Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 20.08.1887: Das Studium. Der Urlaub. Die Rekrutierung.

Wir haben in Bezug auf Disziplin und Unterricht verschiedene Maßnahmen beschlossen.

Diese Maßnahmen übergebe ich vertrauensvoll den Direktoren und Disziplinarpräfekten und ein bisschen allen Oblaten. Mehrere dieser Maßnahmen werden in unser Jahrbuch aufgenommen werden. Was Disziplin und Studien betrifft, so soll das für alle unsere Kollegien gelten. Überall wird man gleichermaßen verfahren, Änderungen und Schwankungen sollen nicht spürbar werden. Nur eine Frage kann verschiedene Lösungen benötigen: die Frage der Ferienreisen, die je nach Lokalität verschieden verlängert oder verkürzt werden können. Befolgt treu das Programm, das ihr erhalten werdet, sowohl für die Disziplin wie für die Studien. Seid nicht wie die Frauen. Wo drei solche in einem Haus wohnen, wird es derlei verschiedene Verhaltensweisen geben. Sie können in Troyes nicht handeln wie in Paris… Überlassen wir das den Frauen. Diese Handlungsweise ist kleinlich und lässt Ideen und Herzen einschrumpfen, macht weibisch, empfindlich und leicht verletzlich. Man ist kein Mann mehr, sondern eine Memme…

Wie notwendig ist es doch, Charakter und Männlichkeit zu zeigen. Das heißt nicht, man müsse leicht schreien und mit den Füßen stampfen. Es besteht vielmehr darin, fest zu bleiben und unerschütterlich, auf sich zu verzichten, Pflichtbewusstsein zu haben, keine Windfahne zu sein und auf dem vorgezeichneten Weg zu verharren.

Soll man Rücksicht nehmen auf die Verschiedenheit der Charaktere und Örtlichkeiten? Jawohl, sogar sehr. Liebe und Güte müssen unseren Umgang mit den Schülern, mit den Eltern und Freunden kennzeichnen. Die Welt soll aber nicht auf uns abfärben. Bleiben wir, was wir sind. Am Tag, wo wir echte Ordensleute sind, eins untereinander, treu zum Direktorium und gehorsam, an diesem Tag unverwundbar sein.

So war die Gute Mutter. Niemand hätte gewagt zu behaupten, sie mache etwas nicht recht, selbst wenn man ein gegenteiliges Gefühl empfand. Man kam sich ihr gegenüber so fernstehend, so gering vor, dass man sie immer achten musste. So wird man auch uns hochachten, wenn wir gute Ordensleute sind. Das ist der springende Punkt.

Leben wir nach unserem Direktorium, dann halten wir einen guten Unterricht ab und haben gute Disziplin. In der Heimsuchung kehrt ständig das Wort wieder: „C’est marque!“(Anm.: „So steht es geschrieben!“ oder: „So lautet die Vorschrift!“). Bleiben auch wir immer treu dem, was vorgeschrieben ist!

Dann sind wir stark und unbesieglich, denn so wird es auch in Macon, in Morangis, in Troyes gemacht… Andererseits, wenn jeder individuell verschieden handelt, seid ihr bald überlastet und überwältigt. Es ist mir heute nicht möglich, in Einzelheiten einzutreten. Nähere Erklärungen will ich zu gegebener Zeit geben.

So möge man es auch mit der Disziplin halten. Auf diesem Gebiet wollen wir keinen Wettkampf veranstalten: die Disziplin des hl. Franz v. Sales besteht darin, dass wir die hl. Regel erfüllen, dass wie nicht der eine so und der andere anders handelt, sondern nach dem Willen der hl. Regel. Unsere Seele ist groß und weit genug, dass in allem die Liebe überfließe. Haltet euch an euer Direktorium, an eure Ordensregel, und schaut nicht nach rechts oder links. Heutzutage sucht man ja umsonst Charakterfestigkeit, weil man ständig fragt, was denkt dieser und jener. Man hält sich für frei und wird doch nur ein Opfer aller Leidenschaften der anderen. Man sollte nicht so laut schreien, wie tapfer und ehrlich man sei. Man soll es vielmehr sein, tapfer und ehrlich gegen Gott und den Nächsten. Unser Jahrbuch wird für alle unsere Kollegien ein und dasselbe sein, ohne Ausnahme. Ich hätte es gern gehabt, wenn alle unsere Kollegien auch auf dieselbe Art und Weise gebaut wären. Doch fehlen uns dazu die Mittel. Unsere Nachfolger mögen dies nachholen, so wie die Jesuitenpatres alle ihre Kollegien nach demselben Bauplan gebaut haben.

