2. Vortrag: Das Gebet
Notwendigkeit des Gebetes für unsere Schüler.
Kommen wir auf das gestern Gesagte zurück und nehmen wir den 1. Teil unserer Zweiteilung wieder auf: durch Gebet. Man vertreibt den Teufel durch das Gebet. Es ist notwendig, dass wir für unsere Schüler beten. Diese Notwendigkeit ist absolut. Wir sind nicht nur für die Intelligenz unserer Schüler verantwortlich, sondern auch für ihre Seelen; und dieser Pflicht genügen wir nur durch das Gebet. Wer soll für unsere Schüler beten? Die Eltern tun es nicht mehr. Auch nicht der Pfarrer ihrer Pfarrei. Bleiben also nur wir übrig. Tun wir es nicht, so fehlen wir gegen eine Gewissenspflicht. Wenn ein Lehrer vor Gott erscheint, ohne für seine Schüler gebetet zu haben, können wir nur hoffen, dass er nicht in die Hölle kommt, falls er keine anderen schweren Sünden begangen hat. Aber wie lange wird sein Fegfeuer dauern? Das wird die Gerechtigkeit Gottes entscheiden. Achten wir also gut darauf: Gott will, dass jene, die mit der Sorge um die Seelen betraut sind, für die ihnen Anvertrauten beten. Mehr noch: es gibt Gnaden, die Gott einzig und allein mit dem Gebet derer verknüpft, die die Pflicht haben, zu beten. Und zwar so, dass er diese Gnaden nicht gewährt, wenn jene, die verpflichtet sind, sie zu erbitten, dies zu unterlassen.
Beten wir also nicht für unsere Schüler, so berauben wir sie der Gnaden, die Gott von unserem Gebet abhängig macht, und so können wir in gewissem Maße an ihrem Verderben schuldig werden.
Die Definition des Gebets: Die Gebetsdefinition, die im Katechismus steht, entspricht nicht meiner Überzeugung. Man meint, man müsse beim Beten sich selbst verlassen, weil Beten eine Sonderbeschäftigung sei außerhalb unserer Natur. Das ist falsch. Der hl. Thomas definiert das Gebet so: „Das Gebet (die Betrachtung) ist eine Erklärung, eine Darlegung des eigenen Willens vor Gott…“
Man macht sich eine falsche Vorstellung vom Gebet, wenn man meint, man müsse, um zu beten, alles verlassen, und einen Akt vollziehen, der ganz und gar mit allem bricht, was wir sonst tun. Nichts ist falscher als das. Das Gebet ist eine Darstellung und Erklärung: „Mein Gott, sieh da diese Schwierigkeit…“ Darum kann man, ohne seine Arbeit zu verlassen, den ganzen Tag beten. Das beständige Gebet besteht, wie der hl. Vinzenz von Paul erklärt, darin, nicht den kleinsten Zwischenfall unseres Lebens vorübergehen zu lassen, ohne Gott auf dem Laufenden zu halten. Bei einer auch nur kleinen Schwierigkeit bitten wir ihn um seine Hilfe; einen kleinen Ärger, schon opfern wir ihm auf. Mit einem Wort: befassen wir Gott mit allem, was wir tun oder was uns zustößt; tragen wir ihm alles vor, verbergen wir ihm nichts, tun wir nichts ohne ihn!
Nach dieser Definition des Gebetes muss auch das innere Gebet (die Betrachtung) eine „Erklärung“ sein. Machen wir daraus kein Studium; das wäre schlecht, ohne jeden Zweifel.
Halten wir unsere Betrachtung im Zusammenhang mit unserem Schulunterricht: setzen wir Gott auseinander, was wir im Lauf des Tages zu tun haben, nennen wir diesen oder jenen Schüler, sagen wir ihm, was dem Schüler fehlt: Verstand, guter Wille,… Unser Tagewerk sollte, von der Betrachtung vorbereitet und im Keim in ihr enthalten eben diese Betrachtung fortsetzen und in ganz natürlichem Ablauf verwirklichen.
Das ist eine Erklärung unseres Wollens und Wünschens. Der hl. Thomas fügt ja in seiner Definition hinzu: „des eigenen Willens.“ Das ist bedeutungsvoll. Wenn wir darum bitten, aus diesem oder jenem Fehler herauszukommen, ist es dann wirklich unser fester Wille, ihn abzulegen? Wenn wir Gnaden für unsere Schüler erflehen, ist es wirklich Ausdruck unseres eigenen Willens? Das Gebet muss aus dem tiefsten Grunde eines Willens kommen, der etwas erlangen will, der sich bessern will, der das Wohl der Schüler will. Gibt dieser Wille unserem Gebet aber nicht Leben, ist es dann nicht ein Akt, dem die innere Quelle fehlt, also ein rein äußerlicher Akt?
Ich komme zurück auf den Ausdruck: „eine Erklärung…“ Das Beten ist also etwas Geschmeidiges, kein System. Es richtet sich nach den Umständen, es bittet, betet an und seufzt. Es ist die Stimme der Seele, die den Ton laut oder leise macht, je nachdem, wie es passt. Beten ist das freie und intime Zwiegespräch mit dem Freund, das Leben gottgeweihter Seelen, wie auch immer sie beschaffen sind. Lassen wir Gott doch nicht im Himmel droben, noch im Tabernakel isoliert, nehmen wir ihn überall mit, in alle Einzelheiten unserer Existenz.
Bedingungen des Gebetes: Reinheit und Treue. Es bleibt noch eine wichtige Frage zu behandeln: der Zustand, in dem wir uns befinden müssen, um gut zu beten: der Gnadenstand, die Treue. Betrachten wir das Gebet unseres Herrn! Der hl. Thomas lehrt, dass Christus mit seinem absoluten und vollkommenen Willen nur das wollte, was er als den Willen Gottes erkannte. So wurde jeder absolute, selbst der menschliche Wille Christi, erfüllt, weil er dem Willen Gottes gleichförmig war, darum wurde auch jedes Gebet Christi, der Ausdruck dieses absoluten Willens, erhört (vergl. Thomas, Summa, III, 21,4 c).
Mit andern Worten: Unser Herr sagte im Gebet zum Vater: „Sieh Dich selbst in mir!“ Denn Du bist ganz in mir. Und der himmlische Vater erhörte dieses Gebet. So muss also auch unser Gebet für die andern beschaffen sein. Unsere Seele muss rein genug sein, dass Gott sich darin betrachten kann. Wir müssen zu Gott sagen können: „Ich weiß auf meinem Gewissen keine Todsünde, erinnere mich auch keines so schweren Fehlers, dass er Deinen Blick schwer beleidige. Mein Gott, betrachte Dich in mir, Du wohnst darin…“ Und unser Herz, so rein, so vereint mit Gott, wird dann keine Mühe haben, Gott zu finden: „In ihm leben wir“ (Apg. 17,28); er ist um uns, zur Rechten, zur Linken, er ist in uns.
Nicht „aus sich heraustreten“, um zu beten. – Beachtet darum wohl, dass man sich nicht verlassen muss, um zu beten. Das Gebet ist eine Erklärung, eine Expansion unseres Lebens, die alle Formen annimmt, sich auf alle Handlungen erstreckt, auf alle Beschäftigungen ausdehnt. Setzen wir Gott also sanft und liebevoll auseinander, wie Franz von Sales, was wir tun, was wir wünschen bei all unseren Handlungen… Unser Beten sei ununterbrochen, unser Leben gottvereint. Dann wird auch unser Beten leicht und ohne Anstrengung.