Exerzitienvorträge für die Oblatinnen 1887

      

1. Vortrag: Über die Furcht vor dem Gottesurteil

Donnerstag Vormittag, 1. September 1887

[Es war nicht die Gewohnheit des Hochwürdigen Pater Brisson, solche Themen am Beginn der Exerzitien zu behandeln, aber sein inspiriertes Wort bereitete so die Seele einer Teilnehmerin vor, vor Gott zu erscheinen. Diese völlig gesunde Schwester wurde von einem plötzlichen Übel erfasst und starb innerhalb einiger Stunden am 5. Tag der Exerzitien.]

Meine Kinder, wir beginnen nun die Exerzitien. Möge jede von euch ihren guten Willen einbringen, damit wir das Jahr gut verbringen, dass es ein fruchtbares Jahr wir, ein Jahr, indem wir etwas für den Himmel verdienen können werden, denn das Paradies ist das Ziel unserer Arbeiten, unser Heil ist das Ziel unseres Lebens.
Ahmen wir zu Beginn der Exerzitien, wie unser Herr sagt, den geschickten, klugen, fleißigen Kaufmann nach, der am Jahresende seine Inventur macht. Stellen wir also unsere Bilanz seit den letzten Exerzitien zusammen. Was verdienten wir auf dem Gebiet unseres Gewissens, der Ordensregeln, des Gehorsams, des Eifers, unserer Heiligung? Sind wir besser als vor einem Jahr? Welche Fortschritte haben wir gemacht? Wo stehen wir? Wir dürfen uns keine Illusionen machen, die Jahre folgen schnell aufeinander. Wenn wir immer von Abstieg zu Abstieg gehen, müssen wir wohl fürchten, dass wir in den Abgrund fallen. Mögen wir nicht verurteilt werden, als hätten wir nicht genügend Verdienste und Treue, die gewünscht wird, um gerettet zu werden.
Gott verlangt wenig von den Leuten der Welt. Er verlangt sehr viel von den Priestern und den Nonnen. Ist das gerecht? Ja, denn wir haben eine Fülle an Gnaden. Wir sind im Haus Gottes, wir haben große Hilfen, nichts fehlt uns. Und vor allem fehlen uns nicht die Prüfungen, die Widersprüche. Gott  behandelt uns mit einer großen Sorgfalt, einem großen Erbarmen, genug Heimsuchungen an Leid, Schmerzen und Bitternissen, damit wir die Verzeihung unserer Sünden erhalten und uns heiligen können. Wir haben also, was wir brauchen, und wenn wir es nicht nutzen, wird Gott nicht zornig mit uns sein können, er wird uns aber auf den letzten Platz verweisen, und nach dem letzten Platz ist nur die Hölle.
Wir fürchten Gott und sein Urteil nicht genug. Die größten Heiligen hatten Angst davor. Der heilige Martin kämpfte auf seinem Totenbett gegen den Teufel: „Böser Geist“, sagte er zu ihm, „ich habe mit dir nichts gemeinsam. Du willst mich in die Verzweiflung stoßen, aber du wirst mich nicht besiegen.“ Der heilige Hieronymus zitterte in seiner Einsiedelei, wenn er an die Gerechtigkeit Gottes dachte. Er glaubte, mitten in der Nacht die Posaunen des Jüngsten Gerichts zu hören.
Während der Exerzitien, meine Kinder, werden wir also sehen, wo wir stehen, wir werden unsere Maßnahmen ergreifen, um gut zu machen, was wir Schlechtes getan haben, und um eine bessere Zukunft vorzubereiten. Ob wir daran denken, oder ob wir nicht daran denken, ist das Gleiche. Die Gerechtigkeit Gottes geht ihren Weg nach der aufgestellten Ordnung. Nicht weil wir daran denken, oder weil wir nicht daran denken, wird sie nicht in die Tat umgesetzt. Ob wir daran denken, oder ob wir nicht daran denken, der Tod wird kommen. Ob wir daran denken oder nicht, das Gericht wird kommen, das Fegefeuer wird kommen, die Hölle wird kommen.
