Ansprachen

      

76. Ansprache zur Profess des P. Cyprien Ceyte Junior und der Fratres Henri und Franz Arandel zum Thema „Die Verehrung des heiligsten Herzens Jesu: Leben vom Erlöser“ am 04.01.1901

Wir stellen uns häufig, ja gewöhnlich vor, die Dinge ereigneten sich fatalistisch, zwangsläufig. Wir sind zwar keine Heiden, handeln aber in der Praxis fast wie diese. Der Gedanke, die Vorsehung habe ihre Finger in der Weltgeschichte, kommt uns gar nicht… Diese Art zu urteilen und zu sehen heißt es reformieren, indem wir uns daran gewöhnen, Gott immer wachend über sein Werk zu erblicken, wie alles in Gerechtigkeit und Barmherzigkeit regelt. Das predigte auch Paulus den Athenern: „In ipso enim vivimus, movemur et sumus.“ (Anm.: „In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir.“). Nun gut, wenn Gott sich also um alles kümmert, dann hat er mit Sicherheit in seiner Voraussicht gewollt, dass eure Profess heute geschieht, am ersten Freitag des Jahres, dem Herz-Jesu-Freitag. Hat nicht unser Herr gewünscht, dass der erste Freitag seinem heiligsten Herzen geweiht sei, und das am Beginn eines Jahrhunderts, das die große Offenbarung des Geheimnisses der Menschwerdung schauen wird?

Wie die Sterne beim Anruf Gottes, so präsentiert ihr euch mit dem Ruf: „Adsumus.“ (Anm.: „Wir sind da.“). Warum ruft er euch aber? Was wünscht er dabei? Dass ihr Arbeiter des Herzens Jesu werdet, so wie es die hl. Kirche, unser Hl. Vater und die Liturgie verstehen.

Die Andacht zum heiligsten Herzen bedeutet Andacht zu jenem Herzen, das Zentrum der Liebe ist, die er für uns in sich trägt, Mittelpunkt des göttlichen Willens, der göttlichen Gnaden, die er uns mitteilt.

Eure Sendung besteht somit darin, unseren Herrn und sein heiligstes Herz bekannt und beliebt zu machen. Man kennt ihn ja kaum mehr, oder vielmehr die Bösen kennen ihn nur zu gut, haben doch die Propheten verkündet: in den letzten Zeiten wird ein großer Krieg entbrennen zwischen dem Wort Gottes und Satan, in den eine große Zahl von Menschen verwickelt sein wird… Und schon sendet Satan seine Sendboten aus: die Bösen. Seine Abgesandten, die politischen Macher, seine Handlanger, die Verbrecher. Seine Gelehrten, die Schriftsteller und die gottlose Presse. Seine Chefs, all jene, die die Welt ins Böse zu ziehen trachten.

Ihr habt somit eine große Sendung zu erfüllen: den Erlöser, sein Leben, seine Lehre durch euren Unterricht und euer Beispiel bekannt zu machen. Darum müsst ihr aufgeklärt und wohl unterrichtet sein, da ihr ja Seelen führen sollt. Ihr müsst das Licht und die Gesinnungen dessen haben, den ihr der Welt bringen sollt… Welch schöne und hohe Mission, jene unserer Guten Mutter Maria Salesia… In der ersten Zeit meines Aufenthaltes in der Heimsuchung war ich immer überrascht, dass sie den Heiland bei jeder Gelegenheit im Mund führte, dass sie immer von einem Wort, einem Beispiel, oder einer Anregung des Heilandes ausging. Dass sie Gott in allem, was sie sagte oder tat, ins Spiel brachte, darüber war ich aufs äußerste erstaunt. Das war ich nicht gewohnt, weder in meiner Familie, dabei hatte ich doch sehr christliche Eltern, noch im Kleinen Seminar, wo wir doch heilige Priester hatten, noch im Großen Seminar, wo wir uns unter der Leitung von gediegenen Männern und Theologen befanden. Ich verstand bislang Gott mehr in Distanzhaltung zu uns, wie er uns eigentlich nur unsere Pflichten nahe kam. Ich sah nicht, wie er zur Atmosphäre des christlichen Lebens geworden war und sich in allen Einzelheiten unseres Daseins verbarg.

An euch ist es, meine Freunde, diese Art und Weise, Gott in allem zu sehen, zu übernehmen. Ihr könnt unseren Herrn niemanden nahe bringen, wenn er nicht in eurer Mitte lebt, und ihr kennt ihn nur mit Hilfe dieses Mittels. Jedermann erkennt an, dass die Lehre der Guten Mutter im Grund die Lehre des hl. Franz v. Sales, des hl. Vinzenz v. Paul und des hl. Alfons von Ligouri ist: sie gründet in dem Geheimnis, die Seelen sicher zu diesem Leben übernatürlicher Vereinigung zu führen, zu der alle Heiligen gelangt sind. Betrachtet z.B. Bossuet in seinen „Betrachtungen über das Evangelium“, in seinen verschiedenen Vorträgen vor den Heimsuchungsschwestern von Meaux. Soviel Licht findet sich nur in der Heiligkeit des Lebens.

Darum dürft ihr euch nicht zufrieden geben, das Leben eines guten Seminaristen zu führen oder das eines guten Priesters. Das genügt nicht für euch. Ihr müsst euch von unserem Herrn prägen lassen: „In ipso vivimus.“ (Anm.: „In ihm leben wir.“). Nur in ihm haben wir Leben, Bewegung, nur vereint mit ihm handeln wir.

