Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 17.12.1890: Die Oblaten: eine militärische Ordnung

Die Oblaten sind trotz ihrer friedfertigen äußeren Erscheinung notgedrungen ein kämpferischer und einsatzfreudiger Orden. Ich könnte sogar sagen: der aktivste Orden, weil unser Einsatz in der Welt keine Grenzen kennt. Alle missionarischen, apostolischen und priesterlichen Werke gehören zu unserem Programm. Alles, was auf das Heil der Seelen abzielt, kann von uns in Angriff genommen oder unter unserer Leitung bewältigt werden. Wir sind infolgedessen ein mindestens ebenso aktiver Orden wie alle anderen und brauchen niemand zu beneiden. Wir unterscheiden uns in unserer Tätigkeit freilich im Prinzip von den anderen: Unsere Aktivität muss ihre Orientierung hauptsächlich vom Leben der Innerlichkeit her erhalten. Das innerliche Leben ist unsere Grundlage, unser Prinzip, unsere Richtschnur. Wir schaffen und wirken nämlich nicht aus eigener Kraft, sondern Gott ist es, der aufgrund unserer Verbundenheit mit ihm wirkt. Die Gute Mutter hat nie ihren Fuß außerhalb der Klostermauern gesetzt und doch: wie viel hat sie für die Kirche geleistet! In Rom sagte ein Prälat zu P. Deshaires und mir: „Mutter Maria Salesia wird in der Kirche großen Widerhall finden. Das ist eine Realität, von der eine sichtbare und augenscheinliche Wirkung ausgehen wird. Daran braucht ihr nicht zu zweifeln.“ Es war Msgr. Zitelli. Mutter M. Salesia hat persönlich nicht viele große äußere Werke durchgeführt, aber welch gewaltiges inneres Werk hat sie geschaffen! Mit ihrem Gebet und ihrer Treue gegenüber Gott trug sie die ganze Last der äußeren Unternehmungen, die sie angeregt und unterhalten hat. Gegen Ende ihres Lebens sah ich sie mitunter in größter Sorge um die Bekehrung der Menschen, die für das Kloster gearbeitet hatten. Kam so das Apostolat ihr auch teuer zu stehen, so brachte es dennoch reiche Früchte hervor, und seine Wirkungen mach sich heutzutage in der ganzen Welt bemerkbar.

Setzen wir darum unserem Eifer für alles, was zum Werke Gottes gehört, keine Grenzen. Interessieren wir uns für alles, was die Genossenschaft angeht, zunächst für ihre äußere Ausbreitung. Innerhalb der Genossenschaft wollen wir willig und eifrig auf alle Weisungen des Gehorsams eingehen. Beten wir viel, fügen wir zum Gebet aber auch die Tat, das Leben: Ertragen wir tapfer alle Widersprüche, Mühsale und Leiden. Nehmt all das wie eine Gnade entgegen. Opfert es auf für unseren Hl. Vater, den Papst, für die hl. Kirche und die Genossenschaft. Wie kam die Gute Mutter zu solcher Breiten- und Tiefenwirkung? In der Einsamkeit und Sammlung ihrer Seele und in ihrer innigen Vereinigung mit Gott fand sie die Mittel dazu.

In dieser Lebensweise gibt es nichts Unnützes und Überflüssigeres, keinen Staub und keinen Nebel: alles hat seinen Wert. Unsere hl. Mutter (Franziska von Chantal) fegte einmal den Fußboden. Mit großer Sorgfalt kehrte sie den kleinsten Staub zusammen. „Aber, gute Mutter“, meinte da eine Mitschwester. „Sie geben sich ja Mühe, als wäre es nicht Staub, sondern Gold!“ – „O, wäre es nur Gold, dann gäbe ich mir nicht solche Mühe!“ Es ist ja unendlich mehr: der Wille Gottes. Die kleinste Ermüdung, ein Widerspruch, eine Bagatelle für Gott erduldet, bringt uns ja reichste Frucht ein. Mit den tausend Bagatellen, die unseren Alltag ausfüllen, verknüpft Gott seine Segnungen. Wie kurz währt doch dieser Erdentag, wie lang der Ewige! Wir haben keine Zeit zu verlieren, denn mit diesem kurzen Leben erkaufen wir das ewige. Es gilt – im Sinne unserer Berufung und der göttlichen Absichten über unsere Genossenschaft – Nutzen zu ziehen aus allem, was dieses Leben anfüllt. Der liebe Gott ist getreu: Noch nie flößte er einer Seele einen Gedanken, einen Willensentschluss ein, dem er die Wirkung versägt hätte. Immer wenn er in uns den Entschluss keimen lässt, Seelen zu retten, ein ganzer Ordensmann zu werden, gibt er alles hinzu, was zu seiner Verwirklichung nötig ist. Wenn ihr aber ein inhaltloses, zerstreutes Leben führt, von einem Ding zum anderen hüpft wie ein führerloses Wagen, ohne geistigen Gehalt und feste Linie – was kann der liebe Gott dann schon in euer Leben hineinlegen, und wo soll es dann landen?

