4. Vortrag: Der Gehorsam
Der Gehorsam ist unsere spezifische Tugend. In andern Orden liegt der Ton auf körperlichen Abtötungen und Bußübungen. Wir dagegen müssen gewinnen durch die Unterwerfung unseres Geistes, unseres Herzens, unseres Urteils, unserer Ansichten, alles dessen, was in uns lebt. – gemäß dem Wort des hl. Petrus: „Da ihr eure Seelen … geheiligt habt …“ (1 Petr 1,22) – was wir nicht gewinnen durch Bußübungen, die im Übrigen nicht in unserer Regel stehen. Wir kreuzigen somit nicht sosehr unseren Leib als unsere Seele.
Wem gehorchen? – Gehorsam schulden wir unseren Vorgesetzten, der Ordensregel, den Satzungen, unserem Hausoberen, dem Disziplinpräfekten…Andernfalls wären wir keine Oblaten; es ginge uns ab, was den Oblaten wesentlich ausmacht, denn – um es einmal zu sagen – unsere ganze Bußübung liegt im Geist des Gehorsams.
Die Sicherheit des Gehorsams. – Der hl. Simeon der Säulensteher sagt, dass der Gehorsam die Gefahr ungefährlich macht. Haben wir etwas Gefährliches, Schwieriges zu vollbringen? Tun wir es im Gehorsam, so haben wir nichts zu fürchten. Selbst wenn wir uns täuschen sollten, haben wir vonseiten Gottes nichts zu befürchten; denn, sagt derselbe Heilige, der Gehorsam „ist die getreue und ewige Entschuldigung bei Gott.“ Der Gehorsam ist unfehlbar; wir sind immer sicher, im Gehorsam richtig zu handeln.
Das Verdienst des Gehorsams. – Kostet das ein Opfer? Ja, und das Maß des Leidens beim Gehorchen ist auch das Maß des Verdienstes, entsprechend dem Wort des hl. Apostels Paulus, der von unserem Herrn sagt: „Durch sein Leiden hat er den Gehorsam gelernt.“ (Hebr. 5,8). Kostet er uns viel, haben wir großes Verdienst. Kostet er uns mehr, verdienen wir mehr.
Der hl. Bernard.- Zurück von einer Reise erfährt er, dass seine Novizen einige Verstöße gegen den Gehorsam begangen haben. Er geht ins Noviziat, steigt auf die Kanzel, kreuzt dann die Arme auf der Brust, ohne was zu sagen, und wartet. Schließlich zieht er ein Kruzifix von seiner Brust, zeigt es den Novizen und zieht sich zurück. Die Novizen kommen ganz betrübt zu ihm, gestehen ihm ihren Fehler und versichern ihm, sie würden Buße tun. „Es geht hier nicht um Buße“, sagt der Heilige, „Ich habe euch versprochen, euch durchs Ordensleben zum Himmel zu führen; dafür aber muss man gehorchen wie unser Herr, bis zum Kreuz; mehr noch, bis in den Tod am Kreuz; mehr noch: indem ihr euch selbst in Gedanken mit den Intentionen unseres sterbenden Herrn vereinigt.“
Gehorsam in der Seelenführung. – Vergesst den Gehorsam auch nicht in der Führung der Seelen und im Unterricht. Auf welche Weise? In der Seelenführung sollen die Priester sich vor allem nicht ihrer Wissenschaft, ihrer Erfahrung, noch ihrer Studien bedienen, sondern der Methode unseres hl. Stifters. Die heiligmäßigen Priester in der Welt lesen die Werke des hl. Franz von Sales, die Philothea, die natürlich auch wir lesen und studieren sollten und die die Grundlage unserer Seelenführung bilden soll… Aber wir müssen mehr tun als diese heiligen Priester, die sich in ihrer Seelenführung all dessen bedienen, was sie gelernt und gelesen haben. Wir hingegen sollten uns fragen: Was hätte in dieser Situation unser hl. Stifter getan? Und dann handeln wir aus ganzem Herzen in seinem Geist und bringen reichere Frucht hervor als würden wir nach unseren eigenen Einsichten handeln. Denn wir sind ja nicht allein, - allein können wir nichts – sondern in Vereinigung mit unserem Herrn, mit unserem hl. Stifter, ja mit der ganzen Kommunität.
Gehorsam in der Predigt. – Das Gleiche gilt für unsere Predigten: Folgen wir der Linie, die uns vorgezeichnet ist. Halten wir nie eine Predigtreihe für eine besondere Gelegenheit, ohne sie dem Oberen vorzulegen. Und riete er uns sogar etwas, was uns weniger gut erschiene, unterwerfen wir unser Urteil! Wir werden umso reichere Frucht hervorbringen. Unsere Lehre sei die des hl. Franz von Sales, soweit immer dies möglich ist. Gehen wir ganz auf seinen Geist ein! Denn – ich wiederhole es – sind wir nicht allein und bringen in den Seelen reiche Frucht hervor. Ferner sei unsere Predigt lebhaft, bilderreich, fesselnd und richte sich an die Zuhörer, die wir vor uns haben. Zuletzt empfehle ich euch dringend, um Nachwuchs für unsere Gemeinschaft zu beten: Bitten wir auch um die Erleuchtung des hl. Geistes!