Ihr müsst euch also zu Beginn der Exerzitien von der Furcht vor der Gerechtigkeit Gottes und seiner Urteilssprüche durchdringen lassen. Ihr habt täglich den Beweis, dass Gott der Seele, die ihn sucht, gut ist, und sehr streng zur Seele ist, die ihm untreu ist. Gehen wir also auf diese Ansichten ein. Ich bestehe sehr auf diesem Gedanken, weil ich will, dass die Exerzitien von diesen Gefühlen durchdrungen sind. Es ist nötig, dass wir sehen, was wir von Seiten der Treue zu Gott verdient haben, und was wir verloren haben. Mögen wir sagen: „Wenn das so weitergeht, wohin werde ich kommen? Wenn ich jedes Jahr so handle, wohin werde ich gehen? Zur Lauheit, zur Pflichtvergessenheit, zur Sünde, zum Abgrund?“ Wir haben alle Grund zur Furcht. Niemand von uns ist in der Gnade gefestigt, hat die Sicherheit erhalten, aus allen Schwierigkeiten und Versuchungen siegreich hervorzugehen. Schlafen wir nicht ein!
Die Exerzitien sind eine Zeit der Gnaden und des Heils. Nützen wir sie, weil Lauheit und Nachlässigkeit im Guten zum Bösen führt, zum Nachlassen, zum Fehlen an Herz, Zuneigung und sogar an Glauben. Ohne Zweifel glaubt ihr an die großen religiösen Wahrheiten. Aber der Glaube, den alle Christen zu unserem Herrn, zu den hauptsächlichen Dogmen haben, genügt nicht. Man muss auch an das Ordensleben glauben. Glauben wir daran? Sind wir wirklich Nonnen? Es gibt Christen, die getauft sind und nicht glauben. Sind das wahre Christen? Nein, gewiss nicht. Es gibt Nonnen – ich sage nicht hier, aber es gibt welche – die ihre Gelübde ablegen und nicht frömmer sind als die Christen, von denen ich spreche, die also Christen sind und dennoch nicht ins Paradies kommen werden. Eine Nonne, die nicht an den Gehorsam, an die Heiligkeit der Bestimmungen der Ordensregeln glaubt, ist schlimmer als der Ungläubige, der keinen Glauben hat. Sie ist schuldig, sie ist in einem sehr gefährlichen Zustand. Ich sage euch diese starken Dinge, aber sie sind es nicht zu sehr. Es ist die Wahrheit und ich beharre darauf am Anfang der Exerzitien, damit jede einen Nutzen hat und darin eine Gnade und eine neue Kraft findet.
Ich wiederhole es, meine Kinder, unter den Getauften gibt es welche, die keinen Glauben haben und nicht gerettet werden nach diesem Wort des Evangeliums: „Wer glaubt, der wird gerettet werden“ (Mk 16,16). Wohlan! Die Nonne, die nicht an die Macht des Gehorsams, an die Wichtigkeit der Ordensregeln, des Geistlichen Direktoriums, der inneren Unterwerfung glaubt, hat keinen Glauben an ihr Ordensleben, sie ist vor Gott wie diese Christen, die es nur dem Namen nach sind.
Was ist ein Christ? Es ist der Getaufte. Was ist eine Nonne? Es ist die, die die Gelübde abgelegt hat. Ist der Christ, der nicht glaubt, im Stande der Gnade? Nein. Ist die Nonne, die nicht an den Gehorsam glaubt, die denkt, dass die Dinge des Ordenslebens nichts sind, fromm? Nein.
