5. Vortrag: Seid beständig!
Jeder möge sich die Mühe geben, dass auch der Abschluss der Exerzitien ganz gut sei. Im Allgemeinen lässt man sich am letzten Tag, in der letzten Stunde der Exerzitien leicht ablenken, weil eine gewisse Müdigkeit über einen kommt. Man gleicht einem Schüler, der am Vorabend der Ferien versucht, das Joch etwas zu früh abzuschütteln. Lasst uns diese Tage mit Mut und Herz zu Ende bringen. Seid treu solange die Exerzitien dauern. Er ist ja auch treu und lässt nicht siegen (Anm.: Druckfehler im französischen Text?). Er gibt euch im Gegenteil noch freigebiger seine Gaben, ihr empfangt noch freimütiger die Wirkungen der Exerzitiengnaden.
Was ich euch da sage, meine Freunde, hat große Bedeutung. Eine Vase enthält Parfüm: Schließt man sie nicht rechtzeitig oder öffnet man sie lange vor Gebrauch, verduftet das ganze Parfüm. So möge also jeder bis morgen nach der Feierlichkeit auf sich Acht haben.
Ich wünsche sehr, dass wir noch den Sonntag hier in St. Bernhard verbringen, damit wir noch ein wenig als Mitbrüder unter uns sind. Während der Exerzitien war uns das ja nicht möglich. Am Sonntag, wo der Herr seine Freunde verbreitet, werden alle noch zusammen bleiben.
Meine teuren Freunde, ihr werdet eure ewige Profess ablegen (Anm.: Nach diesem Vortrag legten die Patres Gitaud, Pernin, Rougelot, Caseaux und Mariat ihre ewigen Gelübde ab!) Das sind in der Tat eure Gelöbnisse. Die Kirche erwartet von euch ein definitives Versprechen, eine endgültige Verpflichtung. Wie am Tage der Subdiakonatsweihe werdet ihr einen unwiderruflichen Schritt tun. Ihr setzt euren Fuß aber nicht auf ein unbekanntes Land. Ihr kennt den Weg, den ihr zu durchlaufen habt. Ihr wisst, welche Kämpfe es auszufechten gilt. Mit einem Wort, ihr wisst, was Gott von euch verlangt. Seine innige Liebe und Gnade musst euch schon häufig zu sprechen, und wie oft habt ihr schon seine Stimme vernommen, die zu euch klar und vernehmlich gesprochen hat.
Die Gelübde ablegen ist, menschlich gesprochen, ein großes Glück, weil unser Wille, veränderlich und unstet ist, solange als er nicht durch die Umstände oder durch ein unwiderrufliches Gelübde Festigkeit erhält. Unsere Gedanken, Eindrücke, Absichten und Willensentschlüsse können sich wie der Wind drehen, und das ist kein Glück. Der glücklichste Mensch ist der konstante (standhafte, ausdauernde, beharrliche, beständige). Er hat einen Weg betreten, der keine Um- und Abwege kennt.
Ihr übergebt euch Gott, Gott seinerseits gib sich euch hin. Gott gebraucht euch künftig wie seine Eigentumssache. Ich drücke mich schlecht aus: „Ich nenne euch Freunde.“ Ihr erwählt in Kürze Gott zu eurem einzigen Anteil. Ihr werdet somit gleich einen Kontrakt unterzeichnen, der ewig dauern soll. Denn auch Himmel wird sich nichts daran ändern. Der Platz, den ihr gleich den eurigen markieren werdet, ist nach Thomas ein sehr schöner, der ganz nahe beim Heiland liegt. Sagt das Evangelium nicht, dass der freiwillige Arme, der alles um des Herrn willen zurückgelassen hat, an seiner Seite sitzen und die zwölf Stämme Israels richten wird? Es gibt zwei Sorten von Gläubigen auf Erden und ebenso viele Arten und Seligen im Himmel. Die Ordensleute gehören zur ersten Gruppe. Und schon jetzt schenkt Gott dem wahren Ordensmann Sicherheit und Frieden. Er hat die Lasten des Lebens abgeschüttelt, selbst die für seine eigene Person, für seinen zeitlichen und materiellen Lebensunterhalt. Die Gemeinschaft übernimmt das. Er ist damit frei. Niemand ist freier als er. Er tut von morgens bis abends, was seinem Willen entspricht. Der Ordensmann ist der Mensch, der einzige hienieden, der von morgens bis abends tun kann, was er will. Er hat Gott seinen Willen übergeben, und damit wird alles, was Gott will und zulässt, Gegenstand seines Wollens und Liebens. Außer diesem will und liebt er nichts.
