Exerzitienvorträge 1892

      

1. Vortrag: Heiligkeit

Als wesentliche Vorbedingung jedes geistlichen Erfolges galt zu allen Zeiten und immer die Heiligkeit des Dieners am Wort des Vermittlers der Gnade. Dafür braucht man keine Beispiele anzuführen. Es ist eine zu bekannte Tatsache, dass die Heiligkeit des Priesters und Ordensmannes auf eine evidente Weise ihre Wirkung hervorbringt. Wer heilig ist, hat einfach viel mehr Erfolg bei den Seelen als der, der gleichgültig oder nur durchschnittlich fromm ist. Soviel der Mensch taugt, soviel taugt auch die Sache. Darüber kann man sich keine Illusionen machen. Gewiss will niemand schlecht handeln oder auch nur ein gleichgültiger Priester oder Ordensmann sein. Aber handelt man nicht sehr oft in seinem alltäglichen Verhalten so, als hätte man sich anders entschieden, als huldigte man dem Grundsatz, sich in Nichts einzuschränken, den Zeiten ihren Lauf zu lassen und die Dinge zu nehmen wie sie nun einmal sind? Solch ein Verhalten zeugt aber von einer großen Verwegenheit und Feigheit. Das ist die Gefahr, in der wir täglich leben und die zu vermeiden fast unmöglich ist. Es ist ungemein schwierig, unsere Seele völlig unberührt von diesen Erbärmlichkeiten zu bewahren, unsere Berufung in ihrer ganzen Fülle zu erhalten und im Wunsch nicht nachzulassen, in allem und ungeschmälert den Willen Gottes zu tun.

Auf der anderen Seite müssen wir feststellen, dass der Einfluss des Priesters und Ordensmannes geringer wird. Die Wahrheit lässt in der Tat unter den Menschen nach, die Wirksamkeit der Gnade scheint zu erlahmen, die Willen wollen sich nicht mehr unterwerfen. Und wenn die Priester und Ordensleute kein Mehr an Energie, Glaube, und Heiligkeit aufwiesen, wäre es fast sicher, dass ihr Einfluss fast null und nichtig wäre. Darum sind wir alle verpflichtet, Heilige zu werden. Auf diesen Standpunkt müssen wir uns gleich zu Beginn dieser Einkehrtage stellen. Nicht mehr und nicht weniger. Wir müssen heilig werden, wie der hl. Stifter und wie die Gute Mutter es wollen, wie es unsere Satzungen verlangen. Die so verstandene Heiligkeit wirkt aus sich selbst große Dinge. Jeder Heilige ist ein Held. Die Kirche spricht nur heroische Tugenden heilig. Es gibt auch außerhalb der kanonisierten Heiligen Helden, große Helden. Es leben in der augenblicklichen Stunde in der Welt heiligmäßige Seelen, also Helden. Was kostet die Heiligkeit, was ist sie wert?

Was kostet sie? Sie verlangt zunächst von uns eine ununterbrochene Aufmerksamkeit: „Vigilate et orate!“ (Anm.: „Wachet und betet!“).
Unsere Augen müssen wir beständig aufmerksam auf uns gerichtet halten, und die Überzeugung muss uns beseelen, dass wir Heilige werden müssen. Und dass nicht nur für diesen und jenen Augenblick, sondern unser Eifer darf kein Erlahmen kennen. In allem, was wir tun, müssen wir auf diesen Vorsatz achten. Sobald eine Nachlässigkeit unterläuft und wir nicht mehr an unsere Heiligung denken, erlahmen unsere Seelenkräfte, und wir verlieren den Mut. Dann heißt es noch größere Anstrengungen machen, um die verlorene Zeit wieder hereinzubringen. Hat unsere Seele von Gott, z.B. an einem Fest, eine besondere Gnade erhalten, eine besondere Tröstung, dann scheint alles gut zu gehen. Kommen aber Tage der Trockenheit, der Versuchungen, mitunter sogar böser Wille, dann lässt unsere Aufmerksamkeit nach, der Mut, die Energie erlöschen, und die Versuchung läuft Gefahr, Herrin zu werden. Aufmerksamkeit und Wachsamkeit müssen darum zu unzertrennlichen Begleitern unseres Lebens werden. Das muss uns zur fixen Idee werden. Das ist eine Notwendigkeit, und nichts kann uns davon dispensieren.

