittel. Was tun, um diese Füchslein zu vertreiben, die bald des Herrn Weinberg zerstört haben werden? …
Das gleiche, was der kleine Hausangestellte täte, sähe er gerade einen Fuchs in den Hühnerhof eindringen: er riefe einen stärkeren herbei, einen geschickteren, den Bruder C… Ihr aber, um diese Füchslein zu vertreiben, geht sofort zu eurem Oberen, eurem Seelenführer und enthüllt ihm diese Versuchung, die sich dann zerstreuen wird. Noch einmal: seid gefasst auf die Versuchung. Denn: Wehe den Besiegten! … und glücklich, wer sie überwindet. Je mehr Versuchungen einen bedrängen, umso näher ist man beim Herrn und umso mehr Frucht bringt man in der Kirche Gottes hervor.