1. Vortrag: Über die Exerzitien. Die Oblatinnen müssen daran arbeiten, das Leben unseres Herrn nachzuahmen
Dienstag Vormittag, 11. September 1877
Meine Kinder, ich wünsche mir sehr, dass diese Exerzitien eine Erneuerung für jede von euch sind, eine völlige Erneuerung, damit uns am Ausgang der geistlichen Einsamkeit der liebe Gott findet, wie er es sich immer wünschte. Um uns in diese Haltung zu versetzen, werden wir die Exerzitien sehr ernst beginnen, in Stille und Sammlung. Wir müssen vor allem Stille und Sammlung in unserer Seele einhalten.
Während der geistlichen Einsamkeit können wir nicht weiterhin unsere Gedanken, Sorgen und alltäglichen Gewohnheiten behalten. Die Zeit der Exerzitien ist eine besondere Zeit, in der wir die Stille einhalten müssen. Die frömmste, vollkommenste Stille wird gefordert. Wir werden also jedes Geräusch vermeiden: das unserer Schritte, das unserer Zunge. Wenn wir nicht zu den Geschöpfen sprechen, wenn sie sich nicht mit uns beschäftigen, spricht der liebe Gott zu uns und beschäftigt sich mit uns. Wir beachten so die Stille unserer Gedanken, die innere Stille, von der in der „Nachfolge Christi“ gesprochen wird: Jesus Christus kommt zur gesammelten Seele.
Meine Kinder, wir werden die vollkommenste Stille bewahren, die Sammlung unserer Gedanken, unseres Willens: Lassen wir unseren Geist nicht gehen, wohin er will, sammeln wir unser ganzes Sein beim lieben Gott. Versammeln, sammeln wir unserer Gefühle, unsere Liebe beim Herzen unseres Herrn. Das ist der wesentliche Punkt, die wesentliche Haltung für die Exerzitien. Wir müssen unsere geistliche Einsamkeit machen, als wären wir in einer wahren Wüste, als ob wir in einem Kloster, in der großen Karthause wären. Wir können hier unsere Exerzitien ebenso gut machen, als ob wir in einer Wüste wären, denn oft findet man mitten in der Wüste Zerstreuung. Wenn man nicht die Stille der Gedanken hält, kann man selbst dort weniger gesammelt sein als in der Welt.
Meine Kinder, ihr werdet eure geistliche Einsamkeit machen, jede wie sie sich angezogen fühlt. Die einen werden zu unserem Herrn gehen können und ihn im Tabernakel besuchen. Sie werden ihre Seele mit dem Gefühl seiner Liebe nähren. Ich empfehle euch dieser Art, die Exerzitien zu machen. Andere werden, wenn sie wollen, zur heiligen Jungfrau gehen können. Es wird gesagt, dass sie viel wusste, und dass sie es in ihrem Herzen bewahrte, dass sie sich mit unserem Herrn darüber unterhielt. Wir werden auch in ihr Haus von Nazaret gehen können. Wir werden sie nach ihren Gefühlen, Gedanken, Beschäftigungen und Neigungen fragen, nach dem, was sie gern hatte. Ihr seht, es gibt so viele Mittel, um sich zu sammeln.
Verbringt so, meine Kinder, eure Zeit damit, euch ganz gesammelt, ganz mit unserem Herrn vereint zu verbringen. Beruhigt euren Geist, wie der heilige Franz von Sales sagt, das heißt, haltet ihn sehr ruhig. Das vom Wind bewegte Wasser eines Sees spiegelt mich wider. Es muss eure Seele so ruhig sein, dass sie unseren Herrn widerspiegeln kann, dass sie wie ein Spiegel ist, wo er sich wiedergeben kann, wenn er euch besuchen kommen wird. Und diesen Spiegel würde es nicht geben, wenn die Oberfläche eurer Seele bewegt wäre.
Der nutzen, den ich wünsch, den ihr aus dem zieht, dass ich euch heute Vormittag sage, ist, dass ihr von der Notwendigkeit der Stille und der Sammlung durchdrungen seid, von der Notwendigkeit, jeden anderen Gedanken als den der Exerzitien zu entfernen. Es genügt nicht, das Haus eurer Seele zu reinigen, man muss es auch verschönern, schmücken. Um eure Seele zu schmücken, werdet ihr zu unserem Herrn, zur heiligen Jungfrau sehr herzlich, sehr liebevoll gehen. Ihr werdet sie fragen, was sie in ihrer Zurückgezogenheit in Nazaret machten, was ihre Vorlieben, ihre Neigungen waren.
Meine Kinder, dankt in der Betrachtung sehr dem lieben Gott, weil er euch den wahren Weg, das wahre Leben finden ließ. Segnet ihn sehr dafür. Seht, ich bin immer mehr durchdrungen von der Überzeugung, dass unser Leben eines der besten ist. Das war der Gedanke der Guten Mutter Marie de Sales Chappuis. Das heißt nicht, dass ihr heiliger als die anderen seid und sein werdet. Nein. Aber ich weiß, dass der heilige Franz von Sales einer der meistgeliebten Heiligen von unserem Herrn ist. Ich weiß und bin sehr sicher, dass der heilige Franz von Sales ein geliebter Sohn des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes ist. Seien Gabe ist die Gabe der Liebe, der Zuneigung. Ich weiß, dass die Seelen, die zu seiner Familie gehören werden, dazu bestimmt sind, von unserem Herrn viel Liebe und Zuneigung zu erhalten und in seiner Vertrautheit zu leben.
