Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 17.11.1886: Die beiden Wege. Das Offizium. Die Studien.

Bereiten wir uns auf die Erneuerung unserer hl. Gelübde vor. Da ist nämlich eine große Gnade zu empfangen. Ich fahre fort in der Erklärung der Satzungen.

Die Gewissenserforschung: Die erste Gewissenserforschung geschieht vor dem Mittagessen. Sie sei kurz, man braucht sich nur an das halten, was man am Morgen oder Vormittag getan hat, ob man die Gedanken des Direktoriums benutzt, wie man die Betrachtung gemacht, die hl. Messe gefeiert oder ihr beigewohnt hat, wie man sich in der Freizeit des Morgens benommen und wie man seine Pflichten erfüllt hat. Man beendet das Confiteor, erweckt einen Akt der Reue, um seine Sünde gutzumachen und die Gnade eines guten Vorsatzes zu erlangen.

Am Abend macht man die Gewissenserforschung wie es angegeben ist. Sie dauert etwas länger. Man denkt zurück an das, was man mittags gefunden, was man tagsüber gemacht hat, die hauptsächlichen Verstöße, die Untreuen gegenüber den guten Vorsätzen. Dann beendet man das Confiteor, indem man Gott um Verzeihung bittet.

Diese Gewissenserforschungen haben große Bedeutung, sind sie doch das Mittel, um mit Gott seine Rechnung zu begleichen, Rückschritt oder Fortschritt festzustellen, somit eine große Hilfe, im geistlichen Leben voranzuschreiten. Wir dürfen sie nicht vernachlässigen. Im Übrigen erleichtern sie uns ja auch die folgenden Beichten.

Nach den Gewissenserforschungen kommt das Göttliche Offizium.
Wir beten unser Brevier nicht öffentlich, sondern privat. Hier ist Ordnung notwendig. Jeder sollte seine Kleinen Horen und Vesper zur festgesetzten Stunde rezitieren, die Matutin möglichst schon am Vorabend. Von wichtigen Gründen abgesehen soll man sich an die dafür vorgesehenen Zeiten halten. Das Offizium sollen wir aufmerksam beten und dabei gut die Worte aussprechen. Es muss nicht sein, dass man sich selber beim Beten hört, aber sicher muss man sein, dass man deutlich ausspricht und alles richtig absolviert. Das erreicht man am besten, indem man nicht hastig, aber auch nicht zu langsam betet, sondern mäßig schnell. Im Allgemeinen lässt sich das Brevier in einer Stunde beten, außer am Sonntag. Vesper und Komplet innerhalb einer Viertelstunde, die Kleinen Horen in zwanzig Minuten. Mehr Zeit sollten wir nicht dafür aufbringen. Man könnte sonst skrupulös werden. Machen wir es zügig, mit etwas Schwung. Mehr Zeit darauf zu verwenden, wäre tadelnswert. Vermeidet das und vermeidet vor allem, wieder von vorne zu beginnen, wenn ihr zerstreut wart. Betet ihr z.B. die Kleinen Horen und der Gedanke kommt euch, ihr hättet vielleicht die vorhergehende Kleine Hore nicht gebetet, sollt ihr nicht von neuem anfangen, es sei denn, ihr hättet triftige Gründe dafür. Das sage ich als Oberer, damit man Zeitverlust vermeidet und nicht skrupulös wird.

