Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 17.10.1894: Wir müssen das Joch des Herrn tragen

Ich lege euch die Bedeutung der hl. Regel, besonders des Stillschweigens ans Herz. Ich kann nicht verstehen, wie der oder jener Ordensmann nicht darauf achtet und bei Abwesenheit des Novizenmeisters oder eines anderen Oberen während des Stillschweigens schwätzt. Mir selbst sind Diebe lieber als solche. Denn das Ordensleben ist ein Leben der Unterwerfung unter eine Ordensregel. Angenommen ihr gehorcht nicht und verstoßt gegen die Regel: mir kommt das wie eine unqualifizierte Verschrobenheit des Urteils vor, und beweist mir den Mangel an der nötigen Einsicht in unser Amt. Tut ein Soldat beim Exerzieren das Gegenteil dessen, was sein Chef kommandiert, verdient er Arrest. Ist das Ordensregel aber nicht eine Art Miliz? Wir schulden unserer Ordensregel ebenfalls Gehorsam.

Stehlen wäre unter dem Blickwinkel des Ordenslebens in gewissem Sinn weniger schlimm als das Stillschweigen brechen. Vom Stehlen kann man sich bekehren, man kann rückerstatten und gutmachen. In der Zeit des Stillschweigens aber sprechen ist ganz und gar unverzeihlich und nicht wieder gutzumachen. Achten wir darum aufs Stillschweigen. Für den Ordensmann ist eine Schande, dagegen zu fehlen, ein sehr großer Fehler, der den Entzug von Gnaden nach sich zieht, ohne die er seine Pflichten nicht erfüllen kann.

Begreifen wir doch, dass wir Ordensleute sein wollen, und dass unser ganzes Leben nur die Bestimmung hat, dieses Ziel zu erreichen. Das Stillschweigen brechen verrät großen Leichtsinn oder krasse Unfähigkeit, den wesentlichsten Pflichten des Ordensstandes gerecht zu werden. Das Ordensleben setzt sich nicht zusammen aus den Geboten Gottes und der Kirche, sondern es gründet im Direktorium. Priester und Ordensleute sehen sind zweierlei Dinge. Es ist sehr schön, ins Kloster zu gehen. Einmal dort eingetreten, heißt es aber, treu seine Ordensregel halten. Ihr lest das Leben der Heiligen, lest das Leben der Guten Mutter. Ihr bewundert, was sie geleistet haben. Das ist schön und gut. Wie aber erklimmt man diesen Grad von Heiligkeit, den sie erreicht haben? Durch treue Übung auch der kleinsten Dinge. Man steigt zur Höhe empor, wenn man erst ganz tief hinabsteigt.

Das Herz blutet einem, wenn man Ordensleute sieht, die von diesen Dingen nichts verstehen. Ihr alle habt eure hl. Exerzitien gemacht, habt verstanden, was euch da vorgetragen wurde. Es genügt aber nicht, dass die Worte, die ihr da gehört habt, in die Luft gesprochen wurden. Ihr müsst euch im Gegenteil die schriftlichen Notizen ins Gedächtnis zurückrufen, die ihr da machen konntet. Jetzt ist der günstigste Augenblick gekommen, wie ich euch das letzte Mal bereits gesagt habe, einen guten Anfang zu machen, und an die Einkehrtage zurück denken.

Wurde der böse Geist aus einem Hause verjagt, kommt er nach einiger Zeit zurück, schaut sich die Sache an und stellt Untersuchungen an. Er stellt fest, dass gute Ordnung eingekehrt ist und sagt sich: Zurzeit bestehen für mich wenig gute Aussichten. Nun macht er sich umgehend daran, sieben andere böse Geister aufzutreiben, und mit ihrer Hilfe die Festung zu belagern. Kapituliert diese, wie der Heiland sagt, d.h., gibt die Seele nach, so wird der Zustand dieser Seele schlimmer als vorher.

Denkt also gern an eure Exerzitien. Macht darüber eure Betrachtung. Worüber werdet ihr bei eurem Tod gerichtet werden? Mit welchem Namen werdet ihr euch dem ewigen Richter vorstellen? Doch als Oblaten des hl. Franz v. Sales. Ihr werdet folglich gerichtet über die Art und Weise, wie ihr eure Regel beobachtet habt. Gottes Richterspruch aber ist, wie ihr wohl wisst, sehr streng, und zwar deshalb, weil Gott sehr gerecht ist.

Begreift also wohl, was ich da sagen will. Jeder soll zurückdenken an die Gnaden und Tröstungen, die er während der hl. Exerzitien empfangen hat. Hat er nichts empfangen, dann möge er jetzt nach Abschluss der Exerzitien zum Herrn sagen: „Herr, während der Einkehrtage hast Du mich nicht besucht, hast mich kalt und gleichgültig gelassen. So rede jetzt zu mir! Herr, was willst Du, dass ich tun soll?“ Eine heiligmäßige Schwester der Heimsuchung sagte mir immer, die Exerzitien seien traurig und trocken, dennoch aber sei sie glücklich, weil sie nachher den Herrn während des ganzen übrigen Jahres wiederfinde.

Geht also während dieser Woche im Geist und Gedächtnis die Einkehrtage noch einmal durch. Erneuert eure Vorsätze und seht euch vor, dass sie sieben Teufel, die aus dem Haus gejagt, nun erneut zum Angriff blasen, euch nicht schaden können. Das Leben des Ordensmannes ist ein innerliches Leben. Die äußere Fassade bedeutet nichts. Wie aber dieses innere Leben leben, wenn man keine Liebe zu seiner Ordensregel hat und sein Direktorium vernachlässigt? Lasst uns also alle daran gehen, die Regel gewissenhaft zu beobachten. Jeder denke darüber nach, um zu erkennen, ob er auch richtig unter dem Joch des Herrn steht. Dieses Joch ist liebenswert und süß, wenn wir es ohne Abstriche tragen. Machen wir aber einen Bogen um es herum, dann wird es hart und mühselig. Setzen wir, wie die Gute Mutter sagte, unsere Füße in die Fußstapfen unseres Herrn. Dann werdet ihr beten wie er, arbeiten wie er, dieselben Worte sagen wie er und euch ihm innig verbunden fühlen.

Zu diesem Zweck muss man aber tiefe Ehrfurcht vor den geringsten Dingen des Ordenslebens haben. Wir brauchen für alles die Gnade Gottes: Ohne mich könnt ihr nichts tun. Studiert den Traktat von der Gnade. Die Gabe des inneren Lebens ist eine wahre Wundergabe. Ein Heiliger ist stets ein Held, weil der Heilige ein über das gewöhnliche Leben weit hinausragendes Leben führt. Wie gelangt man aber auf diese Stufe? Durch Gebet und Fasten. Es gibt kein anderes Mittel. Denn alle außergewöhnlichen Gnaden werden durch Gebet und Fasten erwirkt. Und weil das Ordensleben zum Bereich der außerordentlichen Gnadengaben gehört, erwirbt man es nur durch Gebet und Fasten. Das innere Gebet, die Betrachtung, pflegt ihr täglich, das Fasten beobachtet ihr vom Morgen bis Abend: ihr „fastet“ in eurer Freizeit, eurem Urteil, eurem Geschmack und in euren Neigungen.

Geben wir uns also alle der hl. Regel hin, damit wir nicht mehr auf dieses Thema zurückzukommen brauchen.

D.s.b.