Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 18.12.1889: Immer in Gottes Gegenwart wandeln, Gewissenserforschung, Studium und Mahlzeit.

„Nach dem Vorbild ihres hl. Stifters werden sich die Oblaten bemühen, immer und überall in der Gegenwart Gottes zu wandeln.“

Immer in Gottes Gegenwart wandeln, heißt nicht, unablässig an ihn denken. Jedes Mal, wenn wir die Gedanken des Direktoriums, der Guten Meinung erneuern, wenn wir uns vornehmen, Gott nicht zu beleidigen, ihm Freude zu machen, wandeln wir in der Gegenwart Gottes. Diese Art von Wandel genügt. Man kann natürlich noch mehr und Genaueres tun: indem man z.B. während der Arbeit bewusst daran denkt, dass wir ganz nahe bei ihm verweilen, und das ganz sanft, ohne Anstrengung und Ermüdung. Der Gedanke an Gott soll uns ja zur zweiten Natur werden. Wir lesen im Leben der Heiligen, in dem hl. Aloysius z.B., von großen Willensanstrengungen, von ermüdender Anspannung des Geistes, um den Verstand ständig bei Gott zu halten. Das wurde Ursache für die starken Kopfschmerzen des hl. Aloysius. Unser hl. Gründer denkt da anders: Für ihn liegt der Wandel unter den Augen Gottes vor allem in einem Zustand des Herzens und Willens, besteht in der festen Absicht, mit Gott verbunden zu bleiben. Beachten wir wohl, dass alles, was einfach und treuherzig vorgenommen wird, Dauer und Festigkeit besitzt. Was dagegen Mühe und Spannung des Geistes erfordert, währt nicht lange. Denn jede Anspannung bereitet (wie ein gespannter Bogen) darauf vor, zur Ausgangsstellung zurückzuschnellen. Schon durch unsere gute Meinung halten wir uns ja beständig in der Nähe Gottes auf. Damit wir nun in seiner Gegenwart wirklich wandeln, genügt es, der guten Meinung von Zeit zu Zeit einen Akt der Gottesvereinigung zuzufügen, der aus dem Grund unseres Herzens kommt. Tut das und lehrt es so die anderen. Gewöhnt sie daran, die Gegenwart Gottes in den Willen zu verlegen, denn das ist richtig: Gott aber schaut auf das Herz.

Dieses willentliche Verweilen in Gottes Gegenwart war der gewöhnliche Seelenzustand der Heiligen. So lebten die hl. Franz v. Sales, Vinzenz v. Paul und alle Heiligen. Ihr gewohnheitsmäßiges Verharren in der Gegenwart Gottes war bei ihnen die natürliche Folge ihrer Treue und der Übereinstimmung ihres Willens mit dem göttlichen.

„Die Oblaten erforschen mittags und abends ihr Gewissen.“

Das Direktorium empfiehlt, die Gewissenserforschung des Morgens kürzer zu machen als die andere. Man nimmt sie gegen Mittag vor und prüft dabei Aufstehen, Betrachtung, hl. Messe, Offizium und Vormittagsarbeit, alles kurz und summarisch.

Die abendliche dagegen soll gründlicher vorgenommen werden. Man denkt noch einmal an die Gewissenserforschung des Mittags. Hat man am Tag vorher einen schweren Fehler begangen, so fügt man ihn zu denen dieses Vormittags und des ganzen Tages, und prägt sich alles für die nächste Beichte ein. Das kann alles kurz geschehen, 2-3 Minuten für die Erforschung des Mittags, 4-5 für die des Abends. Die Art, wie wir sie vornehmen sollen, wird im Direktorium ausgiebig erläutert.

„Das hl. Offizium sollen sie aufmerksam und andächtig beten und daran denken, dass sie damit das Amt der Engel ausüben.“

„Aufmerksam und andächtig“, heißt es im Brevier. Wir nehmen da den Platz der Engel ein. Wo wird denn heute noch gebetet? Bei den Priestern und insbesondere in den Familien. Die Einzelmenschen beten nicht mehr, niemand betet mehr. Es besteht aber kein Zweifel, dass in der Heilsökonomie die Welt nur auf Grund des Gebetes erhalten bleibt. Die ganze Hl. Schrift bestätigt das. Nehmt die Predigt des Propheten Jonas zu Ninive oder die des Täufers Johannes. Würde das Gebet auf Erden verstummen, so zöge Gott seine Hand von der Welt zurück, die Barmherzigkeit hätte keinen Platz mehr auf ihr, die strenge Gerechtigkeit allein würde das Zepter führen. Das Offizium ist das offizielle Gebet der Kirche, darum müssen wir es mit Aufmerksamkeit und Hingabe beten. Nehmen wir also die notwendige Zeit dafür, ohne deshalb zu übertreiben. Nehmen wir die Gedanken des Direktoriums zu Hilfe, um unsere Aufmerksamkeit zu fesseln. Sind wir aber müde und erinnern uns nicht aller Empfehlungen des Direktoriums für den Anfang, so genügen auch zwei oder drei. Benutzen wir auch Anregungen, die uns die eigene Frömmigkeit eingibt. Verspüren wir aber eine Vorliebe für die Gedanken des Direktoriums, so überlassen wir uns ihnen ganz, denn sie sind mit besonderen Gnaden ausgestattet.

