Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 05.08.1880: Der Gehorsam.

Der Gehorsam hat in jedem Orden sein besonderes Gepräge. Das hat er auch im Plan des hl. Franz v. Sales: wir sollen nämlich den Gehorsam nachahmen.

Der hl. Paulus hat den Gehorsam des Erlösers so charakterisiert: „Didicit ex iis quae passus est, oboedientiam.“ (Anm.: „Aus dem, was er gelitten hat, lernte er den Gehorsam.“). Auf diesem Weg lernte er also als Mensch gehorchen, und so werden auch wir uns aneignen. Ebenso viel wie wir zu leiden haben, werden wir gehorchen können. Du gehst im Leid so weit, du wirst auch im Gehorsam nicht weiter gehen. Solange wir nicht leiden, dürfen wir nicht von Gehorsam sprechen. Unser Herr hat vollkommen gehorcht, weil er Ungeheuerliches gelitten hat: An seinem Leib litt er unbeschreibliche Schmerzen, in seiner Seele erlitt er die Verlassenheit von Seiten seines Vaters, indem er sich gleichsam verworfen sah von Gott, der nichts anderes wollte als seine Vernichtung, seine Entäußerung. So weit wie Jesus im Leid ging, ebenso weit reichte auch sein Gehorsam. Umso verdienstlicher wird unser Gehorsam sein, als der uns gegebene Befehl zur Überwindung unseres eigenen Urteils, zur Entäußerung von unserem eigenen Wollen, zur Abtötung unserer Neigungen geht. Der beste Gehorsam ist der, der uns am meisten kostet. Das ist wahrlich eine schwierige Wissenschaft, das Gehorchen, dass ein Gott kommen musste, um sie uns zu lehren. Treten wir also in seine Schule ein, und was er uns lehrt, wollen wir ihm nachmachen.

Mutter Maria Salesia hat diese Tugend auf einem hohen Grad der Vollkommenheit geübt. Oft hat sie ihre unzähligen Schmerzen erduldet. So wurde sie eines Tages in ein so armes Kloster geschickt, dass die dortigen Schwestern nur Kartoffeln und Bohnen zu essen hatten: Gerichte, die der Magen der Guten Mutter nur mit Schmerzen ertrug. In einem anderen Kloster hatte sie Novizinnen herangebildet, die wahre Engel waren. Da starben die Novizinnen, und es blieben ihr nur Schwestern, die unfähig waren, sich enger zusammenzuschließen. Das war eine harte Prüfung für sie. Dennoch aber hielt sie ihren Willen immer mit dem des Erlösers verbunden. Und hätte sie auch nur drei Sekunden lang ein bisschen gezögert und widerstanden, sie hätte sofort eine Beichte abgelegt. Ihr einziger Wunsch war das Leiden. Das betrachtete sie nämlich als das einzige Mittel, dem Erlöser gleichgestaltet zu werden.