1. Vortrag: Über die Wichtigkeit der Exerzitien
Montag 8. September 1884
Meine Kinder, diese Exerzitien sind sehr wichtig. Für die, welche sich darauf vorbereiten, ihre Gelübde abzulegen, ist es das wichtigste ihres Lebens, denn wenn man seine Gelübde täglich erneuert, legt man sie nur einmal ab. [In dieser Zeit waren die ewigen Gelübde am Ende des Noviziates.] Ihr, meine Kinder, die ihr sie ablegen sollt, werdet Gott um das Licht bitten, um zu verstehen, was ihr machen werdet, wozu ihr euch verpflichten werdet und auch wozu sich Gott euch gegenüber verpflichtet. Für unsere anderen Schwestern sind die Exerzitien ebenfalls besonders wichtig, weil sie zum ersten Mal in Morangis stattfinden. Nichts geschieht ohne eine ganz besondere Zulassung des lieben Gottes. Der kleine Grashalm wächst, wo er den Tautropfen finden soll, den für seinen Lebensunterhalt nötigen Saft. Warum gestattet Gott, dass wir hier die Exerzitien halten? Er hat sicher seine Pläne. Die Gemeinschaft breitet sich aus, unsere Häuser werden wichtig, unsere Verpflichtungen werden in dem Maße größer als unsere Werke mehr werden. Die Gute Mutter Marie de Sales Chappuis hat mir gesagt, dass die Oblaten und die Oblatinnen über die ganze Erde gehen würden. Ihr Wort beginnt sich zu verwirklichen. Nun denn! Wir sind wie die Apostel beim Abendmahl versammelt, um uns dann über die ganze Erde auszubreiten. Sie waren 120. Wenn vier von Jerusalem gewesen wären, wäre es alles, und dennoch sind sie von dort ausgegangen, um das Evangelium in die ganze Welt zu tragen.
Meine Kinder, die Umstände sind ernst. Deshalb wiederhole ich es, diese Exerzitien sind wichtig. Die Übersiedlung des Mutterhauses nach Paris bringt einige Veränderungen in den Beziehungen der Häuser untereinander und mit der Generaloberin. [Die Übersiedelung des Mutterhauses von Troyes nach Paris fand am 12. Oktober 1888 statt]. Es folgt daraus, dass diese Exerzitien für euch etwas Ernstes, Schweres sein müssen. Wenn uns die anderen Gutes taten, müssen uns diese sehr gut tun. Wenn sie uns zur Liebe unserer Berufung brachten, müssen uns diese zur leidenschaftlichen Liebe bringen. Ja, meine Kinder, liebt euer Ordensleben mit Leidenschaft. Wenn ihr euch nicht mit Eifer an die Aufgaben macht, die es auferlegt, sondern sie mit einer gewissen Gleichgültigkeit erfüllt und dies und jenes leicht vernachlässigt, wird sich Gott von euch zurückziehen und ihr werdet tief fallen. Ich werde euch also sagen, eure Exerzitien mit viel Eifer zu machen. und nach dem Wort der Heiligen Schrift „mit Furcht und Zittern“ (Phil 2,12). Ihr müsst euch stärken und in der Liebe zur Pflicht und zur Beobachtung der Ordensregeln wachsen. Seid stark und großmütig! Bis jetzt ward ihr nur kleine Bäumchen, denen man während der Hitze ein wenig Wasser gab. Seid jetzt große Bäume, bereit gegen die Stürme, die Versuchung zu kämpfen, die von euch selbst oder der Welt kommen werden.
