Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 19.12.1894: Ermuntern wir uns, heilige Priester zu werden

Das Priestertum stellt ohne Zweifel unter den Christen die höchste Würde dar in dem Sinn, dass der Priester von Gott selbst erwählt wird, dazu bestimmt, den Leib und das Blut unseres Herrn zu konsekrieren, Sünder nachzulassen und das Volk zu segnen. Der Bischof schärft dem Weihekandidaten ein, er möge darauf achten, dass er seine Pflichten wohl erfasse und das Opferlamm, das er Gott darbringen wird, selbst nachahme: Erfüllt in eurem Leben, was ihr im hl. Dienst vollzieht.

Diese Empfehlung des Bischofs erstreckt sich auf alle priesterlichen Funktionen. Folglich muss sich der Priester volle Klarheit über diese Verpflichtungen seines Standes verschaffen, damit er weiß was er tut, wenn er die hl. Messe liest, wenn er tauft, beichthört oder unterrichtet. Ja, darüber möge er sich wohl Rechenschaft ablegen, damit er vollkommen vorbereitet sei. Das ist von solcher Wichtigkeit und Erhabenheit, dass das ganze Leben eines Menschen, der all seine Gedanken und Anstrengungen dieser Vorbereitung widmete, nicht ausreichen würde. Niemals wäre er wahrhaft würdig, die priesterlichen Amtsverrichtungen vorzunehmen.

Man gewöhnt sich ja an alles, meine Freunde, sogar, wenn man nicht achtgibt, ans Messelesen, Beichthören und Predigen. All das macht immer weniger Eindruck. Zwei Pflichten stehen da ganz groß und bedeutungsvoll vor uns: genau zu wissen, was wir tun, und dies dann würdig zu tun.

Gründlich müssen wir wissen und erfassen, dass wir etwas Heiliges dabei tun, müssen davon durchdrungen sein, und sollen dies gewiss auch den Gläubigen sagen, wenn auch mit großer Klugheit und Diskretion. Wir sollen es nicht wie gewisse Prediger machen, die zu ihren Gläubigen und zu Ordensleuten über die Erhabenheit des Priestertums sprechen und dabei so schöne, erlesene und wunderbare Dinge vortragen, dass man den Eindruck gewinnt sie bezögen diese Dinge auf ihre eigene Person. Der Priester ist zweifellos sehr groß, in seinen eigenen Augen aber muss er immer „Diener der Diener“ bleiben. Natürlich sollen wir die Herrlichkeit und erhabene Würde unserer priesterlichen Funktionen wohl verstehen, aber nur, um unsere persönliche Unwürdigkeit und Unfähigkeit umso mehr anzuerkennen. Beziehen wir also nie auf unsere kleine Person die Lobsprüche, die dem Priestertum zukommen. Legen wir uns vielmehr im Hinblick auf den erhabenen Stand, zu dem wir berufen wurden, Rechenschaft ab von unserer inneren Erbärmlichkeit.

Fromme Priester halten darüber schöne Predigten. Sie sagen sicher die Wahrheit, aber müssten sie nicht klarer unterscheiden zwischen der Sache und der Person? Die Sache übertrifft tausendmal jede menschliche Vorstellung, der Mensch jedoch steht tief unter dem Grad an Tugend und Heiligkeit, die ihm nottäten. Das möge er wohl beherzigen und sich nicht überheben.

Damit spiele ich auf eine Predigt an, die letzten Sonntag vor Ordensfrauen gehalten wurde und die genau so war, wie wir sie vermeiden müssen. In ihr wurde das Priestertum als ein ungewöhnliches Ideal vorgestellt. Zweifellos wurde dieses Ideal sehr oft verwirklicht. Ein Vinzenz v. Paul, ein hl. Franz v. Sales waren sicher auf der Höhe des Berufes. Tun wir es aber ebenso? Wenn wir der Mahnung des Bischofs im Pontifikale entsprechen, wohl achtgeben auf das, was wir tun, wie auch auf die Art, wie wir es tun, dann müssen wir fest an unsere Brust schlagen. Die Erhabenheit und die hohe Würde des Priestertums beweisen zu allererst den ungeheuren Abgrund, der zwischen der Sache und der Person klafft, zwischen der hehren Verrichtung und der Unwürdigkeit des Dieners.

