Exerzitienvorträge für die Oblatinnen 1882

      

1. Vortrag: Die Wichtigkeit der Exerzitien. Verpflichtung, sich zu heiligen und den Nächsten zu erbauen

Montag Vormittag, 4. September 1882

Meine Kinder, wir werden jetzt etwas sehr Ernstes machen. Wir werden Exerzitien halten. Jede Exerzitien sollen uns Erleuchtungen, Mut und vor allem einen großen Segen, eine große Hilfe vom lieben Gott bringen. Die Exerzitien haben etwas Sakramentales. Macht sie ernsthaft, meine Kinder, und ihr werdet große Gnaden erhalten. Wenn wir uns gut auf die Sakramente vorbereiten, erhält die Seele reichlich Gnaden. Ebenso erhält sie bei gut gemachten Exerzitien eine große Hilfe vom lieben Gott.
Exerzitien sind für euch sehr notwendig. Sie sind notwendig für euch, sie sind notwendig für eure Werke. Für euch, denn wir alle müssen uns stärken, den Weg wieder hinauf gehen, den wir infolge unserer Schwächen, unserer Zerstreuungen, hinabgegangen sind. Und wir müssen uns anstrengen, um den Weg wieder hinaufzugehen, den wir hinabgegangen sind.
Die Exerzitien sind notwendig für eure Werke, weil wir nur Gutes tun, wenn wir dem lieben Gott gehören. Wenn wir ihm nicht ganz gehören, unterhalten und zerstreuen wir die Seelen, die uns umgeben, aber wir tun ihnen nichts Gutes. Vergeblich versuchen wir das Haus zu erbauen. Wenn Gott nicht mit uns ist, ist unsere Arbeit zwecklos.
Jede bedarf einer Wiederherstellung mit dem lieben Gott, einer Annäherung zu ihm. Die natürliche Schwäche, die uns dazu bringt, uns von ihm zu entfernen, wirkte während des Jahres auf uns ein. Es ist also unbedingt notwendig, dass wir uns wieder erheben, dass wir ernsthafte Exerzitien machen. Was braucht ihr während der Exerzitien? Zwei Dinge: Ernsthaftigkeit und Frömmigkeit. Hört gut zu, meine Kinder: ihr müsst ernsthaft sein, eure Pflichten, die der Gehorsam euch auferlegt, sehr wichtig nehmen. Diese Ernsthaftigkeit des Ordenslebens ist sehr notwendig. Sie macht seine Schönheit, seine Größe in den Augen der Personen der Welt aus. Man muss an allem Geschmack finden, was zum lieben Gott trägt, und folglich fromm sein. Nun fehlt die Frömmigkeit allen sehr. Ihr müsst also sehr ernst werden und sehr auf alles achten, was euch gesagt wird. Es ist zu wenig, auf die Wort zu lauschen, die euch gesagt werden, man muss danach trachten, sie umzusetzen. Ihr müsst in dieser Hinsicht ernsthaft werden.
