1. Vortrag: Aufgaben der Oblatinnen
Montag Vormittag, 25. August 1879
Meine Kinder, ihr beginnt jetzt die Exerzitien. Ich wünsche mir wie ihr, dass sie gut sind und euch Nutzen bringen. Bei allem guten Willen ist es sicher, dass wir wie die Uhren sind. Sobald die Gewichte am Boden angekommen sind, geben sie die Zeit nicht mehr an. Auch wir müssen daher von Zeit zu Zeit aufgezogen werden. Andernfalls haben wir nicht mehr die Zeit, in der der liebe Gott uns will. Wir müssen uns wieder einrenken, damit wir gut gehen und in seinem göttlichen Dienst genau sind. Dafür gibt man uns die Exerzitien. Wir werden jetzt ihre Übungen beginnen. Wir werden am Vormittag und am Abend einen Vortrag haben, und ich hoffe, mit der Gnade Gottes auch die Zeit zu geben, die ihr für die heilige Beichte brauchen werdet, damit ihr euer Herz erleichtern und mit dem lieben Gott wirksame Vorsätze fassen könnt.
Meine Kinder, ihr werdet zahlreich. Wir haben große Aufgaben, wichtige Werke. Sie sind an sich gering, aber in Bezug auf die Zeit, durch die wir gehen, sind sie viel, denn ihre Wirkung wird nicht gerade sehr groß, aber sehr real und sehr glücklich sein. Sie werden viel Gutes hervorbringen. Derzeit erleben wir ein teuflisches Wirken, um die Seelen vom lieben Gott zu entfernen, von seinem heiligen Gesetz zu entfremden. Also ist es eure Aufgabe dafür zu arbeiten, dass der Glaube und die Frömmigkeit in den Seelen erhalten bleiben, die nahe daran sind, sie zu verlieren und sich von der allgemeinen Gleichgültigkeit mitreißen zu lassen.
Mgr. Mermillod hat gesagt, dass ihr die Hilfskräfte des Klerus sein werdet. Die Predigt, die er hielt, verwirklicht sich heute und wird sich auch weiterhin als richtig erweisen. Ohne Zweifel könnt ihr in der heiligen Kirche unendlich viel tun, wenn ihr mit dem heiligen Franz von Sales vereint seid, wenn ihr sein Werk fortführt.
Ich wünsche mir also, dass wir persönlich nichts sind, aber dass unser seliger Vater [Franz von Sales] alles ist. Wir müssen also seine Augen sein, um zu sehen, seine Arme, seine Füße, um zu handeln, sein Herz, seine Seele, um zu sprechen, um die Salbungen des Heilands um uns herum zu verbreiten. Das ist unser Ziel. So haben wir begonnen, so müssen wir weitermachen. Mrg. Mermillod hat es euch an der Stelle gesagt, wo ich jetzt stehe, und dieses Wort enthüllte gut die Absicht Gottes mit uns.
Jede arbeitet in ihrer Beschäftigung am übernatürlichen Werk der Kongregation mit. Die, welche kocht, wie die, welche Katechismusunterricht erteilt. Die, welche in der Wäscherei, in der Kleiderabteilung arbeiten, sind ebenso notwendig, wie die, welche im Unterricht beschäftigt sind. Es ist nicht die gleiche Handlung, aber das Ziel ist das Gleiche. Ihr seid also berufen, ein Werk in der Kirche Gottes zu schaffen: ihr müsst das Bild des heiligen Franz von Sales und der heiligen Johanna Franziska von Chantal erwägen. Deshalb hat der liebe Gott euch erwählt, deshalb wurde euch das Ordenskleid gegeben. Ihr müsst, ich wiederhole es, der heiligen Kirche in jeder Beschäftigung helfen, die ihr zu verrichten habt. Eure Aufgabe ist groß und schön. Ihr wisst wohl, dass in der heutigen Zeit die Welt auf einen Abgrund, auf die Hölle zusteuert und ihr müsst dazu beitragen, sie zu hindern in die Schlucht zu fallen. Wie werdet ihr das können? Indem ihr perfekt ausführt, was euch anvertraut ist, denn dann werdet ihr der Kirche geben, was sie sich von euch erwartet.
Wir stellen diese Exerzitien unter den ganz besonderen Schutz des heiligen Franz von Sales. Er wird unsere Bitten dem lieben Gott vorbringen, und wir werden erhalten, was wir brauchen. Ihr werdet ihn um Hilfe und Licht bitten, die ihr braucht. Ihr werdet sehen, dass euch seine Hilfe nicht fehlen wird, und dass ihr durch ihn viel erhalten werdet.
