Exerzitienvorträge 1892

      

4. Vortrag: Die Gelübde

Wir haben Gott viel Dank zu sagen für unsere heilige Berufung, weil er uns äußere sichere und leichte Mittel schenkt, zur Heiligkeit zu gelangen. Jede Ordensregel gibt zweifellos Mittel an die Hand, heilig zu werden. Diese Regeln gleichen jedoch häufig Pfaden, die auf hohe Berge führen. Wenn man noch vor wenigen Jahren zur Großen Kartause wollte, musste man durch steile Felsen auf hohe Berggipfel steigen, und der Pfad war glitschig, schroff und sturmgepeitscht. Seitdem hat man eine befahrbare Straße dorthin angelegt. Vielleicht kann man eines Tages sogar mit der Bahn fahren. Früher kam man zur Großen Kartause am Ende seiner Kraft. Und verirrte sich man sich abends allein in den Bergen, kam man unweigerlich in den Abgründen ums Leben. Heute besteht keine Gefahr mehr, keine Strapazen. Der Weg ist nicht mehr mühselig, und man gelangt nur umso sicherer ans Ziel. Auch der Weg zum Himmel ist so, meine Freunde. Es besteht kein Zweifel, dass man sich bei den Oblaten leichter rettet als in den anderen Orden. Ich spreche hier ganz allgemein, da es selbstverständlich ist, dass auch auf anderen Wegen viele Ordensleute mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln schnell und sicher heilig werden. Was man aber von vielen sagen kann, gilt nicht für alle. Es gibt nicht wenige, die dem allgemeinen Lauf nicht zu folgen vermögen, und Pausen machen müssen, weil man zu schnell vorwärts stürmt auf einem allzu steilen Pfad. So bleiben sie zurück. Darum schulden wir Gott viel Dank. Unsere Abtötungen zermalmen uns nicht. Beruhen sie doch ganz und gar auf unserer Treue, dem Eingehen auf den Willen Gottes, auf unserer hl. Regel. Wir unterziehen uns keinen Kasteiungen, stürzen auch unseren Magen nicht in Schmerzen, sondern höchstens unseren Eigenwillen und unsere lasterhaften Neigungen. Und das ist verhältnismäßig leicht. In den anderen Orden gibt es Mitglieder, die wegen ihrer schwachen Gesundheit und der Strenge ihrer Regel und Observanzen ihr Ziel nicht erreichen können. Das ist bei uns anders. Ich sage euch das mit guten Gründen, nennt doch die hl. Kirche die Grundsätze des hl. Franz v. Sales eine „viam planam ac tutam.“ (Anm.: „Einen ebenen und sicheren Weg.“).

Ich füge hinzu, dass wir Gott sehr dafür zu danken haben, was er der Guten Mutter Maria Salesia damit gegeben hat. Sobald ihr ihre Lehre gut verstanden habt und das nachmachen konntet, was sie getan hat, werdet ihr begreifen, wie gut und angenehm es ist, Gott auf diese Art anzuhangen. Der Zustand, den der treue Oblate erreichen kann, ist sicher der Stand der Vollkommenheit und wirklichen Heiligkeit. Dieser Zustand ist von seinem Wesen her stabil und gesichert, weil die aufgewandte Kraft nicht heftig war und der Bogen nicht über seine Kraft hinaus gespannt wurde. Er wird folglich nicht zerbrechen, sondern zugleich hart und geschmeidig sein. Man hat seine Anforderungen an ihn nicht übertrieben. So kann man noch lange damit fortfahren und ein sehr großes Verdienst sammeln. Auch die Gute Mutter hat sich auf keine andere Weise geheiligt. Dafür müssen wir Got sehr dankbar sein. Unser Dank bestehe immer im treuen Halten der Gelübde.

