9. Über das richtige Maß, Religion zu lehren – oder: wie man richtig katechetisch lehrt
Das große Gesetz der Prediger („quis?“ – „quid?“) ist erst recht das Hauptgesetz des Katecheten. Und alles, was wir vom Predigen gesagt haben, gilt auch von der Katechese. „Parvuli petierunt, panem et non erat, qui frangeret eis.“ Wenn diese armen Kleinen Brot zu essen bitten, fehlt es auch an solchen Lehrern nicht, die ihnen einen Skorpion geben, und wenn sie um einen Fisch bitten, reicht man ihnen eine Schlange. So sollen wenigstens wir ihnen das Brot der göttlichen Wissenschaft geben.
1. Wie ihr eure Katechesen vorbereiten sollt: Ihr erteilt Katechismusunterricht. Nun, wenn man unterrichten will, muss man doch wissen, was man lehren soll. Wie unterrichten, wenn man selber nichts weiß? Also, es ist für den Priester, für den Katecheten ebenso gut wie für den Prediger unumgänglich und notwendig, zu studieren, zu arbeiten, seinen Gegenstand gründlich innezuhaben.
Als ich mein erstes theologisches Jahr absolvierte, war ich entsetzt. Über all das, was die Theologen lehren. Ihre Gewissensfälle machen die Theologiestudierenden erschauern. Der Arzt ist verantwortlich für alle üblen Folgen, deren Ursache er, wenn auch unwissend, gewesen ist. Der Advokat hat im Gewissen die finanziellen Verluste zu verantworten, die seine Klienten durch deine Nachlässigkeit erleiden mussten. Ihr seid als Lehrer tätig: man hat euch Kinder anvertraut, für welche die Eltern Opfer bringen, habt ihr nun den Erwartungen nicht entsprochen, die man auf euch gesetzt hatte, dann seid ihr zum Schadensersatz verpflichtet. Ich weiß wohl, dass diese Wiedererstattung sich praktisch ziemlich schwierig gestalten würde. Aber nicht weniger wahr ist, auch die Tatsache, dass ihr eine Ungerechtigkeit gegen die Eltern begangen habt, die euch ihre Kinder anvertraut hatten und infolgedessen seid ihr zum Ersatz verpflichtet. Das ist das ABC der Traktats „de iustitia“. Merkt euch wohl, dass nicht die Jansenisten und Rigoristen allein dies lehren. Auch der hl. (Alfons v.) Ligouri und alle anderen, einfach alle, finden sich darin einig. Wie wollt ihr mit ruhigem Gewissen in der Klasse unterrichten, wenn ihr euch darauf weder vorbereitet habt noch sonst dazu fähig seid?
Was noch selbstverständlich und einleuchtend für den Schulunterricht ist, das gilt noch selbstverständlicher für die Katechese und für jede religiöse Unterweisung, die von der Kanzel herab erteilt wird. Ja, es ist noch weniger statthaft, Katechesen zu geben und vor Gläubigen zu predigen, ohne den zu behandelnden Gegenstand völlig zu beherrschen, als Mathematik oder Lateinunterricht in ebenfalls unvorbereitetem Zustand zu erteilen. Man muss also, um Katechesen erteilen zu können, studieren, ebenso gut, wie man auch studieren muss, bevor man predigen will. Befolgt die Methode, die ich euch hier angeben will und seid euch der Wichtigkeit dessen recht bewusst, was ihr beim Katechismusunterricht tun wollt.
2. Man lasse die Kinder sorgfältig den Katechismus wortwörtlich auswendig lernen. Bringt es in einer Weise, die ihr für die zweckenstprechendste haltet, den Kindern bei, dass sie den Inhalt dem Buchstaben nach Wort für Wort auswendig lernen und aufsagen. Wenn die Kinder ihren Katechismus nicht wörtlich wissen, wissen sie überhaupt nichts und können auch nichts aus sich selbst wiedergeben. Ebenso sollen wir in der Theologie die Definitionen wortwörtlich kennen, wie auch den Wortlaut der Lehrsätze, da wir sonst nichts Klares und Genaues wissen werden. So, ja erst recht, sollen auch beim Kinde die bündigen und genauen Worttexte die Grundlage seines religiösen Wissens bilden.
