6. Vortrag: Die Seelsorgewerke der Oblaten.
Nachdem wir über die innere Einstellung des Oblaten gesprochen haben, müssen wir diese Prinzipien auf die verschiedenen Funktionen des Oblatenlebens anwenden: Kollegien, Seelenführung, Jugendheime, Missionen… Wir müssen unsere eigene Art vorzugehen haben. Wenn wir über nichts Eigenes verfügen, sind wir überflüssig. Wenn unsere Mittel genau dieselben sind wie die der anderen, wenn unsere Erziehungsmethoden sich nicht von denen der anderen unterscheiden, haben wir keine Daseinsberechtigung. Wenn schon kein spezielles Arbeitsgebiet eigen ist, was wollen wir dann schon? Wir sind nicht Arbeiter der ersten Stunde, noch solche der letzten Stunde… somit unnütze Tagelöhner auf dem Acker des Familienvaters.
Das entspräche aber nicht dem Gedanken der Kirche noch dem des Hl. Vaters wie der Guten Mutter. Unsere Satzungen stellen uns an die Seite der anderen großen Orden. In Rom hat man Vertrauen in unsere Sendung. Man hofft, und das hat man uns in Rom von verschiedenen Seiten bestätigt, dass diese neue Pflanze im Garten der Kirche Früchte hervorbringen wird. Welches ist also unsere neue Sicht?
Was wir in unseren Kollegien und Jugendwerken vor allem und ausschließlich wollen, ist, uns um die Rettung der Seelen zu mühen und sie für Gott zu gewinnen. Uns zu bemühen, in ihre Seelen den Keim der Tugend und Heiligkeit zu legen, denn Heiligkeit geziemt Gläubigen, allen Christen.
Aus diesem Grunde bin ich nicht überrascht über die verschiedenen schwierigen Phasen, durch die mehrere unserer Kollegien gehen mussten. Die große Zahl von Schülern ist nicht wesentlich. Wenn wir 100 Schüler haben und davon 50 retten, dann ist das besser als 10 von 600 in Glaube und Sitte zu bewahren. Wollen wir denn in erster Linie für den guten Ruf unserer Kollegien besorgt sein, um ihnen in der öffentlichen Meinung Ansehen zu verschaffen? Dann hätten wir wohl nicht den Segen Gottes… Dieses Denken wäre kleinlich und schäbig. Darum noch einmal: Unser erstes und vornehmstes Ziel ist die Heiligung der Seelen unserer Schüler. Soll das heißen, dass wir darin immer Erfolg haben? Dass es uns gelingt, wenigstens den Großteil von ihnen treu im Glauben und unerschütterlich im Praktizieren ihrer religiösen Pflichten ohne Versagen zu erhalten? Das leider nicht. Aber wenigstens haben sie gut begonnen, und es bleibt ihnen ihr ganzes Leben ein Grundstock ihrer christlichen Erziehung haften. Sie werden keine Sektierer, Gotteslästerer und Feinde Gottes, sie werden nie weit vom rechten Weg abirren, und vor ihrer letzten Stunden werden sie, das hoffen wir, zu Gott zurückfinden.
Ich bin eurer Gründer. Als ich den Orden gründete, wollte ich nichts anderes. Und genau von diesem Prinzip müssen wir ausgehen, bei allem, was wir tun.
Wie aber sollen wir diese Seelen retten? Dazu ist es notwendig und ausreichend, dass wir gute Ordensleute sind, die beständig ihre Ordensregel leben. Alle hierzu notwendigen Mittel und Wege sind in unseren Regeln und Satzungen angegeben. In jedem Haus gibt es einen Oberen, der für die Einhaltung dieser Satzungen verantwortlich ist. Er ist und bleibt die Stimme Gottes… „Aber“, werdet ihr mir entgegenhalten, „der Obere versteht in der Sache nicht so viel wie ich.“ Vielleicht habt ihr recht. Seid dennoch versichert, der Obere irrt nicht in dem Gehorsam, den er erteilt. Und mit seiner Anweisung seid ihr immer stark, selbst wenn sie menschlich gesprochen etwas verkehrt wäre… Ihr jedenfalls habt mehr Erfolg, wenn ihr dieses Mittel jedem anderen, das ihr noch so bewundernswert ausgedacht habt, vorzieht. Das ist die Lehre der Heiligen…
Würden wir dieser Lehre der Heiligen folgen, dann versichere ich euch, dass wir gute und glückliche Ordensleute wären. Ich habe das vierzig Jahre lang in der Heimsuchung beobachten können. Da herrschte ein absoluter, uneingeschränkter Gehorsam. Die vorgeschriebenen Mittel waren vielleicht menschlich gesprochen nicht immer die Besten, das Ziel aber wurde immer erreicht, weil der Segen Gottes jederzeit auf diesen gehorsamen Seelen ruhte. An dem Tag, wo auch ihr, meine Freunde, so handelt, wird die Kongregation stark sein, unsere Kollegien blühend in dem Sinn, den ich euch aufgezeigt habe. Und da die Vollkommenheit anziehend wirkt, werden die guten Schüler, die ihr habt, andere herbeiziehen, und ihr werdet euch des allgemeinen Vertrauens und Hochachtung erfreuen.
