Exerzitienvorträge für die Oblatinnen 1878

      

7. Vortrag: Über die Verehrung des Allerheiligsten

Donnerstag Vormittag, 5. September 1878

Meine Kinder, ihr wisst es, jede Ordensgemeinschaft, jedes Institut hat seinen besonderen Charakter, sein besonderes Mittel, Gott und den Nächsten zu dienen und die Seelen zu heiligen. Nachdem ich euch gesagt habe, was für euch die Betrachtung, das Sakrament der Buße und die Heilige Messe sind, werde ich euch heute Vormittag sagen, was der besondere Charakter der Frömmigkeit der Oblatinnen des heiligen Franz von Sales sein soll. Einige Ordensgemeinschaften haben eine besondere Frömmigkeit, die ihnen eigen ist. So haben die Dominikaner den Rosenkranz, der ihnen vom heiligen Dominikus gegeben wurde. Und was, meine Kinder, ist unsere wesentliche Frömmigkeit? Ich werde es euch sagen.
Der heilige Franz von Sales hielt seine erste Predigt im Alter von sechsundzwanzig Jahren, als er zum Probst des Domkapitels von Genf ernannt wurde. Das war eine Würde, die ihm den ersten Rang nach dem Bischof verlieh. Er predigte also anlässlich des Festes des heiligen Johannes des Täufers, das in jenem Jahr auf den Tag der Oktav von Fronleichnam fiel. Das Thema seiner Predigt war die Verehrung des Allerheiligsten Altarssakraments.
Meine Kinder, alle Predigten des heiligen Franz von Sales bezeugen, dass sein innigster Gedanke, dass sein ganzes Herz, seine ganze Seele unserem Herrn im Sakrament seiner Liebe galten. Der Grund seiner Lehre, die Ausdrücke, die er verwendet, bezeugen, dass, wenn er eine Neigung, eine innere Anziehung hatte, es für die Heilige Eucharistie war. Was er von unserem Herrn im Allerheiligsten Sakrament sagt, ist wunderbar und bezeugt, dass in ihm nicht nur eine große Frömmigkeit war, sondern auch eine große theologische Wissenschaft. Wir sehen in allen seinen Schriften zu diesem Thema, wie sehr er unseren Herrn im Allerheiligsten Altarssakrament anbetete, ihn dort gefühlt und verstanden haben musste. Wir wissen auch, mit welcher Sorgfalt er bei den Kirchenvätern und kirchlichen Schriftstellen die wichtigen Abschnitte in Bezug auf die Heilige Eucharistie sammelte. Diese Frömmigkeit, meine Kinder, wird also der Grund unserer Frömmigkeit sein, die ganz besondere Anziehung unserer Seelen. Dem Allerheiligsten Sakrament werden wir unsere Zuneigung, unser Vertrauen, unsere Liebe entgegenbringen. Das muss unser besonderes Siegel sein.
Als wir die Ordensregeln der Oblaten nach der Lehre des heiligen Franz von Sales verfassen wollten, wendeten wir uns an die Abtei der Benediktiner unserer lieben Frau von Einsiedeln. Diese Ordensgemeinschaft hatte sich immer besonders dem Gebet und dem Studium hingegeben. Deshalb dachten wir daran, uns an sie zu wenden. Diese Ordensleute schickten uns ein Konzept für die Ordensregel, in dem sie sagten, die Oblaten müssten Männer der Hingabe an unseren Herrn in der Eucharistie sein. Sie haben uns sehr schöne Dinge geschrieben, die sehr vollkommen sind, und die auch die innersten Gedanken des heiligen Franz von Sales darstellen. Das stärkte uns in der tiefen Überzeugung, dass die Verehrung unseres Herrn im Allerheiligsten Sakrament die wesentliche Frömmigkeit des heiligen Franz von Sales war. Sie muss also auch unsere sein.
Meine Kinder, ich missbillige keine Frömmigkeit. Ich habe eine große Vorliebe für die Frömmigkeit zum Heiligsten Herzen Jesu. Ich liebe die Frömmigkeit zu seligen Jungfrau Maria. Ich billige sie nicht nur, sondern ich will, dass sie in der Kongregation geehrt werden. Als Mgr. Mermillod kam, um unsere ersten Schwestern einzukleiden, drückte er den Wunsch aus, dass das Institut jeden Tag die Litanei des Heiligsten Herzens Jesu bete. Er wollte uns ganz diesem Heiligsten Herzen weihen. Ihr werdet es also sehr verehren und ihr werdet auch eine ganz besondere Liebe zu allerseligsten Jungfrau haben. Das ist selbstverständlich. Aber versteht meinen Gedanken, wenn wir das Heiligste Herz Jesu, die heilige Jungfrau bitten, finden wir gewiss eine Hilfe, eine Gabe Gottes dort. Aber wenn wir vor unserem Herrn im Allerheiligsten Sakrament des Altares beten, sind wir in seiner Wirklichkeit von Angesicht zu Angesicht. Unser Herr ist uns nahe, so real gegenwärtig wie in seiner Krippe, wie im Haus in Nazaret. Er ist auch so real gegenwärtig auf dem Altar wie am Kreuz. Zum Lob des Allerheiligsten singt man oft: Ave, verum corpus natum de Maria Virgine … Das bedeutet: Ich grüße dich, o wahrer Leib, geboren von der Jungfrau Maria.