3. Ferner soll man jedes Wort in klarer Ausdrucksweise erläutern, indem man sich der Fassungskraft seiner kleinen Zuhörerschar anpasst, sodass man von allen vollkommen verstanden wird. Die Kinder verstehen oft weder die Ausdrücke in ihrem Katechismus, noch auch die Worte, mit denen man ihnen diese Ausdrücke erläutern möchte. Und so behalten sie in ihrem Gedächtnis von alledem nichts, was man ihnen vorgetragen hatte. Es ist gewiss viel schwieriger, Kindern Katechismus zu geben, als einen Vortrag vor Männern, selbst vor Gelehrten zu halten. Man muss in der Tat zuerst wissen, was man sagen will und noch mehr muss man wissen, wie man dieses dem Kinde entsprechend seiner Denkfähigkeit beibringen soll, damit sie es begreifen, trotzdem ihr Geist kaum erwacht ist. Die Kinder haben, ich sage es noch einmal, einen sehr beschränkten Wortschatz, sie verfügen über sehr wenige Worte beim Sprechen und über ebenso wenige Begriffe beim Überlegen und dazu sind es, vergesst das nie, nur sinnfällige Ausdrücke. Man meint, verstanden worden zu sein und man muss sich immer wieder sagen, dass die Kinder nicht einmal die gebräuchlichsten Worte verstehen. Das kommt übrigens nicht nur bei Kindern, sondern selbst bei Erwachsenen vor. Ein Plantagenbesitzer in Amerika trat, obgleich er Christ war, für die Sklaverei ein, weil man, wie er sagte, sich so mit diesen armen Negern beschäftigen, ihnen dabei religiöse Unterweisungen geben und so ihre Seele retten kann. Er erteilte ihnen Katechismusunterricht. So sagte er mir u.a.: „Der Geist dieser armen Leute ist nur schwach entwickelt und Sie glauben nicht, wie schwer es mir fällt, ihnen den Katechismus verständlich zu machen. Man muss darauf gefasst sein, dass sie die geläufigen und einfachsten Grundbegriffe nicht verstehen. Neulich erklärte ich ihnen das Geheimnis der Hl. Dreifaltigkeit. Ich fragte sie: ‚Wer ist der Hl. Geist?‘ Einer von ihnen, es war dazu noch der Gescheiteste, antwortete mir: ‚Das ist das schönste von den weißen Täubchen unseres Herrn Plantagenbesitzers.‘“
Man soll also den Kindern recht sorgfältig jedes Wort erklären, bei Erwachsenen könnte diese Unterrichtsweise den Anschein erwecken, als wollte man sie verletzen. Deshalb müsste man vor ihnen die allzu sinnfällige und kindhafte Darstellungsweise vermeiden. Aber man soll immer lieber auf Worte verzichten, die mancher von den Zuhörern nicht vollständig verstehen könnte. Es steht ja fest, dass man nicht gerettet werden kann, wenn man die Grundwahrheiten der Religion nicht kennt. Es ist erforderlich, dass diese Grundwahrheiten den Kindern mit der allergrößten Sorgfalt erklärt werden. Ich kenne einen Pfarrer, der sehr gebildet ist und gut predigen kann. Aber in seinem Katechismusunterricht bringt er derartig hohe Erwägungen vor, dass die Kinder ganz und gar nichts davon begreifen. Und das Ergebnis davon? Die Kinder können kein einziges Wort von ihrem Katechismus. So sollen wir es nicht machen. Die religiöse Unterweisung erfordert, wie übrigens jede Art von Unterricht, dass man den Anfang damit macht, die Grund- und Vorbegriffe verständlich und klar zu machen.