Von Zeit zu Zeit kommt es vor, dass man sich allerlei Illusionen hingibt, wenn man eine erbauliche Lektüre über die Herrlichkeiten des Priestertums gemacht hat. Gewiss sollen wir uns tief vor der Heiligkeit des Priestertums überzeugen. Wir sind die Nachfolger der 72 Jünger des Herrn. Sie halfen den Aposteln in der Seelsorge. Wie diese hatten auch sie die Gnaden und Vollmachten der Priesterweihe empfangen. Diese Gnade der Apostel und der Jünger wurde aber auch uns mitgeteilt, denn sie hat nicht abgenommen, wie die Jansenisten behaupten. Ganz gewiss nicht. Den Jüngern hafteten die gleichen Schwächen an wie uns, die gleichen Versuchungen, Schwierigkeiten und Mutlosigkeiten, dasselbe Unvermögen. Das dürfen wir fest annehmen. Und trotz all dem hat die Gnade des Priestertums aus ihnen jene Heilige gemacht, als die wir sie kennen. Suchen wir es ihnen gleichzutun, aber indem wir uns zu allererst verdemütigen. Ganz gewiss sollen wir uns von der Größe des Priestertums, von der erhabenen Vollmacht, Sünden nachzulassen, die Rolle unseres Herrn selbst zu spielen, tief überzeugen. Sagt nicht der hl. Franz v. Sales, im Beichtstuhl müsse man den Priester wie den Engel Gottes selber ehren, weil er von Gott den Auftrag erhielt, uns zu reinigen? All das ist wahr. Trotzdem will das nicht besagen, wir seien in Wirklichkeit Engel Gottes. Nein, leider nicht. Wenn wir unser eigenes Maß abnahmen und anschließend einen Engel messen, so stellen wir überzeugend fest, dass wir nicht von der gleichen Statur sind. Machen wir also den Gläubigen in unseren Unterweisungen die hohe Würde des Priestertums durchaus verständlich, aber hüten wir uns peinlich davor, uns selbst gleichzeitig ins Spiel zu bringen und den Anschein zu erwecken, als wollten wir sagen: Da schaut her, was ich bin, ich, der ich da zu euch rede!

Ahmt das nach, was ihr betreibt. Eifert unserem Herrn nach, den ihr da anfasst und in die Hand nehmt. Das ist die zweite Obliegenheit des Priesters, dass er mit Würde tue, was er tut, indem er unseren Herrn nachahmt und in sich reproduziert. Bei der hl. Messe und der hl. Kommunion betasten wir das Wort Gottes. Welch große Distanz zwischen ihm und mir, und dennoch unterwirft er sich meinen Befehlen, er gehorcht uns… Gehen darum auch wir zu ihm. Nur kraft wiederholter und beständiger Anstrengung werden wir diese Nachahmung verwirklichen. Als er auf dieses Erde kam, tat er es nicht nur, um seine Lehre zu verkünden. Er tat es auch, um ein Beispiel zu geben. Geben wir darum auch ein gutes Beispiel. Gerade wir Priester müssen von diesem Geist beseelt sein. Denken wir in unseren Predigten und Katechesen daran, dass wir die Ausspender des göttlichen Wortes sind und eben dieses Wort den Seelen weitergeben sollen. Sind wir von diesem Gedanken tief durchdrungen und haben wir die Lehren des Pontifikale gut betrachtet, dann werden wir klar einsehen, wie weit das Wort, das wir den Gläubigen reichen, von dem entfernt ist, was es sein sollte. Welch ein Grund für uns, uns zu verdemütigen, wenn wir uns so weit entfernt wissen und die Unfähigkeit und das Unvermögen feststellen, dieses lebendige, durchdringende und wirksame Wort auf unsere Lippen zu nehmen, dass es in die Tiefen der Seele dringe und alle Herzen rühre. Wenn wir treu die Empfehlung beherzigen, dass wir das Wort Gottes, das wir auf Erden vertreten, auch nachzuahmen haben, liegt für den Priester in allen Handlungen seines Amtes, in allen Bemühungen, Gedanken und Absichten eine reiche und unerschöpfliche Quelle verborgen, sich zu heiligen. Diese Heiligung kann nur kraft dieses Mittels erfolgen.