Meine Kinder, macht es euch zur Gewohnheit, aufmerksam zu hören, was man euch sagt, und bemüht euch, es auszuführen. Macht es nicht wie die Kinder, die zuhören oder eher nicht zuhören, und denen man immer das Gleiche wiederholen muss. Unser Herr hat die Kinder gesegnet, aber die einfachen Kinder, die Gott lieben, die sich seinem Gesetz unterwerfen. Er segnet nicht die unbelehrte, unaufmerksame, nicht unterworfene Kindheit. Ich wiederhole es: die Ernsthaftigkeit fehlt uns sehr. Wir hören oft zu, aber wir machen weder mehr noch weniger. Wir müssen also während dieser Exerzitien den Vorsatz fassen, sehr ernsthaft zu sein. Man muss zuhören, ohne seinen Geist zu quälen, sondern in Frieden und dem lieben Gott sagen: „Mit dir, Herr, werde ich zuhören, was man mir sagen wird, um daraus guten Nutzen zu ziehen.“
Ihr müsst euch also während der Exerzitien sehr wünschen, zu machen, was euch empfohlen wird, und fromm werden. Heutzutage geht der Wind nicht in Richtung Frömmigkeit, sondern zur Zerstreuung. Die Herzen sind schwach, die Geister fließend. Man geht, man kommt, man findet keinen Geschmack an den heiligen dingen, an der Gottesliebe. Daher ist es wichtig, dass ihr wirklich fromm werdet, dass ihr an allem Geschmack findet, das zum lieben Gott trägt. Bittet um diese Gnade, denn das fehlt uns sehr. Achtet sehr darauf. Ohne diese übernatürlich Grundlage, ohne die Frömmigkeit macht man nicht viel und – sagen wir es offen – ist man nicht viel Wert. Mit der Frömmigkeit liebt man Gott, man ist angetan von den Gedanken des Direktoriums, man liebt die Betrachtung. Versuchen wir, während der Exerzitien uns Ernsthaftigkeit und Frömmigkeit zu erwerben.
Ihr müsst auch, meine Kinder, daran arbeiten, die Kongregation zu erbauen, ihre Gründung zu festigen. Habt ihr bemerkt, was die Kinder machen, mit denen ihr euch beschäftigt? Sie beurteilen euch, sie sagen: „Diese Person ist nicht böse, aber sie ist nicht fromm.“ Und wenn man uns so beurteilt, ist es hart. Aber leider ist dieses Urteil manchmal nur allzu wahr. Eine Nonne, die keine gute Erbauung um sich verbreitet, hat bei mir die Wirkung eines auf den Steg geschickten Models. Äußerlich ähnelt sie den anderen, das Gewand bekleidet nur ein Model, Strohstiefel. Wann ist man kein Model, kein Strohstiefel? Wenn etwas in uns ist, wenn wir Treue und Frömmigkeit in der Seele haben. Es ist sehr wichtig, den Nächsten zu erbauen. Wir sprechen vom lieben Gott, aber wenn wir nicht treu sind, wenn wir nicht fromm sind, sind wir wie eine tönende Zimbel, sie macht einen Lärm, aber was bleibt davon übrig? …
Die Erbauung. Man erbaut nur, wenn man die Ordensregel erfüllt. Nur ein Name und ein Ordenskleid ist zu wenig. Wenn man kein anderes Mittel der Handlung hat, läuft man sehr Gefahr, ins Abseits zu gelangen. Wir werden uns also während dieser Exerzitien bemühen, fromm und ernsthaft zu werden.
Unser Herr sagt im Evangelium: „Wehe der Welt mit ihrer Verführung! Es muss zwar Verführung geben; doch wehe dem Menschen, der sie verschuldet“ (Mt 18,7). Und der heilige Paulus empfiehlt, darauf zu achten, den Nächsten zu erbauen. Man erbaut nun den Nächsten schlecht, nicht nur durch große Fehler, die man begeht, sondern auch durch die leiuchten Fehler in jedem Augenblick. Das bewirkt, dass wir in uns keine geistliche Quelle besitzen. Wenn also eine Seele zu euch kommt, könnt ihr ihr nichts geben, da ihr ja nichts habt. Ihr erbaut nicht. Ihr seid da, wie ein Maurer, der seinen Mörtel rührt, die Steine von einem Platz auf den anderen stellt, aber nicht erbaut. Ihr befindet euch inmitten der Materialien, der liebe Gott gibt euch alles in die Hand, was zum Bauen nötig ist, und dennoch macht ihr nichts, ihr erbaut nicht.