Ich rede damit nicht Worte in die Luft, ihr werdet vielmehr selber die Erfahrung machen. Gebt alles für alles hin, pflegte die Gute Mutter zu sagen. Man empfängt alles, wenn man nicht feilscht, und nicht zaudert, wie der hl. Franz v. Sales sagte. Gewöhnt euch im Noviziat daran und während der zeitlichen Gelübde, damit eure Seele beim Ablegen der ewigen Gelübde einen Zustand von erprobter Festigkeit erreicht hat. Es gibt da etwas Überraschendes festzustellen: Das Ordensleben ist, so sagten wir, ein Testament, ein Pakt zwischen Gott und der Seele des Ordensmannes. Auch die Hl. Schriften sind ein Testament, ein Kontrakt zwischen Gott und seinem Geschöpf. Es gibt aber deren zwei Testamente: das alte und das neue. Im Alten Bund bestand aber eine absolute und komplette Einheit: Vom Paradies angefangen bis hinauf zu Christus läuft der Vertrag zwischen Gott und dem jüdischen Volk ohne Unterbrechung fort. Gott ist immer treu. Wenn das Volk das gegebene Wort bricht und den Vertrag verletzt, wird es gezüchtigt. Und das Neue Testament folgt dem alten, das das neue nur vorbereitete. Letzteres ist seine Krönung. Es vollendet und besiegelt das alte im Blute Jesu Christi. Und dieselbe Idee, dieselbe Einheit, derselbe Plan läuft ab in den Evangelien, der Apostelgeschichte, und den Briefen bis hin zur Apokalypse, die alles abschließt und zum Himmel hin öffnet. Nichts widerspricht sich in den beiden Testamenten. Alles bildet vielmehr ein Ganzes, eine vollkommene Einheit. Und dasselbe lässt sich auch sagen vom Ordensleben. Auch das ist ein abgeschlossenes und unterschriebenes Vermächtnis. Die Ausdrücke dieses Kontraktes sind sorgfältig durchdacht. Unser Herr bleibt sich treu in seinen Verheißungen. Halten wir treu unsere Versprechungen. Er wird sich selbst nie Lügen strafen. Auch das Ordensleben bildet ein Ganzes, es ist das vollkommene Leben, ohne Lücken und Versagen. Man muss ihm nur Schritt für Schritt folgen. Sobald der Ordensmann seine Gelübde abgelegt hat, darf er ohne Furcht vorangehen, weil es nichts mehr zu fürchten gibt, und weil, außer diesem, auch nichts zu wünschen übrig bleibt. Nichts gewinnt die Überhand über dieses Testament, diesen Bund, diesen Pakt. Der gute Ordensmann weiß das. Er trägt in seinem Herzen eine so starke und umfassende Gewissheit, dass ihn weder seine Zukunft noch sein Heil beunruhigt. Diese Gewissheit macht ihn gewissermaßen unverwundbar für die Ewigkeit. Was aber, wenn er das Unglück hat, eine Sünde zu begehen? Dann übernimmt es Gott, der ihn für sich in Beschlag genommen hat, diese zu tilgen und die Breschen wieder zu schließen… So werdet ihr, meine Freunde, euch also in kurzem auf diesen Weg der Sicherheit und Gewissheit begeben, gestützt auf das gegebene Wort Jesu Christi. Ich übertreibe nicht. Das ist der wahre Sinn und das letzte Wort des Ordensstandes. Das sind die Gefühle eines Menschen, der treu seine klösterlichen Verpflichtungen erfüllt.
Vergessen wir gleichwohl nie, dass eine wesentliche Bedingung unseres Wollens erfordert ist: die Beständigkeit (Beharrlichkeit). Seid standhaft: Dieses Wort haben wir heute zur Losung und zum Thema dieses Vortrags gewählt. Es geht nicht an, zurückzuschauen, so man einmal die Hand an den Pflug gelegt hat. Was wurde aus der Frau des Loth, als sie sich nach Sodoma zurückgesandt hatte? Unsere Entschlossenheit muss von einer Stärke sein, dass eine Umkehr ausgeschlossen ist. Ihr werdet nie einen guten Ordensmann sich mit Bedauern nach der Welt zurückwenden sehen. Im Gegenteil: „Sie werden von Tugend zu Tugend schreiten“, und unter Tugend dürfen wir nicht nur die Übung der Tugend selbst verstehen, sondern jede Gabe, die Gott uns schenkt, mit der er uns auf jedem Schritt der Treue bereichert, und womit er ohne Unterbrechung den Wert unseres Schatzes im Himmel vermehrt.