4. Man mache seinen Vortrag interessant und zwar ganz besonders vor Kindern. Man führe viel Vergleiche an, Bilder, Erzählungen, Geschichtchen, Beispiele aus der Hl. Schrift, aus dem Leben der Heiligen. Durch all das begreifen und behalten sie leichter im Gedächtnis das Vorgetragene. Aber immer müsst ihr sorgfältig bedacht sein, alles auf den ganz buchstäblichen Wortlaut des Katechismus aufzubauen. Man muss bemerken, dass der Katechismus, auf diese Weise vorgetragen, viel Gutes stiftet. In der Diözese Langres z.B. ist der Glaube noch lebendig geblieben, weil man dort immer, jetzt ebenso gut wie ehedem den Katechismusunterricht recht gepflegt hat. Man muss aber auch eine Unmenge Kenntnisse besitzen, will man den Katechismus gut unterrichten. Man muss seine Theologie sehr gut kennen und die hl. Schrift innehaben, denn man soll die große Anzahl von Erzählungen aus dem Alten und Neuen Testament, die Worte des göttlichen Heilands, die Lehre der hl. Bücher auswerten. Man soll dazu die Überlieferung kennen, im Leben der Heiligen gut zu Hause sein, man soll auch die Geschichte der Jetztzeit studiert haben und in den Ereignissen des Alltags gut auf dem Laufenden bleiben, um die Kinder vor dieser oder jener falschen Lehre zu warnen. Und schließlich ist und bleibt nichts so schwierig, als mit entsprechender Geistesfeinheit, Geschick und gesunder Urteilskraft sich dem Grade geistiger Entwicklung der Kinder anzupassen, sie für den zu behandelnden Gegenstand zu fesseln und dabei doch ihnen die Wahrheit vorzutragen und schließlich sie bis zum letzten Augenblick in gespannter Aufmerksamkeit zu erhalten.
Ihr habt da eine Menge Kinder vor euch: habt ihr nichts vorbereitet, dann werdet ihr unzusammenhängendes Zeugs darauf losschwätzen. Die Kinder werden nichts von alledem verstehen, sie beginnen zu lärmen und geraten ganz aus der Ordnung. Haltet ihr ihnen dagegen regelrecht Katechismus, dann bleiben ihre Augen auf euch gerichtet, ihr Gesicht wird strahlen – ein Beweis, dass man euch zuhört und dass man euch versteht.
5. Bemüht euch beim Katechismusunterricht in frommer Seelenverfassung zu erscheinen und recht praktisch zu sein. Habt ihr recht sorgfältig und mit anziehender Anschaulichkeit den Sinn der einzelnen Worte und der Wahrheit ausgelegt, dann macht immer eine praktische Nutzanwendung. Sagt den Kindern ein gutes Wort, das ihnen zu Herzen geht, das belehrend wirkt und sie zur Gottseligkeit anspornt. Das ist ein wesentlicher Bestandteil des Katechismusunterrichtes und man darf sich nie erlauben, dies zu unterlassen. Für die Erteilung des Katechismusunterrichtes haben wir am hl. Franz v. Sales ein wundervolles Vorbild. Die Geschichtsschreiber haben uns in die kleinsten Einzelheiten aufgezeichnet, mit welchem Eifer er der religiösen Unterweisung der Kinder oblag, mit welcher Hingebung er sein ganzes Leben hindurch sich dieser Aufgabe widmete und wie erfolgreich sich diese vertraulichen Belehrungen erwiesen, wo ganz Annecy mit Vorliebe hineilte, um den Heiligen zu sehen, um sein liebes Völkchen zu erblicken und wie dieses kleine Volk ihn anschaut: „Der hl. Franz v. Sales hatte die richtige Methode. Die ist nicht veraltet und wir sollen eben nach dieser Methode vorgehen.“ – Diese Methode hat im Übrigen ihre Probe bestanden, die nach dieser Methode bekehrt oder unterrichtet worden sind, bleiben ihrem christlichen Glauben am standhaftesten treu. Diese Gegenden haben ohne Zweifel wie alle übrigen Gebiete unter dem Einfluss des Bösen zu leiden. Aber man kann dennoch feststellen, dass der Glaube dort tief eingewurzelt und mit dem Leben verwachsen ist. Der hochwürdigste Herr Bischof Dupanloup von Orleans sagte, man müsse, wenn man die Geradheit im Urteil, die Vornehmheit der Sitten, die Lieblichkeit des Glaubens finden möchte, muss man nach Savoyen gehen. Er hat darüber herrliche Einzelheiten ausgesagt. Und wer hat aus Savoyen das gemacht, was es heute ist? Zum guten Teil gewiss der hl. Franz v. Sales. Eine andere Gegend in Frankreich ist auch so treu christlich geblieben, nämlich der Westen. Dieser wurde durch Fenelon missioniert. Seine Lehre berührt sich in vielen Punkten mit der des hl. Franz v. Sales. Und gerade den Belehrungen von Fenelon haben die Vendeer zum guten Teil das zu verdanken, was sie zu Recht zu Vendeern macht. Diese braven Leute, diese mutigen und treuen Männer waren Schüler von Fenelon! Die Lehre des hl. Franz v. Sales und von Fenelon könnte man versucht sein, mit Rosenwasser zu vergleichen. Meinetwegen, aber dann ist es ein Rosenwasser, das Streiter, Helden, Löwen, dauerhafte und widerstandsfähige Männer hervorbringt.
