Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 20.01.1886: Prozess der Guten Mutter. Ihr Geist.

Ständig muss ich zurzeit in Paris weilen, um meine Aussagen im Prozess der Guten Mutter zu machen. Ich habe unter Eid unter Strafe der Exkommunikation, die dem Hl. Vater reserviert ist, geschworen, nichts zu offenbaren, was ich gefragt wurde und was ich darauf geantwortet habe. Ich breche aber nicht das beeidete Geheimnis, wenn ich euch den Eindruck wiedergebe, den die Fragen der Richter auf mich gemacht haben.

Ich schließe aus dem, was ich gesehen und gehört habe, dass die Richter diesen Seligsprechungsprozess als ein wichtiges Ereignis für die Kirche Gottes betrachten. Die Heiligkeit und Sendung der Guten Mutter halten sie in der gegenwärtigen Stunde für ein von der göttlichen Vorsehung gewolltes Ereignis. Sie haben mir eine Vielzahl von Fragen gestellt und haben mir kein Detail erspart, so unbedeutend es scheinen mochte. In ihren Augen schien alles wichtig zu sein.

Als ich in Begleitung von P. Deshaires den Papst besuchte und ihm alles erzählt hatte, was die Gute Mutter gesagt und getan hatte, spürte ich beim Verlassen des Vatikans, dass der Hl. Vater, und das erkläre ich offen, hundertmal mehr Vertrauen und Glauben in die Gute Mutter setzte als ich selbst. Ich sagte dies auch zu P. Deshaires, der meinen Eindruck teilte.

Und was die Herrn von Paris an Glauben und Vertrauen heute in all diese Dinge hineinlegen, das überschreitet, ich erkläre und gestehe es mit Beschämung, mit Sicherheit das, was ich selbst habe. Ich bin darum, wie ihr seht, noch nicht ganz bekehrt. Sie messen allen Worten der Guten Mutter im Allgemeinen höchste Bedeutung bei und im Besonderen in all dem, was sie gesagt und getan hat bezüglich der Gründung der Oblaten. Ich glaube, ihre Gedanken am besten auszudrücken, wenn ich erkläre, dass sie die Gute Mutter Maria Salesia als von Gott inspiriert betrachten in allem, was sie getan, gewollt, verlangt und vorausgesagt hat, und dass alles größtes Gewicht hat.

Ich möchte das zum Anlass nehmen, um uns alle aufzufordern, dass wir uns so weit wie nur möglich in diesen Strom hineinbegeben. Wir müssen das Lehrgut der Guten Mutter und ihre Lehren nicht nur spekulativ, sondern ganz praktisch. Das wird für uns, wie die hl. Kirche es vom hl. Stifter behauptet, ein ganz ebener, sicherer, einfacher und treuer Weg sein, „via plana ac tuta.“ „Darf man alles glauben, was die Gute Mutter gesagt hat?“ fragte mich einer unserer Patres. Jawohl, man darf es und muss es. Bis die Kirche sich diesbezüglich autoritativ geäußert hat, glauben wir daran, wie ein pietätvoller Sohn an alles glaubt, was seine heiligmäßige Mutter ihm sagt.

Das Lehrgut der Mutter Maria Salesia ist sehr vielgestaltig und umfasst eine große Zahl von Fragen bezüglich der derzeitigen Bedürfnisse der Kirche.

Wenn wir existieren, dann nicht, um Ordensleute zu sein, wie es deren bereits gibt. Die vor uns existieren, waren besser als wir, aber ihre Sendung unterschied sich von der unsrigen. Wir sind etwas Eigenes, etwas Spezielles. Diese Besonderheit findet sich auch in der Lehre der Guten Mutter. Nach dem Urteil des Hl. Vaters und all jener, die ihre Lehre tiefer eingedrungen sind, findet sich darin etwas sehr Eigentümliches und Fruchtbares. Ich stelle fest, dass im Urteil dieser Herren von Paris die Gründung der Oblaten auf Tatsachen von kapitaler Bedeutung beruht. Das ist ein Beton, von dem nichts weggenommen und nichts ausgelassen werden kann. Eine äußerst ernstzunehmende Basis, aus der große Früchte der Kirche herauswachsen werden.

Ich sage euch dies, um euch in euren guten Entschlüssen der Treue und des Großmutes zu bestärken. Oblate zu sein, ist nicht irgendein Nächstbestes, ist keine Einrichtung, von irgendjemand ins Leben gerufen. Es ist etwas, was in den Plänen Gottes an besonderer Stelle steht. So zwar dass Gott, wenn ein Oblate untreu wird, und sich zurückzieht, eher Steine erweckt, um Kinder Abrahams daraus zu machen, als dass er sein Werk im Stich ließe.

Wir sind in der Wahrheit, nicht nur was das Fundament angeht, sondern in allem, was wir im Einzelnen tun und tun werden. „Eure Pläne liegen im Willen Gottes begründet“, sagte mir der Hl. Vater. Der Papst bestätigt, was geschehen ist, was derzeit geschieht und was in Zukunft geschehen wird. Er gibt uns nicht irgendeine Gewähr, sondern die Gewissheit, dass die Sache von Gott gewollt ist und Bestand haben wird.

Wir wollen uns darum fest an die klösterliche Observanz und den Geist des Institutes klammern. Ich wünschte sehr, die Lebensbeschreibung der Guten Mutter wäre beendet und ihr könntet sie lesen. Vor allem aber heißt sie praktizieren… Eine Lehre ist eine unbestimmte und hohle Sache, weil man nicht alles versteht. Man muss diese Dinge erst tun, um sie zu verstehen. Ein Schreinermeister erklärt einem Lehrbuben, wie man es anstellt, ein Fensterkreuz zu machen. Der Lehrjunge hört zu, wird es aber erst dann ganz erfassen, wenn er ein, zwei, hundert Kreuzstöcke gemacht hat. So werden auch wir diese Dinge erst verstehen, wenn wir sie praktiziert und versucht haben, sie mit gutem Willen auszuführen.

Wachen wir über unser Äußeres und messen wir den geringsten Dingen des Gehorsams, der klösterlichen Zucht, unseres Umgangs mit Gott und dem Nächsten große Bedeutung bei: hier bewährt sich der Oblate des hl. Franz v. Sales, deutlich charakterisiert in seiner speziellen Art.