Vielleicht drücke ich mich nicht klar genug aus. Ich bitte Gott, er möge euch verstehen lassen, was ich sagen will. Euch verstehen lassen, dass ihr nichts angreifen sollt ohne den festen und konstanten Willen, alle Intelligenz, und euer ganzes Herz (Mut) aufzubieten, um es gut zu vollbringen und ein Heiliger werden. Wem gelingt denn alles in Beruf, Handwerk, Kunstfertigkeit? Sind es nicht die, die ihre ganze Willenskraft aufbieten, die beständig daran denken und mit allen Kräften danach streben? Das muss so sein, um etwas Großes zu schaffen. Mit der Aufmerksamkeit muss sich das Opfer verbinden. Niemals könnt ihr euch von euren Charakterfehlern losreißen und die Tugenden praktizieren, die eurem Temperament und Charakter entgegengesetzt sind, wenn ihr euch nicht anstrengt. Bei jeder Handlung sollen wir, wie es das Direktorium einschärft, die Mühe und Abtötung annehmen, die mit ihr verbunden sind. Damit bilden wir ein Gegengewicht zu unseren bösen Neigungen und schuldhaften Anhänglichkeiten. Das heißt es einfach annehmen zur Sühne unserer Sühne unserer Sünden und aus Liebe zum hl. Willen Gottes. Die Annahme des Willens Gottes ist das wirksamste Mittel der Heiligung, das wir haben. Unsere Heiligkeit soll ja nicht in großen Akten bestehen, wir finden sie vielmehr in den kleinen Einzelheiten unseres Alltags, in Bagatellen. Ein Wille, der kein Erlahmen zeigt, eine Tatkraft, die nie schwach wird, eine Stärke, ein Mut, die die Kreuze so annimmt wie sie sind, ohne die Nägel heraus zu ziehen, ja ohne die Inschrift darüber abzuhängen. Das ist es, was uns zu Heiligen macht. Lieben wir das Kreuz wie es der hl. Andreas tat: „O bona crux!“ (Anm.: „O gutes Kreuz!“). Opfergeist also ebenso wie Wachsamkeit, alles in der Absicht, heilig zu werden. Das kostet die Heiligkeit.

Und was ist sie wert? Was bringen sie uns ein? Was leisteten wir alles, wenn wir Heilige wären! Was tut sich denn zurzeit in der Welt? Welches ist der Erfolg so vieler Anstrengungen? Er ist recht unbedeutend! Warum?

Das liegt nun nicht am bösen Willen der Stellvertreter Gottes, weit davon entfernt! Aber warum so viele Anstrengungen und so wenig Erfolg? Das liegt am bösen Willen derer, an die man sich wendet. Da muss der Ordensmann heilig sein, damit er kraftvoll diesen bösen Willen kraft seiner Heiligkeit überwindet. Beginnen wir darum die Exerzitien und heiligen wir sie mit einer großen Treue, durch eine gewissenhafte Pünktlichkeit bei allen Übungen. Ich sage es oft: Die Exerzitien selbst müssen die Exerzitien (ihren Erfolg) garantieren. Wir brauchen dafür keine großen Entschlüsse zu fassen, keine großmütigen Akte zu setzen. Unsere Heiligkeit gründet ja in dem, was wir den ganzen Tag über tun, was wir beständig unternehmen. Tun wir es doch mit einer großen Aufmerksamkeit, im Geist des Opfers. Dann findet ihr in dieser Lehre, die ihr in die Praxis überführt, ein verborgenes Manna. Dieses Manna wird keinen Geschmack haben, der für alle gleich ist, sondern einen für jeden verschiedenen, besonderen. Es wird eure Seele entsprechend ihren Bedürfnissen und geistigen Neigungen nähren, wie es ihr innerer Appetit erfordert, wie es die Umgebung braucht und eure Berufung erheischt. Dieses Manna begleitet jeden Augenblick, jede Minute. Ich sage es wieder: Wir sind keine schlechte Menschen, sondern haben alle guten Willen. Niemand möchte mit rein menschlichen Mitteln handeln. Alle möchten im Letzten den Willen Gottes erfüllen. Gestehen wir es uns aber ruhig ein, während wir hier zusammen sind: Was uns fehlt, ist dieser lebhafte und drängende Wunsch, heilig zu werden, der konstante und wirksame Wille, nach Heiligkeit zu streben. Wir vergessen, was uns nottut, um dieses Ziel zu erreichen. Unser Herz schlägt nicht immer und ohne Unterbrechung im gemeinsamen Verlangen nach dieser Heiligkeit. Dieser Wunsch lebt in uns oft geborgen, latent. Wir sind nur etwa in dem Sinn heilig, wie es der Katechismus lehrt: Insofern wir alle zur Heiligkeit berufen sind, wie es im Kapitel von der „Gemeinschaft der Heiligen“ erklärt wird. Wir gehen Schritt für Schritt unseren gemütlichen Weg, unsere Absichten sind nur mehr oder weniger rein, mehr oder weniger geläutert. Wie viele von uns haben dieses Jahr sich in jedem Augenblick des Tages gesagt: „Ich muss meine sämtlichen Handlungen in der Absicht verrichten, ein Heiliger zu werden?“ Sicher nicht viele von uns. Und ich, der ich zu euch rede, an letzter Stelle. Ich kenne mich zu gut, und weiß, dass ich nicht von mir behaupten kann, dass ich das getan habe. Das sollten wir aber alle tun, unsere eingefahrenen Gewohnheiten ablegen.
Gewiss möchten wir nicht behaupten, wir seien in den Graben gestürzt, und doch folgen wir der Wagenspur unserer gewohnten Routine. Unsere Art zu handeln ist weit davon entfernt, überlegt zu sein. Wir denken nicht sonderlich an das Ziel, auf das wir losmarschieren. Und dabei sind wir doch verpflichtet, es zu erreichen, und zwar aus den Gründen, die ich euch nennen werde.