Wohlan, meine Kinder! Erinnern wir uns daran, wenn wir vor dem Allerheiligsten Anbetung halten, dass unser Herr ebenso wirklich da ist wie auf Calvaria, wie bei der Bergpredigt, wie er auf dem See Gennesaret mit den Aposteln im Boot saß, die vom Sturm verängstigt zu ihm sagten: „Herr, rette uns, wir gehen zugrunde!“ „Ihr Kleingläubigen“, antwortete der Herr, „warum habt ihr solche Angst?“ (vgl. Mt 8,25-26). Das bedeutete für sie: „Bin ich nicht da?“ … Er kann uns dasselbe sagen, auch uns im Augenblick der Versuchung, der Schwierigkeiten. Meine Kinder, es gibt keine tröstendere, sichere Frömmigkeit als diese, es gibt keine bessere. Macht sie zum Fundament eurer Seele. Wohnt gern der Heiligen Messe bei. Sie sei euer Trost, eure Stütze in den Heimsuchungen und in der Versuchung. Macht während des Tages die geistliche Kommunion, geht gern in die Kapelle, um das Allerheiligste zu besuchen, wenn ihr kommt und geht. Möge euer Herz den Tabernakel nicht verlassen, mögen eure Augen sich Jesus, dem Geliebten eurer Seele, zuwenden! Ja, meine Kinder, es ist die große, die höchste Form der Frömmigkeit der heiligen Kirche. Es wird also auch unsere sein. Wir werden gern an unseren Herrn im Allerheiligsten Sakrament des Altares denken. Wir werden ihn gerne anbeten und besuchen. Wenn wir auf Reisen sind, grüßen wir ihn bei jeder Kirche, an der wir vorbeikommen, liebevoll und machen den Akt der geistlichen Kommunion. Jede Kirche muss für unsere Seele ein heiliger Ort sein, der nach Himmel riecht, weil der, der den Himmel gemacht hat, für uns dort wohnt.
Ein Pater der Kartause von Bosserville sagte mir, dass in Nancy ein junger Priester war, ein sehr heiliger Priester, dem unser Herr ein außerordentliches Gespür für die göttliche Gegenwart in der Heiligen Eucharistie gegeben hat. Ein so starkes Gefühl, dass ihn jedes Mal, wenn er an einer Kirche vorbeikam, wo das Allerheiligste war, unser Herr sogar physisch seine Gegenwart fühlen ließ. Dieser Pater sagte: „Wenn er beichten kommt, fühle ich, wenn er näher kommt, die Gabe Gottes, fühle ich in ihm etwas vom Himmel, und das jedes Mal, wenn er zu mir kommt, um über seine Seele zu sprechen. Gott ist in ihm. Er wohnt dort auf so wunderbare, so innige Weise, dass ich zu Tränen gerührt bin. Dieser junge Priester ist für mich mehr als eine ganze Welt, weil ich in ihm Gott in so vertrauter Weise finde!“ Er fügte hinzu: „Das ist eine so große Gabe! Welch unmittelbare Gnade! Es ist in ihm etwas, das zum Heiland trägt, weil er sozusagen der Freund, der Vertraute unseres Herrn ist. Unmittelbar von Jesus im Allerheiligsten erhält er den Rat und das Licht.“
Meine Kinder, machen wir also diese Frömmigkeit zu unserer besonderen Grundlage, sie sei unser Reichtum, unsere Quelle. Selig die Seelen, denen sich Gott im Allerheiligsten Sakrament des Altares offenbart, die Jesus fort finden können. Sie fühlen sich nicht allein an diesem Ort des Exils, sie fühlen sich nicht isoliert, verlassen auf dem Weg des Lebens, weil unser Herr mit ihnen ist, weil seine göttliche Freundschaft sie immer und überall begleitet.
Möge euer Herz zum Tabernakel zurückkehren wie die Taube in das Loch im Felsen. Möge da eure Arche der Liebe sein, der Ort, wohin eure Seele kommt, um sich auszuruhen, wohin sie stets ihre Anbetung und ihre Liebe bringt! „O süßer Jesus, Liebe unserer Seelen, sei in ihnen. Zieh uns an, damit wir nur dich brauchen, damit wir die Notwendigkeit fühlen, dir nahe zu sein, zu dir Zuflucht zu nehmen, dass wir uns glücklich zu Füßen des Tabernakels einfinden, denn in deiner Nähe hat man schon den Himmel!“
Meine Kinder, ich wiederhole es euch, es war schlechthin die Frömmigkeit unseres seligen Vaters [Franz von Sales], die er vor allem in die Seelen jener fließen lassen wollte, die von ihm geführt wurden, oder die eines Tages zu seiner Ordensfamilie gehören sollten. Das war sein größter Wunsch, denn er sagte: „Es ist unmöglich, zu unserem Herrn im Allerheiligsten Sakrament des Altares Zuflucht zu nehmen, an ihn zu glauben und ihm zu vertrauen und nicht gerettet zu werden. Es ist unmöglich, dass es eine einzige Seele gibt, die dieser Frömmigkeit treu ist und die für den Himmel verloren wäre.“
Diese Frömmigkeit ist in der Tat der beste Beweis, dass wir unseren Herrn sehr lieben. Wenn man jemanden liebt, sucht man seine Gesellschaft. Und glaubt ihr, dass der Heiland diesen Zeichen der Liebe gegenüber gleichgültig bleibt? Hat er nicht ebenso und besser als wir das Gedächtnis des Herzens? Wird er es nicht in Erinnerung behalten, wenn wir ihn geliebt haben? Wird er uns im Augenblick des Todes verlassen? Wenn wir ihn in seinem Tabernakel suchen, wenn wir diese Frömmigkeit haben, sind wir die Erwählten seines Herzens! Um seines Heiles sicher zu sein, braucht man, meine Kinder, nur unseren Herrn in seinem Sakrament der Liebe verehren. Das ist die Gnade, die ich euch wünsche. Amen.