Das ist keine übertriebene Vorstellung, sondern die einfache Lehre unseres Herrn. Hat er nicht gesagt: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Rebzweige?“ Was steht dem Stamm näher als die Zweige? Unser Herr wie der hl. Paulus lehren: Ihr seid Glieder am Leib Christi. Hand und Arme haben kein anderes Leben als Herz und Kopf. Wie wünschte ich, dass ihr diese Wahrheit gut verstündet und euch ganz davon durchdränget!

Erst dann seid ihr wahre Oblaten, in euren Studien ebenso wie in euren Beziehungen zu den Mitbrüdern.

Lest die Kapitel der Guten Mutter an ihre Schwestern. Darin findet ihr immer wieder diesen einzigen Gedanken. Sie sagte immer wieder: Warum beschäftigt ihr euch mit euch selbst? Gibt es denn nichts Gutes außer euch? Warum dreht ihr euch immer nur um euch? Ist denn Gott nichts? … Gott verabscheut nichts so sehr wie eine Nonne, die für sich selbst lebt und sich anderen vorzieht…

Ich weiß, das ist nicht die Schuld der Menschen. Ein Mensch achtet sich selbst viel zu sehr als dass er solch deplatzierte Vergleiche aufstellte. Wie dem auch sei, die Gute Mutter empfahl nichts so sehr als dass man sich selbst verlässt. Und warum? Weil sie wollte, die Seelen sollten dem Herrn ohne Vorbehalte gehören und sich seiner Gaben bedienen, um ihm Ehre und Liebe zu erweisen.

Ihr, meine Freunde, sollt Männer des Glaubens sein, die überall Gott erblicken, die in Ihm leben, die Ihm ihre Gesinnungen, ihre Urteile, ihre Verhaltensregeln schöpfen. Und auf welche Weise? Mit Hilfe ihres Direktoriums, im Gebet und in der Arbeit.

Ich fasse zusammen: Heute, am Herz-Jesu-Freitag werdet ihr von Gott beauftragt, ihn bekannt zu machen, und das nicht nur so im Allgemeinen, sondern im Besonderen, durch den ganzen Einfluss, den in ihr eurer Umgebung ausübt. Ihr kennt das Beispiel des hl. Franz v. Assisi: „Bruder Leo“, sagt er zu seinem Gefährten, „gehen wir predigen!“ Dieser folgt ihm, beide gehen durch die Straßen der Stadt, die Augen bescheiden gesenkt, ohne zu sprechen. „Aber Vater“, sagt da Bruder Leo nach ihrer Rückkehr ins Kloster, „wir haben doch nicht gepredigt!“ „Glaubst du? Und unser bescheidenes Aussehen, unser Gebet, und der Anblick unserer Armut, hältst du das für nichts? Ist das nicht die sprechende Predigt, die zwar nicht zu den Ohren spricht, aber dafür zu den Augen und zu den Herzen. Sie haben gesehen, was ein Ordensmann ist, ein Mensch, der nur Gott sucht!“

Und ihr, sucht ihn jetzt in euren Studien! Fasst es so auf, dass alles, was ihr zu tun habt, um euren Geist aufzuschließen, euer Gedächtnis und Urteil zu entfalten, von Gott kommt, und euch dienen muss, um ihm Seelen zu gewinnen. Ihr arbeitet dich, um Mauern aufzubauen, worin Gott geehrt werden soll. Das sei immer euer Ziel: Gott und die Seelen. Ihm Seelen zu bereiten, die ihm ähnlich sind, die ihm geweiht sind.

Ihr habt mich gut verstanden, nicht wahr? Legt euer Gelübde ab mit dem Wunsch, den Erlöser bekannt und beliebt zu machen, und lebt mit ihm, lebt von ihm (und aus ihm!). Am Tag, wo ihr das tut, wird Gott sich freuen, und unsere Kongregation wird dann in Wirklichkeit gegründet sein. Dann gibt es echte Oblaten. Wenn ihr jetzt in den Vorhof des hl. Franz v. Sales eintretet, meine Freunde, betet für die Genossenschaft. Erlangt ihr zahlreiche Gnaden für die Werke, ihre oft so mühsamen Kämpfe, die körperlichen und geistigen Leiden unserer Missionare, unserer Patres, unserer Kollegien. Die Last scheint allzu oft schwer, „talentum plumbi“ (Anm.: „Bleigewicht“)… Beten wir für unsere Patres, unsere Kongregation, die vielleicht klein an Zahl, an Tugend aber groß sein soll. Da die Tugend aber im Kreuz verankert ist, dürfen wir hoffen, dass sie Großes hervorbringen wird.

Auch ihr werdet viel leiden müssen, denn jeder hat sein Kreuz zu tragen. Wenn ihr seine Last zu spüren bekommt, erinnert euch daran, dass der Heiland euch vorangeht und euch zuruft: „Willst du mir helfen, einen Teil meines Kreuzes zu tragen?“ Und ihr werdet ihm antworten: „Herr, ich werde dich nicht allein lassen!“ „Fiat“ – „Es geschehe!“ Dann, meine Freunde, seid ihr echte Oblaten, echte Ordensleute, und die hl. Kirche wird diesen Tag segnen, weil er das Unterpfand zahlreicher Segnungen für sie wie für uns darstellt. Amen.