1. Was bedeutet bei uns das Gelübde der Keuschheit? Nicht bloß jene Übung dieser Tugend, die darin besteht, auf die verbotenen und schlechten Genüsse zu verzichten, ja nicht einmal einen Gedanken dieser Art im Herzen zu dulden. Das ist erst die Hälfte des Gelübdes. Was den Kern dieses Gelübde ausmacht, seine praktische und positive Seite, ist, dass wir eingedenk sind, dass unser Herz für Gott und seine Liebe geschaffen ist. Die Liebe nimmt in uns einen beherrschenden Platz ein. Der Mensch lebt in Wirklichkeit nur von Liebe. Es ist für uns ein Bedürfnis, ja eine Notwendigkeit, zu lieben. Und unser Keuschheitsgelübde verlangt gerade von uns, dass wir Gott lieben, im anhangen, ja ihm alle Anhänglichkeit und Liebe erweisen, deren unser Herz fähig ist. Die Liebe, die ich geradezu körperlich nennen möchte, muss unser ganzes Sein, unseren Verstand, und Willen in Beschlag nehmen, und vor allem auch den gefühlsmäßigen Teil unseres Selbst. So will Franz v. Sales die komplette Praxis dieses Gelübdes verstanden wissen. Denken wir daran, die wir dieses Gelübde bereits abgelegt haben oder uns noch darauf vorbereiten. Es soll also ein aktives und positives Gelübde sein, nicht nur ein negatives, also eine Ausrottung von Falschheiten der materiellen Liebe. Wir sollen uns verpflichtet halten, Gott inniger und tiefer zu lieben, gerade aufgrund unseres Gelübdes der Keuschheit. Gewiss können in diesem Sinne fast alle religiösen Regeln und Satzungen ausgelegt werden. Doch in keiner anderen Kongregation ist dies so ausdrücklich definiert und festgelegt wie in der des hl. Stifters.

In solch einer Auslegung dieses Gelübdes, meine Freunde, liegen enorme Gnaden und überfließende Quellen beschlossen. Gott ist Liebe, und wer ihm geeint bleibt, bleibt in der Liebe und Gott bleibet in ihm. (Anm.: Im Lateinischen heißt es: „Deus caritas est et qui manet in caritate, in Deo manet, et Deus in eo.“ Im Deutschen heißt das übersetzt: „Gott ist die Liebe. Und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm.“). Infolge dessen sind wir nicht allein, Gott wohnt mit uns zusammen, in einer vollkommenen Einheit von seinem und unserem Wesen. Unsere Handlungen sind dann nicht mehr bloß die Unsrigen, sondern auch die Gottes. Sagt doch der hl. Paulus ausdrücklich: „Vivo iam non ego, vivit vero in me Christus.“ (Anm.: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“).

Ich lenke eure Aufmerksamkeit auf eine ganz entscheidende Art auf diesen Gedanken. Unser Keuschheitsgelübde ist ein Gelübde der Liebe zu Gott, ein Gelübde der Losschälung des Herzens, das sich umso inniger mit Gott verbindet. Fürchtet darum nicht die Versuchungen, scheut nicht die Prüfungen. Sie mögen eure Gottesliebe nur umso stärker entfachen! Die Schwierigkeiten sollen das göttliche Feuer zu größerer Glut bringen! Benutzt also die Versuchungen dazu, um mit noch stärkerer Liebe zu Gott zu gehen. Im Augenblick der Versuchung mag dies vielleicht nicht immer durchführbar sein. Sobald sie aber vorüber ist, werft eure Blicke auf unseren Herrn. Wirft sich das Kind, das eine Natter erblickt, die es beißen will, nicht mit noch größerer Liebe in die Arme seiner Mutter? So sollen wir die Versuchung verstehen, als eine mächtige und praktische Hilfe, um das Gelübde der Keuschheit zu halten. Tut das immer, auch wenn die Versuchung übermächtig und heftig geworden ist und es scheint, als habe sie das Sagen über unser Wollen übernommen. Sagt doch die Hl. Schrift, das letzte Wort bleibt doch uns vorbehalten: „Sub te erit appetitus eius, et tu dominaberis illius.“ (Anm.: „Unter deiner Herrschaft steht ihr Appetit, und du wirst ihrer Herr.“). Man kann immer eine letzte Barriere den Überfällen des Bösen entgegensetzen. Man gelangt zwar an den Rand des Erliegens, behält aber trotzdem die Vollmacht, es nicht zu tun.