Das Offizium bete man mit Andacht und mache sich dabei die Gedanken und Gefühle zu Eigen, die in den Versen und Lektionen ausgedrückt sind. Rezitieren wir nicht mechanisch, das Breviergebet soll uns ja Nutzen bringen. Während dieser Stunde wollen wir unseren Geist auf das konzentrieren, was wir sagen, und das wird unser Herz mit vielen guten heiligen Gedanken erfüllen. Das Breviergebet wird uns sehr nützen, die Lektionen in Sonderheit können uns großen Nutzen bringen. Gott erleuchtet unseren Geist während der Rezitation, und verleiht spezielle Einsichten bei gewissen Stellen und Ausdrücken des Evangeliums. Ich habe fromme Priester gekannt, die sich nach dem Breviergebet die empfangenen frommen Erleuchtungen und Gnaden notiert haben. So bereichert man sich selbst und die anderen. Eine Menge Dinge der Hl. Schrift und der Liturgie wird einem klarer, nachdem man schon lange Jahre Brevier gebetet und man den Sinn der Worte nicht verstanden hat. Eines Tages geht einem das Licht auf und äußerst nützliche und instruktive Einsichten und Übersichten zum Nutzen der Gläubigen werden einem zuteil. Das ist nicht verwunderlich, weil wir dann eben den Geist Gottes in reicherem Maße besitzen. Damit will ich nicht sagen, wir sollten aus dem Breviergebet ein Studium machen. Ziehen wir aber doch reichen Nutzen aus allem, was Gott uns während des Betens schenkt. So will es übrigens auch die Hl. Kirche. Andernfalls gäbe sie uns ja anstelle der verschiedenen Offizien, stets wechselnder Schriftlesungen, Heiligenlegenden und Väterhomilien ganz einfach den Rosenkranz als einziges Pflichtgebet. Das Breviergebet ist ein Abriss der Hl. Schrift, der Väter, der Konzilien sowie der Kirchengeschichte in den Heiligenlegenden. Es gibt da also ungemein kostbare Dinge zu sammeln. Jedes Mal, wenn während des Breviergebetes euch ein Gedanke über die Hl. Schrift oder die Worte unseres Herrn kommt, sammelt es und seid überzeugt, dass dies eine große Wirkung hervorrufen wird. Hier habt ihr Substanzielles, echte Seelennahrung. Das sind keine leeren Worte, die in die Luft gesprochen werden. Wenn wir Brevier beten, versehen wir den Dienst der Engel. Ohne Zweifel gleicht auf Erden das Offizium des kirchlichen Lobes Gottes am meisten dem Dienst der Engel und der Seligen des Himmels. Das ist die wahrste und vollständigste Weise, Gott zu preisen, die Fortsetzung und Verlängerung dessen, was die Engel tun.

Ich muss euch diesbezüglich noch eine Bemerkung machen: In unserer Zeit sind die Freimaurer die Herren. Bei der Aufnahme neuer Mitglieder und in ihren Zeremonien sprechen sie gottlose Worte und singen das Lob Satans. Bei gewissen höheren Graden gebrauchen sie Gesänge, die sich unmittelbar an den Teufel richten. Sie rühmen den Bösen und seine Werke. Die Stimme unseres Göttlichen Offiziums muss da diese satanischen Stimmen übertönen. Darum empfahl noch in letzter Zeit der Hl. Vater, das Offizium „attante ac devote“ (Anm.: „mit Aufmerksamkeit und Frömmigkeit“) zu rezitieren. Gegen Satan und seine Agenten heißt es aktiv kämpfen: diese Pflicht obliegt vorrangig den Ordensleuten. Die Kleriker sind hauptsächlich wegen ihrer Pfründen, von denen sie leben, verpflichtet, das Offizium zu beten. Die Ordensleute hingegen wegen der Ehre Gottes, zur Verherrlichung seines Namens und zur Aufrichtung seines Reiches.

Nach dem Offizium das Studium. Kein Tag sollte vergehen ohne Studium. Die kein Amt innehaben, sollen mindestens sieben Stunden dem Studium widmen. Die Professoren erfüllen diese Pflicht, indem sie ihr Amt ausüben und unterrichten.