Was ich euch da sage, sind keine Härten. Ich habe soeben unseren Patres Exerzitien gehalten. Ich habe sie nicht wie für euch gehalten. Aber alle kennen diese Lehre, die ich euch vortrage. Sie haben Theologie studiert und alle kennen die Wahrheit dieser Dinge. Achtet darauf, wenn ihr im Orden lebt wie die schlechten Christen in der Welt, seid ihr dann mehr wert als sie? Nein. Wen wird Gott strenger richten? Euch, das ist richtig. Ihr habt reichlich, um euch zu heiligen. In jedem Augenblick steht euch das Gold zur Verfügung, die Diamanten, die Edelsteine. Da ist eine Mühe, ein Widerspruch – es ist der Diamant, die kostbare Perle, die Gott euch schenkt, und die ihr sorgfältig einsammeln müsst. Was wird geschehen, wenn ihr darauf tretet und sagt: „Ich will keine!“?
Ihr müsst euch unbedingt anschicken, über diese Dinge nachzudenken, gute und heilige Vorsätze fassen. Ich bin überzeugt, dass es viele verdammte Nonnen gibt, es sind deren viele zumindest im Fegefeuer. Wir lang ist für viele dieses Fegefeuer? Seht, meine Kinder, das Evangelium ist dazu da, um es uns durch folgendes Gleichnis zu sagen (vgl. Lk 19,11-27; Mt 25,14-30):
Ein Mann ging auf eine lange Reise. Er hatte drei Verwalter. Er rief den ersten und sagte zu ihm: „Ich gehe für lange weg. Hier sind zehn Talente, lass sie Nutzen bringen.“ Der zweite kam dann und erhielt fünf Talente. Der dritte, der nicht viel guten Willen hatte, bekam nur eines. Einige Zeit später kam der Herr zurück. Er rief den ersten seiner Diener und verlangte Rechenschaft über das Geld, das er ihm übergeben hatte. Dieser antwortete: „Ich ließ die Talente, die du mir anvertraut hattest, Früchte tragen. Hier sind zehn weitere.“ „Sehr gut“, sagte der Herr, „ich werde dich zum Statthalter von zehn Städten machen.“ Der zweite Verwalter, der dann erschienen war, wies ebenfalls fünf weitere Talente vor. Der Herr setzte ihn über fünf Städte ein. Der letzte kam und sagte: „Herr, du bist ein strenger Mann, suchst zu ernten, wo du nicht gesät hast, du bist hart. Wenn ich daran gegangen wäre, das Talent Früchte tragen zu lassen, das du mir gegeben hast, und es mir nicht gelungen wäre, wärest du über mich hergefallen und hättest gesagt, dass ich schlecht gehandelt hätte, das wäre für mich eine Gelegenheit gewesen, schlecht beurteilt zu werden, unglücklich zu sein. Um keine Unannehmlichkeiten zu bekommen, habe ich daher das Talent genommen und im Garten vergraben.“ Was macht nun der Herr? „Böser Diener“, sagte er zu ihm, „ich nehme dich beim Wort.“ Dann ruft er seine Diener, seine Sklaven und sagt zu ihnen: „Nehmt diesen Mann, bindet ihm Hände und Füße, werft ihn ins Gefängnis und man behandle ihn, wie er es verdient hat.“
Meine Kinder, will der Herr damit das christliche Leben oder vor allem das Ordensleben bezeichnen? Besonders das Ordensleben. Wem vertraut Gott Talente an, damit sie Gewinn bringen? Vor allem den Ordensseelen. Diejenige, die nur ein Talent bekommen hat und es versteckte, sagte sich: „Nichts gelingt mir, man beurteilt mich immer schlecht. Ich habe mit Leuten zu tun, die ungerecht zu mir sind, man behandelt mich schlecht, daher begrabe ich das Talent des Ordenslebens lieber, das mir gegeben wurde. Um die Dinge, die mir anvertraut sind, kümmere ich mich nicht. Sie werden das werden, was sie können werden.“ Welche Strafe wird diese Nonne bekommen? Man wird ihr nicht nur ihre Berufung nehmen, sondern die Bestrafung wird auf sie fallen. Das ist äußerst ernst. Ich sage es euch, meine Kinder, mit aller Autorität, die Gott mir gab. Man muss sehr ernsthaft daran denken. Wenn die Mittel zur Heiligung, die das Ordensleben bietet, nicht genützt werden, wenn der Gehorsam, das Geistliche Direktorium, das Vorgeschriebene nicht eingehalten wird, ist es das in der Erde vergrabene Talent. Gott wird darüber Rechenschaft verlangen und das Heil ist in Gefahr.
