Kapitel vom 06.01.1892: Über das Essen im Refektorium
Das Essen: „Der Oblate geht ins Refektorium nicht nur, um zu essen, sondern…“
Bei diesem Artikel geht es dem Direktorium darum, dass wir unsere natürlichen Handlungen mit übernatürlichem Geist erfüllen. Hüten wir uns also, nur aus natürlichen Beweggründen in den Speisesaal zu gehen, etwa, weil es nun einmal sein muss oder gar zur Befriedigung der Gaumenlust – obwohl diese Gefahr bei uns wahrlich nicht oft besteht. Man kann beobachten, dass die Mahlzeiten aller Ordensleute, insbesondere bei den alten Orden, etwas Feierliches an sich haben. Der frühere Speisesaal von Clairvaux dient heute als Kapelle. Die Kartäuser nehmen an gewissen Tagen und Festen ihre Mahlzeit in Gemeinschaft ein, und der gemeinsame Speisesaal dort hat etwas Großartiges und Feierliches an sich.
In allen Orden ist das Refektorium neben der Kapelle und dem Schlafsaal ein regulärer Ort. Warum also dieser feierliche Rahmen? Weil der Ordensmann zugleich mit der körperlichen Nahrung auch geistige Nahrung empfangen soll. Ich habe oft die Beobachtung gemacht, dass die frommen Ordensleute gerade im Refektorium vom lieben Gott viele Gnaden erhalten. Unser hl. Stifter verbietet z.B., dass man während der Essenszeit seine Betrachtung halte: es schade der Gesundheit wie der Verdauung. Umso eindringlicher empfiehlt er dagegen, während des Essens sein Herz zu Gott zu erheben. Eingehender als für die übrigen Handlungen empfiehlt und beschreibt er gerade hier die Pflege der „Guten Meinung“. Er wünscht, dass wir im Speisesaal dem lieben Gott viel geben. Gewiss nicht so viel wie in der Kapelle, jedoch mehr als im Schlafsaal. Alle seine Ratschläge können wir bei uns noch nicht überall durchführen, weil die Erfordernisse unserer Kollegien dies nicht allerorten erlauben. Darum wollen wir wenigstens das tun, was in unserer Macht liegt und wollen daran umso entschlossener festhalten.
Wir sind die Ordensleute der letzten Stunde. In etwa gleichen wir den Soldaten. Auch diese leben ja nicht immer in der Kaserne, wo alles im geregelten Rahmen abläuft. Sie stehen auch mitten im Kampfgetümmel, wo sie viel mehr auf sich selbst gestellt sind. Dann muss die innere Regel die äußere Regel ersetzen, die sich in ganzem Umfang eben nicht immer beobachten lässt. Die Heiligen, die Vorzugsseelen, geben darum besonders darauf acht, dass sie während dieser so natürlichen Handlung des Essens ihr Herz ganz nahe bei Gott halten, nicht indem sie Betrachtung halten – um es noch einmal zu sagen – sondern, indem sie sich dabei direkt oder indirekt Gottes erinnern und besonders die Selbstüberwindung üben.
„Sollte er zu wählerisch sein oder zu gierig, so fasse er beim Hineingehen den festen Vorsatz, sich herzhaft zu überwinden.“
Sämtliche Anregungen unseres hl. Stifters hier sind vorzüglich. Gibt es etwas Wirksameres als an die Väter der Wüste zu denken und an so viele Heilige, die so kraftvoll ihre Sinnlichkeit überwunden haben? Ich würde eher vorschlagen, an unseren guten P. Simon, P. Becoulet, an unsere Missionare vom Oranjefluss zu denken. Jetzt geht es schon ein bisschen besser, doch am Anfang standen ihre Abtötungen denen der Wüstenväter sicher nicht nach. Auch unsere Patres in Ecuador haben es kaum besser. Vereinigen wir also mit unseren dortigen Mitbrüdern auch uns, bitten wir Gott, er möge etwas Salz und vor allem etwas Butter in ihre magere Suppe tun. Kraft der Gemeinschaft der Heiligen nehmen wir ja an ihren geistlichen Gütern teil. Bleiben wir ihnen also geistig verbunden.
„Der Oblate steht nie vom Tisch auf, ohne sich irgendwie abgetötet zu haben.“
In der Absicht des hl. Stifters besteht diese Abtötung eher in einem Aufblick zu Gott, in einem übernatürlichen Akt unseres Willens als in einem bedeutenden Verzicht auf Nahrung. Wir wollen diese Buße jedenfalls nie versäumen, ob positiv oder negativ, ob wir einen Widerwillen überwinden oder von einem guten Gericht etwas weniger nehmen. Der hl. Franz v. Sales aß viel und sein Diener machte die Beobachtung, dass er von dem am meisten aß, was am schlechtesten mundete. Machen wir uns diese Methode ein wenig zu Eigen, wenn unsere Gesundheit es erlaubt.