Etwas noch Ernsteres macht mir nicht für mich, sondern für euch Angst. Nämlich, dass die Kongregation immer so bleibt, wie sie am Anfang war. Man sieht Vieles, das niedergeht, selten aber etwas, das aufwärts geht. Es geben immer die Heiligen des Anfangs dem Institut die Form. Seht, am Ursprung der Heimsuchung waren um den heiligen Franz von Sales nur fünf oder sechs Nonnen, aber das waren Heilige. Es ist an euch, sie nachzuahmen, um wie sie eure Gründung aufzubauen. Es gibt Ordensgemeinschaften, deren Mitglieder sich vertausendfachten, und die immer aus ihrem ursprünglichen Eifer schöpfen. Das ist natürlich so, weil die Kinder viel nach ihrem Vater und ihrer Mutter geraten. Dieselben Züge, dieselben Neigungen, derselbe Klang der Stimme. Ihr seid die Mütter, die Gründerinnen des Instituts, ihr müsst den Geist, die Grundlage und die Form geben. Was ihr seid, wird man immer sein. Das scheint mir eine große Verantwortung zu sein. Die Kongregation wird nie etwas Gutes tun, wenn die ersten Nonnen auf gut Glück Nonnen sind. Das ist unmöglich. Seht also, wie ernst ihr eure Exerzitien nehmen müsst.
Wie viele Gnaden habt ihr nicht erhalten, meine Kinder! Die gute Mutter Marie de Sales Chappuis sagte mir mehrmals, dass man bei den Oblatinnen den wahren Geist unseres seligen Vaters [Franz von Sales], seine Seele, seine wahren Gedanken finden würde; dass sie imstande sind, diesen weiterzugeben. Wenn euch das nicht berührte, nicht interessierte, wäre das sehr traurig. Wenn das über euer Herz nur hinwegwehte wie der Wind, der den Staub der großen Wege aufwirbelt, wäre es trostlos. Es wäre nicht der Fehler des lieben Gottes, nicht wahr? Es wäre der eure. Unser Herr hat euch alles Notwendige gegeben. Ihr seid also verpflichtet, sehr fromm und sehr ernst zu werden. Ihr müsst daran denken, dass ihr verpflichtet seid, die Kongregation solide aufzubauen, sonst bereitet ihr ihren Verfall vor. Glaubt ihr, man könne nach zweihundert Jahren das Unkraut ausreißen, das von Anfang an gewachsen ist? Ist es leicht, bei einem jungen Mann die physischen Mängel zu beseitigen, die seine Geburt kennzeichneten? Ich kenne ein Ordenshaus, das mit großen Schwierigkeiten begann, und die Schwierigkeiten blieben ein Teil von ihm. Doch die Schwestern dieses Klosters sind große Seelen, aber ihr Haus hat noch das schmerzhafte Siegel seines Ursprungs.
Beim Gottesgericht werdet ihr nicht nur über euch Rechenschaft geben, sondern bis zu einem gewissen Grad über die, die nach euch kommen werden. Ihr werdet mir sagen: „Mein Vater, Sie sind sehr streng.“ Aber nein, meine Kinder, wenn ihr gut macht, was ich euch sage, werdet ihr große Gnaden empfangen. Wollt ihr einen schönen Platz im Himmel bekommen? Wollt ihr in besonderer Weise dem lieben Gott gehören? Wollt ihr seinem Herzen lieb sein? Macht, was ich euch sage. Das ist der Vorteil und auch die Gefahr zu der Zahl derer zu gehören, die eine Kongregation beginnen.
Heute werdet ihr also gut nachdenken. Ihr werdet prüfen, ob ihr fromm, treu, ernsthaft seid und ob ihr den Nächsten schon erbaut habt. Die Exerzitien werden nie so wichtig sein als jetzt. Die Kongregation wird sich lang ausbreiten können, zu keiner Zeit werden die Exerzitien eine Reichweite und einen Einfluss haben, wie die, die wir am Anfang des Instituts machen.
Möge Jesus im Allerheiligsten Sakrament, möge der göttliche Einzelgänger des Tabernakels, bei dem ihr diese Tage der geistlichen Sammlung verbringen werdet, euch verständlich machen, was ich euch sage, damit die Exerzitien sehr nützlich sind, und damit sie in euch alle ihre Früchte hervorbringen. Amen.