Kapitel vom 04.09.1879: Herzliche Liebe.
Als unser Vater uns in größerer Zahl als sonst versammelt sah, sprach er zu uns von unseren gegenseitigen Beziehungen. Wir dürfen nie vergessen, dass der hl. Franz v. Sales seinen Orden ohne verpflichtende Gelübde mit dem alleinigen Band der Liebe errichten wollte. Wenn er diesen Plan auch nicht durchführen konnte, so muss doch der Geist, in dem er ihn errichten wollte, erhalten bleiben. Er wusste nur zu gut und beteuerte, dass der Ordensmann, der diesen Punkt erfüllt, zu einer sehr hohen Heiligkeit gelangen wird, weil er damit das ganze Gesetz erfüllt.
Wir sollen uns gegenseitig mit Herzlichkeit behandeln und alles meiden, was auch nur im Geringsten unseren Mitbruder verletzen könnte. Ehrfurcht regle unser Verhältnis. Überhaupt soll unser gegenseitiges Verhalten unter den Augen Gottes abspielen. Vergessen wir das nicht in allem, was wir tun, bis hin zu der Art und Weise, wie wir einen Gegenstand geben oder empfangen. Wir sind Priester oder wenigstens Ordensleute, sind darum alle Gott geweiht, müssen als solche in allem den Orden ehren, dem wir angehören, da Gott selbst ihn ehrt, indem er ihm zahlreichere Engel zur Seite stellt und ihm im Himmel einen Ehrenplatz bereithält. Mit der Gnade Gottes machen wir uns ans Werk, diese herzliche Lieb zu üben. Doch es gibt darin Gnade, und unsere Mühe muss dahin gehen, von einem Grad zum anderen emporzusteigen.
Ein treffliches Mittel, diese Liebe zu üben, ist die brüderliche Zurechtweisung. Sagt ein Mitbruder ein Wort gegen die hl. Regel oder sehen wir ihn von anderen Dingen eingenommen oder von einer Leidenschaft beherrscht, sollen wir ihn zunächst in Ruhe lassen. Sehen wir ihn aber oft in den gleichen Fehler zurückfallen und scheint er sich dessen gar nicht bewusst zu sein, sollen wir es ihm in aller Einfachheit und Liebe sagen. Sollen wir dies vor der ganzen Ordensgemeinde tun? Nein, man nehme ihn besser beiseite und mahne ihn in gütigem Ton. Wer so aufmerksam gemacht wurde, ärgere sich nicht, sondern erinnere sich, dass es seinem Mitbruder wohl schwerer fällt zu tadeln als ihm, den Tadel entgegenzunehmen. Er möge also in diesem Geist die geistliche Hilfe empfangen, selbst wenn sie etwas streng vorgebracht wird, denn so nimmt er seine Zuflucht zur Demut. Damit wir die herzliche Liebe üben, sollen wir füreinander beten, vor allem die Priester. Sie mögen es sich zur Gewohnheit machen, den einen oder anderen ihrer Mitbrüder beim Memento der Lebenden zu nennen. Vor allem den Oberen, den Novizenmeister, jene, die die wichtigen Ämter innehaben sowie alle anderen der Reihe nach. So profitieren wir alle von unserem gegenseitigen Gebeten und Übungen.
Ein neues Schuljahr beginnt, ein neues Jahr der Arbeit und Mühe. Unser Leben ist ein Leben der Arbeit, wir tun es zehn Monate lang und oft noch während der Ferien. Nehmen wir all das großmütig an und vergessen wir dabei nicht, dass wir durch unsere Arbeit das wirksamste der Sühne leisten. Denn Fehler haben wir alle gutzumachen.
Gehorsam: Während der kommenden Woche, schärfte uns P. Brisson ein, unseren Willen fest im Willen Gottes zu verankern zum Nutzen unserer Arbeit und unserer Schüler.