Beachten wir gut die Distanz, die zwischen uns und unseren Amtsverrichtungen klafft, dann wird unser Dienst an den Seelen, beseelt von der Demut, größte Wirkungen hervorbringen. Nichts rührt die Gläubigen mehr als die Demut des Priesters. Kommt man sich sehr klein vor, und verweilt man gern seinem niedrigen Platz, bleibt man sich der Diskrepanz zwischen sich und den erhabenen Funktionen seines Amtes wohl bewusst, so tut man viel Gutes, gewinnt das Vertrauen der Gläubigen und schenkt ihnen Gott.

Ich kannte im Priesterseminar sehr viele gute Priester. Sie waren voll Eifer am Tag ihrer Weihe. Ich blättere einige ihrer Hefte durch, in die sie ihre Eindrücke niederschrieben. Im Geist lese ich wieder, was sie über das Priestertum geschrieben haben. Ihr Ausgangs- und Zielpunkt war der Gedanke, dass es der Priester ist, der die Gläubigen formt, der den guten Christen heranbildet. Er hat die Sendung, die Gnade zu vermitteln, das Licht auszubreiten. Das kann er aber nur, und das spürten diese frommen Priester gut, unter der Bedingung, dass er sehr demütig, von seiner Niedrigkeit tief durchdrungen und voller Vertrauen zu dem ist, dessen Stelle er vertritt. Damit müssen wir also beginnen, dass wir uns zuerst von uns entfernen und hinabsteigen in die Niederungen unserer Nichtigkeit. Nur von diesem Standpunkt aus gewinnen wir eine klare Sicht der Dinge. Wir sehen von der Erde aus die Sonne und schätzen und messen sie durch Nachdenken und Studium. Kämen wir ihr zu nahe und könnten wir in ihre unmittelbare Nähe vordringen, so würden wir geblendet und sähen gar nichts. Wir müssen somit zwangsläufig erst Distanz gewinnen.

Machen wir uns also selbst Mut, dass wir heilige Priester werden müssen. Das ist die ehrenhafteste und glücklichste Einstellung hienieden, freilich auch jene, die am meisten Treue und echte Intelligenz erfordert.

Ich empfehle mich ganz besonders in das Gebet der Kommunität. Heute vor 54 Jahren wurde ich zum Priester geweiht. Das ist ein langer Pachtvertrag. Herr de Prilly hat mich geweiht, der Bischof von Chalons. Von ihm habe ich immer eine hohe Meinung gehabt und habe ihn als Heiligen verehrt. Ein kleines Büchlein jedoch, das mir ein Priester der Diözese Chalons von ihm übersandte, zeigte ihn mir in einem besonders erbaulichen Licht. Er hatte nämlich eine Abhandlung über den Psalm „Selig, die reinen Herzens sind“ mit seinen 95 Versen verfasst, von denen jeder ein oder gar zwei Mal dieselben Worte Auftrag, Wort, Gesetz wiederholt. Auf diese Weise kehrt derselbe Gedanke 100 bis 120 Mal im Psalm wieder. Darüber schrieb nun Bischof de Prilly eine Folge von Betrachtungen oder besser gesagt, von Beschauungen. Ja, es war ein sehr heiliger Mann, ein wahrer Schüler des hl. Franz v. Sales, von dem Geist erfüllt, der die Oblaten beseelen soll: sich mit ganzem Herzen an den Willen Gottes halten, durch welche Umstände und Heimsuchungen inmitten der tausend Zufälligkeiten des Lebens und der tausend von Ihm gewollten oder zugelassenen Ereignisse er sich uns auch offenbaren will.

