Ansprachen

      

65. Ansprache zur Gelübdeerneuerung am Fest Mariä Opferung, 21.11.1898

Meine Freunde, wir wollen jetzt unsere Gelübde erneuern und Gott versprechen, treu unsere Verpflichtungen zu halten, die wir freiwillig eingegangen sind und die wir bei manchen ähnlichen Gelegenheiten wie heute erneuert haben. Unsere Gelübde haben zur Grundlage die Gottesliebe, weil die Liebe Grundlage aller Tugenden und aller Verpflichtungen ist. Die Liebe ist die Zusammenfassung unseres ganzen christlichen und klösterlichen Lebens. Gott ist nach des Liebesjüngers Liebe: „Deus charitas est.“ (Anm.: „Gott ist [die] Liebe.“).

Die Liebe bekleidet verschiedene Charaktere. Der, über den ich heute Abend einige Worte sagen will, ist ganz Kraft, Mut, und Energie. Und dieser Charakter eignet der Liebe wesentlich, denn wer wahrhaft liebt, schaut nicht auf Mühen und Plagen. Wer liebt, gibt sich hin, und dazu benötigt er Kraft und Energie.

Was uns Oblaten vor allem nottut, ist dieser Mut, diese Tatkraft, die uns auf allen Pfaden leitet, durch alle Schwierigkeit und Verpflichtungen hindurch führt bis zur vollkommenen Erfüllung des Willens Gottes, d.h. bis zum Akt vollkommener Gottesliebe, der Caritas. Der Ordensmann, der heutzutage am meisten Stärke und Mut braucht, ist der Oblate. Diese Behauptung darf uns nicht verwundern, sie trifft in jeder Hinsicht zu.

Schaut nur unsere Werke, unsere Missionen an: Jedermann gibt zu, dass wir betreff Mission zu den schlechtest Bedienten zählen. Von uns werden ein Opfergeist, ein Mut und eine Tatkraft verlangt, die für so und so viele anderen Orden anvertrauten Mission nicht erforderlich sind. Sie wissen, wie viel unsere Patres und die Ordensfrauen ihrer Umgebung zu leiden haben. Soviel ich weiß, haben sie seit 15 oder 16 Jahren dort noch kein einziges richtiges Stück Brot, echtes Brot, gegessen. An seiner Stelle haben sie einen namenlosen Teig, einen unmöglichen Brei, zu essen. Und das ist etwas, kein Brot zur Verfügung zu haben, besonders wenn man sonst fast nichts anderes zu essen hat. Ihre Nahrung ist nicht nur äußerst einfach, sondern auch äußerst abtötend. Sie können das Wort des hl. Bernhard auf sich anwenden: „Ad mensam tamquam ad torturam…“ (Anm.: „Zum Tisch wie zu einer Tortur gehen…“). Und das nicht nur zu einer Mahlzeit, für einen Tag, für einen Monat, sondern für immer! Dazu bedarf es eines mutigen Herzens, bedarf es der Stärke und der Tatkraft. Ich spreche nicht nur von der Nahrung. Was sollen wir sagen von der Sonnenhitze, von der Arbeit unter einem Feuerhimmel, von Krankheiten, und schließlich auch von der Umgebung dort? … Leben inmitten einer elenden Bevölkerung, die bekleidet ist mit widerlichen Lumpen… Fügt zu allem noch die Leiden und Mühsale der Seele hinzu: Die Teufel Afrikas, von denen Augustinus und Hieronymus sprechen, sind keine Einbildung. Wir brauchen nicht zu diesen beiden Kirchenvätern zurückzugehen. Fragen wir nur unsere Patres diesbezüglich, sie können uns seltsame Dinge berichten…

„Aber ich bin ja gar nicht dazu bestimmt, in die Mission zu gehen…“
Meine Freunde, bedarf es weniger Mutes, um unseren anderen Pflichten gerecht zu werden? Uns obliegen die Erziehung der Jugend und die Pastoral der Arbeiterklasse.

