Ansprachen

      

80. Ansprache zur Ewigen Profess der Patres Deroux, Blanc, Levassor, Boisson und Ham zum Thema „Die Bedürfnisse der gegenwärtigen Zeit und das Direktorium“ am 20.09.1902.

Meine lieben Freunde, was ihr heute tut, ist sehr ernst. Es ist zu jeder Sache eine wichtige Sache. In den augenblicklichen Umständen aber kommt ihr eine ausnehmende Wichtigkeit zu.

Gott hat es zu keiner Zeit unterlassen, seiner Kirche die nötige Wirksamkeit und die Menschen zu geben, die sie nötig hat, um ihre Sendung zu erfüllen. Der Ordensmann, dessen Aufgabe ja am schwersten und dessen Verpflichtungen am gebieterischsten sind, kann noch mehr auf die Hilfe von Oben hoffen. Nur so vermag er gegen seine angeborene Schwäche anzugehen und dem Mangel an Mut und geistiger Klarheit abzuhelfen. Er braucht eine Fackel in der Hand, die seinen Weg erhellt, braucht im Herzen eine hinreichende Energie, um notfalls bis zum Opfer seines Lebens zu gehen.

All das findet ihr in der Kongregation, die euch heute in ihre Reihen aufnimmt. Ja, ihr tut gern daran, euch auf diesen Weg einzulassen: Wenn ihr mich liebt, dann folget mir nach! Es ist ein Wort des Herrn, und es trägt Gnade mit sich! Versetzt euch in den Stand, durch eine ernstliche Vorbereitung davon zu profitieren. Zweifellos sind einfache Vorsätze gut, wenn sie fest und bestimmt sind. Aber es sind vornehmlich Akte, die Gott von uns verlangt. Seid also Oblaten, die Gott nicht nur diese oder jene Handlung ihres Tagewerkes, dieses oder jenes Amt ihres Lebens aufopfern, nein, eure ganze Zeit, euer ganzes Leben muss Gott gehören. Das Wort „Oblatus“ zeigt es an: Alles muss ihm geopfert, alles seinen Erlöserhänden übergeben werden.

Wie sollen wie solch eine dringende Verpflichtung erfüllen? Mithilfe eines kleinen Büchleins, eures Direktoriums. „Herr Pater“, werdet ihr mir sagen, „Sie sagen aber immer dieselben Dinge. Wissen Sie denn gar nichts anderes?“ Meine Freunde, ich habe sehr viele Theologien durchgeblättert, habe lange studiert und geforscht und musste mich schließlich überzeugen, dass ich auf dieses kleine Büchlein zurückkommen muss. Es allein kommt für alle eure Bedürfnisse auf. Wenn ein Mühsal euch niederdrück, sagt es euch, wie sie ertragen. Entsteht eine Schwierigkeit, sagt es euch das Geheimnis, damit fertig zu werden. Habt ihr einen Fehler, eine Vergesslichkeit, begangen, ermöglicht uns das Direktorium, es wieder gut zu machen. Habt ihr eine Seele zu gewinnen, verbringt zwei, drei Tage der Treue zu diesem Büchlein, und Gott wird sie euch geben.

Ein Tropfen Wasser, was ist das schon? Nichts, nicht wahr? Mit einem Tropfen Wasser aber erlangt ihr bei der Taufe Nachlass eurer Sünden, die Gaben des Hl. Geistes mit den Gnaden eines christlichen Lebens, sowie das Recht auf Eintritt in den Himmel. So wird auch dieses kleine Büchlein euch die Pforte des Himmels öffnen, die Tür der Herzen auftun. Es verleiht euch die Allmacht Gottes. Wie gern gäbe ich euch ganz und restlos diesem treuen Direktorium hin…

Aber glaubet nicht mir! Glaubt vielmehr dem hl. Franz v. Sales: in seinen Predigten, seinen geistlichen Gesprächen, in seinen Briefen gibt er zu, dass die anderen Mittel auch gut sind, dass aber dies da, das Leben der Gottvereinigung auch das Direktorium, alle übertrifft, und er verspricht das Paradies jenen, die es mit Treue praktizieren.

Macht euch also an die Arbeit! Wenn ihr etwas Erfahrung mit den Seelen gewonnen habt, dann werdet ihr wissen, was eine solche Observanz wert ist, was ein derartiges Leben in der Gegenwart Gottes wirkt. Noch ganz jung, war ich überrascht im Seminar, als ich einen meiner Mitschüler sah, einen echten kleinen Heiligen und eifrigen Beobachter der Seminarordnung, der sich beständig in der Nähe Gottes aufhielt. Er starb mit 18 Jahren, und wir sagten uns: „Für ihn kann Gott gar keinen hinreichend schönen Platz im Himmel haben. Das war ja ein zweiter Aloysius von Gonzaga.“

Glaubt an diese Dinge! Hegt einen lebendigen Glauben an eure Berufung und an dieses Mittel, die Gott da in eure Hände legt, um euch und die anderen zu heiligen.

Der hl. Augustinus sagt, dass dieses im Grunde gar nicht so schwer ist: Um die Liebe zu besitzen, braucht man keine langen Reisen zu unternehmen und sich ermüdenden Studien menschlicher Wissenschaften hinzugeben. Das einzig richtige Mittel ist, Gott darum zu bitten, und den Zug seiner Gnade zu unterstützen.