Eine große Heilige hatte eines Tages eine Vision, in der ihr die Gnade Gottes in Gestalt einer reichlich fließenden Quelle gezeigt wurde. Nonnen, die jede eine Urne in der Hand tragen, gingen in einer Prozession. Die einen hatten eine Urne aus Gold, die anderen eine Urne aus Silber und wieder andere eine Urne aus Stein und die letzten eine Urne aus Erde. Die Urnen aus Gold waren sehr klein, die aus Silber ein wenig größer. Sie bemerkt, dass das Gefäß, von je gewöhnlicherem Stoff es war, eine desto größere Dimension hatte. Die Heilige fragte unseren Herrn, was das bedeute. Er antwortete ihr: „Es ist egal, ob man mit einem Gefäß aus Gold oder aus Erde zum Brunnen geht. Aber die, welche mit einer Urne mit einem größeren Fassungsvermögen hingeht, bringt mehr zurück.“ Gott gibt verschiedene Gaben, er gibt der einen eine strahlende Intelligenz, diese trägt ein Gefäß aus Gold; einer anderen die Aufrichtigkeit, die Einfachheit, dargestellt durch das Gefäß aus Silber. Einer anderen wieder einen geraden, energischen Willen, das ist der Stein. Anderen wieder die Milde, die Demut, das ist die Tonerde. Das Gefäß aus Gold ist klein und erhält wenig; das Gefäß aus Silber erhält mehr; das Gefäß aus Stein noch mehr. Aber die treue Nonne, die die Demut üben wird, wird viel erhalten, denn sie wird eine sehr große Urne tragen. Sie hat nichts, was Bewunderung anzieht, es ist das Gefäß aus Erde, aber sie wird vom lieben Gott viel erhalten. Während der Exerzitien braucht also jede nur ganz einfach ihr Urne zu unserem Herrn zu bringen.
Da ich diese Exerzitien unter die Schirmherrschaft des heiligen Franz von Sales stelle, ist es meine Absicht, euch ein ganz kindliches Vertrauen zum heiligen Kirchenlehrer einzuflößen, der der Ideenspender eurer Kongregation ist. Setzt ein Samenkorn der Margerite, des Veilchens. Es ist sehr klein, aber es schließt immer die Margerite, das Veilchen ein. Wenn man es anbaut, wird es eine entzückende kleine Blume werden. Die Saat wurde vom liebenswerten heiligen Franz von Sales in Fülle ausgestreut: da ist eure Grundlage, euer Keimling. Ihr müsst ihn pflegen und versuchen, dieses heilige Vorbild wieder hervorzubringen, ohne vorzugeben etwas daran zu ändern. Sonst wäre es nicht mehr, was sich der liebe Gott wünscht. Und dann inspiriert euch an den Beispielen, die euch seine bevorzugten Töchter [die Schwestern der Heimsuchung] hinterlassen haben.
Was macht zum Beispiel die gute Schwester Marie-Geneviève? Wenn sie ihr Gemüse schälte, so machte sie es mit dem lieben Gott. Dann war sie so einfach, so herzlich mit jeder ihrer Mitschwestern. Dennoch hatte sie einen harten Weg. Ihre Gefährtinnen verstanden sie nicht. Man fand sie eigentümlich. Der liebe Gott ließ es zu, dass man ihr Schmerz zufügte. Aber sie beklagte sich nie. Sie stand weit darüber. Man fand, dass sie dies oder das nicht gut gemacht hatte, dass sie beim Gemüseschälen zu schnell oder nicht schnell genug war. Man fand es erstaunlich, dass sie nicht alle Dienste leistete, die man von ihr erwartete, und dass sie immer krank war. Sie litt darunter, gab aber alles großmütig dem lieben Gott. Das sind schöne, nachahmenswerte Beispiele.
Beginnt also die Exerzitien mit einem lebhaften Wunsch, das Hervorragende eurer Berufung besser zu verstehen. Wenn ihr während der Exerzitien etwas Gutes erhaltet, bewahrt es sorgfältig, nehmt ein kleines Heft, um es aufzuschreiben, ebenso wie die Vorsätze, die euch der liebe Gott eingibt.
Unser Herr lasse euch gut verstehen, was ich euch gesagt habe, und sein heiliger Segen möge auf euch ruhen. Amen.