Als unsere Satzungen approbiert wurden, wollte der Kapuziner, der zu den Konsultoren zählte, bekanntlich einige äußere Bußübungen zugefügt wissen. Er beriet sich darüber mit P. Brechet, der ihm bedeutete, dass wir keine Franziskaner sind und dass ein Oblatenleben in sich selbst ein Leben harter Arbeit und Überwindung sei. Doch der Kapuziner bestand darauf, dass wir dann wenigstens den anderen die Buße predigen sollten. In der Tat, alle alten Orden praktizierten die körperlichen Bußwerke, Fasten und Handarbeit, und das mit einem Eifer, der die Kräfte manchmal überstieg. Wir sollten lieber unsere Kraft für die Arbeit im Weinberg des Herrn aufsparen. Doch wird der echte Oblate seine Abtötung bei Tisch nicht vergessen und wird so, ohne aufzufallen, Gott seinen Gehorsam und seine Ergebenheit beweisen.
Betrachtet das Essen als etwas Heiliges, als ein Mittel, die Kräfte des Leibes zu erneuern, um dadurch auch die Kräfte der Seele und des Willens aufzufrischen. Hätte der Mensch nicht gesündigt, dann hätte die Berührung mit den materiellen Dingen eine Art Gnadenvermittlung bewirkt. Zur Erinnerung an diesen Stand der Unschuld weihen wir heute noch die geschaffenen Dinge, die wir benutzen, und nehmen Exorzismen und Reinigungen vor. Das materielle Ding, das wir essen oder sonst wie gebrauchen, wird dadurch zu einem „Gefährt der Gnade“. Sammeln wir also diese Gnaden und lassen wir sie uns nicht entgehen. Da gibt es keine belanglosen Dinge, keine Lappalien. Denn alles, was uns Gott näher-bringt, ist groß und bedeutsam. Unsere so eingenommenen Mahlzeiten bringen dann als Wirkung die Vereinigung mit Gott hervor. Sie machen uns damit auch stärker für unsere Standespflichten.
Ich erwähnte oben die Abtötungen unserer Patres vom Oranje und in Ecuador. Ich vergaß unsere Patres in England. Auch ihrer Buße können wir gedenken bei Tisch. Sie trinken nur Wasser und ermangeln oft der nötigen Nahrung. Unser tägliches Brot gib uns heute. Arme Patres, die nicht genügend Brot haben. Dafür wollen wir, die wir darüber in genügender Menge verfügen, es als gute Ordensleute essen. Beten wir von Herzen die Abtötungen, die uns ihnen ähnlich machen. Indem wir uns so in die Nähe unseres Herrn aufhalten, ziehen wir den Tau des Himmels und die Segnungen der Erde auf uns und auf jene herab, für die wir beten.
Ich schließe mit diesem Gedanken, der durchaus der Lehre der hl. Kirchenväter entspricht: Im Urzustand der heiligmachenden Gnade vermittelten die materiellen Dinge göttliche Gnade. Denkt nur im Besonderen an den Baum des Lebens. Die Dinge sollen nach Gottes Plan ja gerade das bewirken, dass sie uns auf Gott hinweisen, dass sie die vernunftbegabte Schöpfung, die sich ihrer bedient, mit Gott vereinigt. Machen wir uns diesen Gedanken zu Eigen, er kann uns viel nützen. Eine Mahlzeit kann auf diese Weise eine Betrachtung ersetzen. Unsere Möglichkeiten erlauben uns gar nicht, anders zu handeln. Tun wir also wenigstens, was in unserer Macht steht. Es ist das Gebot der Stunde, dass wir heilige Ordensleute werden. Die Schwierigkeiten nehmen eher zu als ab, die ganze Welt ist von den Netzen Satans und seiner Helfershelfer umgarnt. Setzen wir also alle Waffen und Kräfte ein. Der Hl. Vater selbst will, dass wir nach jeder hl. Messe beten: „Stürze den Satan und die anderen bösen Geister…in den Abgrund der Hölle.“ Wir müssen annehmen, dass zurzeit zahlreiche Dämonen in der Welt umherschweifen, wenn wir nach den Resultaten urteilen, die vor unseren Augen liegen.
D.s.b.
