Kapitel vom 14.12.1887: Wie bereitet man sich für den Tag für?
„Die Übung der Vorbereitung auf den Tag.
Diese Übung ist gleichsam Wegweiser für den Tag. Darum macht der Oblate die Handlung des Tages und die Verpflichtungen des Ordensstandes… zu ihrem Gegenstand.“ Der Kaufmann bereitet sein Tagewerk vor, seine Einkäufe und Verkäufe. Der Landmann legt seine Werkzeuge für die Ackerbestellung zurecht. Der Gärtner entwirft seinen Arbeitsplan und bereitet Sämlinge für Aussaat und Ernte vor. Ich bat den Gärtner von gegenüber zu kommen und für ein entsprechendes Entgelt unserem Gärtner Andreas zu helfen. „Ich kann nicht“, gab er mir zur Antwort. „Wenn ich das tue, fürchte ich…“ „Na, was fürchtest du denn?“ „Dass ich nicht mehr schlafen kann. Jede Nacht denke ich bereits einen Teil derselben darüber nach, mir im Voraus zu überlegen, was ich den nächsten Tag in meinem Garten tun will. Muss ich mich noch um den Ihren kümmern, schlafe ich überhaupt nicht mehr.“
Das sollen wir während unserer Betrachtungszeit tun, unser Tagewerk vorbereiten. Woraus besteht es denn? Aus dem Werk unserer Selbstheiligung, aus dem Himmel: unser Leben setzt sich ja aus lauter Tagewerke zusammen. Es lohnt sich also, daran zu denken, was man tagsüber tun wird, und meiden will, die Schwierigkeiten vorauszusehen, mit einem Wort: alles, was man tun muss, um die hl. Gottesliebe im Herzen zu bewahren.
Die Übung der Vorbereitung auf den Tag kann sicher wechseln: an einem Festtag z.B., an einem Geburtstag, an einem Tag, wo wir uns zu etwas hingezogen fühlen, können wir natürlich bei einem Gedanken verweilen, der sich uns aufdrängt oder unsere Aufmerksamkeit erregt. Unser hl. Stifter stellt aber als Fundament der Betrachtung die Übung der Vorbereitung auf den Tag hin, damit wir so Ordnung und Korrektheit in all unser Tun und Lassen bringen. Nur so sind wir umsichtige Menschen und gleichen nicht jenen, die nur einen Teil ihrer Unterkunft säubern und das Übrige verkommen lassen. Wir gleichen nicht dem Kaufmann, der einen Teil seiner Geschäfte in Ordnung hält, den anderen aber vernachlässigt. Die Übung der Vorbereitung sagt uns, was wir im Laufe des Tages tun wollen, zeigt uns die Gefahren auf, die uns erwarten, die Schwierigkeiten in unserer Schulklasse, bei unserer Alltagsarbeit, in unseren Beziehungen zu den Mitbrüdern und den Weltmenschen.
„Der erste Teil dieser Übung ist die Anrufung.“ Es ist gewiss eine Unterwerfung des Geistes, die angegebenen Gedanken und Worte zu gebrauchen. Doch diese Unterwerfung verleiht Freiheit. Vor allem in den Zeiten der inneren Trockenheit, der Mutlosigkeit und des Überdrusses findet man im Direktorium Seelennahrung. Denn diese Worte sind der Hl. Schrift entnommen, und der Hl. Geist bittet in uns, wenn wir uns der Worte der Hl. Schrift bedienen. Das ist ein äußerst einfaches Mittel. Energisch ruft es in uns den Eifer zurück und bringt ganz besondere Gnaden mit sich. Das ist die Eucharistie des Wortes, wie die hl. Kirchenväter sagen.
Nachdem wir die Anrufung vorgenommen, gehen wir zum zweiten Teil über. „Der zweite Teil ist die Vorstellung, die nichts anderes ist als ein Vorausschauen und Vorerwägen alles dessen, was sich im Laufe des Tages ereignen kann.“
„Der dritte Teil ist die Zurechtlegung. Der Oblate hat sich die Gelegenheiten, bei denen er leicht in die Irre gehen kann, vergegenwärtigt. Nun überlegt er sorgfältig, was er tun muss…“
Wir denken gezielt nach über das, was uns sicher begegnet: unsere Pflichten, die gewöhnlichen Fehler: Ich gebe einen schlechten Unterricht, warum? Ich fehle öfters gegen die Liebe, die Herzlichkeit, warum? Heute muss ich den und den Besuch machen, muss das und das Amt (Dienstleistung, Seelsorge) ausüben, und bei solchen Gelegenheiten muss ich vor dem und dem in Acht nehmen…
„Der vierte Teil ist der Entschluss. Nun fasst er den festen Entschluss, Gott nie mehr zu beleidigen.“ Die Worte: „Mögen die Gottlosen mir auch das Allerschlimmste antun, das sie vermögen: der Herr hat Macht genug…“ verraten uns, was im Herzen unseres hl. Stifters vor sich ging inmitten der Bosheiten und Verleumdungen, womit man ihn während eines großen Teiles seines Lebens verfolgt hat. Die Ausführlichkeit, die er dieser Sache widmet, ist bemerkenswert und beweist uns, wie viel er von dieser Seite zu leiden hatte.
„Der fünfte Teil ist die Empfehlung. In ihr übergibt der Oblate sich selbst und alles was ihm anvertraut ist, der ewigen Güte Gottes.“
Diese ganze Übung der Vorbereitung ist ein Meisterwerk geistlicher wie weltlicher Strategie, Es zeigt uns, welche Meisterschaft der hl. Franz v. Sales besaß, die Seelen zu leiten. Es ist eine einfache und klare Methode. Und beachtet seine Demut: Worauf setzt er sein Vertrauen? In seine Entschlüsse, seine Anstrengungen? Gewiss setzt er all das in Bewegung und gebraucht alle Fähigkeiten seiner Seele, um sie aufzuwecken, um sie in Wachsamkeit und sich selbst in Bereitschaft zu erhalten. Im entscheidenden Augenblick, aber wirft er seine Seele ganz in Gott, der selber die Sache machen will. Er hat kein Vertrauen zu sich, sondern allein zu Gott. In ihn versenkt er seine Seele ohne Rückhalt. Ich kann euch nicht genug diese Art und Weise zu handeln empfehlen, die ohne Zweifel den meisten Nutzen einbringt.
Und die anderen Seelen möge man ebenfalls auf diesen Weg voranführen. So lehre man sie betrachten. Ich glaube nicht, dass viele Menschen anders betrachten können.
„Die Betrachtung“, pflegte die Gute Mutter zu sagen, „ist die Zeit, wo wir mit Gott über unsere Angelegenheiten verhandeln.“ Unsere Angelegenheiten wechseln aber je nach wechselnden Umständen. Und die sich beständig wandelnden Umstände ändern dann auch unsere Betrachtungen.