Ihr seid Präfekten. Haltet diese Aufsicht im Geist des Gebets. Ich denke gern an einen vortrefflichen Christen zurück, Herrn Chapelle, der Pensionatsleiter war. Er glaubte zwar, praktizierte aber nicht. Als er eines abends im Schlafsaal Aufsicht führte, sagte er sich: „Ich habe die Sendung, diese Kinder zu erziehen. Ich erhelle ihren Verstand, indem ich sie unterrichte. Ich überwache ihre Sitten. Aber genügt das? Ich müsste doch mehr Einfluss auf ihre Seelen und Willen haben. Allein kann ich das alles aber nicht… Aus mir besitze ich diese Ausstrahlung nicht.“ Da ging er zur Beichte und zur Kommunion. Und er machte es sich zur Gewohnheit, häufig zu kommunizieren, und fast ununterbrochen für seine Schüler zu beten. Und er sagte mir: „Welch schöne Mission ihr Ordensleute doch habt! Bei der hl. Messe, beim Gedächtnis der Lebenden, wenn ihr die hl. Hostie in Händen haltet, immer betet ihr für eure Kinder. So erlangt ihr für sie die Weisheit und den guten Willen, um den ihr für sie Gott bittet!“
Vergesst sie nie, meine Freunde, diese eure Pflicht, die ein unfehlbares Mittel ist, die Seelen zu gewinnen. Wenn ihr es gebraucht, versichere ich euch, dass ihr eure Kinder rettet. Die Gute Mutter kannte dieses Mittel des Gebetes gut. Alle jungen Mädchen, die in der Heimsuchung zurzeit der Guten Mutter lebten, wurden vom Bösen bewahrt, außer, meines Wissens, drei: Zwei kehrten aber später zum Guten zurück. Wem verdanken sie das? Der liebenden Sorge der Lehrerinnen, aber auch an erster Stelle der Wirksamkeit der Gebete der Guten Mutter und ihrer Mitarbeiterinnen.
An dieses große Mittel heißt es sich immer erinnern! Ich wünsche, dass es in allen unseren Häusern heißt: Kein Kolleg ohne diese Voraussetzung! Sagt zu euch wie Herr Chapelle: „Ich muss die Seelen meiner Schüler gewinnen.“ Das ist ein Akt der göttlichen Liebe. Hegt bei euren Aufsichten stets diese Absicht, die Seelen all eurer Schüler und jungen Menschen für Gott zu gewinnen.
Gebt euren Unterricht in dieser Absicht. Nie fehlte mir diese Absicht, als ich nicht Professor im Großen Seminar von Troyes war. Alle meine Schüler wurden vortreffliche Menschen, natürlich nicht aufgrund meiner persönlichen Gebete. Der nächstbeste hätte es viel besser gemacht als ich. Ich bin aber davon überzeugt, dass der Erfolg vom Gebet herrührte… Angenommen, ihr habt es mit einem lasterhaften Temperament zu tun bei euren Schülern. Nicht schlägt an. Wer wird da das „fiat lux“ (Anm.: „Es werde Licht!“) bewirken? Ihr nicht, sondern allein Gott. Wenn ihr Gott nicht einbezieht in dieses Unternehmen, was schaut da schon heraus? Die Arbeit eines Tagelöhners, eines Sklaven. Große Klugheit tut dem Lehrer und Erzieher not zur Heranbildung von Kindern… Es bedarf aber auch des Verzichtes und des Gehorsams. Befolgt im religiösen Gehorsam euer Studienprogramm und die Methode, die man euch angegeben hat. Dem Programm gebührt die gleiche Achtung wie dem Direktorium und den Satzungen, auch wenn ihr andere Lernvorstellungen habt. Unterwerft euch, dann habt ihr Erfolg.
