Exerzitienvorträge 1896 (September)

      

8. Vortrag: Oblatenleben.

Am Ende der Exerzitien müssten wir, meine Freunde, eine richtige Vorstellung vom Oblaten haben, müssten begriffen haben, dass unsere Berufung darin besteht, nicht nach unserer Natur zu leben. Wird man denn Trappist oder Kartäuser, um nach seiner Natur zu leben? Das Ordensleben ist ein Leben des Kampfes, der Buße, des Opfers. So muss folglich auch das Leben des Oblaten seinen Anteil an den Leiden und Verdiensten unseres Herrn aufweisen. „Zu diesem Zweck“, sagte die Gute Mutter, „ist es aber erforderlich, dass alle Opfer angenommen und verstanden werden.“

Betrachtet zuerst das äußere Leben des Oblaten: Ihr seid von sehr vielen Sorgen und Armseligkeiten anderer bewahrt. Der arme Landpfarrer muss bezüglich seines Essens viel kalkulieren, und das nicht nach seinem Hunger, sondern nach seinem Geldbeutel. Er muss auskommen mit einer kleinen, ungenügenden Summe, die man ihm jedes Jahr genehmigt. Das ist ein Leben ständiger Verzichte, da er nichts als ein erbärmliches „Gehalt“, einiger armselige Messstipendien und magere und unsichere Stolgebühren. Er muss Nahrung, Wäsche, Kleidung und Köchin bezahlen, soll auch noch den Armen Almosen geben… Da ist alles gut zu überlegen. Hat der Priester kein persönliches Eigentum, fragt man sich, wie er da durchkommt. Ich hörte nicht wenige sagen: „Wir haben nicht zu jeder Mahlzeit Fleisch, auch nicht jeden Tag, sondern begnügen uns mit Brot und Gemüse…“ Der Bischof sagte mir unlängst: „Das ist ein Problem für mich, wie die armen Pfarrer ein Gläschen Wein zur Mahlzeit bekommen können. In Punkto Abtötung sind sie also mehr Ordensleute als wir.“

Dann gibt es da noch andere Sorgen: Die Rechnungen der Lieferanten begleichen, die Konfratres empfangen, wenn die Reihe des Konveniats an einem ist. Den Bischof zur Visitation zu empfangen, etc. Wie all die fälligen Schulden bezahlen? Ein guter Pfarrer sagte mir: „Ihr seid Ordensleute und haltet euch vielleicht für heiliger und ärmer als uns. Ihr steht aber tief unter uns“, fügte er spaßhalber hinzu. „Kommen Sie nur in unsere Pfarrhäuser, dann sehen Sie, ob unsere Armut nicht zehnmal größer ist als die eure, denen ja nichts abgeht.“

Nein, meine Freunde, wir haben nicht dieselben Mühsale, Lasten, und Sorgen zu tragen. Unsere Nahrung wird uns auf den Tisch gestellt, ohne dass wir kalkulieren müssen, ob wir das Jahr auskommen werden. Wir dürfen uns durchaus mit den Lilien des Feldes vergleichen, die nicht spinnen und weben und doch von Gott mit Glanz umkleidet werden: „Non laborant neque nent…“ (Anm.: „Sie arbeiten nicht, sie spinnen nicht…“). Auch den Vögeln des Himmels können wir uns an die Seite stellen, die nicht ernten und ihre Scheuern sammeln und die der himmlische Vater doch nährt: „Respicite volatilia coeli quoniam non serunt neque metunt neque congregant in horrea et pater coelestis pascit illa.“ (Anm.: „Betrachtet die Vögel des Himmels, sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in Scheunen, euer himmlischer Vater ernährt sie.“)… Seien wir also dankbar für all das und schätzen wir unsere Berufung richtig ein.

Betrachten wir jetzt einmal unsere Seele. Wie kommt es, dass selbst ein Paulus wie alle Heiligen sagten: „Ne forte cum alliis praedicaverim, ipse reprobus efficiar.“ (Anm.: „Damit ich nicht, während ich anderen gepredigt habe, selber verworfen werde.“). Und der fromme Autor des Briefes des Predigers sagt: „Niemand weiß, ob er des Hasses oder der Liebe würdig ist.“  „Nescit homo utrum amore an odio dignus sit.“

Zweifellos müssen wir solche Gesinnung der Furcht und der Demut hegen, sollen uns freilich auch zum Vertrauen erheben wegen der Sicherheiten, die uns der hl. Stifter gibt. Wenden wir unsere ganze Sorgfalt auf die Vereinigung unseres Herzens mit Gott durch das Direktorium, dann darf uns das als sicheres Unterpfand des Himmels gelten. Haltet darum gut euer Direktorium. Dann macht ihr euch würdig der Berufung, die euch geschenkt wurde, und aufgrund dieses Direktoriums handelt und gehorcht ihr in der ganzen Ausdehnung des göttlichen Willens.

