3. Vortrag: Die Gelübde des Oblaten: Quelle seines Glücks.
Ich komme vom Wallfahrtsort Argenteuil, wo ich dem heiligsten Blut unseres Herrn, das über seinen Leibrock floss, meine Bitte vortrug. Ich habe ihn gebeten, er möge jedem von uns die Gnade, die Kraft, die ihm nottut, schenken, um das Werk zu vollbringen, zu dem wir gerufen sind. Natürlich gibt es in einer Gemeinschaft ein Auf und Ab, ein Hoch und Nieder. Die einen sind voller Mut, die anderen voller Schwierigkeiten. Ich bat daher das hl. Blut unseres Herrn, jedem von uns die notwendige Gnadenkraft zu geben. Ich bin wirklich gerührt über die Tatsache, dass unser Haus in St. Quen in der Nachbarschaft einer solch kostbaren Reliquie liegt. Als ich vor dem Altar betete, kam mir der Gedanke: „Aber ich stehe hier ja auch neben dem Blut des Herrn, so nah wie die seligste Jungfrau und der hl. Johannes auf dem Kalvarienberg.“ Josef Roussel schrieb mir, er habe, während er seine chemischen Experimente an den Blutkörperchen des Leibrocks vornahm, oft an mich und an die Oblaten gedacht… Ich wünsche darum sehr, das Gebet und der Gedanke des frommen Chemikers möge tief auf jeden von uns einwirken, und besonders auf den, der in diesem Augenblick am meisten der Hilfe bedarf. Meine Freunde, beten wir viel, haben wir einen tiefen Glauben: „Habete fidem Dei.“ (Anm.: „Glaubt an Gott.“)! Dieses Wort unseres Herrn möchte ich euch gern diesen Abend einschärfen: Habt Glauben an Gott!
Glauben wir an unser übernatürliches Glück. Wir Oblaten sollen es ja wie alle anderen Menschen besitzen. Glauben wir aber auch an unser irdisches Glück! Stehen denn unsere Gelübde dem zeitlichen Glück entgegen? O nein, meine Freunde, unsere Gelübde sind keine Ketten, keine Fesseln. Im Gegenteil, es sind reale Mittel zu unserem Glück. Wenn wir uns auf den Weg einlassen, der sich da öffnet, wenn wir die Gelübde recht verstehen, hat man in Wahrheit den Weg des wirklichen.
Was gibt es auf Erden Beglückenderes als die freiwillige Armut? Die Fröhlichkeit der Kapuziner ist sprichwörtlich. Und alle Orden, die die Abtötung üben! Sind es nicht auch genau jene, bei denen man am meisten seelische Beschwingtheit und Fröhlichkeit feststellt? Und warum das? Weil Gott, meine Freunde, ein guter Vater ist. Ihr verzichtet ihm zulieb auf eine legitime Befriedigung, auf ein Anrecht. Dafür, und um euch zu belohnen, gewährt er euch eine Freude, die vielfach dem vorzuziehen ist, was ihr ihm opfert. In meiner langen Erfahrung, die schon so weit zurückreicht, habe ich immer erlebt, dass der Ordensmann, der die Armut liebt, mehr Freuden und Tröstungen genießt als jene, die sich hierin als weniger treu erweisen. Der hl. Franz v. Assisi gebraucht reizende Vergleiche, um zu zeigen, dass in der Armut alle Garantien eines vollkommenen Glücks liegen. Er hat sich mit der hl. Armut vermählt. Alle Tage seines armen Lebens waren Tage der Hochzeit und des Glücks. Verstehen wir die Armut gut! Verzichten wir gern auf irgendetwas. Macht selbst die Erfahrung, dann werdet ihr erleben, welche Freude ihr erntet. „Beati pauperes.“ (Anm.: „Selig die Armen.“). Hier kann man ein Blatt Papier, dort eine Feder einsparen, oder ein Kleidungsstück sorgsam behandeln. Man kann in seiner Nahrung auf etwas verzichten: „Herr, ich bin arm, aber du warst es auch. Ich arbeite und mühe mich ab und spare, um meinen Lebensunterhalt zu gewinnen, du aber hast dein Brot im Schweiß seines Angesichtes verdient…“ Wollt ihr da nicht glauben, dass unter der rauen Schale und den Dornen der Armut eine köstliche Frucht verborgen ist? O doch, meine Freude, da steckt eine von auserlesener Saftigkeit darin.
Seid erfinderisch, um durch die Armut glücklich zu werden. Dann gleicht ihr dem Kind, das einfach und ohne Bedauern sich überwindet und abtötet und gehorcht, weil Vater und Mutter es so wünschen.