Es wäre wünschenswert, die Matutin bereits am Vorabend zu beten. Andernfalls ist es nämlich schwierig, sie nicht mit der Betrachtung des Morgens zu vermengen. Im Allgemeinen ist es sehr gut, sein Brevier so frühzeitig wie möglich zu beten. Ihr wisst, dass alle die Erlaubnis haben, die Matutin bereits ab 14 Uhr des Vortages zu beten, und zwar das ganze Jahr hindurch. Wer von diesem Privileg Gebrauch machen kann, soll es tun. Betet man sein Brevier erst spät am Abend, so wird es wegen Zerstreutheit und Müdigkeit ein schlechtes Gebet. Ich weiß, dass es Umstände gibt, wo man nicht anderes kann, weil gewisse Verpflichtungen unsere Bewegungsfreiheit einschränken. Wir wollen es uns aber doch zum festen Grundsatz machen, unser Brevier so rechtzeitig wie möglich zu beten. Am französischen Seminar antizipieren die Herren ihre Matutin stets um 14 Uhr. Natürlich kann ein Lehrer nicht dasselbe tun, weil er da Unterricht zu geben hat. Man möge sich diesem Zeitpunkt aber möglichst nähern. Rezitiert euer Brevier so früh wie möglich, der liebe Gott verdient den ersten Platz in unserem Tagewerk.

„Sie werden nie vergessen, dass es nötig ist, ihr theologisches Wissen mehr und mehr zu vertiefen. Die Zeit für die theologischen Studien soll den Erfordernissen ihres Amtes angemessen sein. Dauer, Art und Geist der Studien bestimmt der Gehorsam.“

Jedermann muss studieren. Priester dürfen ihr theologisches Wissen nicht vernachlässigen. Auf den ihr seelsorgerliches Wirken notwendigen Gebieten müssen sie sich stets auf dem Laufenden halten. Das ist eine persönliche und heilige Pflicht. Bekanntlich vergisst man ja so schnell, wenn man das Gedächtnis nicht ständig auffrischt. Ein weiteres Studium, das uns Oblaten darüber hinaus obliegt, ist die Beschäftigung mit den Werken des hl. Franz v. Sales und der Autoren, die seinem Geist am nächsten kommen. Davon müssen wir einen soliden Vorrat in uns tragen.

Ich empfehle als ein ausgezeichnetes Hilfsmittel für das Studium, sich ein Heft mit fliegenden Blättern zuzulegen. Sein Vorteil wird euch später aufgehen. Tun wir das nicht, so werden wir unsere Zuhörer bald langweilen und ermüden, statt sie zu bereichern. Wir sind dann gezwungen, uns laufend im gleichen Gedankenkreis zu bewegen. Wie viel Zeit sollen wir nun dem Studium widmen? Als Faustregel gelte: jede freie Zeit. Das wird uns enorm nützen. Denn Studieren erhält den Menschen moralisch, physisch und religiös gesund. Wenn wir überhaupt nichts ernstlich studieren, wird sogar unsere Gesundheit die Folgen davon zu spüren bekommen.

Ständiges Studium in maßvollem Rahmen betrieben erhält das Leben, stählt und härtet den Körper ab, indem es gleichzeitig die Seele beschäftigt und kräftigt. Man hat festgestellt, dass beim Rückzug aus Russland (1812, Krieg Napoleons gegen das Zarenreich) die Pionieroffiziere, Männer des Studiums und der Handarbeit, im Allgemein die Strapazen besser ertrugen als alle anderen, die fast ausnahmslos umkamen. Im Studieren liegt also etwas, was dem Leib guttut und das physische Leben erhält. Was nun Geist und Art der Studien angeht, so richte man sich wie in allen Dingen nach den Weisungen des Gehorsams. Der Obere hat das nötige Licht, jeden auf dem Gebiet einzusetzen, auf dem er am meisten Erfolg verspricht. Üben wir also auch in dieser Hinsicht die Unterwerfung und geben wir uns nie mit verbotenen Wissensgebieten ab. Sich mit Dingen beschäftigen, die von der Religion oder der Klugheit verworfen sind, wie z.B. Hypnotismus, wäre tadelnswert und würde unser Gewissen belasten.

„Während der Mahlzeit wird gelesen. Nach der Weisung unseres hl. Stifters wird man nicht vom Tische aufstehen, ohne sich irgendwie abgetötet zu haben.“

Diese Abtötung bei Tisch dürfen wir nie vergessen, und sei es auch nur eine kleine Überwindung. Man kann sie auf zweierlei Weisen vornehmen: 1. indem man gern annimmt, was uns nicht schmeckt und 2. weniger nehmen von dem, was uns gut mundet. Das übt eine starke Wirkung aus: es erhält die Seele in Abhängigkeit und Niedrigkeit – es nimmt alles Eigenleben, allen Eigenwillen weg – um sie mit Gott zu verbünden. Hat man diese Überwindung vergessen, so töte man sich bei der nächsten Mahlzeit doppelt ab. Das erhält den Ordensgeist auf eine ungemein nutzbringende Weise.

„Nach dem Mittag- und Abendessen soll für gewöhnlich eine Stunde Erholung sein.“

Unser hl. Stifter empfiehlt, auf geschickte Weise von Zeit zu Zeit ein erbauliches Wort in die Unterhaltung einfließen zu lassen. Denn die Freizeit von Ordensleuten sollte nicht auf eine banale Weise verbracht werden. 2-3-mal erinnere man an die Gegenwart Gottes. Im Übrigen sollen unsere Rekreationen von einem Geist fröhlicher Heiterkeit gekennzeichnet sein. Wir vermeiden alles Necken und Aufziehen, sowie alles, was die Liebe verletzen könnte und anderen lästig fällt. Machen wir aus unseren Freizeiten einen Akt der Liebe, der das Band um unsere Herzen noch enger schlingt: ein Herz und ein Mund.

D.s.b.