Handelt so, zumal in der gegenwärtigen Situation. Danket Gott, meine Freunde, dass ihr in dieser Epoche geboren seid, inmitten dieser Welt. Je verdorbener sie ist, umso mehr gibt es für uns zu gewinnen. Diese letzten Tage traf ich den Pfarrer von Bucheres, einen ehrwürdigen Priester von 82 Jahren. Er sagte mir: „Ich habe Gott immer gebeten, eine schlechte Pfarrei zu übergeben.“ „Aber Herr Pfarrer, da sind Sie ja prächtig bedient worden… mit einer Pfarrei, in der vier oder fünf große Skandale geschahen.“ „Jawohl, in der Tat. Ich dachte mir nämlich: ‚Du bist doch nicht fähig, heilige Seelen zur Vollkommenheit zu führen.‘ Unter lauter schlechten Menschen aber kannst du ihnen wenigstens noch ein gutes Beispiel geben und dir von Zeit zu Zeit sagen: ‚Schließlich bist doch du es, den der Herrgott hier noch am liebsten hat…‘“

Ihr, meine Freunde, braucht keine solche Gunst zu erbitten: es gibt genug komische Menschen auf der Welt. Seid ihnen nahe wie die Engel des Himmels, die durch all die Schmutzigkeiten des Diesseits gehen, ohne ihre Reinheit zu trüben, ihre Intelligenz verdunkeln und ihren Willen erschlaffen zu lassen.
Aus diesem Grund haltet euch mit ganzer Seele ans Direktorium. Bemüht euch, es zu verstehen, liebzugewinnen und bei den anderen Hochschätzung dafür zu wecken. Geht so in aller Einfachheit den Weg des Gehorsams. Kein Kreisen um sich selbst, keine rein menschlichen Gesichtspunkte! Das Menschliche verdirbt und schlägt zum Nachteil der Werke aus, mit denen wir beauftragt sind. Sucht ihr im Gegenteil Gott allein bei allem, dann kommt er zu euch, bringt Licht und wird der, der euch innerlich führt. Nicht mehr ihr handelt dann, vielmehr werden euer Denken und Wollen zu jenen des Erlösers.

Wer von euch wird zur Heiligkeit gelangen? Wie viel werden es sein, die von einer großen Zahl Seelen umgeben zum Himmel auffahren, um die göttliche Anschauung zu genießen und von Klarheit zu Klarheit zu schreiten bis zum innersten Leben Gottes? Jene, die sich treu im Direktorium bewährten. Das habe ich lange Jahre in der Heimsuchung Mariae erlebt: Das Thermometer ihrer Heiligkeit war das Direktorium… Und selbst die Gläubigen, die von einem klugen Beichtvater in diese Methode eingeweiht werden, werden von Tag zu Tag ihre Verdienste wachsen sehen entsprechend der Beharrlichkeit in dieser Lebensweise. Gott ist getreu, und das Leben nach dem Direktorium ist ein Leben beständiger Treue gegenüber Gott.

Ich bin alt, meine Freunde, und ich weiß nur noch dies eine zu sagen. Ich lebe davon und nähre Seele und Herz damit.

Keiner sage, die Lehre des hl. Franz v. Sales sei leicht zu verwirklichen, da man mit ihr nichts zu leisten braucht! Steht man auch nicht um Mitternacht auf, so hält man sein Herz doch beständig mit Gott vereinigt. Man schläft ein mit dem Gedanken an ihn. Fasten wir auch nicht, so empfangen wir unsere Nahrung doch mit Dank aus der Hand des Erlösers, und all die übrigen Verzichte nehmen wir mit Liebe und Geduld entgegen. Wenn uns alles glückt, danken wir Gott dafür. In der Traurigkeit stützen wir uns ebenfalls auf ihn.

Wie schön ist es doch, Oblate zu sein! Überall sagt man mir das! Ja, wie schön ist, wenn man ein guter Oblate ist… Die Zahl solch guter Oblaten müsste nicht einmal so groß sein, um enorm viel Gutes in der Welt zu wirken. Nicht als ob wir etwas Außergewöhnliches an uns hätten, doch mit unserer Treue ziehen wir einfach die Gnade Gottes an. Wenn Gott aber da ist, wird man allmächtig. Gewiss gibt es immer aufrührerische Seelen. Selbst unser Herr hat nicht alle Herzen bekehrt. Die aber, die er uns gibt, werden wir retten und bis hin zur vollen Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen erziehen.

Noch einmal: Danken wir Gott für die Gnade des Oblatenberufes in so gefahrvollen Zeiten. Ihr müsstet schon in gewöhnlichen Zeiten danken, in der jetzigen Zeit aber solltet ihr ganz in Danksagungen aufgehen. Als Jesus am Kreuz im Sterben lag, wer hielt bei ihm aus? Es war der hl. Johannes, der Oblate des apostolischen Kollegiums, unser Vorbild.

Ich übertreibe nicht, meine Freunde, sondern halte mich durchaus in den Grenzen der theologischen Lehre: Das Direktorium ist die Lehre des hl. Johannes wie auch jener des hl. Paulus. Es ist die Lehre des hl. Augustinus, des hl. Bernhard wie des hl. Thomas v. Aquin. Meditiert die Worte, die ich da sage: sie sind Geist und Leben. „Ich habe mir das nicht aus dem Hirn gesogen“, versicherte unser hl. Stifter Franz v. Sales. Dann werdet auch ihr zu den Jüngern zählen, die Jesus liebt. Die Gnade der hl. Gelübde wird in euch dieses Privileg bekräftigen, und zahlreiche Seelen werden davon profitieren und durch euch das Reich erlangen, das all denen verheißen ist, die den Willen Gottes erfüllen.

Seid gesegnet, meine Freunde, und haltet dem die Treue, der euch zuerst geliebt und euch heute mit Beweisen seiner Freigebigkeit überhäufen will. Also sei es. Amen.

GOTT SEI GEBENEDEIT!!!