1. Vortrag: Exerzitien und Direktorium
Liebe Freunde, machen wir die Exerzitien gut. Jedermann braucht Exerzitien, Priester, Ordensleute, Oblaten vor allem, weil unser ganz innerliches Leben andererseits auch ganz nach außen dringen muss durch eine unablässige Übung der Nächstenliebe. Darum heißt es für uns, alle Vorkehrungen zu treffen, innerlich wie äußerlich, um unser Ziel zu erreichen, das darin besteht, vollkommene Ordensleute zu werden.
Exerzitien bedeuten für uns nicht genau dasselbe, wie viele gute Priester und Ordensleute es lehren, und praktizieren. Man macht da lange Übungen und ausgedehnte Betrachtungen. Ich gebe zu, dass dies stark auf die Einbildungskraft wirkt: Der Geist wird gepackt und die Überzeugungen scheinen so viel tiefer zu gehen… Exerzitien bringen in solchen Seelen starke Erschütterungen hervor, treiben zu schönen Handlungen an, zu großmütigen, ja heldenmütigen Entschlüssen. Ich bin darum weit davon entfernt, meine Freunde, Einkehrtage unter solchen Bedingungen zu tadeln. Sie bewirken eine momentane Erschütterung, die aber nicht immer religiösen Geist einimpft. Es ist ein Platzregen, der nicht dahin gelangt, die Erde zu durchtränken wie es ein langsamer und sanfter Landregen tut, dessen Wirkung sich aber noch lange fühlbar macht.
Unsere Exerzitien erscheinen auf den ersten Blick nicht von solchen Vorbereitungen, soviel Aufwand, und äußeren Mitteln umgeben. Werden sie aber gut und unkompliziert gemacht, spornen auch sie die Seelen an und lenken in eine Richtung, die bleibt und die nur die Fortsetzung des ersten Anstoßes und Auftriebs ist.
Wie kommen wir, liebe Freunde, zu solch einem Resultat? Durch eine große Treue zur Tagesordnung, durch eine bedingungslose Pünktlichkeit und eine strenge Beobachtung des Direktoriums. Haltet Tage der Treue! So bildet sich eine Gewohnheit heraus, die ihr nachher nur fortzuführen braucht. Und auf diese Weise zieht ihr große Gnadenhilfen auf euch herab. Im Äußeren also nicht das kleinste Wort, nicht den geringsten Verstoß, und im Inneren alle Gedanken dem Direktorium, der Heiligung der Stunde, der Guten Meinung, den Gedanken des Stillschweigens, den Übungen des Refektoriums…
Was ich euch in diesen Exerzitientagen vortrage, wird euch sicher bestärken und erleuchten… Ihr kennt aber bereits all eure Pflichten im Einzelnen. Hauptsache ist es, immer bereit zu sein für die Gnaden Gottes.
Wir sind sicher alle gute Menschen, gute Priester, gute Ordensleute. Wir gehören zur Priesterschaft der Kirche und gereichen ihr nicht zur Unehre. Man kann uns sicher, was das Äußere betrifft, keine berufsbezogenen Vorwürfe machen. Sind wir aber auch wirklich gute Ordensleute? Jeder nehme sein Direktorium zur Hand und frage sich: Trage ich dieses kleine Büchlein auch in meinem Herzen? In meinem Willen? Beseelt mich der Geist der hl. Regel? Prägt all das, was da empfohlen wird, mein Tun? Liegen die Absichten, die da angeraten werden, meinem Handeln zugrunde? Ist im Endeffekt mein Ordensleben nur der Ausdruck des Direktoriums?
Man sagt, wenn man eine Heimsuchungsschwester gesehen hat, sieht man alle, in Troyes, in Rom, Paris, überall… Das bewirkt das Direktorium. Man sagte mir am Anfang unseres Institutes: Sieht man einen Oblaten, dann sieht man alle. Das sagten Bischöfe und herausragende Priester. Heute hört man das kaum mehr. Sollte die klösterliche Note sich heute weniger fühlbar machen? Gewiss, meine Freunde, wir sind nicht schlecht. Aber unsere persönliche Ausstrahlung nach draußen ist nicht mehr die von Ordensleuten… Darum tun wir gut daran, unser Gewissen zu erforschen. Die Einkehrtage sollten uns bestimmen, endlich das zu werden, was wir sein sollen. Wir müssen doch ein wahrhaft religiöses Gepräge an uns tragen, was manchen von uns abgeht.
Wie sollen wir das bewerkstelligen?
Mithilfe des Direktoriums, treu und komplett geübt.
Was hat den hl. Franz v. Sales hervorgebracht? Die Gute Mutter Maria Salesia? Die heiligmäßigen Priester, die die Gute Mutter gekannt und von ihren Ratschlägen profitiert haben? Nur dieses kleine Büchlein. Nehmt den unser Patres, den ihr gern nachahmen möchtet, den ihr am meisten sympathisch findet und dem ihr gleichen möchtet. Das Direktorium hat ihn doch so geprägt und verleiht ihm diesen Einfluss. Beginnen wir mit dem Anfang: Wer öffnet des Morgens seine Augen dem Licht des neuen Tages und öffnet sie gleichzeitig dem Licht der Gnade, indem er zu Gott sagt: Da bin ich, Herr, was soll ich tun, um Deinen hl. Willen zu erfüllen? „Hoc est enim omnis homo.“ (Anm.: „Das ist der ganze Mensch.“): Da stellt sich der ganze Mensch, der Ordensmann vor Gott hin, und das ist keine Kleinigkeit, Wenn ihr aufwacht, werft sogleich eure ganze Seele in Gott hinein, so wie ein kleines Kind sich in die Arme der Mutter stürzt.
