Kapitel vom 29.09.1880: Die Kulp. Jesus lieben.
Unser Vater erinnerte uns zunächst daran, wie wichtig eine gute Kulp sei. Die Kirche lehrt, dass solch ein religiöser Akt lässliche Sünden tilgt. Des Weiteren besteht folgender Unterschied zwischen Kulp und sakramentaler Beichte: Letztere tilgt die Sünden aus eigener Kraft. Gewiss darf Beichtende keine inneren Dispositionen haben, die die Wirkung der Gnade hindern. Davon abgesehen wirkt das Sakrament aber kraft seiner eigenen Vollmacht. Es müssen nur die negativen Dispositionen fehlen. Für die Kulp dagegen bedarf es positiver Dispositionen, da gerade diese es sind, die die Wirkung hervorbringen. Legen wir darum die Kulp mit großer Reue ab. Schon wenn wir vorher an das denken, worüber wir uns Kapitel anklagen wollen, wollen wir bereits einen Akt der Reue erwecken.
Denn sprach unser Vater von der Notwendigkeit, unseren Herrn zu lieben. Man stellt sich manchmal vor, diese Liebe sei eine reine Gefühlssache. Das stimmt nicht, sie ist vor allem ein Akt der Vernunft. Kommt das Gefühl noch dazu, umso besser, aber die Liebe wohnt, wie der hl. Thomas lehrt, vorzüglich im Willen, der von der Vernunft geleitet ist. Wenn wir dieses Empfinden der Gottesliebe nicht verspüren, dann lieben wir ihn nicht hinreichend im vernünftigen Teil unserer Seele. Würden wir ihn so lieben, dann würde Gott auch das Gefühl hinzufügen. Mühen wir uns darum sehr, unseren Herrn zu lieben. Beteuern wir ihm oft, dass wir ihn lieben wollen. Er selbst möge uns diese Liebe schenken.
Denken wir gern an unsere Gelübdeformel: „propter amorem tuum.“ (Anm.: „Aus Liebe zu Dir.“). Als wir unsere Gelübde ablegten, taten wir es in der Absicht, einen Akt der Gottesliebe zu vollbringen, und ihm in einem affektiven Zeichen (durch die Tat) zu bezeugen, dass wir ihn lieben.
Vergessen wir nicht, dass das Band, das uns mit Gott verbindet, ein Band der Liebe ist. Und dass die Erfüllung unserer Gelübde ein ununterbrochener Akt der göttlichen Liebe ist.
Prüfen wir unser vergangenes Leben: wir finden darin nichts als Gottes Liebe zu uns, der uns umgibt, uns beschützt und leitet. Lassen wir uns zutiefst durchdringen von Dankbarkeit.
Wir müssen Gott wirklich und ernst lieben, d.h., wir sollen wahrhaftig für ihn leben und immer sehen, wie wir ihm Freude machen können. Er sollte Ziel und Zweck unseres Lebens sein. Begnügen wir uns aber auch nicht mit der bloßen Verstandesliebe. Das würde, sagt der hl. Thomas, nur im Notfall genügen. Sondern lieben wir ihn auch mit einer herzlichen, ich möchte sagen, einer menschlichen Liebe. Lieben wir ihn so, wie wir einen Verwandten, einen Freund lieben, den Menschen, den wir am meisten verdanken. Unser Herr wurde Mensch, damit man ihn auf eine menschliche Weise liebt. Lieben wir ihn, wie Lazarus, Marta und Magdalena ihn liebten. Seht nur, wo unser Herr sich erholt, wenn er müde ist oder vor seinem Leiden steht: Bei Lazarus und seinen Schwestern. Auch in unserem Haus sollte er einen Ruheort haben, hier sich ebenfalls bei Freundesherzen erholen können. Er nennt uns seine Freunde: „Vox dixi amicos.“ (Anm.: „Ich habe euch Freunde genannt.“). Diesen Titel heißt es aber verdienen und keinen lieberen Freund haben, als ihn. Dann richtet er an uns die Worte, die er nur seinen Freunden sagt: „Quaecumque audive a Patre, haec nota feci nobis.“ (Anm.: „Was auch immer ich vom Vater erfahren habe, habe ich euch kundgetan.“). Lassen wir unser Herz warm werden. Begnügen wir uns nicht, das nur zu wollen, was unser Herr will, sondern lieben wir es. Die Heiligen waren ganz Liebe für ihn. Der hl. Franz v. Sales glühte vor Liebe für ihn, die hl. Franziska v. Chantal desgleichen, und der hl. Aloysius ebenfalls. Gott ist in der Tat die Liebe und man kommt nur durch die Liebe zu ihm. Liebe ist das große Gesetz, das große Gebot der Welt. Entschädigen wir unseren Herrn, denn er wird nicht mehr geliebt. Das ist das Zeichen des Endes der Zeiten: „Caritas multorum refrigescet.“ (Anm.: „Die Liebe vieler wird erkalten.“). Seine Liebe ist der Stempel unserer Berufung. Als er die Kirche dem hl. Petrus anvertraute, fragte er ihn: „Petrus, liebst du mich?“
Der Jüngling im Evangelium fragt ihn, was zu tun sei, um ins ewige Leben einzugehen: „Intuitus eum dilexit eum.“ (Anm.: „Er schaute ihn liebevoll an.“). Suchen wir zu erkennen, was uns die hl. Liebe entflammen kann. Wenn unser Herr uns die Andacht zum hl. Altarsakrament gegeben hat, wenn er uns die erste hl. Kommunion, diese und jene andere Gnade schenkt, profitieren wir doch davon, gebrauchen wir alles, was uns besonders anstacheln kann, unser Herz zu entflammen. Das ist das Prinzip der Liebe. Ihre Wirkung kennt kein Ende. Sie nimmt uns schon beim Aufwachen in Beschlag. Wir stehen aus Liebe zum Herrn auch, nehmen die Gedanken des Direktoriums aus Liebe zu ihm, gehen zur Betrachtung aus demselben Motiv. Immer sollen wir zu unsrem Herrn sagen: „Ich tue jetzt dies, ich erfülle mein Direktorium zum Beweis meiner Liebe.“ Ein Kartäuserpater betete oft unter vielen Tränen. Als man ihn nach dem Grund seiner Tränen fragte, sagte er: „Ich wollte unserem Herrn auch etwas aufopfern. Er opferte uns ja sein kostbares Blut. Ich bat ihn, mir die Gabe der Tränen zu geben, damit ich ihm auch meinerseits etwas Materielles anbieten könnte. Er hat mir damit eine große Gnade erwiesen.“ Eines Tages weinte der gute Pater mehr als gewöhnlich: er betete nämlich für all jene, die an diesem Tag die große Gnade der Taufe empfangen hatten, um ihnen die Bewahrung dieser Gnade zu erlangen. Er versicherte, in diesem Fall seien sie zu einem höheren Grad von Glorie berufen als die Engel.
Bitten wir, wenn schon nicht um die Gabe der Tränen, so doch wenigstens um diese glühende Liebe, die den Willen und das Gefühl gleichermaßen ergreift, damit wir nur noch für Jesus leben.