Wäre es besser gewesen, in der Welt zu bleiben? Wenn man mit der Ordensberufung in der Welt bleibt, läuft man große Gefahr, sich zu verlieren, denn wenn Gott eine Seele mit dem Siegel seiner Liebe versehen hat, verletzt ihm diese Seele das Herz, wenn sie seinem Ruf nicht folgt. Wenn ihr also trotz eurer Berufung in der Welt geblieben wäret, wäre der Blick der Liebe von Gott nicht auf euch gefallen, hättet ihr nur seiner Gerechtigkeit, seine Züchtigungen kennengelernt. Haltet diese Gedanken im Geist gegenwärtig. Wenn ihr Exerzitien macht, müsst ihr die Vergangenheit erforschen, euch darüber Rechenschaft ablegen und sehen, ob dieses Jahr nicht wirklich ein Jahr war, indem wir an Reinheit, Einfachheit, Glauben, gutem Willen und Verständnis für die Dinge Gottes, unserer heiligen Berufung, an Hingabe des Herzens an Gott und seinem heiligen Willen verloren haben.
Ihr seid Nonnen, ich bin Priester. Außerdem bin ich euer Vater, und ich werde alt. Ich habe also das Recht, euch das zu sagen. Angenommen, dass ich jedes Jahr etwas verloren habe, dass ich immer mehr meine Messe um jeden Preis lese, mein Brevier ohne Frömmigkeit bete, wäre ich ein Unglücklicher. Ich bin, wie ich hoffe, in der Gnade Gottes, und ich glaube, dass ich trotz der Treulosigkeiten, die ich mir vorzuwerfen habe, mit fortschreitendem Alter meine Messe besser lese, meine Betrachtung besser mache und den Seelen mehr verbunden bin. Der Glaube, den ich zu unserem Herrn im heiligsten Sakrament habe, ist größer denn je. Die Liebe zu Gott ist immer stärker in meinem Herzen. Ich sage ich, als sagte ich es von einem anderen, aber wir sprechen unter uns, in der Familie.
Meine Kinder, eine Nonne muss auf dem Weg ihrer Heiligung vorankommen. Denn der Tod kommt bestimmt, das ist ernst. Jede Nonne ist verpflichtet, die Ordensregel zu üben. Und wenn sie Oberin ist, muss sie dafür sorgen, dass sie um sie herum eingehalten wird. Ich möchte nicht an der Stelle der Hausoberin sein, die ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen wäre.