Seht nur den Eifer unseres hl. Gründers an! Was uns von ihm an äußeren Unternehmungen bekannt ist, lässt sich kaum in Worte fassen. Was erst spielte sich in seinem Inneren ab! Die gute Schwester Maria-Genofeva bestätigte mir: Was er zu Lebzeiten schaffte, ist höchst beachtlich. Was er aber jetzt tut, stellt dies alles weit in den Schatten. Es ist der Vorrat dessen, was er im Leben gesammelt hat und woraus er nun schöpfen kann. All die Liebe und Sanftmut, die er da angehäuft, wenn er bei jedem Zwischenfall, wo das Temperament ihm durch-gehen wollte, nicht nachgab, sondern sich machtvoll Zwang antat: all das ist der Schatz, der ihm nun zur Verfügung steht, und aus Gott, durch seine Vermittlung, an die Welt austeilt.
Machen wir uns also nach dem Beispiel unseres seligen Vaters an die Arbeit, die Worte des Direktoriums zu verwirklichen: „Ihres ganzen Lebens und ihrer Übungen Ziel soll sein, sich mit Gott zu vereinigen…“ Das macht die Stärke und das besondere Kennzeichen der Oblaten aus. Sich in allem mit Gott verbünden, ohne Unterlass mit ihm zusammenarbeiten: das ist unser Geist, das verlangt unsere Zeit. Es gibt so viel Elend auf der Welt, die Zeiten sind böse und schwierig. Viele Kinder werden nicht mehr getauft und gehen nicht mehr zur ersten heiligen Kommunion. Rastlos arbeitet man daran, alles zu entchristlichen. Beten wir zum lieben Gott, sein Reich möge zu uns kommen: „Dein Reich komme!“ Der Ordensmann, der seinen Unterricht gibt, oder die Erde bebaut oder sonst etwas tut, vollbringt in Wirklichkeit übernatürliche Werke, leistet hervorragende apostolische Dienste. Der liebe Gott legt dann selbst Hand ans Werk und teilt persönlich den Erfolg und guten Ausgang zu, wie wir es nicht einmal zu erhoffen wagten.

Meine lieben Freunde, ich empfehle mich anlässlich meines 50jährigen Priesterjubiläums in euer aller Gebete. Erbittet mir von Gott zwei Gnaden: erstens, zu vergessen, was ich im Leben falsch gemacht, zweitens den göttlichen Willen zu verstehen, zu lieben und zu erfüllen.

Die Gute Mutter hat mir auf ihrem Sterbebett alles geoffenbart, was mich an Leiden erwartet. Ich verlor buchstäblich die Fassung, als ich das hörte. Ich sagte mir damals: „Darauf lasse ich mich niemals ein.“ Das war mein erster Gedanke. Allein auf mich gestellt, all diesen Angriffen standhalten, alle gegen mich verschworen wissen, das ging über meine Kräfte. Ich mache anderen keine Schwierigkeiten, wünsche selber aber auch keine Knüppel zwischen die Beine zu bekommen. Fast eine halbe Stunde ging ich im Garten der Heimsuchung auf und ab, um gegen diese Gedanken anzukämpfen. Schließlich sagte ich zu mir: Es ist ganz offenkundig der Wille Gottes. Was soll ich beim Jüngsten Gericht antworten? Ich hatte das Gefühl, es würde mir schwerfallen, vor Gott mit dieser einzigen Untreue beladen zu erscheinen, als mit allen möglichen anderen Freveln. Mein Gott, ich ergebe mich dir, da die Sache nun einmal beschlossen ist. Im gleichen Augenblick verspürte ich eine Kraft, eine Energie in mir aufsteigen, die mich mit unbeschreiblichem Glück erfüllte. Ich übergab mich ohne Vorbehalt dem göttlichen Wohlgefallen. Es erschien mir, dass der Wille Gottes in diesem Augenblick ganz klar und deutlich vor meiner Seele stand.

Darüber vergaß ich völlig, was mir an Prüfungen und Drangsalen bevorstand und vertraute mich einzige diesem heiligsten und anbetungswürdigen Willen an. Meine teuren Freunde, ich bereue nicht, damals mein „Ja, Vater“ gesagt zu haben.

Unsere Patres haben bereits verschiedene Geschenke zu meinem Jubiläum geschickt. Ich schätze zwar allen Aufwand und alles Gepränge nicht, aber für unsere Genossenschaft ist es vielleicht gar nicht schlecht, das Jubelfest schön und würdig zu begehen. Wir werden darum alle Gaben im großen Saal des 1. Stockes der Villa Eden aufstellen. Dann können die Herren, die uns etwas Anhänglichkeit bewahrt haben, die einstigen Pensionärinnen der Heimsuchung und die Eltern unserer Schüler sehen, dass die Oblaten – sogar in Troyes – etwas darstellen. Wir halten ja gerade in Troyes vor all diesen Geschichten zahlreiche Freunde. Viele von ihnen wurden gehindert, zu uns zu kommen. Das Jubiläum wird dazu beitragen, sie uns zurückzugewinnen.

D.s.b.