Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 11.02.1885: Die verschiedenen Aufgaben der Genossenschaft.

„In der Seelenführung wird man sich mit Gottes Hilfe so viel wie möglich an die Lehre und die Methode des hl. Franz v. Sales halten.“ (Anm.: „Satzungen 13. Artikel.“). Das ist das Programm, das uns bei der inneren wie äußeren Leitung bestimmen soll. Wir sollen Christen erziehen und bewahren, die nicht uns gehören, sondern dem Herrn. Für uns selber arbeiten, uns selber arbeiten, uns selber in der Seelenführung suchen, wäre ein Unheil. Denn sich eindrängen in die Angelegenheiten Gottes gereicht den Seelen jederzeit zum großen Nachteil. Gott segnet nur; was für ihn getan wird. So verbunden wir auch mit Gott sein mögen, unsere Arbeit wäre schlechter denn „corruptio optimi pessima est.“ (Anm.: „Wenn ein ganz guter Mensch schlecht wird, dann wird er ganz schlecht.“). Gott zöge sich dann von uns zurück, und wir hätten von seiner Gerechtigkeit alles zu befürchten…

„…Franz v. Sales, der aufrechte Christen heranbilden…wollte.“ Es gibt sie ja kaum noch, die aufrechten Seelen, sie sind selten geworden. Der Mangel an Aufrichtigkeit kommt oft, besonders bei Frauen, von einem Mangel an Unterrichtung her. Dafür findet man bei ihnen noch Herz und Großmut.

„Christen, die…glaubensstark sind.“ Dazu müssen wir aber erst selber Männer des Glaubens werden. Bitten wir den Herrn darum: „Adauge nobis fidem!“ (Anm.: „Vermehre unseren Glauben!“). Denn zurzeit stellt man ein allgemeines Versagen fest, selbst bei Priestern und Ordensleuten, und das ist traurig. Man glaubt zwar noch an Gott, aber nicht mehr an seine Vorsehung, an seinen Einfluss auf die Seelsorge. Der Glaube ist fast rein theoretisch bei der Mehrzahl der Christen. Dieser Glaube genügt aber nicht. Bitten wir den Herrn vielmehr um einen praktischen Glauben, der uns allen abgeht. Wir wenden uns viel zu wenig an Gott, in allem, was uns zu tun obliegt. Wir ahmen darin die Gute Mutter nach, die nie etwas tat oder unternahm, ohne vorher den Heiland um Rat gefragt zu haben. Wie oft sagte sie, wir müssten uns in allem Gott anvertrauen. Beten wir auch zu unserem hl. Stifter um diesen Glauben.

„…selbstlos…“ das ist nicht leicht. Man begreift nicht mehr, was es heißt, Gott und dem Nächsten das Opfer seiner selbst darzubringen. Das aber ist unser Programm, das Ziel unseres ganzen Mühens. Dahin müssen wir gelangen. Auf dieses Ziel hin müssen wir auch die Seelen in Beichte und Predigt hin erziehen, ihnen das christliche Leben, das Leben eines praktischen Glaubens einhämmern. Man beginnt damit, indem man seinen Willen unterwirft. Ist der Wille einmal schmiegsam, dann folgt der Verstand schnell. Begreift einer die Dinge der Religion nicht: wenn man ihn so weit bringt, dass er zur Beichte geht, dann bereitet es keine Schwierigkeit mehr, die Wahrheit vor seinen Augen aufleuchten zu lassen. Um dies Ziel zu erreichen, heißt es aber selbst ein guter Ordensmann sein. Die erste Gnade wird uns zuteil durch die Sakramente, die zweite wird nur erreicht durch die Heiligkeit dessen, der sie mitteilt, und hervorgebracht durch die Treue dessen, der sie empfängt.

„…demütig und sanftmütig…“ Das ist schwer, denn die Demut setzt alle anderen Tugenden voraus, deren Krönung sie sozusagen ist. „Discite a me“, sagt unser Herr, „sum quia mitis et humilis corde. “ (Anm.: „Lernt von mir, denn ich bin demütig und sanftmütig.“). Die Tugend der Sanftmut heißt es erst selber erringen, bevor man sie andere lehrt. Nichts gewinnt die Seelen mehr als dieses Mittel. Es ist auffallend, wie man gerade in Rom diese Tugend überall antrifft: in den römischen Kongregationen, die Kardinäle und Bischöfe, im Umgang mit dem Papst, alles atmet diese Sanftmütigkeit, die unser Erlöser so empfiehlt. Geben darum auch wir uns die Mühe, unsererseits den Herrn in dieser Sanftmut und Herzensdemut nachzuahmen.

„…indem sie überall hin die Zeichen der Tugenden unseres Vorbildes und Kirchenlehrers Franz v. Sales tragen.“ Daran müssen wir uns halten. Neulich las ich das Buch des H. Harmel. Dieser stattete eines Tages dem Nuntius einen Besuch ab. Dieser sagte zu Harmel, wie sehr es ihn freue, in Frankreich die Apostolatswerke so gedeihen zu sehen. „Überall strengt man sich an“, sagte er, „die Arbeiter zusammenzufassen in Vereinen und Körperschaften (Zünften, Gilden, Innungen; „die Gewerkschaften gab es noch nicht flächendeckend“ [Anm. des Bearb.].) zu gruppieren. Nur in Frankreich entfaltet man so viel Eifer dafür.  Das sind auch für Sie, Herr Harmel, die richtigen Mittel.“ – „Doch nicht, Exzellenz, nach meiner Ansicht ist das beste Mittel, die Seelen zu Gott zu führen, dass man unseren Herrn aus ganzer Seele liebt und ihn beliebt macht. Würden die Arbeitgeber Gott aus ganzem Herzen lieben, hätten all ihre Werke Erfolg.“ So wurzelte die Stärke des Herrn Harmel also in der Stärke unseres Herrn und in den Sakramenten, denn die mächtigste Kraft-Quelle liegt darin, unseren Herrn zu lieben, ihm ganz nahe zu kommen und die anderen in seinen Bannkreis zu bringen. Herr Harmel und mehrere seiner Arbeiter opfern ihr Leben und ihr Wirken auf, dass der Wille Gottes in Erfüllung gehe. Mehrere sind nach diesem großmütigen Opfer gestorben und ein tiefer Einfluss ging davon aus, der beweist, wie sehr Gott diese Einstellung liebt. Das war übrigens auch ganz der Gedanke der Guten Mutter Maria Salesia, und Herr Harmel scheint, von ihrem Geist ganz beseelt zu sein.

Mögen diese Gedanken unsere Seele zutiefst in Gott gesammelt erhalten, denn in ihm suchen wir alles, wessen wir bedürfen. In diesem Glauben lasst uns tiefe Wurzeln schlagen, andernfalls wären wir wie leichte Blätter, die der Wind schüttelt und nach Belieben fortträgt.