Glaubt nur nicht, Gott habe die Ordensfrauen dazu berufen, hienieden unglücklich zu werden! Soll das aber heißen, wir hätten nichts zu leiden? Gewiss haben wir zu leiden, aber im Grund wenig. Was Gott uns seinerseits schenkt, ist um vieles besser und macht uns umso glücklicher. Lest nach im „Leben der Guten Mutter“, was da steht über die Armut und was Gott als Lohn für die kleinen Opfer zurückgab. Ja, das sind keine Einbildungen, sondern Tatsachen, Tatsachen eines ganzen Lebens. Soviel über das Glück der Armut…
Nun zum Glück des Gehorsams.
Wenn man ein wahrhaft gehorsamer und entschlossener Ordensmann sein will, wenn man sich sagt: „Ich habe das Gehorsamsgelübde abgelegt, darum unterwerfe ich mich, koste es, was es wolle.“ Wenn ihr in allen Umständen eures Lebens zu euch sprecht: „Ich habe es versprochen, ich will es halten…“ glaubt ihr dann nicht, dass man sich tausendfach glücklicher fühlt als wenn man bedingungslos seinem eigenen Willen folgt? Mein ihr, man sei nicht viel freier und gelöster von allen Fesseln? Oder spielt man da etwa die Rolle einer toten Maschine? Nein, wenn ihr gehorcht, fühlt ihr euch ganz gewiss freier. Ihr kämpft ja gegen das eigene Wollen, dessen launischem und ichsüchtigem Joch ihr euch nicht ausliefern wollt. Das heißt gerade überwinden und besiegen. Oder ist dies etwa ein minderwertiger Gebrauch eurer Willenskraft? Nein, es bedarf größerer Energie, Festigkeit und Durchhaltevermögens zum Akt des Gehorsams. Das kann also keine Erniedrigung des Charakters und der menschlichen Würde bedeuten. Welche Ruhe und Entspannung kommt doch über uns, wenn wir gehorcht haben! Und darin besteht die wahre Übung des Gehorsams: „Vir oboediens loquetur victorias.“ (Anm.: „Der Gehorsame wird von Siegen sprechen.“). Sieg aber bedeutet hier Glück. Was gibt es für den Sieger Ehrenvolleres als eben den Sieg? Oder ist das eine Utopie? Versucht es selbst und macht euch daran, dann werdet ihr sehen, welchen Vorschuss an Glück ihr erfahren werdet. Ihr bleibt von all den Schwierigkeiten, Plackereien und Verdrießlichkeiten verschont, die gewöhnlich die Verwirklichung des Eigenwillens begleiten. Versprechen wir darum den Herrgott, uns seinem Willen unter-ordnen zu wollen.
Soll ich noch einen anderen Beweggrund nennen? Nun, die Verwirklichung des inneren Menschen, der nach Christus geformt ist! Ist Christus nicht Vorbild des Gehorsams, das wir in uns ausgestalten sollen? Durch Gehorchen sind wir in Gemeinschaft mit Jesus Christus, befinden uns in direkter und intimer Gemeinschaft mit ihm… Welch ein großes Glück also, der Gehorsam!
Zu guter Letzt das Glück der Keuschheit.
Ich habe mich immer gefragt, warum das junge Mädchen im Allgemeinen liebenswürdiger, anmutiger, frömmer und opfermütiger ist als der Jüngling. Nach einiger Zeit der Ehe aber blüht die Blume nicht mehr so frisch und duftig, ist sie nicht mehr dieselbe… „Beati mundo corde quoniam ipsi Deum videbunt.“ (Anm.: „Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.“). Die „ipsi“ sind eben die Reinen und nur sie allein, die Gott schauen werden. Im Himmel? Gewiss, aber sie schauen bereits auf Erden Gott in seinen Fügungen und Zulassungen, in seinem Wohlgefallen. Wie schön ist es, Gott in allem zu sehen. Das hilft bei der Arbeit, bei den Schwierigkeiten, den Heimsuchungen. Und es ist die Keuschheit, der wir diese Gnade verdanken.