Über jeden einzelnen Vers hat er köstliche und wunderschöne Gedanken zum Ausdruck gebracht. Seine ganze Seele lebte von diesem Schatz der Vereinigung mit Gott mit Hilfe Seines Gesetzes, mithilfe der Treue zu Seinem hl. Willen. Das war die Regel, seines ganzes Lebens und Denkens. Ein wunderbarer Traktat von auserlesener Schönheit über das innerliche Leben, das Leben des Direktoriums.

Während unserer Weiheexerzitien kam dieser Bischof gewöhnlich des Morgens vor der hl. Messe und hielt uns eine Ansprache, die nach meiner Erinnerung sehr schön und zu Herzen gehend war. Andererseits erinnere ich mich auch noch an die Ansprachen des Seminarregens, die von ganz anderem Gepräge waren. Ihm ging es offensichtlich darum, ungewöhnliche Dinge vorzutragen, und das gelang ihm wirklich. Ich denke da an seinen letzten Vortrag vor der Weihe. „Meine Herren, habt Acht, was ihr da tun wollt. Es geht um Himmel oder Hölle. Seid ihr berufen, dann ist es gut: am Ende steht der Himmel. Seid ihr aber nicht berufen, so geht ihr der Hölle entgegen… Überlegt also gut. Ihr glaubt vielleicht, ihr seid berufen. Nun, man kann sich auch täuschen. Aber ich habe mir doch Rat eingeholt, sagt ihr. Aber vielleicht waren eure Voraussetzungen falsch, sodass die Schlüsse des Ratgebers auch falsch sein müssen. Und im Übrigen, man kann euch doch auch einen falschen Rat geben…“ In diesem Ton spielte sich alle ab.

Zweifellos hatte der gute Mann die Absicht, Außergewöhnliches vorzutragen. Es war ein blutjunger Herr, der sich selbst bestätigen und Eindruck machen wollte. Das war aber reichlich lächerlich. So spricht man doch nicht im Augenblick der Weihe zu armen jungen Menschen, die voll guten Willens und unerfahren waren.

Unsere Priesterweihe sei und bleibe für uns, meine Freunde, jederzeit eine Sache von größter Aussagekraft. Sie soll der Höhepunkt unseres Lebens sein, der Pol unserer ganzen Existenz. Kommen wir oft darauf zurück, denken wir die Verpflichtungen durch, die wir da eingingen. Wenn wir uns in dieser Übung treu erweisen, werden wir mehr und mehr vom Gefühl unserer Unwürdigkeit durchdrungen. Wir werden die Entfernung ermessen, die uns von den heiligen Priestern und Ordensleuten trennt. Von der Demut inspiriert werden unsere Worte Wirkung hervorbringen und von Gott gesegnet sein.

Ich wiederhole, was ich neulich schon sagte: Wir wählen als Erbauungsbuch anstelle des Evangeliums und der Nachfolge das Pontifikale. Wir bemühen uns, eine französische Übersetzung ausfindig zu machen. Auf den ersten Blick erscheint es vielleicht ungeeignet für eine Tischlektüre… Wenigstens lese man es in der Kommunität.

Durchdenkt gut den Geist von jeder einzelnen hl. Weihe, überlegt die Verpflichtungen jeder einzelnen von ihnen. So werdet ihr den großen Nutzen erkennen für eure eigene Heiligung wie die der anderen.

D.s.b.