Die Werke unseres seligen Vaters [Franz von Sales] sind von einer seltenen Vollkommenheit. Es ist der Gedanke der Kirche, des Papstes. Er wäre da, ich fürchte mich nicht es zu sagen. „O, welche Macht hat der heilige Franz von Sales, um die Seelen mit Gott zu verbinden!“, sagte mir unser Heiliger Vater, Papst Pius IX. Das ist auch der Gedanke aller Bischöfe. Es ist also eine große Gnade, berufen zu sein, dieses Leben zu führen. Das ist von allen Gnaden eine der größten, der vollkommensten. Die Ordensgemeinschaften haben alle ihre besonderen Gnaden, alle ahmen besonders eine Tugend unseres Herrn nach. Die einen seine Armut, die anderen seinen Eifer. Sie heiligen sich in diesem Geist. Der heilige Franz von Sales bemüht sich, unseren Herrn ganz nachzuahmen in seinem innerlichen Leben und in seinem äußerlichen Leben in Nazaret.
Meine Kinder, der Heiland hat euch erwählt, damit ihr sein vertrauliches Leben mit unserer lieben Frau nachvollzieht, sein Leben mit seinen Jüngern. Das heißt, damit ihr handelt, wie er handelte, dass ihr esst, wie er aß, ihr seine Art zu sehen und zu denken, zu leben und zu sprechen habt. Wenn man so handelt, ist man das vollkommenste Abbild unseres Herrn.
Was macht die Vertrautheit, was bindet? Es sind die gewöhnlichen Dinge des Lebens. Wenn ihr das gut versteht, werdet ihr die Notwendigkeit von Exerzitien fühlen, die euch unserem Herrn ähnlicher, vertrauter mit ihm machen. Ihr seid berufen, sein Leben, seine Seinsweise nachzuvollziehen. Wie war sein Leben? Ein Leben großer Einfachheit. Wie war seine Nahrung? Es war eure, es war eine gewöhnliche Nahrung. Man sieht, dass in diesem kleinen Haus von Nazaret alles einfach, arm war. Aber wie war es erfüllt von Gott! Die Armut, die unser Herr übte, war keine extreme Armut, sondern eine mittelmäßige Armut. Seht seine Art zu sehen und zu handeln, seht seine Handlungen. Wie war in ihm alles ruhig, groß und heilig! Das hat den heiligen Franz von Sales entzückt. Deshalb will er, dass wir das Leben des Heilands, seine Tugenden nachahmen. Ohne Zweifel wird euch das nicht so gut gelingen wie unserem seligen Vater [Franz von Sales], aber ihr werdet es nach dem Gehorsam und in den Grenzen eurer Kräfte machen.
Wie mächtig war unser Herr! Und dennoch schien sein Leben sehr gewöhnlich. Alles in ihm war einfach, verehrenswert. Er war zu allen freundlich. Lernt von mir, sagte er, ich bin sanftmütig und demütig von Herzen (Mt 11,29). Nichts in ihm schockierte, alles war einfach. Wir haben seine Seinsart in seinem ganzen Leben nachzuahmen. Welche gute und glückliche Sache!
Meine Kinder, seht wie unser Herr den heiligen Johannes liebte. Er verehrte den heiligen Petrus, er achtete ihn, aber er zog den heiligen Johannes vor, obgleich er ihn in der Hierarchie nicht so hoch stellte. Der heilige Johannes verließ unseren Herrn nicht. Er hatte ungefähr das gleiche Alter, es gab zwischen ihnen eine Angleichung, eine Ähnlichkeit. Der heilige Petrus und der heilige Paulus sind die ersten Apostel. Der heilige Johannes ist nicht so hoch erhoben. Er erwies dem heiligen Petrus die Ehre, aber er lebte in der Vertrautheit mit unserem Herrn, und er war sich der Liebe Jesu sicher. Auch wir, meine Kinder, werden uns der Liebe unseres Herrn sicher sein, wenn wir uns bemühen, ihn nachzuahmen.
Der heilige Franz von Sales – ich wiederhole es – versuchte, während seines ganzen Lebens unseren Herrn nachzuahmen. Da ihn die Kirche eben [1877 wurde Franz von Sales zum Kirchenlehrer erklärt] als Kirchenlehrer erklärte, muss uns alles, was er machte, noch teurer sein. Also machen wir es wie er, ahmen wir unseren Herrn durch unsere Sammlung, unsere Stille nach. Gehen wir zum Heiland im Allerheiligsten Sakrament, gehen wir nach Nazaret zur heiligen Jungfrau, und wir werden erfahren, was wir machen müssen, um zur Ähnlichkeit mit unserem Herrn zu gelangen.
Ich hatte das Bedürfnis, es euch zu sagen, meine Kinder, ich finde euch sehr glücklich, völlig glücklich, stets daran zu arbeiten, unseren Herrn nachzuahmen, zu diesem Leben berufen zu sein, das euch dazu bringen soll, zu sprechen und zu handeln wie der Heiland sprach und handelte. Amen.