Kapitel vom 08.01.1896: Die Mission der Oblaten
Vorbemerkung: Die Kapitel der drei vorangegangenen Monate sowie der Anfang auch dieses Kapitels sind verloren gegangen.
(…) Nun, meine Freunde, wer wurde mit dieser Sendung betraut, welcher Kongregation wurde diese Aufgabe übertragen? Wer ist dazu berufen, diesem großen Werk Leben und Bewegung mitzuteilen? Denn zweifellos ist diese Aufgabe groß. Ich will hier nicht den Propheten spielen, aber ich möchte euch doch eine Lebensregel vorzeichnen: Nach der Überzeugung aller und nach den Bemerkungen jener, mit denen wir es zu tun haben, auch nach jenen Bemerkungen, die man uns gegenüber in Rom und anderswo machte, stellte ich fest, dass alle glauben, dieses unser „Mittel“ werde einen großen Einfluss in der christlichen Gesellschaft ausüben und gute Erfolge erzielen. Wer also ist Inhaber dieser Aufgabe? Die Oblaten des hl. Franz von Sales! Dieses Werk muss, um Leben in sich zu haben, seinen Impuls einzig von den Oblaten bekommen.
Wir müssen also, liebe Freunde, auf der Höhe unserer Sendung stehen, die die Gute Mutter nun schon seit bald 50 bis 60 Jahren vorausverkündigt hat. Zu wiederholten Malen wurde sie von ihr und den heiligen Seelen, die sie umgaben, vorausgesagt. Ich sage es noch einmal: das denken auch die Prälaten und Bischöfe, die sich bereits auf diesen Weg eingelassen haben, oder ihn jetzt betreten. Es liegt also zweifellos eine große Hoffnung darin beschlossen. Auf wem ruht also diese Hoffnung? Auf den Oblaten! Das ist so sicher, dass die Gute Mutter immer wieder betonte: „Gerade diese Ordensleute werden mit dieser Mission betraut und müssen dieses Werk in der Welt verbreiten.“
Damit es aber verwirklicht werden kann, müssen wir echte Oblaten des hl. Franz v. Sales werden. Die Lehre des hl. Franz v. Sales, die wir propagieren, muss uns aus dem Herzen kommen, und zwar aus einem großmütigen Herzen. Unser Leben muss voll hohen Mutes sein. Als entschlossene Männer gilt es voranzuschreiten. Dieses Leben ist im Grunde nicht schwierig, aber es tötet ab. Da gibt es nichts Außergewöhnliches, man braucht nicht ohne Unterlass sein Fleisch zu kreuzigen und sich durch äußere Bußübungen zu kasteien. Und doch tut man Großes: denn unser Leben ist ein Sich-Absterben, eine völlige Abdankung der eigenwilligen Persönlichkeit. Unsere Persönlichkeit muss vor dem göttlichen Willen und Wohlgefallen kapitulieren. So heißt es also dieses Leben auffassen und durchführen. Jeder hat hier die Möglichkeit, auf etwas zu verzichten, sich hinzugeben, und zu opfern. Mit einem Wort, um dieses Werk gut zu vollbringen, bedarf es eines Menschen, der sein Handwerk versteht. Tut ihr das nicht, dann bleiben eure Worte trocken, sie wecken kein Echo in den Seelen, die euch zuhören. Darum tut zuerst selbst, was ihr anderen sagt…
Jeder mache sich darum ernst an die treue Observanz, in aller Einfalt, Aufrichtigkeit, Großmut und Tapferkeit. Lasst uns keine Feiglinge sein, legen wir unsere ganze Tatkraft hinein. Wir können nicht Ordensleute sein, ohne zu leiden, das ist unmöglich. Nehmen wir also tapfer die Mühen und Abtötungen entgegen, die wir auf unserem Wege finden. Der liebe Gott wird uns mit der Überfülle seiner Liebe belohnen.
Wenn uns etwas abtötet, wollen wir es uns zur Gewohnheit machen, es zu lieben. Sicher kann man es nicht natürlicherweise lieben, wohl aber auf übernatürliche Weise. Das Joch des Ordensstandes wollen wir mutig auf unseren Schultern und Herzen spüren, mit Lieber zur Last eines jeden Tages „Ja“ sagen, inmitten all der Abtötungen, die uns niederdrücken. Ich kann mich auf euch, meine Freunde, verlassen, auf euren Glaubensgeist, und auch auf euren Großmut. Ich habe Gründe, euch zu vertrauen. Eine große Arbeit bleibt da zu bewältigen, und diese Arbeit muss Wirkungen hervorbringen. Und ihr seid dazu berufen, die Früchte dieser Arbeit für die Kirche und die Welt hervorzubringen. Welche schöne Mission, welch herrliches Apostolat! Bestimmt brauchen wir uns nicht des Notwendigen zu berauben. Und doch sollten wir auf sehr viele persönliche Befriedigungen verzichten, auf ein Wort der Klage, ein Wort des Tadels. Ein Unbehagen, das wir empfinden: opfern wir es Gott auf! Es geht uns etwas ab: schenken wir das dem lieben Gott. Was wir zu erledigen haben, die Art und Weise, wie wir es tun sollen: weihen wir all das dem lieben Gott. Machen wir alles zu Geld und Gut für die Ewigkeit. Beherzigt das wohl, meine Freunde, und führt es entschlossen aus: sei es bei der Vorbereitung eures Unterrichtes, bei der Beaufsichtigung eurer Schüler, im Gemeinschaftsleben. Alles kostet uns etwas: wir können nicht essen, was uns schmeckt, können nicht tun, was uns gefällt, etc. Befleißigt euch, all das jederzeit Gott aufzuopfern.
Das ist Oblatenleben, und das müssen wir den Priestern weitergeben, die unserer Priestervereinigung angehören. Auch jeder von ihnen müsste wie wir ein anderer Franz v. Sales werden. Wir müssen ihnen den Anstoß und die Bewegung mitteilen, müssen ihnen das Beispiel vorleben. Wir selbst müssen zuerst zu leiden und zu opfern verstehen.
Seht nur die Assumptionisten mit unserer Lieben Frau von Lourdes. Ohne diese Patres und ihre Pilgerzüge gäbe es wenig Wunder und gäbe es kaum eine Liebe Frau von Lourdes. Sind sie deshalb schon große Heilige und außerordentliche Menschen? Gewiss sind sie sehr gute und eifrige Priester, wie wir es alle sein können. Aber sie erfüllen nur ihre Aufgabe. Und so müssen auch die Oblaten ihre Pflicht tun.
Möge darum jeder von uns den Vorsatz fassen, treu das Direktorium zu befolgen, die damit verbundenen Mühen und Leiden mit Gleichmut, ich möchte sagen, mit etwas Lust und Liebe zu ertragen. Es gibt Menschen, die sogar das Bittere lieben. Machen wir es wie sie. Wenn wir von Bitterkeiten und Abtötungen umgeben sind, so wollen wir auch diese lieben.
D.s.b.