Habt ihr Bedenken über euren Seelenzustand? Ist euer Gewissen unklar und verwirrt? War mein gestriges Tagewerk verfehlt? Warum dann nicht sprechen: Herr, verzeihe mir, hilf mit Deiner Gnade, dass der heutige Tag besser ausfällt… Wir sind doch die Kinder Gottes.- Warum denn nicht mit einem Herzensschrei zum Vater gehen? Tut das, meine Freunde, der erste Akt des Tages ist entscheidend.
Die Folge wird sein, dass ihr auch die Gedanken des Direktoriums beim Ankleiden nehmen werdet, dass ihr den „Engel des Herrn“ betet, wie es angegeben ist. Dass ihr euch zur Betrachtung bereitet und dass ihr, wenn ihr zur Betrachtung geht, nicht der streunenden Tochter Israel gleicht, die nicht Wahrheit und Einfachheit suchte, sondern Vater und Brüder verließ, und nach Sichem strebte, um das Abenteuer und vielleicht das Böse zu suchen…
Dann sollt ihr in religiösem Geist euer Bett machen. Aber das ist doch Sache der Hausangestellten! Sind wir denn nicht Knechte Gottes? Wie schön, Gottes Knecht zu sein! „Servire Deo regnare est.“ (Anm.: „Gott dienen heißt herrschen.“). Ihr dient doch Gott, wenn ihr eure Zelle in Ordnung bringt. Damit verrichtet ihr aber ein Werk, das des Himmels Lohn verdient. Begreift wohl, dass die Gnaden des Ordenslebens in den geringsten Handlungen der hl. Regel beschlossen liegen. Sie sind wie Sakramentalien, die die Gnade herabziehen in der gewöhnlichen Ordnung, d.h. wenn keine schweren Sünden die Seelen belasten.
Worin besteht denn unser Leben in der Ordnung der Natur? Hängt es nicht vom leichten Schlag unseres Herzens ab? Hört dieses Schlagen zufällig auf, tritt der Tod unmittelbar ein. Unser übernatürliches Leben weist aber verblüffende Ähnlichkeiten mit dem physischen Leben auf. Unterdrückt den Herzschlag und ihr seid tot. Vernachlässigt ihr die unablässige Hinkehr des Herzens zu Gott mithilfe des Direktoriums, dann seid ihr kein Oblate mehr, sondern ein recht kranker Christ. Löscht Gott aus eurem Leben und ihr seid tot. „Nomen habes quod vivis et mortuus est.“ (Anm.: „Du hast den Namen zu leben, bist aber tot.“)…
Ich betone das so stark, weil wir im Allgemeinen diese Wahrheit nicht hinreichend erfassen, dass wir, um wahre Ordensleute zu sein, dieses innerliche und übernatürliche Leben in uns tragen müssen, ohne welches wir verkümmern und sterben. Woher kommt es denn, dass unsere Werke nicht mehr Frucht bringen, dass wir so schwächlich und ohne starken Eifer und Hoffnung dahinleben? Der Grund ist doch, dass es uns an diesem kräftigen inneren Leben mangelt. Lasst uns darum das religiöse Leben gleich beim Aufstehen beginnen. Ich schärfe euch inständig ein, eure Seele dafür zu bereiten zu diesem Geist des Glaubens, der von der Wirkmächtigkeit der göttlichen Gnade für den Tag zutiefst überzeugt ist. Seien wir doch übernatürlich, dann wird unser ganzes Äußere zu dem, was es sein soll. Denn das Äußere kann nur die Offenbarung des Inneren sein. Gott ist es, der den Mittelpunkt unseres Herzens belebt, ihn am Brennen erhält, und ihm Wirksamkeit verleiht. Beginnen wir das Tagewerk mit Ihm, dann haben wir alles Notwendige…
Machen wir uns also ans Werk, meine Freunde, mit unserem ganzen Herzen. Es geht um das Heil vieler Menschen. Beklagenswerte Seelen! … Sie kommen vielleicht in die Hölle, weil wir keine genügend guten Ordensleute sind. Gewiss kommen sie nicht wegen uns in die Hölle, sondern wegen ihrer Sünden. Wären wir aber eifriger gewesen, dann hätten wir sie vor der Hölle bewahrt. Gott hatte sie mir zugewiesen, hatte sie meinen Händen anvertraut. Ich hätte sie auf den Wegen der Heiligkeit führen sollen, sie zum Himmel bringen müssen. Sie gingen zur Hölle, weil ich nicht zu beten, mich nicht zu mühen und für sie zu heiligen wusste. Schlechter Knecht! Man hatte mir ein Talent anvertraut, und ich habe es verloren. Im Großen Seminar kannte ich junge Kleriker, die im Augenblick der Weihen die Bedeutung und Verantwortlichkeiten der Lasten erkannten, die sie übernehmen sollten. Sie spürten, dass sie heilig sein mussten und zitterten vor ihrer Schwäche. Alle diese sind heiligmäßige Priester geworden, und hatten unvergleichliche Erfolge in der Seelsorge aufzuweisen. Ich kannte einen, der in eine schlechte Pfarrei geschickt wurde. Er hat sie bekehrt und in der Wahrheit und im Glauben 55 Jahre lang erhalten. Es lag dies an seiner persönlichen Heiligkeit. Er wiederholte im Grunde seines Priesterherzens, was unser Herr zu seinem Vater gesagt hat: „Keinen von denen, die du mir gegeben hast, habe ich verloren, außer dem Sohn des Verderbens. Dieser Erbärmliche hat sich gegen alle und aus eigenem Wollen in den ewigen Abgrund gestürzt…“