Ich möchte fast sagen: Seid fromm in der Versuchung! Seid fromm, denn sie bringt euch zwar Leiden, erschüttert zwar euren Willen und führt euch zum Rand des Abgrundes. Sie hat aber auch ihr Gutes an sich, weil sie euch ermöglicht, eure Tiefen zu sondieren, mit Erschrecken und Schaudern vor dem tiefen Sturz zurückzuweichen, euch mit mehr Liebe in die Arme zu werfen. Seid also auch dafür in der Versuchung dankbar. Ich wiederhole: Es ist Erfahrungstatsache, dass die Versuchung Vorbedingung ist für Tugendfortschritte sowie eine Bedingung vermehrter Gnade für die geprüfte Seele. Gott lässt die Seelen, die er für seine Glorie bestimmt hat, immer durch die Wasser großer Prüfungen gehen. „De profundis clamavi ad te Domine.“ (Anm.: „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu Dir.“). Wäret ihr auch im tiefsten Abgrund, am Rand des Untergangs, erhebet eure Häupter. Seht Gott und seine hilfreiche Hand. „Salva nos, Domine, perimus.“ (Anm.: „Rette uns, Herr, wir gehen zugrunde.“). Hier habt ihr das große Mittel, euer Keuschheitsgelübde vollkommen zu erfüllen. Wie lange, um mutig auszuharren? „Fiat voluntas tua.“ (Anm.: „Es geschehe Dein Wille!“). „Et ne nos inducas in tentationem.“ (Anm.: „Und führe uns nicht in Versuchung.“). Gnade, mein Gott, lass uns nicht fallen und erliegen und auf Grund laufen!

So verstehen wir das Gelübde der Keuschheit, so versteht es der hl. Franz v. Sales. Das ist seine Lehre, sein Gedanke. Welche Anmut und Lieblichkeit hat doch diese Theologie. Wie ist hier alles gut, wie kommt hier alles von Gott! Und Gott ist Liebe. Lässt er die Versuchung zu, dann, weil sie uns heiliger macht, weil sie unser Herz anrühren und für Gott zur Dankbarkeit und Gegenliebe entzünden soll.

2. Das Gelübde der Armut. Seid arm! Es gab einmal einen jungen Mann, einen Kaufmann, der gern den großen Geldspender spielte im Kreise seiner Kameraden und Vergnügungspartys veranstaltete. Er war reich, gesund, kräftig und großzügig. Und Gott ruft ihn. Da bricht sich in ihm eine mächtige Gottesliebe Bahn. Gott erleuchtet seine Seele mit allen Geheimnissen göttlicher Liebe. Was wird er jetzt tun, dieser Jüngling, um diesen Schatz zu bewahren, und zu mehren? Er wird heiraten! Wen? Die Armut. Mit ihr wird er eine unlösbare Verbindung eingehen, wird sie überall suchen, bis er sie findet. Liebe zur Armut ist bei ihm die Gottesliebe, die zu ihrem höchsten Grad gelangt ist, dessen eine Seele fähig ist. Dieser Jüngling ist der hl. Franz v. Assisi, der in seinem Wesen eine äußerliche Ähnlichkeit mit dem Heiland zur Schau trägt. Welchem Umstand verdankt er aber diesen Ähnlichkeitsgrad mit dem Gottmenschen? Nicht nur seiner Keuschheit, sondern gerade seiner Armut.

Wir unsererseits können nicht im Winter barfuß im Schnee gehen. Seht wie jene, die es tun, den Rand ihres Kleides gefroren haben, und wie dieser Rocksaum ihre Füße beim Gehen wundreibt. Sie gehen weiter, ohne über ihren schmerzhaften Weg zu klagen. Das sind die Söhne des hl. Franz v. Assisi. Wir können sie hierin nicht nachahmen. Und doch können wir die Armut üben, wie unsere Berufung es anweist. Indem wir aus ganzem Herzen und mit all unserer Liebe unsere kleinen Armutsübungen vollziehen, so klein, so unscheinbar. Was aber klein ist, wird groß, wenn man mit dem Herrn geht, wenn man tut, was er getan hat. Im Haus von Nazareth führte Maria keine reiche Küche, da gab es nichts Außergewöhnliches. Geht zur Santa Casa nach Loretto. Dort könnt ihr den Herd des bescheidenen Hauses anschauen, und einige Zutaten, das Geschirr, die Teller. Alles war nicht großartig, der Luxus war sehr bescheiden.

