Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 16.12.1896: Die Einfachheit und das Vertrauen in das Noviziat

„Die Novizen sollen ihrem Leiter einen schlichten Gehorsam leisten…“

Wenn der Novizenmeister eine Mahnung erteilt, soll man sie jederzeit ohne Ausrede und Widerrede annehmen. Hat man einen Einwand vorzubringen, dann könnt ihr das später tun. Und warum? Weil man sich so in der Entsagung übt, und zwar in einer härteren als verzichte man bei Tisch auf ein Gericht. Das Ordensleben ist ein Leben der Buße, und da unsere Bußübungen hauptsächlich geistiger Natur sind, dürfen wir diese Art von Abtötungen nicht gering schätzen, wenn sie sich darbieten. Sonst liefen wir Gefahr, auf Buße ganz zu verzichten.

„Sie legen eine getreue und genaue Rechenschaft ab über ihr Verhalten und ihre innere Einstellung.“

Kein Zaudern und keinerlei Zurückhaltung ist angezeigt, was ihr Vertrauen in den Novizenmeister, der Priester ist, betrifft. Man hat den Frauen sowie Novizenmeistern und Oberen, die nicht Priester sind, verboten, auf den Grund der Gewissen vordringen zu wollen. Das gilt aber nicht, wenn der Novizenmeister und sein Assistent Priester sind. Es widerspräche den Absichten Roms, wollte der Novizenmeister, selbst wenn er Priester ist, sich eine indiskrete und verletzende Inquisitorrolle herausnehmen. Die Rechenschaft ist im Übrigen frei und ungezwungen. Der gute Ordensmann freilich, der ihrer Früchte teilhaftig werden will, wird sie treu üben. Offenen und einfachen Herzens mögen die Novizen darum ihre Rechenschaft ablegen.
Zu einer guten Rechenschaft bedarf es eines gewissen Großmutes der Seele und Weite des Herzens. Über vieles heißt es sich da hinwegsetzen, vor allem über die eigene Person. Man wird mitunter sagen: der Novizenmeister hat eine Art zu urteilen und vorzugehen, die der meinen widerspricht. Ich kann mich bei ihm nicht aussprechen… Nun, das ist eine weibische Ausrede, man sollte aber ein Mann sein. Sagt mein Meister mir etwas, was meiner Meinung und Überzeugung nicht übereinstimmt, so darf mich das nicht abhalten, ihm von ganzem Herzen zu gehorchen, so als würde Gott selbst mir etwas gebieten. Gehen wir doch geradewegs in vollem Gehorsam und Vertrauen zu ihm! Viele Männer haben die Art von Frauen, zaghaft und kleinlich und dabei schlau wie Ränkeschmiede.

So also sollt ihr eurem Meister gegenübertreten. Seid gute Ordensleute, offen und freimütig. Immer, wenn es noch eine verbogene Falte in eurem Herzen gibt: „Sage ich das, dann kann mir dies und das passieren…“, ist das ein schlechtes Zeichen. Im Noviziat könnt ihr euch eurem Assistenten ebenso anvertrauen wie dem Meister selbst. Ihm dürft ihr alles sagen. Lasst in euren Unterhaltungen mit ihnen eure Seele ganz einfach sprechen. Sobald der Meister den Grund eurer Seele erkannt hat, nimmt er sich mit Interesse an. Er fühlt, dass er mit ihr schalten und walten kann. Auf diese Weise wird er sie große Fortschritte machen lassen. Das muss man verstehen.

Vielleicht seid ihr aber versucht zu sagen: „Das ist ja noch schlimmer als bei der Beichte!“ Nun, bezüglich der Beichte gelten die gleichen Überlegungen: Wenn ihr beichtet, dann doch, um alles, was ihr auf dem Herzen habt und auf der Seele, zu sagen. Dann doch, um all das zur Kenntnis des Beichtvaters zu bringen, und euch selbst dazu. Anderenfalls würde man sich in sich selbst verkapseln, würde sich des nötigen Lichtes, aller Kraft und der inneren Entfaltung berauben. Man würde verkümmern. Und die Wirkung würde man im ganzen übrigen Leben spüren.

Hier geht es um eine große und wichtige Feststellung. Das Vertrauen, das ihr in euren Oberen setzt, bewahrt euch völlig vor jeder Gefahr der Außenwelt. In unserer Epoche gibt es unter dem Klerus Ärgernisse… Woher kommt das? Vom Mangel an Vertrauen zu den kirchlichen Vorgesetzten. Nehmt diesen Kaplan: hätte er Vertrauen zu seinem Pfarrer gehabt und ihm sein Herz erschlossen, nie wäre er so erbärmlich gefallen wie er es getan hat…

