Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 13.02.1895: Das Priestertum – die Fortsetzung des Geheimnisses der Erlösung

Es gibt eine Lehre von größter Tragweite, die sich durchaus aufs Evangelium stützt und auf die wir oft zurückkommen sollen: Das Geheimnis der Erlösung, die unser Herr erwirkt hat, besteht nicht nur in den Verdiensten unseres Herrn, sondern auch aus denen seiner Priester. Danach liegt auf dem Priester, und mehr noch auf dem Ordensmann, der Auftrag, bis zum Ende der Zeiten das Geheimnis der Erlösung fortzuführen. Unser Herr lässt die Sünden nach, und der Priester fortzuführen. Unser Herr lässt die Sünden nach, und der Priester identifiziert sich mit ihm: „Ich spreche dich los…“ Das sind die Worte des Priesters. Der Priester konsekriert den Leib des Herrn, und setzt sich gleich mit Christus, wenn er spricht: „Das ist mein Leib.“ Damit ist der Priester nicht nur Stellvertreter Christi auf Erden, sondern ist gleichsam die Ausdehnung seines Seins in all seinen Amtsverrichtungen.

Das gilt auch für das persönliche Leben des Priesters. Durch seine Heiligkeit übt er eine gewaltige Wirkung auf alle Seelen aus. Er ist eben, wie gesagt, in gewissem Sinn eine Ausweitung der Persönlichkeit Christi und soll durch sein Leben das Erlösungswerk Christi fortsetzen. Was ist sein Leben und seine Heiligkeit anders als: „Mein Vater wirkt bis zu dieser Stunde und ich tue dasselbe.“ Somit ist der Priester wirklich die Person Christi, bis zur Vollendung der Zeiten weitergeführt. Nicht bloß die kirchlichen Vorschriften und die Pflichten seines Standes dürfen folglich dem Priester als Leitstern dienen, sondern diese Verpflichtung: in seinem inneren Leben die Persönlichkeit darzustellen. Diese Lehre verkünden sämtliche heilige Väter.

So versteht ihr, mit welcher Ehrfurcht, Aufmerksamkeit und Wachsamkeit wir über uns selbst wachen müssen, damit unser ganzes Wesen in diesem Stand der Unschuld und Heiligkeit verbleibe, die uns würdig machen zu tun, was Jesus Christus tat: Sünden nachzulassen wie er, Gnaden zu vermitteln, den Unwürdigen und Sündern die Pforten des Himmels zu eröffnen. Diese Gedanken sollten wir tief durchdenken, damit wir unser ganzes Leben lang das Bewusstsein haben, dass wir Jesus Christus selbst sind. Fragen wir uns darum häufig: „Bin ich wirklich Jesus Christus? Ich lebe, aber lebe ich in der Tat Christus? Arbeite, handle ich jederzeit mit unserem Herrn zusammen?“

Diese Lebensweise entfernt vom Priester alle Arten von Hindernissen. Die Novizen mögen diese Gedanken tief beherzigen. Denn besonders am Anfang prägt der liebe Gott den Herzen diese so schöne Wahrheiten ein. Die noch nicht Priester sind, mögen in ihren Gebeten und Kommunionen den Herrn bitten, die Gnade des Priestertums gut zu erfassen. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Priestertum Fortsetzung des Erlösungsmysteriums ist. Am Kreuz begonnen, setzt es sich in der Aktion des Priesters fort.

Unser Herr sagte zu seinen Aposteln: Ich verlasse euch nicht, sondern lebe in euch. Diese Worte erinnern an jene der Guten Mutter: Wenn man einen Oblaten sieht, wird man unseren Herrn erblicken. Wir sollten also unsere Schritte in die Fußstapfen des Herrn setzen.

D.s.b.