Als ich St. Bernard gründete, befragte ich Herrn Vignes. Ich setzte ihm meine Pläne auseinander und nannte ihm meine Mittel und Möglichkeiten. „Sie befragen mich als Bankier und Geschäftsmann. Unter diesem Gesichtspunkt ist Ihr Unternehmen eine Torheit. Doch als Christ sage ich Ihnen: Tun Sie das, und Sie werden Erfolg haben, weil Sie Gott gehorchen, Gott, der dieses von Ihnen will…“ „Gut“, sage ich mir, „ich werde Erfolg haben, weil ich mich nach dem Gehorsam richte, den Gott mir durch die Vermittlung der Guten Mutter gegeben hat. Gott wird bei mir sein. Von jetzt an will ich jedes Mal, wenn dieser Gehorsam sich meldet, Gott anrufen und bin dann sicher, seine Hilfe zu erhalten.“ Auch für euch, meine Freunde, gilt: Immer, wenn ihr euch innerhalb eurer Pflicht, und der Grenzen eures Gehorsams befindet, egal, um was es geht, ruft Gott an und er kommt euch zu Hilfe.
Haltet euren Unterricht mit dem Herzen. Legt ihr nicht das Herz in eure Arbeit, dann seid ihr wie ein schwankender Balken inmitten eines Teiches. Sind eure Schüler bösartig, legt euer ganzes Herz darein, um sie gut zu machen. Sind sie gut, dann müht euch weiter, sie noch besser zu machen. Sind sie borniert, setzt euer ganzes Herz daran, sie einsichtig zu machen. Das ist aber schwer, werdet ihr mir sagen. Ihr müsst nur Einheit und Liebe pflegen! Müssen wir nicht an das Evangelium glauben: Wo zwei von euch übereinstimmen… „De omni re quacumque petierint, fiet illis.“ (Anm.: „In welcher Sache auch immer sie einig sind, es wird ihnen geschehen.“). „De quacumque re.“ (Anm.: „In welcher Sache auch immer…“), hört ihr das? Der Obere, der das Studienprogramm, die Leitung, die euch zuteilwird, das sind die Punkte, über die ihr übereinstimmen müsst. Und ich sage euch mit dem Evangelium, diese Übereinstimmung wird auf euch unseren Herrn herabziehen. Wenn die Oblaten des hl. Franz v. Sales dieser Lehre nicht Glauben schenken und davon nicht profitieren, wer soll es sonst tun? Nehmen wir das ernsthaft und im religiösen Geist auf!
Diese Dinge bezüglich der Lehre seien euch heilig! Rührt nicht daran auf eine menschliche Weise, nicht durch gelegentliche geistreiche Bemerkungen, die aber stets der Liebe entbehren. Ich denke da an einen Mitschüler, der sich umgestellt hatte und fromm geworden war. Ich ließ einmal gegen ihn ein etwas boshaftes Wort entschlüpfen und er wurde auf der Stelle von meinem Lehrer gerügt. „Nichts ist so schlecht wie das“, sagte er mir. Eine Bemerkung, ein Lächeln kann in der Seele die Gnade angreifen und eine verheerende Wirkung hervorrufen… Die Autorität des Oberen möge respektiert werden. Er braucht das. Man möge auf seine Gedanken eingehen und ihn lieben. Wie peinlich, meine Freunde, wenn niemand uns zu Hilfe kommt. Es ist ein Akt großer Nächstenliebe, wenn man ihn unterstützt.
Wenn wir all das nicht bedenken, bleiben wir unbedeutende Menschen, die nichts Gutes schaffen. Habt Mut! Möge jeder all dessen eingedenk sein und sich vornehmen, auf dem angegebenen Weg voranzugehen. Dann werdet ihr erleben, dass Gott uns weit über unsere Hoffnung hinaus seine Gaben zuteilen wird.