Gibt es in der Seele noch eine Falte, ein Versteck, in dem man ein kleines Götzenbild verbirgt, so ist das der Anfang vom Untergang dieser Seele. „Aber ich kann es doch nicht!“ werdet ihr sagen. Wenn ihr das nicht könnt, wozu seid ihr dann fähig? Es geht hier um einen Akt des Großmuts, der Ehrlichkeit, des liebenden Vertrauens. Man beichtet ja nicht jedem Menschen. Ich möchte im Beichtstuhl kein Beichtkind haben, das zu viel Zeichen äußerster Demut und Übertreibung von sich gibt… Man muss seine Menschenwürde wahren. Ihr sagt vielleicht: „Ich fühle mich meinem Beichtvater gegenüber nicht frei.“ Nun, dann geht zu einem anderen beichten. „Ich fühle mich meinem Meister gegenüber innerlich nicht frei genug.“ Das ist lächerlich. Wenn du deinem Meister deine Fehler nicht gestehen willst, dann behalte sie für dich. Gehe anderswo beichten. Sage ihm aber wenigstens deine Verstöße gegen die Regel, deine derzeitige innere Disposition, was immer für ihn wichtig und notwendig ist zu wissen, um dich gut zu führen. Und ist deine Seele eines Tages tiefer in die seine eingedrungen, nun, dann wirst du ihm schließlich auch alles sagen.

Gebt ihr selbst später Ratschläge der Seelenführung, hört ihr die Beichten von Ordenspersonen, dann müsst ihr sie allezeit zu dieser Geradheit und Durchsichtigkeit der Seelen anhalten. Müsst sie dahin bringen, dass sie ihr Herz mit Einfalt und Vertrauen öffnen. Anders handeln wäre Torheit, mitunter Doppelzüngigkeit und Feigheit. Das sollt ihr euch angewöhnen, meine Freunde. Unter dieser Bedingung werdet ihr treu ausharren und gute Ordensleute sein.

Die Novizen sollen ihrem Meister immer Rechenschaft ablegen, wenn dieser es für angemessen hält, damit er sie zu einer großmütigen, freien und geraden Haltung erziehen kann. Die wahrhaft einfachen und geraden Seelen hat man gern.

Ich möchte auf das zurückkommen, was ich schon öfter besprochen habe: Niemals dürfen wir der rechtmäßigen Autorität unrecht geben, sollten sie vielmehr nach besten Kräften unterstützen. Ein Vater, eine Mutter hat zu ihrem Kind etwas gesagt, was mit euren Lehren nicht genau übereinstimmt. Gebt den Eltern nie unrecht vor dem Kind! Entschuldigt, wenn ihr etwas nicht ganz rechtfertigen könnt und haltet das Kind an, die väterliche Autorität in allem, was ihm befohlen wird, und nicht ausdrücklich gegen sein Gewissen verstößt, zu achten. Selbst in Fällen, wo es verboten ist, ihr zu gehorchen, sollte wenigstens die väterliche Autorität allezeit respektiert werden. Wenn ihr Seelen führt, wenn ihr leitet und befehlt, seht grundsätzlich immer von eurer eigenen Person ab. Prüft, was wahrhaft Pflicht und Wille Gottes ist. Sorgt dafür, dass die Seelen, für die ihr verantwortlich seid, es tun, nicht, weil ihr es so wollt, sondern weil es die Pflicht und der Wille Gottes so gebieten. Dann seid ihr wirklich Beauftragte, Gesandte Gotts. Ihr führt eine Sendung Gottes bei den Seelen aus undarbeitet nicht auf eure eigene Rechnung. Ihr wirkt das Werk Gottes und nicht das eure. Man kann nur ein schlechtes Resultat erzielen, wenn man sich daran macht, die Seelen an sich zu ketten. Warum verehrte man dermaßen die Gute Mutter Maria Salesia, Mon Seigneur de Segur, den Pfarrer von Ars? Weil sie so vorgingen, und die Seelen nicht für sich behielten, sondern sie zu Gott empor führten.

Ich erinnere mich an eine Bemerkung des Onkels von Pater Poupard, M. Lutel: Er hatte in der Heimsuchung etwas zu regeln und sagte mir nachher: „Mit drei Personen habe ich in der Heimsuchung verhandelt: die eine hat Vertrauen zu sich selbst, die zweite zu Gott und sich selbst, und die dritte zu Gott allein. Diese drei waren die Leiterin des Pensionates, die frühere Oberin und die Gute Mutter.“ Wer von den dreien hatte recht? Natürlich die Gute Mutter. Das spürt man in den Beziehungen zu den Seelen. Es ist ein Erkennungszeichen für den sittlichen seiner Seele: Auf wen setzt sie ihr Vertrauen? Für wen arbeitet sie? …

In den Fragen, die uns Schwierigkeiten bereiten, wollen wir von unserer eigenen Person Abstand nehmen. Suchen wir nicht unsere Ansichten und Ideen durchzudrücken, trachten wir vielmehr danach, einzig dem Willen Gottes zum Sieg zu verhelfen. Das ist nicht immer leicht. Machen wir uns aber mit Mut, Klugheit und Urteilsvermögen an die Arbeit. Von diesem Geist sollten sich die Oblaten leiten lassen, das ist ihr Beruf.

Gott sei gebenedeit!