Warum hat der liebe Gott zugelassen, dass ihr zu den Exerzitien nach Morangis kommt? Weil es an diesem Ort, meine Kinder, viele Erinnerungen gibt. Viele kleine Seelen sind hier durchgegangen, haben dieses Haus bewohnt. Unsere Mutter Marie de Sales Chappuis hat es besucht, hat es gesegnet. Diese Alleen sind heilig, weil der Heiland da mit ihr ging. Er sprach zu ihr in besonderer Weise, ich weiß es, sie hat es mir gesagt. Geht durch dieses Haus mit Achtung, die Gnaden des Heilands sind damit verbunden. Wie oft hat man hier vereint mit unserer Mutter Marie de Sales Chappuis gebetet? Abbé Beaussier, von dem in der Biografie über die Gute Mutter die Rede sein wird, an der ich arbeite, verbrachte da sein ganzes Leben, das voll des Glaubens und der Liebe unserer Guten Mutter war. Es war in ihm etwas von ihrer Salbung. Er schenkte dieses Haus. Wie oft sprach er beim Gehen durch diese Alleen von Begünstigungen, die unserer Guten Mutter Marie de Sales Chappuis gewährt wurden. Ihr Herz brannte und glühte von der Gottesliebe. Man gab ihm den Beinamen Seraphin. Er heiligte sich durch die Dinge, die ich euch während dieser Exerzitien zu betrachten geben werde. Wie hat er sie verstanden! Wie hat er sie genossen!
Versteht ihr jetzt, warum Gott gestattete, dass ihr in diesen Abendmahlssaal gekommen seid, von wo aus ihr ihn alle Richtungen zu den verschiedenen Werken gehen sollt, die euch Gott anvertrauen wird? Meine Kinder, diese Bleibe soll also für euch heilig sein. Ich habe hier vieles gesehen und gehört, das mir zeigt, wie sehr unser Herr es liebt, wie sehr man dort unsere Mutter Marie de Sales Chappuis geliebt und verehrt hat. Seid auch ihr ihre wahren Töchter und Gott wird väterlich zu euch sein. O, wie liebt er seine Kinder! Er wird zu euch sagen, was Jakob zu Josef sagte: „Du bekommst den Segen deines Vaters. Er wird sich auf deine Nachkommen erstrecken. Deine Söhne und Töchter werden in den Augen des Herrn schön sein, sie werden die Zierde seines Hauses sein.“ Meine Kinder, begreift die große Gnade, die Gott euch gewährte, als er euch in euren heiligen Stand rief. Ich fürchte nicht, es zu sagen – ich habe Gründe dafür – eine gute Oblatin, eine Nonne nach dem Herzen des heiligen Franz von Sales ist eine Seele, die Gott ganz besonders liebt. Ich behaupte es vor unserem Herrn, der da ist und mir zuhört. Er wird mich nicht Lügen strafen. Diejenige, die ihrer Pflicht treu und mit Gott und dem Gehorsam durch das Direktorium innig verbunden ist, wird vom Heiland sehr geliebt. Sie ist die Tochter seiner Wahl, sie entspricht ganz seinem Wunsch.
Meine Kinder, ich schöpfte aus der Erfahrung der Seelen, mein Wort muss euch heilig sein. Wohlan! Ich wiederhole es, wenn ihr eurer Berufung treu seid, werdet ihr der gehegte Teil des Erbes des Herzens unseres Herrn sein, euer Herz wird seinem Herzen ähnlich sein, euer Handeln wird gemäß seinem Handeln sein. Auf Erden machte er, was ihr macht, das liebte er, das war sein Leben, im Besonderen sein verborgenes Leben in Nazaret.
Ich halte inne, meine Kinder, denn ich will euch unter diesem Eindruck lassen. Bittet Gott, der in diesem Haus, in allen Alleen des Parks gegenwärtig ist, er möge euch verstehen lassen, was er den heiligen Seelen offenbarte, von denen ich euch erzählte. Ich lasse euch durch alles mögliche bewegt und ebenso wie man hier nur den Hauch des Windes in den Bäumen hört, lasst in eure Seelen nur den Hauch der Einsamkeit, den Hauch des lieben Gottes und seines heiligen Friedens. Amen.