Wir haben einen guten Willen, aber es fehlt uns manchmal das „Sursum corda!“ (Anm.: „Erhebet die Herzen!“). Beweis: Man ist nicht sonderlich darauf erpicht, einen bestimmten Punkt der hl. Regel zu beobachten. Im Noviziat ist man in der Gemeinschaft während des Stillschweigens nicht bereit, ein Wort zurückzuhalten, das wir auf der Zunge haben. Man unterlässt auch diese oder jene Abtötung… Darüber hätten wir alle eine Betrachtung zu halten. Unser Leben ist nicht das von Heiligen. Beweist das nicht schon die Tatsache, dass wir kaum einmal daran denken, Heilige zu werden? Wenn ihr eure Stunden vorbereitet, eure Predigt zurechtlegt, denkt ihr dann auch daran, heilig zu werden? Ist das der innere Kern eures Wesens, das gewohnheitsmäßige Bedürfnis eurer Seele? Daran lassen wir es sehr fehlen. Unser Leben ist nicht übernatürlich ausgerichtet, von konstanten Beweggründen beschwingt. Es ermangelt des Zusammenhangs, der Festigkeit. Es gleicht einem Haufen Sand. Kann man auf Sand aber ein Gebäude errichten? Nein, man braucht Felsgestein dazu. Das ist aber der Grund, dass unser Leben so schwankend ist. Es fehlt ihm am nötigen Fundament. Bemühen wir uns darum, Heilige zu werden und tun wir dafür das, was wirklich nottut. Die Gute Mutter sagte oft, wir müssten entschlossene Menschen sein. Der Entschlossene schaut nichts rechts oder links, er fasst nur das Ziel ins Auge, das er verfolgt. Wenn wir beten und arbeiten, beseelt uns dann der positive und absolute Wille, in allem das zu tun, was Gott am wohlgefälligsten ist? Wenn wir leiden, tun wir es eben in der Absicht, das Leiden mit Vertrauen und zur Heiligung unserer Seele zu tragen? Besteht unser Leben nicht aus einer Folge von Elementen, die nicht zusammenkommen können, weil sie nicht aus demselben Wesen bestehen und darum nicht verschmelzen können? So wie wenn man Glas mit Metall mit Gold verbinden wollte. Ihr vermischt niemals das Glas eures Eigenwillens mit dem Gold der Gottes- und Nächstenliebe, so glänzend es auch sein mag. Die so verstandene Heiligkeit wird in uns einen tiefen Frieden auslösen, eine große Leichtigkeit für die Belange Gottes. Sie wird ferner einen mächtigen Einfluss auf die Seelen ausüben, mit denen wir in Beziehung stehen. Seht nur, wie alle Heiligen, wie ein Franz v. Sales sein Jahrhundert beherrscht, und wie die Seelen sich ihm anschließen und in seinem Gefolge eine gewaltige geistliche Familie bilden. Sein Einfluss verbreitet sich überallhin. Woher diese mächtige Aktion, die so energisch auf so viele Seelen wirkt? Weil er ein großer Heiliger war. Scheidet die Seite, wo von Franz v. Sales die Rede ist, aus der Kirchengeschichte aus, und alles Schöne und Gute, das ihr heutzutage seht, ist dahin. Auch wir wären nicht auf dem Plan. Und alles Gute, das sich im Klerus, in den Priesterseminarien, in so vielen religiösen Gemeinschaften regt, die sich unter den Einfluss des hl. Franz v. Sales stellen, wem verdanken wir es denn? Seiner Heiligkeit.