Was die Erziehung der Jugend betrifft, wisst ihr aus Erfahrung, was zu leisten ist, um mit der Schwäche des jugendlichen Verstandes und Willens fertig zu werden. Da heißt es fast tun, was der Prophet Elias auf dem Leichnam des Sohnes der Witwe von Sarepta tat… Er verkürzt sozusagen seine Glieder, um seine Hände auf die Hände des Kindes, seine Füße auf dessen Füße, sein Gesicht auf dessen Gesicht zu legen, und mit seinem Atem belebte er schließlich den kleinen Leichnam. Das müssen auch wir tun: uns verkürzen zum Maß dieser Kinderseelen und Unwissenden. Beide lassen, was wir sonst sind, unser Naturell aufgeben, unsere Willensstärke und unsere Stärken hintanstellen. Sie auf die Kleinheit und das Niveau der Kindheit herabdrücken, uns mit ihr identifizieren, um sie zu retten und sie auf die kommenden Kämpfe vorzubereiten. Ist es also eine leichte Arbeit, all das vollkommen und ganz zu tun? Müssen wir uns in unseren Arbeiterwerken nicht ebenfalls mi der Arbeit der Jungarbeiterinnen gleichsetzen in diesen Seelen, die von Vorurteilen, Dummheit und unbegreiflichen Dingen strotzen, die wir obendrein wie rohe Eier behandeln müssen, dass wir sie für uns gewinnen, um all das auszumerzen, was sich dort an Falschem findet und auf diesen Ruinen etwas Echtes aufzurichten, die Liebe zu Jesus Christus? Lässt sich aber all das verwirklichen ohne Mühewaltung, Seelenstärke und Energie? …

Dürfen wir, meine Freunde, in unseren übrigen Standespflichten, in der Seelenführung, im Beichtstuhl, uns darauf beschränken, unsere Aufgabe auf eine ganz gewöhnliche Art und Weise und auf gut Glück zu verrichten, ohne auf unsere Oblatengrundsätze Rücksicht zu nehmen? Müssen wir nicht auch hier uns identifizieren mit den Seelen, ihre Plagen und Schmerzen auf uns nehmen, um sie zu verübernatürlichen, ihre Finsternisse an uns ziehen, um sie zu zerstreuen? Mit anderen Worten, auch hier heißt es sich den Seelen angleichen, um das Werk zu vollbringen, das Gott uns anvertraut hat und wofür er uns zu ihnen gesandt hat.

Kommt das aber von selbst und ohne Anstrengung auf uns zu? Heißt es sich da nicht mächtig ins Zeug legen? Müssen wir uns nicht jeden Augenblick einen Zwang auferlegen, um das von Gott erwartete Pensum zu erreichen? …

Ich gehe jetzt noch weiter: Sagt mir, welches Leben verlangt mehr an Energie? Ist es nicht das, das jeden Augenblick des Tages und der Nacht einem anderen als uns gehört? Das sich ständig weggeben muss, sich zu zerstören und anderen angleichen muss? Das sich seiner selbst entäußert, sich ohne Maß hingeben und ihrem Naturell beugen muss, das nicht das unsere ist? Ich versichere euch, es ist das die heldenmütigste Lebensweise, die es gibt, eine Lebensweise, die selbst einer Großzahl von Heiligen erspart blieb. Es ist ein ganz und gar übermenschliches Leben. Und brauchen wir dafür wirklich nur einen schwachen Willen, können wir uns da einfach gehen-lassen? Heißt es nicht unaufhörlich reagieren und sich einsetzen? …

Im Apostelkollegium sind zwei Männer, die besonders auffallen: Johannes, der vielgeliebte Jünger, und Petrus, der Mann des starken Glaubens und des hohen Mute. Wem schenkt Jesus sein Herz? Johannes. Wem vertraut er aber seine Kirche an, wem verleiht er die Vollmacht, auf Erden zu binden und zu lösen? Wem übergibt er die Pforten des Himmels? Petrus, dem Mann des Glaubens und der Entschlossenheit, der über die Wogen schreitet und zum Herrn sagt: „Ich bin bereit, mit dir zu sterben.“  Petrus bezeichnet seinen Meister bei jeder Gelegenheit als den Sohn Gottes. Er trägt die Last der anderen Apostel mit. Das, meine Freunde, sind die zwei großen apostolischen Berufungen. Beide sind auch für uns bestimmt. Doch die eine darf uns die andere nicht vernachlässigen lassen.