Versteht also, wie notwendig die Exerzitien für euch sind. Im Orden der Heimsuchung werden die Schwestern durch die Klausur und durch regelmäßige Übungen geschützt, die ihr nicht so zahlreich habt wie sie. Ihr seid mehr in einer Umgebung, die euch zerstreut. Wenn ihr nicht wachsam seid, wenn ihr nicht auf der Hut seid, werdet ihr bei der ersten Schwierigkeit, bei der ersten Versuchung fallen wie die Blätter im Herbst. Die Exerzitien müssen euch unbedingt ermutigen und helfen, das zu werden, was ihr sein sollt. Sie mögen euch an die erste Gnade des lieben Gottes erinnern. Die, welche mit Werken für Mädchen betraut sind, müssen äußerst wachsam sein, denn oft können die Kinder, die keinen großen Glauben haben, um sich herum einen Einfluss bereiten, der nicht gut ist. Ihr müsst also auf der Hut sein. Die Gute Mutter [Marie de Sales Chappuis] sagte von den Lehrerinnen: „Sie werden mehr Gnadne bekommen als die anderen, weil sie mehr brauchen werden.“ Sie hat viel für euch versprochen, ich glaube daran, ich rechne damit. Es ist wunderbar, es wird sich erfüllen, ich zweifle nicht daran. Wenn ich es nicht mehr sehen sollte, werden es andere sehen. Aber ihr müsst euch der Versprechungen würdig erweisen, die sie gemacht hat. Beginnt also die Exerzitien gut, indem ihr prüft, wo ihr steht. Legt eine gute, sehr vollständige Beichte über eure Fehler ab. Prüft euch vor Gott und macht euch mit neuem Mut daran, eure Ordensberufung zu leben.
Ich wiederhole es, meine Kinder, in euren verschiedenen Werken könnt ihr auf große Schwierigkeiten stoßen. Die Leute der Welt und manchmal sogar Geistliche, mit denen ihr zu tun habt, verstehen oft nichts oder fast nichts von eurer Berufung. Sie betrachten eure Verpflichtungen als unbedeutend. Wenn ihr auf sie hört, könnte das euer Ordensleben nur lau machen. Hofft also nicht, von dieser Seite Hilfe zu finden. Ihr findet sie nur in eurer Treue zum Geistlichen Direktorium, zur Ordensregel, zu den religiösen Übungen, denn die Hilfe, die euch von der einen oder anderen Seite zukommt, könnte nicht günstig für euch sein. Um eine gute Gemeinschaft zu bilden, soll man im Kloster der Heimsuchung nicht mit Fremden in Verbindung treten, sonst wäre der Geist nicht mehr, was er sein soll. Es bliebe nichts mehr. Sie wären ein Schwarm Rebhühner, auf die man mit einem Gewehr geschossen hat. Wenn man also den Schwestern im Kloster der Heimsuchung nicht mit Mitteln helfen kann, die der Ordensregel fremd sind, so ist es bei euch ebenso. Ihr seid nicht durch Gitter geschützt, folglich seid ihr noch mehr ausgesetzt, mehr durchgerüttelt und braucht eine größere Treue zur Ordensregel. Macht es wie der Priester, der sehr oft nicht die Hilfe von außen bekommt, die er brauchen würde. Klammert euch wie er an Gott, trennt euch nicht von ihm. „Herr, bleibe bei uns, wir wollen dich nicht verlassen.“
Wenn euch Bischof Mermillod gesagt hat, ihr wäret die Hilfskräfte des Klerus, so werdet ihr es nicht nur durch eure Beschäftigungen sein, sondern durch die Situation, in der ihr euch befindet. Seid also keine Mädchen, die sich in ihren Ideen gehen lassen, sondern großmütige, herzhaft durchdrungene Seelen, die imstande sind, auf eigenen Füßen zu stehen.
Meine Kinder, ihr versteht mich alle gut, und ihr sagt wie ich, dass es angebracht ist, da inne zu halten und zu sagen: „Wo stehe ich? Was habe ich gemacht? Was bin ich wert? Auf welche Seite bin ich gegangen? Nacht rechts? Nach links? Wenn ich weitermache, wohin werde ich gehen?“ Passt gut auf, es ist wie auf einem Berg. Der erste Schritt beim Abstieg geht gut, dann geht man, läuft man, und bald kann man nicht mehr stehen bleiben, man fällt und rollt in den Abgrund. Ich sage es noch einmal, ihr müsst stark durchdrungene Seelen sein, die mit Furcht und Zittern gehen. Fürchtet Gott und seine Urteile, vor allem fürchtet, sein Herz zu verletzen. Ja, man muss Furcht haben. Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit (Ps 111,10). Man möge heute diese Erforschung sehr ernsthaft machen, darüber nachdenken und sich sagen: „Wenn ich schließlich immer auf dieser Seite gehe, wohin werde ich gelangen?“
Möge jede das Geistliche Direktorium ganz üben, möge jede ihr Amt, ihre Beschäftigung leidenschaftlich gut erfüllen. Mögen die örtlichen Oberinnen fest und großmütig sein, sie sollen daran denken, dass sie über das, was die Mitschwestern nicht machen, Rechenschaft ablegen werden müssen, dass sie dafür verantwortlich sind. Man darf nicht denken, dass ein Tag kommen wird, wo wir nur die letzten Sakramente zu empfangen brauchen, um dann auf unserem Sterbekissen einzuschlafen. Was sagt das Evangelium? Gebt Rechenschaft. Man schläft nicht so ein, um wieder aufzuwachen, sondern um gerichtet zu werden.
