8. Vortrag. Die Betrachtung.
Die Betrachtung: Notwendigkeit und Schwierigkeiten.
Unser ganzes Leben, all unsere Handlungen, sollten in besonderer Weise das Gepräge tragen, dass wir dabei an Gott denken oder aus dem Herzen zu ihm beten. Das nennt man Betrachtung oder Meditation. Wie also meditieren, oder besser gesagt „betrachten“? – Es gibt sehr viele Methoden vortrefflicher Art.
Doch in der Praxis sind nur wenige Frauen und Männer imstande, nach diesen Methoden zu betrachten. Nie lernte ich einen kennen außer einem einzigen Mann, der auf diese Weise gut seine Betrachtung machte.
Was ich euch jetzt sage, könnt ihr darum den Seelen raten, die ihr zu führen habt, nachdem ihr euren eigenen Nutzen daraus gezogen habt. Welches ist denn das Ziel der Betrachtung? Uns besser zu machen, uns dem Willen Gottes immer mehr anzugleichen. Das nennen wir aber Vorbereitung auf den Tag. Franz v. Sales lehrt, die Betrachtung sei ein Zwiegespräch mit Gott. Mutter Chantal sagt, in der Betrachtung sprechen wir mit Gott über die Angelegenheiten, die uns betreffen. Ebenso sagt Mutter Salesia, die Betrachtung sei ein „Zwiegespräch, in dem wir mit Gott über unsere Angelegenheiten sprechen“, während sie die Beschauung als „ein Zwiegespräch“ definiert, „indem wir Gott über Seine Angelegenheiten sprechen.“ Was tut der Kaufmann, was tut der Händler? Allmorgendlich bereitet er sein Tagewerk vor, sieht die Geschäfte voraus, die er zu tätigen hat, die Waren, die er zu liefern, die Wechsel, die er zu bezahlen hat. So unterhalten wir uns auch jeden Morgen in der Betrachtung über das, was tagsüber ansteht.
Vorausschauen und vorbereiten mit unserem Herrn.
Ihr habt Unterricht zu halten. Bittet um die nötige Einsicht, ihn gut zu erteilen und mit schwierigen Charaktern fertig zu werden. Besprecht das gründlich mit Gott…Ihr sollt das Direktorium beachten. Nehmt einen Punkt im Besonderen aufs Korn. Wie ihn ausführen? Bittet Gott um die Gnade, ihn treu und aus ganzem Herzen zu beobachten.
Ihr habt Versuchungen zu bestehen. Sie sieht voraus: eine erwartete Versuchung ist eine drei Vierteln überwundene. Denn sieht man den Dieb durchs Fenster einsteigen, kann man ihn abschrecken oder sich in Sicherheit bringen.
Und ihr habt so während des Jahres eure Betrachtungen gemacht, habt ihr denn eure Zeit vergeudet? Sicher nicht! Ihr habt vielmehr einen großen Schritt vorwärts in der Observanz des Direktoriums getan; das aber ist eure Eintrittskarte in den Himmel. So solltet ihr selbst betrachten und es anderen lehren, bis ihr in der Gottesliebe soweit seid, dass ihr dem Zug der Gnade folgen und immer in Gottes Gegenwart verharren könnt. Und selbst wenn man an diesem Punkt angelangt is, muss man dann nicht weiterhin sein Tagewerk voraussehen und vorbereiten?
Die Betrachtung kann an verschiedenen Festtagen verschieden sein. – Z.B. am Jahrestag eurer Taufe, eurer ersten hl. Kommunion, an Festen gewisser Heiliger, zu denen ihr eine gewisse Andacht habt, wenn ihr den Zug der Gnade dazu spürt oder euch fromme Erinnerungen, heilige Gedanken kommen. – sehr gut, wenn ihr euch dann einfach der Gnade Gottes überlasst. Betrachtet über die Gedanken, die euch da kommen, über die Wahrheiten, die Festgeheimnisse, die Tugenden des oder der Heiligen! Doch sonst bleibt auf der Erde und tut, wie ich euch eben geraten habe. Nach dem hl. Bernhard sind die Früchte einer solchen Betrachtung folgende:
1. Gott wird kommen. – Genesis 3,8 spricht vom „Kommen Gottes“ ins irdische Paradies, und das letzte Wort der Geheimen Offenbarung lautet: Komm, Herr Jesus (20,22).
2. Er ist da. Er, der nicht nur der Friedfertige ist, der Friedensfürst, wie ihn Jesaja nennt (9,6), sondern der Fleisch- und personengewordene Friede, wie Michäas sagt (5,5) „Er selbst wird der Friede sein“; das ist die 2. Frucht der Betrachtung: nicht nur die Gegenwart, sondern die Einwohnung Gottes in der Seele, die den Frieden schenkt.
3. Er schaut die Seele an. Er wirft auf die Seele den gleichen Blick, den er dem reuigen Petrus, dem toten Lazarus, den vertrauenden Schwestern Maria und Martha zuwarf, einen Blick, der die Seele erzittern und auferstehen lässt und der ein Liebesband mit Jesus bedeutet.
4. Er spricht mit der Seele. Er erleuchtet sie mit seinem Licht, stärkt sie mit guten Regungen, zeigt der Seele, was sie zu tun und wie sie es zu tun hat. Darum, habt ihr während des Tages etwas zu tun, sagt zu euch selbst: „Gab mir Gott in der Betrachtung ein? Hat er gesagt, ich soll es auf diese Weise tun?“