Bittet unseren Heiland um die Gnade, den Katechismus so zu erteilen und die Predigten so zu halten, wie der hl. Franz v. Sales tat oder vielmehr wie es uns der Heiland selbst getan hat. Bittet um die Gabe, zu den Seelen reden zu können und ihnen das Wort des Evangeliums darzureichen. Wohl nie hatte die Welt das Evangelium so nötig wie gerade heutzutage. Dieses Licht ist noch nicht allein imstande, die Geister zu erleuchten, diese Kraft kann noch nicht allein den Willen emporheben. Alles wird von den Finsternissen und vom Bösen erfasst. Ein vereinigtes Wutgeheul von Gotteslästerungen steigt tagtäglich zum Himmel empor, um die Tröster- und Erlöserstimme unseres Heilandes zu ersticken: Das sind die Hetzartikel von so vielen Zeitungen, Büchern, Broschüren, die Abhandlungen der Professoren ohne Gott, die Vorträge der Abgeordneten, der Senatoren, der Versammlungsredner. Die Schmähreden in den Volksversammlungen, in den Wirtshäusern. Die Gotteslästerungen der glaubenslosen und verruchten Familienväter. Die Verordnungen der geheimen Gesellschaften. All das steigt immer höher, zieht immer weitere Kreise an und saugt das Leben der Seelen aus. Und das Blut unseres Heilandes Jesu Christi, seine Leiden, seine göttlichen Lehren gehen so verloren.
Mögen die Stimmen der Gläubigen emporsteigen wie eine süße, wirkungsvolle Harmonie inmitten dieses Wirrwarrs. „Sermo Dei vivus et efficax, penetrabilior gladio ancipiti, pertingens usque ad divisionem animae ac spiritus“ (Anm.: „Das Wort Gottes ist lebendig, das unserem Herzen entspringen wird, soll das göttliche vom Menschlichen scheiden.“) – „Verbum Dei coelos et firmans terram“. Gerade das Wort Gottes macht die Seele so glücklich und verleiht ihr Sicherheit und wir sollen die Werkzeuge und die Träger dieses Gotteswortes sein. Diese vorzügliche Aufgabe ist gerade uns übertragen.
Die gute und ehrwürdige Mutter Maria Salesia Chappuis sagt in ihrem kleinen Heft von Freiburg, sie habe vom göttlichen Heiland erfahren, dass sie eine Apostelseele werden solle. Das Wesen des Apostolates besteht darin, dass man das Evangelium nirgends mit seiner ganzen Reinheit, in seiner Unversehrtheit, mit seiner unüberwindlichen Macht, und es den Seelen mitteilt, die sonst ohne dasselbe zu Grunde gingen. Und eben diese Pflicht zu erfüllen, ist unsere Aufgabe.
D.s.b.
Paderborn, 23.4.31
Übersetzung: P. Thomas Chrobak OSFS.