Durch Studieren tut der Ordensmann sein Werk, das verdienstlich ist für den Himmel, setzt also einen Akt vollkommener Liebe. Nicht nur ein sittlich gutes Werk vollbringt er da, sondern ein übernatürlich äußerst verdienstliches, das viele Gnaden Gottes herabzieht, selbst auf natürlichem Gebiet. Es besteht kein Zweifel, dass, bei gleichen Voraussetzungen, echte Ordensleute besseren Klassenunterricht erteilen als Laien und Weltpriester, die weniger Frömmigkeit und Hingabe aufbringen, und dass sie so zwangsläufig viel mehr Einfluss auf ihre Schüler ausüben.

Die kein bestimmtes Amt haben, sollen wenigstens sieben Stunden täglich dem Studium widmen und darauf achten, sich, was die Art und den Geist ihrer Studien betrifft, nach den Vorschriften des Gehorsams zu richten. Wir sind allerdings noch nicht einmal so zahlreich, dass wir dies durchführen könnten. Sobald Gott aber einmal erlaubt, dass wir genug Mitglieder zählen, so dass sich einige ausschließlich dem Studium hingeben könnten, müssen wir diesen Artikel der Satzungen anwenden.

Wir sollten, wenn irgendwie möglich, und ich empfehle es dringend, einen Sammelkarton haben. Man macht sich auf fliegenden Blättern Notizen von allem, was unsere Aufmerksamkeit erregt, uns ein neues Licht vermittelt über ein Faktum, ein Dogma, eine Wahrheit, ein Zitat, einen Gedanken… Das notiert man sich und fügt Buchtitel, Band und Seite hinzu. Dann ordnet man diese Blätter alphabetisch ein, jedes mit seinem bestimmten Thema. Das ist eine immense Hilfsquelle, wenn man irgendetwas Stellung nehmen soll. So kann man viele Zuhörer interessieren. Geben wir uns keiner Täuschung hin: Das Quellwasser ist zwar gut. Wenn dieses Wasser aber durch Wiesen und über Wege geflossen ist, besonders über Stadtstraßen, wird es geschmacklos und sogar schlecht. Das gilt auch für uns, wenn wir nicht dafür sorgen, dass unser Bach ständig wächst. Dann könnt ihr nicht nur das vortragen, was eurem eigenen Kopf entspringt, sondern auch das, was durch euren Kopf gegangen ist und euch dann selbst zugeschrieben wird. Macht möglichst zu eurem geistigen Eigentum, was ihr auf diese Weise gesammelt habt. Wenn ihr bloß andere zitiert, ohne es euch einverleibt zu haben, fehlt die Überzeugungskraft, der Schwung, der alle mitreißt. Für jene, die in der Öffentlichkeit reden müssen, ist diese Stoffsammlung unersetzlich. Da die Geister verschieden sind, werdet ihr, wenn ihr euch diese Lesefrüchte aneignet, die einzigen sein, die das sagen, werdet ihr euer individuelles Kolorit haben und kein bloßes Echo sein. Sorgt also dafür, dass ihr eure eigene Schiffsfracht habt. Selbst wenn es etwas am Zusammenhang fehlt, manche logischen Fehler vorkommen, wird man euch das verzeihen, weil ihr interessiert. Und ihr werdet fesseln, weil ihr anderes vortragt, als alle anderen. Ich hörte den P. Gratry bei seinen Vorträgen in St. Etienne du Mont. Er benutzte seine Notizen, die auf Blättern um ihn herum lagen, zitierte, borgte rechts und links, von Homer, von Platon, egal, was: er sprach aufs höchste fesselnd, und was er sagte, war neu. Jedenfalls viel packender als eine gestriegelte und gebügelte Rede, die nur aus Gemeinplätzen besteht, und mit banalen und allgemein bekannten Gedanken durchsetzt ist.

Auch unsere Brüder sollten ihr kleines Notizenbuch haben, worin sie niederschreiben, was sie sehen, lesen und erleben. So sammeln sie einen Schatz, der ihnen von großem Nutzen sein kann. Unser Gedächtnis nimmt so leicht Eindrücke auf, doch diese Eindrücke verwischen ebenso leicht, die letzten verdrängen die früheren.