Sprechen wir noch über ein wichtiges Thema: unsere Ferien. Sie fallen über uns herein wie eine Bombe. Letztere explodiert und schleudert die einen nach der einen Seite, die anderen bis an die Grenzen Frankreichs… So sollte es nicht bleiben.

Für die Ferien gibt es ein ausgezeichnetes Mittel, Ruhe und Entspannung zu finden. Unsere Patres, die für Predigt und Leitung begabt sind, mögen reisen. Jedes Heimsuchungskloster wünscht einen Oblaten zu sehen und von ihm Vorträge zu hören, keine Exerzitien. Dazu müssen unsere Patres natürlich von einem echten klösterlichen Geist erfüllt sein. Zählt für sie freilich weder Direktorium noch klösterliche Observanz, dann machen wir einen traurigen Eindruck. Man mache sich darum bereit, in diesem Geist in die Heimsuchung und anderen Klöstern, die nach uns verlangen, tätig zu werden. Ist das nicht ein guter Beweggrund, sich die nötige Luftveränderung und Ruhe zu besorgen, ohne der Kommunität zur Last zu fallen, ja der Kommunität selbst die Auslagen für die Reise zu ersparen?

Ein anderes Motiv zu reisen ist das Studium. Gewisse Lehrpatres, die sich mit Geschichte, Geographie, Literatur- oder Naturwissenschaft beschäftigen, können aus einer instruktiven Reise großen Nutzen ziehen. Das wäre auch ein berechtigtes Motiv für eine Reise, falls man eine solche für wirklich geeignet hält.

Die Ankunft der Ferien gibt allen Lust, ein wenig davon zu genießen. Der Obere soll das beurteilen. Einige können sicher nach Hause fahren und als gute Ordensleute zurückkehren. Für andere ist dies nicht möglich. Wer in Ferien fahren kann und wem die Ferien Nutzen bringen, mögen dafür sorgen, möglichst selbst für die Reisekosten aufzukommen. Durch Nachhilfe-Stunden oder sonst wie können sie der Kommunität in diesem Punkt behilflich sein… Wer abwesend ist, sollte alle acht Tage wenigstens schreiben, damit er den Segen des Gehorsams hat.

Eine weitere Frage ist die nach Nachwuchs. Das erfordert, dass wir eine gewisse Zahl berufener Schüler haben. Unsere Lebensweise erscheint sehr einfach und könnte den Eindruck erwecken, wir täten nichts. In Wirklichkeit ist unser Leben außergewöhnlich und ganz religiös ausgerichtet. Unser Ideenkreis und unsere Seins- und Handlungsweise unterscheiden sich wesentlich von der der Weltleute und der Weltgeistlichen, selbst der heiligsten. Das setzt beim Priester, der Ordensmann werden will, eine mühsame Arbeit voraus, voller Verdienste und höher einzuschätzen als die Arbeit derer, die von vornherein diesen Weg beschritten haben.

Der Prior der Kartause von Bosserville zeigte mir eine Gruppe von vierzig seiner Mönche: „Sie haben alle eine gute Grundlage“, sagte er mir, „aber einer ist unter ihnen, der mehr als zehn oder zwanzig andere aufwiegt, ein früherer Pfarrer. Mit sechzig Jahren musste er noch lernen, tiefe Kniebeugen wie die anderen zu machen…“

Die Mühen eines früheren Pfarrers, der ins Kloster geht, sind höchst verdienstlich. Man begegnet darum solchen nicht oft, gerade wegen all der Schwierigkeiten. Die beste Art und Weise, Nachwuchs zu bekommen, es mit Hilfe unserer Kollegien zu versuchen. Ihr lernt fromme Jungen kennen, die einen Beruf haben. Redet mit ihnen darüber. Besprecht diese Frage mit ihren Eltern und ladet sie ein, ihre Kinder zu uns zu schicken. Hier studieren sie besser und sind besser beschützt. Sucht das den Eltern und den christlichen Familien begreiflich zu machen, wenigstens solchen, bei denen man noch ein bisschen gesundes Urteil findet.