Die hl. Keuschheit ist von unseren Satzungen genau umrissen: Keuschheit in unseren Worten, unseren Gedanken. Wenn die Reinheit Glück bedeutet, dann bedeutet das Laster, die Sinnlichkeit Unglück, für den Priester und Ordensmann aber im Besonderen. Das ist der bodenlose Abgrund, zwar nicht ein Abgrund ohne Hoffnung… Aber wie tief ist er und wie schwer, sich da herauszuarbeiten, wenn der Fuß bereits den Eingang zur Hölle berührt! Das wahre Glück setzt somit Kampf voraus, den Kampf gegen die Versuchung. Wie bereits gesagt, habt keine Furcht vor der Auseinandersetzung, und habt ihr Gott euren guten und starken Willen bewiesen, kann er euch nichts mehr verweigern, weder zu euren noch der anderen Gunsten. Später, wenn eure Erfahrung gewachsen ist, werdet ihr erkennen, dass die großen Tugenden ihre Quelle gerade in der Heftigkeit der siegreich überwundenen Versuchungen haben. Warum wurde der hl. Paulus ein so großer Apostel? Aus eben diesem Grund. Dreimal bat er den Herrn, ihm solche Heimsuchungen zu ersparen, und dreimal hörte er als Antwort Gottes: „Sufficit tibi gratia mea“ (Anm.: „Meine Gnade genügt Dir.“). Ein Irrtum also zu glauben, die Versuchung bedeute den Untergang. Betrachtet die Ankerwinden, welche gewaltigen Massen sie hochhieven, sie von der Erde bis zum Giebel des Baues heben. Würde man diese Hilfsmittel nicht gebrauchen, bliebe der Steinblock unbenutzt im Grund des Steinbruchs liegen.
Das also bedeutet Versuchung gegen die hl. Reinheit. Da brauche ich nicht erst lange das Glück zu erläutern, das uns aus diesem Gelübde zuströmt. Hört nur, was der hl. Paulus sagt: „Superabundo gaudio…“ (Anm.: „Ich ströme vor Glück.“). Bis zum dritten Himmel wird er verzückt, nachdem er seine Versuchungen überwunden hat. Das ist also die Lehre der Kirche. Welch eine unerschöpfliche Quelle von natürlichem und übernatürlichem Glück, dieses Gelübde! Es verschafft uns die Anschauung Gottes, erhebt unsere Seele, erweitert sie, bereitet sie, die göttliche Offenbarung zu empfangen. Nie begegnete ich einer starken und kraftvollen Seele, die keine Kämpfe zu bestehen, die sich nicht energisch gegen solch mächtige Angriffe zu verteidigen hatte. Dieses Gelübde muss uns darum besonders teuer sein, weil wir in ihm Energie, Glück und Freude finden.
Das also sind unsere Gelübde. Meine Freunde, merkt euch gut diese Theologie. Und wendet sie an bei der Beichte und Predigt, und lehrt sie auch andere. Wenn man das Gelübde der Keuschheit als eine Akt rigoroser Bußstrenge und das Ordensleben voll Bitterkeit hinstellt, dann entspricht das nicht der Wahrheit… Man täuscht sich. Das trifft höchstens zu, wenn man die Gelübde ablegt und sie nicht halten will… Das trifft ein, wenn man sich der „sacrina“, der drückenden Kiepe, die auf unserem Rücken lastet, entledigen will und dann dennoch durch die enge Pforte durchschlüpfen möchte. In diesem Fall verwundet ihr eure Schultern. Wer so von Gelübden spricht, hat vorausgesetzt, dass man von sich selbst gar nicht loskommen will. Natürlich will ich hiermit nicht behaupten, man müsse keine Anstrengungen, und sogar große machen… Was ich sagen will, ist dies: Wenn der Kampf schwierig scheint für die Natur, wenn er über die Kräfte der Natur zu gehen scheint, dann muss man mit der Guten Mutter sagen: „Ich habe ja einen Erlöser… Ich rufe ihn an, und mit ihm bin ich sicher, ans Ziel zu gelangen.“
Predigt diese Lehre und damit die Seelen. Mindert oder zerstört das die Tugend der Abtötung, die Bußstrenge? Bestimmt nicht. Wenn man fasten muss, und ist dazu fähig, dann tut man es auch. Kann man Bußübungen vollbringen, wenn die Gnade, der Gehorsam oder die Notwendigkeit uns welche auferlegen, so nimmt man sie mit Freude an. Dann sind sie keine Last und kein Gewicht mehr: „Amans currit, volat, laetatur“, sagt das Buch der Nachfolge Christi. D.h. der Liebende läuft und fliegt und freut sich. Er leidet ja liebend gern mit dem und für den, den er liebt.
Um diese Lehre zu verstehen und unsere Exerzitien gut zu halten, wollen wir die Gute Mutter bitten, uns den Sinn unserer Ordensgelübde zu erschließen. Erbitten wir die Einsicht dafür auch vom heiligsten Blut unseres Erlösers, dessen kostbare Reliquie wir so nahe bei uns haben (Argenteuil).