Schwester Maria-Genofeva sagte mir oft über Franz v. Sales seine Aktivität sei heute offenkundiger als zu seinen Lebzeiten. Sie sei viel lebendiger und tiefergehend. Und wir sind es, die dieses Erbe übernehmen und zum Teil verwirklichen sollen. Sagte unser Herr Jesus nicht zu seinen Aposteln: „Ihr werdet noch größere Dinge tun als ich?“ Und er fügte jenen merkwürdigen Gedanken hinzu: „Et pro eis sanctificabo meipsum.“ (Anm.: „Und für sie heilige ich mich.“). Wenn Gott in eine religiöse Seele kommt, heiligt er sie stärker, der göttliche Akt größere Ausdehnung, er empfängt für uns und in uns einen lebenskräftigeren Saft. Wenn ich so sagen darf, hat Gott in uns mehr Leben als ohne uns. Ihr seht, bis zu welchem Grad Heiligkeit in uns erfordert ist. „Et pro eis ego sanctifico meipsum“, ich sorge dafür, dass ihretwegen und in ihnen meine Gnade aktiver uns mächtiger wirkt. Von da klafft ein weiter Zwischenraum bis zu unserem kleinlichen Leben der Gleichgültigkeit. Gott muss sozusagen durch uns heiliger werden! … Versteht wohl, was ich sagen will: Ich spreche nicht von der wesentlichen Heiligkeit Gottes, von seiner übernatürlichen und göttlichen Natur. Diese kann sich nicht ändern. Ich spreche vielmehr von seiner äußeren Aktion, die nach außen wirkt. So jedenfalls hat Gott gesprochen. Welch schwere Verpflichtung somit für uns, ja welche Notwendigkeit, heilig zu werden, heilig ganz anders als im Kapitel von der „Gemeinschaft der Heiligen“ gelehrt wird. Im Himmel werden wir natürlich heilig sein. Aber warten wir doch heute schon darum. Bereiten wir uns darauf vor, nicht nur in den Himmel zu kommen, sondern dort einen guten Platz zu verdienen, über den Durchschnitt zu liegen, inmitten der Engel und vielleicht sogar noch über vielen von ihnen. Behauptet doch der hl. Thomas, die heiligen Priester und Ordensleute stünden über den Scharen der Engel, die bezüglich ihres Heiligkeitsgrades unter ihnen stünden. Hat aber jeder die nötige Gnade, das Licht, die spezielle Gabe, zu einer ähnlichen Heiligkeit zu gelangen? Das wäre zu schön, nicht wahr, hl. Franz v. Sales, Gute Mutter, hl. Vinzenz von Paul! Doch solche Gnaden sind nicht für uns bestimmt. Ich antworte in einem bestimmten Ton: Der gewöhnliche Priester hat solche Beistände der Gnade kaum zu erwarten, kann vielmehr große Schwierigkeiten haben, dahin zu gelangen. Er kann sich täuschen in der Seelenführung, die er ihnen zuteilwerden lässt, denn er ist ja ganz sich selbst überlassen. Der Ordensmann, so klein seine Intelligenz, seine Gaben der Natur wie der Gnade seine persönlichen Werte auch sind, ist vollkommen heilig, wenn er entsprechend seiner Ordensregel handelt und seine klösterlichen Observanzen achtet. Man kann auf ihn die Worte anwenden, die die Hl. Schrift von den weisen Frau sagt, die treu, klug, hingegeben und vernünftig handelt: „Non est immutatio eruditiae animae.“ (Anm.: „Es gibt keine Veränderung bei der wohlerzogenen, gebildeten Seele.“). So gibt es auch in einer Ordensseele keine Veränderung und Schwäche. Wenn wir so handeln, dann sind wir sicher, zur höchsten Heiligkeit zu gelangen.

Während dieser Einkehrtage sollen wir uns von dieser Lehre und Wahrheit tief durchdringen lassen, indem wir getreu den Gehorsam üben, unsere Satzung und unserer Direktorium halten. Wenn die hl. Kirche sagt, der hl. Stifter habe einen sicheren und leichten Weg geöffnet, um zur Heiligkeit zu gelangen, „viam planam ac tutam“, täuscht sie sich nicht. Das Direktorium ist ein sicherer, einfacher und leichter Weg, den Willen Gottes zu erfüllen und infolge dessen heilig zu werden.