Und unserer Herr selbst: Wenn er hungerte, blieb er mit seinen Jüngern unter einem Feigenbaum stehen, oder zerrieb Ähren, um sich zu nähren. Setzte sich an den Jakobsbrunnen, um zu trinken. Das war die Armut, die unser Herr praktizierte, und das ist auch unsere, in Nahrung und Kleidung. Unser Herr trug saubere Kleider, gleichermaßen entfernt von jeder Art von Nachlässigkeit wie von Luxus.  Und ich darf noch etwas hinzufügen: Was mich bei der Erscheinung unseres Herrn (Anm.: Im Sprechzimmer der Heimsuchung von Troyes, d. Üb.) am meisten ergriffen hat, war der Ausdruck seines Antlitzes, war seine Kleidung, sein Gewand… Wenn ich daran denke, „deficit anima mea.“ (Anm.: „Setzt mein Geist aus.“). Die Harmonie, die Schönheit und der Ausdruck in diesem Kleid, die Abstufungen der Falten dieses Gewandes… Ich hab das lange betrachtet, es war bezaubernd. Ich sagte zu mir: „Wäre ich Maler, würde es ein wunderbares Gemälde, wenn ich es wiedergeben könnte.“ Man kann es sich nicht vorstellen, meine Freunde, dieses Kleid unseres Herrn, so arm, so einfach. Aber bei aller Einfachheit diese Ordnung und Harmonie, die ein göttliches Gepräge trugen.

Üben wir darum diese Armut unseres Herrn, die nichts aus sich und für sich hat, sondern ganz von der Hand Gottes lebt. Ahmen wir DEN nach, der nichts hatte, wohin er sein Haupt legen konnte. Gleichen wir ihm nicht ein wenig? Unser Kopfkissen gehört uns nicht einmal, nichts gehört uns. Das sind keine Hirngespinste, sondern der einfache Ausdruck der Wahrheit. Dahin also versetzt uns das Gelübde der Armut. Wir sind unserem Herrn aufs Innigste geeint, aus Liebe geeint, und wollen sein Leben leben. Das ist unsere Armut.

Haben wir es gern, dieses Gelübde, und praktizieren wir es in diesem Geist. Vergeuden wir davon nichts und denken wir an alles. Denken wir immer daran, dass wir arm sind, egal, ob auf Reisen, ob zu Hause, überall. Etwas erregt euer Gefallen: Es wäre eine Ausgabe. Ist es nicht notwendig, verzichtet darauf. Und was resultiert aus solcher Praxis für uns? Nichts? Wir profitieren so viel, wie es der hl. Franz v. Assisi tat. Er musste sein erstes Generalkapitel auf dem offenen Feld abhalten. Seine Ordensleute zählten nach Tausenden. Woher diese unvergleichliche Fruchtbarkeit, die heute noch besteht? Sein Dritter Orden blüht und bedeckt die Erde. Die Armut ist es, aus der diese Fruchtbarkeit quillt. Seid klug bei der Armutspraxis, sie erstreckt sich auf Kleinigkeiten. Man bringt dem lieben Gott in Vereinigung mit unserem Herrn Jesus kleine Opfer, man verzichtet mal auf wenig, mal auf mehr, man lässt etwas vom Besseren bei Tisch vorbeigehen und nimmt dafür etwas mehr vom weniger Guten. Man spart mit Schreibfedern, Papier, Tinte, Werkzeugen, und lässt nichts verderben. Die hl. Theresia sammelte Linsen auf, die zu Boden gefallen waren. Als sie älter geworden und weniger gut sah, kniete sie hin, um keine zu übersehen. War sie deshalb ein kleiner Geist, ein Dummkopf? Lest nur in den Chroniken der alten Orden, dann seht ihr, wie ihre Legenden überfließen von solch reizenden und köstlichen Zügen. Und zwar ging es dabei fast immer um die Armut, die Abtötung. Und das war auch die Lehre des hl. Franz v. Sales. Ihr könnt das Haus besichtigen, das er in Thorens bewohnt hat und werdet euch ein Urteil bilden über den Geist der Einfachheit, der dort herrschte.