Übernehmen wir den Anteil des Petrus! Erinnern wir uns, dass der Oblate ein Mann von Energie und Charakterstärke sein muss, denn nur die Willenskraft allein gibt ihm jeden Augenblick die Kraft, sich selbst zu besiegen. Bitten wir Gott um diesen starken Willen. Soeben sangen wir zum Hl. Geist: „Firma nostri corporis.“ (Anm.: „Die Schwächen unseres Leibes.“)… Bitten wir Gott um diese Kraft des Leibes, die wir brauchen, um unser Werk zu vollbringen. Bitten wir ihn um die Stärke und den Mut der Seele, die uns noch nötiger sind. Wo bleibt denn oft unser Mut im Angesicht der Schwierigkeit und Zweifel, wenn wir zu Wesen ohne Schwung und Festigkeit zusammenschrumpfen? Wenn wir nicht mehr vermögen und uns an nichts mehr heranwagen? Da sackt man dann unter das Niveau eines männlichen Charakters ab. Das, meine Freunde, ist der große Kampf unseres Lebens, das Durchhalten und Ertragen! Gebt Acht, meine Freunde, denn hier kann man sich nicht mehr mit einem äußeren Feind im Kampf messen und mit der Gnadenhilfe über ihn triumphieren. Hier heißt es nur noch innere Kämpfe aushalten in Dunkelheit, Mutlosigkeit und Versagen, und das ist unvergleichlich schwieriger….

Hier darf man sich nicht in eine Atmosphäre einkapseln, die den Willen verkümmern lässt und die Energie lähmt, so dass keine Kraft mehr zurückbleibt. Wie sehr das doch dem Geist des hl. Franz v. Sales widerspricht! Zu diesem inneren Kampf der Seele, zu diesen dem Verstand entzogenen Verwirrungen der Seele braucht es mehr Mut und Tatkraft als für den Angriff. Auf dem Schlachtfeld kann man sich im Angesicht der feindlichen Heere aufs höchste belebt fühlen. Was aber belebt uns in Nebel und Dampf? … Bitten wir darum Gott innig um diese so notwendige Energie, ein wahrhaft inneres Leben zu leben. Bitten wir Gott um diese so notwendige Energie, ein wahrhaft inneres Leben zu leben. Bitten wir um das, was er dem hl. Stifter gegeben hat: Die Ärzte haben festgestellt, dass der Heilige in seinem Willen genug Energie geschöpft hat, um seinen Zorn zu bezähmen, zu dem er als kleines Kind geneigt war. Um sich inmitten der Peinen und Widersprüche, denen er sein ganzes Leben hindurch begegnete, zu wappnen, hatte er sich solch einen Zwang auferlegt, dass seine Galle hart geworden war wie Stein.

Wie ist diese Härte seiner Galle zu erklären? Hat er etwa einige Akte von Geduld, Nächstenliebe und Güte vollbracht? Hat er von Zeit zu Zeit bei gewissen Gelegenheiten einen Kampf geliefert? Oder hat er nicht vielmehr ohne Unterlass, Tag und Nacht, gekämpft, um den Willen Gottes über seinen eigenen herrschen zu lassen? … Diese Entschlossenheit beherrschte sein ganzes Leben, wie es das unsere beherrschen sollte. Das müsste unser Stein in der Wüste sein, der Stein des Zeugnisses, den die Patriarchen aufrichten als Zeugnis ihres Glaubens, ihrer Hoffnung und ihres Gehorsams gegenüber Gott.

Darum wollen wir Gott bitten:

„Oh Jesus, Du, der der Starke, der Mächtige, der Löwe Israels genannt wird, lege in unser Herz einen unbeugsamen Willen, der sich dir in jedem Augenblick ergibt, um alles, was mir begegnet, zu ertragen. ‚Stellae vocati sunt et dixerunt: Adsumus.‘ (Anm.: ‚Die Gestirne wurden gerufen und antworteten: da sind wir.‘)!“ Diese Gnade wird uns zuteil, wenn wir jetzt die Gelübde erneuern. Ihr bittet darum, und ihr erhaltet sie auch, dessen bin ich mir sicher! Amen.