Pater Deshairs war mit mir, als der Papst mir sagte: „Ich, der Papst, sende euch aus! Jeder, der mit euch arbeitet, erfüllt persönlich den Willen Gottes…“ Das stellt etwas dar, dieses Wort des Papstes, und das ist etwas Großes, wenn man sicher ist, persönlich den Willen Gottes zu erfüllen in allem, was man unternimmt.

Erfüllt also euren klösterlichen Gehorsam, dann seid ihr sicher, den Willen Gottes ebenso vollkommen und heilig zu tun wie nur irgendein strenge und heiliger Orden ihn tut. Sagte der hl. Bernard nicht zu seinen Mönchen: „Die Clara Vallis ist die Pforte des Himmels. Hört ihr nicht die himmlischen Melodien. Die Seligen, eure Brüder, die euch zurufen?“ Und ich versichere euch ebenfalls: Ihr seid in der Vorhalle des Paradieses, diese Gewissheit verleiht uns unsere Oblatenberufung.

Was die Schwierigkeit anbetrifft, kostet der Gehorsam etwa einen Kaplan oder Pfarrer nicht mehr als uns? Da schreien irgendwelche Frommen gegen den und jenen Priester, man erfindet Geschichten… Der Bischof lässt sich beeinflussen. Das bleibt ihm im Gedächtnis haften. Auch der Priesterrat ist nicht sehr nachsichtig. Die Mitbrüder sind weit davon entfernt, immer Wohlwollen zu zeigen. Der Dekan ist ein bisschen autoritär… Belastet das alles nicht schwerer als der Gehorsam? Euer Oberer handelt entsprechend seinem Amt und der Regel, die ihr gutwillig zu eurer Lebensregel erkoren habt. Nicht weil er euer Haupt ist, befiehlt er, sondern weil er dafür eine Sendung von Gott empfangen hat.

Ferner habt ihr ein unabhängiges Seelsorgeamt. Ihr seid nicht abhängig vom Bürgermeister, vom Gemeinderat, von einer mehr oder weniger feindseligen Bevölkerung, von der kaum ein Zwanzigstel, vielleicht kaum ein Hundertstel für ihren Pastor einsteht. Ihr habt keine Ungerechtigkeiten und Falschheiten zu fürchten. Seht also die Stellung richtig, in die Gott euch berufen hat! Sehen wir sie so, wie sie ist, nicht wie unsere Phantasie sie uns vorstellt: Glauben wir nicht, anderswo fänden wir uns besser zu recht. Unsere Lebensweise entbehre der Freude und des Glücks. Das wäre ein großer Irrtum. „Si scires donum Dei et quis est qui dicit tibi: Da mihi bibere!“  (Anm. : „Wenn Du doch die Gabe Gottes känntest und wer der ist, der zu Dir sagt: Gib mir zu trinken!“). Dass ihr es doch begriffet, wer der ist, der euch bittet, auf ihn zu hören, und ihm zu gewähren, was er wünscht! …

Haltet euch also treu an das Direktorium: „Gustate et videte quam suavis est Dominus.“ (Anm.: „Kostet und seht, wie süß der Herr schmeckt.“). Da fließt für unsere Seele ein Quell, reichlicher und angenehmer als irgendwo anders. In unserem Leben des Apostolates oder der Erziehung unterstützen wir und arbeiten wir mit den Mysterien der Herzen und Seelen, an der Erlösung der Auserwählten des Herrn.

Unser Direktorium eint uns aufs Innigste dem Erlöser, um die Geheimnisse der Erlösung zu vollbringen. Seht nur, ob sich damit etwas vergleichen lässt. Darum richtet der Heiland auch an uns jenes Wort, das er zur Samariterin gesprochen hat: „Si scires donum Dei.“ (Anm.: „Wenn du auch die Gabe Gottes känntest…“).

O mein Erlöser, rede zu mir wie einst zur Samariterin. Lass mich fühlen, dass Du Geist und Leben bist. Dann hätte ich, indem ich meine ganze Aufrichtigkeit und meine Kräfte in Deinen Dienst stelle, Licht und Gnade…

Das ist es, was Seelen anzieht und Heilige schafft. Und all das steht in eurer Möglichkeit. Betet, dass Gott uns allen die Kenntnis der Größe unserer Berufung schenke. „Vias tuas demonstra mihi et semitas tuas edoce me.“ (Anm.: „Zeige mir Deine Wege und lehre mich Deine Pfade.“). Amen.