3. Das Gelübde des Gehorsams: Wem schuldet ihr Gehorsam? Der hl. Regel und euren Oberen.

Der hl. Regel: Legt die Sorgfalt und Liebe in diese Beobachtung, die unser Herr in die Befolgung der Befehle seines Vaters oder in die Worte seiner Mutter legte, wenn sie ihn um ein Wunder bat. In seinem Leiden sagte er inmitten seiner Schmerzen: „Das ist meine Stunde.“ Auf der Hochzeit von Kana hatte er noch betont: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen“, und er wartete einige Minuten, bis seine Stunde kam und er das Wunder wirken konnte, um das ihn Maria gebeten hatte. Welch eine Treue, den Willen seines himmlischen Vaters zu erfüllen, nicht um einen Augenblick den vom göttlichen Wollen festgesetzten Augenblick zu beschleunigen oder zu verzögern! So sollen auch wir handeln bei unseren klösterlichen Vorschriften. Erinnern wir uns gern unserer Seminarjahre, der ersten Zeit unseres Priestertums. Haben wir nicht immer erlebt, dass die Treue zur hl. Regel, die Pünktlichkeit Zeichen und Zeugnis großer Tugend war? Ich hatte einen Mitschüler, der mit 17 Jahren nach der zweiten Klasse (Anm.: „Vorletztes Gymnasialjahr im deutschen Bereich.“) starb. Seit seinem Eintritt im Seminar hatte er nicht ein einziges Mal gegen das Stillschweigen gefehlt. Wir betrachteten ihn als  einen Heiligen, und das war er wirklich. Denn das geht nicht ohne Heiligkeit. Wir sollten etwas treuer das Stillschweigen halten. Überhaupt die Praxis der klösterlichen Observanz und des Direktoriums ernster nehmen. Versprechen wir doch dem lieben Gott, unser Gelübde des Gehorsams in dem vorgeschriebenen Zeitpunkt und ohne einen Augenblick zu zögern, zu halten.

Nehmt eine vergleichende Übersicht (Konkordanz) zum Wort „Gehorsam“, dann werdet ihr sehen, dass das ganze christliche Leben auf dem Gehorsam aufgebaut ist. Nehmt ihn darum ganz ernst, den Gehorsam, so wie es in dem kleinen Buch steht, das ihr in der Tasche oder noch besser in eurem Herzen tragt. Es sei jeden Augenblick die Nahrung eurer Seele! Die Satzungen und unser Direktorium sind für uns ein bisschen wie das Evangelium. Man ehrt mit Weihrauch das Evangelienbuch bei der hl. Messe. Umgeben wir mit Ehrfurcht und Liebe auch unser Büchlein, das den Schatz unserer Seele birgt. Denn mit seiner Hilfe gewinnen wir den Himmel und retten unsere Seele.

Seid euren Vorgesetzen also Untertan. Dieser hier gemeinte Gehorsam ist weniger scharf umrissen als der der Satzungen. Er wechselt an Intensität und je nach Gelegenheit. Manchmal muss man ihn milde interpretieren und Änderungen setzen und zulassen, je nachdem, was die Klugheit und die verschiedenen Situationen gebieten. Ist der Obere nicht zugegen, muss man handeln, als wäre er da. Davon abgesehen muss unsere Unterwerfung jedem klar ausgedrückten Befehl des Oberen gegenüber pünktlich und exakt sein. Er verpflichtet sogar unter schwerer Sünde, falls die Sache von Wichtigkeit ist. Hüten wir uns vor Ungehorsam und Revolte, vor dem „non serviam“ (Anm.: „Ich will nicht dienen.“). Denn verweigert man dem Oberen den Gehorsam, tut man es gleichzeitig Gott gegenüber. Mit welchem Recht könnte ein Vorgesetzter schon Gehorsam verlangen, wenn er nicht im Namen Gottes spräche? Seine Stelle vertritt er ja bloß. Man verfehlt sich und sündigt jedes Mal, wenn man den Gehorsam aufkündigt. Ist der Ungehorsam komplett und scharf ausgeprägt, welche Sünde begeht man dann? Gott allein weiß es. Ich sage nur so viel, dass die Gottesgelehrten hierüber sehr streng urteilen… Warum also den Gehorsam nicht von der richtigen Seite nehmen? Ihn herzlich gern erweisen, so wie Jesus seinem Vater gehorchte: „Inclinavi cor meum.“ (Anm.: „Ich habe mein Herz geneigt.“). Geben wir unser Herz und sehen wir den Gehorsam von dieser Seite. Dann nur ist es ein positiver und echter Gehorsam, und nicht bloß ein negativer. Der Kampf gegen unseren Eigenwillen und Eigenurteil empfängt seine Vervollständigung und Krönung durch die Gesinnung der Liebe. Amen.