Ich komme vom Hundertsten ins Tausendste. Ich bitte Gott, die Gute Mutter, diese tiefe Überzeugung euch einzuflößen, dass euch die Heiligkeit unerlässlich ist. Das schulden wir einfach dem lieben Gott. Seht nur, was er für uns getan, was er aus uns machen will! Warum hat er euch erwählt, Oblaten zu werden, warum nicht für eine andere Kongregation! Weil er über uns eine ganz besondere Absicht hat, einen guten, erbarmungsvollen ganz auf Liebe gegründeten Willen. Er will uns auf diesem sicheren und leichten Weg haben, wir haben ihn so beständig bei uns. Jeden Morgen versetzen wir uns in seine Gegenwart, vereinigen uns mit ihm und verharren in dieser Einheit den ganzen Tag über. Er ist ungeteilt und ausschließlich mit uns. Er ist unser Erlöser, nicht nur so im Allgemeinen, sondern im Besonderen und bei jeder Handlung… Durch unser Direktorium bezeugen wir, dass wir ihn nie verlassen wollen, und das durch einen immerwährenden Akt unseres Willens. Warum hat er gerade uns mit Vorzug vor so vielen anderen für diesen Weg auserwählt? Wie viele taugen mehr als wir und haben diese spezielle Berufung nicht, die uns so teuer sein muss?

Was tun wir, um Gott zu danken, wenn wir keine Heiligen sind, nicht großmütig daran arbeiten, auf dem Weg voranzugehen, auf den er uns ruft? Nur keine Mittelmäßigkeit, keine Schwächlichkeit, kein Allerweltschristentum! Gehen wir auf eine gleichgültige Art voran, ohne anderes Ziel, als von einem Tag auf den anderen zu leben, dann machen wir keinerlei Fortschritte. Diesem Schlendrian heißt es entkommen. Das sind wir Gott schuldig. Es ist ein schwerer Irrtum, zwischen dem Leben im Himmel und dem auf Erden einen großen Unterschied zu machen. Denn das Leben hier im Diesseits findet irgendwie seine Fortsetzung im Jenseits. Das gilt auch für die armen Verdammten: Sie fahren fort, wie sie begonnen haben. Das gilt aber auch für die Auserwählten, schon jetzt und hier beginnt der Himmel und die Gottvereinigung. Leben wir also, als wären wir bereits im Himmel! „Coversatio nostra in caelis est.“ (Anm.: „Unser Wandel ist im Himmel.“), unsere Konversation, d.h. unsere Lebensgewohnheit, das was wir alle Tage machen, darf sich nicht unterscheiden von dem, was wir einmal drüben tun. Wir sind dieselben hier wie dort mit unserem Verstand, Herzen, Willen. Man ist zwar nicht mehr in demselben Land, ist aber dieselbe Person. Ein Oblate des hl. Franz v. Sales muss ein Heiliger sein, in der ganzen Kraft des Wortes, ein Heiliger, der verdient, heiliggesprochen zu werden, der die Liebe Gottes verdient, als wäre er bereits im Himmel. Zu welchem Zweck sollen wir uns aber bemühen? Um vornehm und berühmt zu werden? Weit gefehlt! Unsere Rolle in der Kirche ist die der Zuletzt Gekommenen, der Knechte, der Diener der anderen. Unser Leben und unser Wollen muss in genauer Übereinstimmung und ständiger Treue zum Willen Gottes stehen.

Stellen wir uns unter den Schutz der Guten Mutter Maria Salesia. Ich bin es der Dankbarkeit schuldig, zu der sie mich verpflichtet hat und die ich gern hier vor euch anerkennen will, dass ich hier behaupte, die Worte, die sie gesagt hat, finden sich mehr und mehr bestätigt. Ihre Macht bei Gott wird immer mehr geschätzt von den Seelen, die sich an sie halten, weil sie ihren Bedürfnissen entgegenkommt, weil sie sich in allen Punkten, in Geist und Buchstaben, im Einklang mit dem Evangelium erweist, dessen glänzende Dolmetscherin und fruchtbare Verwirklicherin sie ist. Mit der Guten Mutter Maria Salesia werden uns die wahren Gedanken und Handlungen und Wünsche des Erlösers klar, werden uns verständlich, sichtbar und fühlbar. Ruft sie an, dass sie uns hilft, in diesem Geist unsere Exerzitien zu machen.