Im Dom von Troyes hörte die heilige Maura das Schreien des Heilands als kleines Kind. Dann hörte sie sein Weinen im Ölgarten und schließlich seine Stimme, die sie richtete, und sie war erstarrt vor Schrecken. Wenn Heilige wie der heilige Hieronymus, der heilige Martin, die heilige Maura beim Gedanken an den Tod zittern, was werden wir sagen? Was werden wir machen?
Gott ist gerecht, meine Kinder. Da ist ein Mädchen, das nicht gut erzogen wurde, sie hat ihre Erstkommunion einfach gemacht. Sie heiratet und hat alle Lasten und Demütigungen des Lebens. Ihr Gatte macht schlechte Geschäfte, sie verliert ihn. Da sie den Glauben bewahrte, bittet sie im Augenblick des Todes Gott um Verzeihung für ihre Sünden. Sicher wird er sie barmherzig empfangen. Da ist hingegen ein Mädchen, das seine Erstkommunion mit allen möglichen Tröstungen machte, die eine Jugend ohne Prüfungen verbrachte. Sie nimmt ein süßes Ordensleben an, gibt sich für nichts Mühe, murrt beim geringsten störenden Gehorsam, während die andere von ihrem Gatten geschlagen wurde. Glaubt ihr, dass Gott diese arme Frau, die ein unglückliches Dasein fristete, nicht besser behandelt wird? Sicher. Gott wird Mitleid mit ihr haben, er wird sie nicht streng behandeln, und wenn er barmherzig ist, so wird er es vor allem mit ihr sein. Wenn er Verzeihung gewährt, so ihr. Wenn er eine Belohnung verleiht, sie wird diese wieder für sie sein. Das alles ist ernst, äußerst ernst. Bedenkt das gut.
Wir werden also diese großen Wahrheiten betrachten, wir werden uns an das Gleichnis von den Talenten erinnern und daran, was unser Herr gemacht hat.
Meine Kinder, unser Herr ist da im Sakrament seine Liebe. Findet also in eurem Herzen einen kleinen Weg, um zu seinem Tabernakel zu kommen, während ihr hier oder dort im Haus seid. Die Gute Mutter Marie de Sales Chappuis ist hierher gekommen. Sie blieb einige Stunden dort. Geht wieder zu ihr, sagt ihr: „Meine Gute Mutter, du hast diese Orte geheiligt, was hast du dort vom lieben Gott empfangen? Was hast du von den Seelen verlangt, die dir anvertraut waren? Wie hast du dein Ordensleben geführt? Ich gehöre dir, erwirke mir die Gnaden, die ich brauche, um wahrhaftig deine Tochter zu sein.“
Macht eure Exerzitien mit unserem Herrn im Heiligsten Sakrament, mit der Guten Mutter Marie de Sales Chappuis, und sie werden euch Nutzen bringen. Ermutigt euch, aber täuscht euch nicht, lasst euch nicht verführen, sprecht offen zum lieben Gott, sprecht ehrlich zu eurer Seele. Amen.