Ich hatte vor, das in Morangis zu organisieren. Ein gewisse Anzahl von Schülern war zu diesem Zweck bereits zusammengefasst werden. Was dort aber fehlt, ist das nötige Personal. Man bräuchte dort zusätzlich zwei Patres, die Kinder dort zahlen aber nicht viel. Wir können darum unmöglich zehn Personen unterhalten für dreißig oder vierzig Schüler. Die Einkünfte des Kollegs reichen dazu nicht aus. Ich gebe aber Morangis nicht auf, im Gegenteil, ich stelle lediglich fest, dass Morangis uns für dieses Werk nicht genügen kann. Würden wir andererseits Morangis zu unserem „kleinen Noviziat“ machen, würden viele Eltern ihre Söhne nicht mehr ins dortige Kolleg schicken.

Darum wollen wir unser „kleines Noviziat“ hier in Troyes fortführen, wie wir es dieses Jahr bereits getan haben. Diese Schüler kenne ich und ich kümmere mich um sie. Das ist auch sparsamer für uns, weil es wenig Auslagen und Personal erfordert. In ihrem Studium haben sie Erfolg. Die sind fleißig und haben Preise erlangt. Ich hoffe, dass dies so weitergeht und wie ein Sauerteig auf unser ganzes Internat wirkt. Könnte man das in jedem unserer Häuser tun, dass es neben dem normalen Kolleg ein zusätzliches kleines gäbe, in dem zwei oder drei Schüler aus jeder Klasse wären, über die wir mehr Vollmacht haben als über die anderen. Schüler, die mehr Herz besäßen, die ein festes Ziel vor Augen hätten, die das Beispiel intensiven Fleißes gäben und mehr Erfolg aufwiesen. Ja, wenn jedes Haus den einen oder anderen Lehrer hätte, der geeignet wäre, diese Kinder zu leiten, dann glaube ich, verfügten wir über ein ausgezeichnetes Mittel, das Niveau unserer Studien zu heben, einen guten Geist zu unterhalten und vortreffliche Berufe zu gewinnen. Könnte man also etwas Derartiges organisieren, dann müsste man mir das schreiben.

Was Schreiben betrifft: jeder Obere, Direktor und Ökonom möge mir alle 14 Tage schreiben. Ich antworte nicht immer, sondern bloß, wenn eine Antwort geboten ist. Ich habe alles, um alles beantworten zu können, und habe lieber, dass man direkt an mich schreibt. Es ist gewiss gemütlicher, wenn man diesen oder jenen anderen bittet: „Sagen Sie P. Brisson dies und das…“ Aber es verursacht nur Verzögerungen und Unsicherheiten: Wenn einer um etwas bittet, wünscht er auch, etwas möge so geschehen und nicht anders, und er kann klar sagen: P. Brisson hat dies und das angeordnet. Richtet eure Briefe darum direkt an mich. Ich habe Zeit, jeden Tag Antwort zu geben. Bin ich wirklich einmal abwesend, dann höchstens für zwei oder drei Tage. Mein Sekretariat ist in Ordnung.

Ich komme auf unser „kleines Noviziat“ zurück: Wenn ihr Jungen findet, die die erforderlichen Bedingungen erfüllen, schickt sie uns umgehend. Wartet nicht auf später. Macht den Eltern begreiflich, dass wir keine Heimlichkeiten mit ihnen vorhaben und keinen Einfluss auf ihre Kinder ausüben wollen. Wir müssen sie nur so früh wie möglich erfassen. Denn wir brauchen viele, viele junge Leute. „Bitte den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seinen Weinberg sende!“