Die Beharrlichkeit…. Nichts wird von der Hl. Schrift mehr eingeschärft. Sie bietet uns auf jeder Seite herrliche Beispiele von Standhaftigkeit. Da sehen wir Abraham und seinen unerschütterlichen Glauben in der Beharrlichkeit. Dann die Patriarchen, fest in ihrem Glauben und ihrer Hoffnung. Die Propheten, beständig in ihrer Erwartung des Messias und im Gehorsam gegen das göttliche Gesetz. „Seid standhaft“, lässt uns am Vorabend von Weihnachten die hl. Liturgie singen: „Ihr werdet die Hilfe Gottes erfahren und morgen werdet ihr seine Herrlichkeit über euch erleben.“ Die Beständigkeit erwirkt bei uns jedem Tugendakt, den wir vollbringen, die Hilfe Gottes. Sie ist wie die Morgenröte, die dem Akt selbst
vorausgeht und die bevor noch der Akt im hellen Licht erscheint, die Herrlichkeit Gottes in uns durch uns aufleuchten lässt: „Morgen werdet ihr die Herrlichkeit Gottes schauen.“
Begeistert euch für diese Beharrlichkeit! Und jedes Mal, wenn ihr eure Kraft erlahmen fühlt, ruft euch eure Gelöbnisse, die euch zur Ehre gereichen, ins Gedächtnis zurück: „Herr, ich bleibe auf meinem Posten in der Kraft deiner Gnade.“ Erbittet in euren Gebeten diese Standhaftigkeit. Was in letzter Analyse heilig macht, bedenkt das wohl, ist die Ausdauer. Seht den hl. Franz v. Sales von seiner frühesten Kindheit bis zum Tod. Betrachtet den hl. Vinzenz v. Paul: Die Kirche sagt uns in einer Lesung seines Offiziums, er sei sich selbst immer treu und beständig geblieben. Er wurde nie schwach. Und die Gute Mutter war von ihrer Jugend in Soyhieres an bis zu ihrem letzten Seufzer das Muster einer standhaften Seele.
Das, meine Freunde, ist Sinn und Geist des Aktes und Kontraktes, den ihr gleich mit Gott abschließen wollt. Ihr habt gelesen in der Hl. Schrift, was man tat, wenn Gott mit seinem Volk einen besonderen Bund schließen wollte: man errichtete einen Stein als Zeugnis der gegenseitigen Verpflichtung. Noah verlässt die Arche und errichtet einen Altar zum Zeugnis. Josua lässt Gottes Volk ins Gelobte Land einziehen. Der Jordan spaltet seine Wasser und gewährt ihnen Durchgang. Und Josua lässt auf Gottes Geheiß zwölf enorme Steine aus dem Fluss an der trockenen Furt aufstellen, lässt dann zwölf weitere, die er ebenfalls dem Strom entnimmt, an der Stelle ausrichten, wo sie an diesem Tag im Gelobten Land ihr Lager aufschlagen. Beachtet wohl diese zwölf Steine im Bett des Jordan: Das bedeutet, dass der Palt mit Gott auf dem Fundament der Demut gegründet sein muss. Sagt also nicht mit Selbstzufriedenheit zu Gott: „Ich verspreche Dir, dass ich dies und das tun werde,…“ Sondern sagt ganz bescheiden: „Ich wünsche… und kraft Deiner Gnade verspreche ich… kann jedoch nie ohne deine Gnadenhilfe dahin gelangen.“ Ja, der Ordensmann muss demütig sein. Das heißt nicht, er müsse meinen, er habe weniger Geist als die anderen. Es genügt vielmehr, dass er anerkennt, aus sich und eigenem Wollen könne er nichts und stelle nichts dar. Wie käme eine so schwächliche Willenskraft dazu, derartige Versprechungen zu halten? Das geschieht mit Hilfe der Demut, indem wir fest überzeugt sind, dass wir aus uns nichts sind und nichts können. Indem wir mit Furcht und Zittern handeln, und uns selbst misstrauen. Indem wir Gott untertänigst bitten, uns zu Hilfe zu kommen. Weiter: Indem wir unser inneres Gebet in aller Bescheidenheit pflegen, unsere hl. Messe im Gefühl der eigenen Niedrigkeit pflegen, indem wir, wie der hl. Bernard sagt, was von uns übrigbleibt mit Füßen treten, in der Seelenführung alles von Gott erwarten und nichts von uns. Wenn wir in der Predigt und der katechetischen Unterweisung der Gläubigen und der Kinder unserer eigenen Kraft misstrauen, nicht auf uns, sondern allein auf Gott bauen: Dann ist uns die Hilfe des Hl. Geistes gewiss. Auch die selige Jungfrau, unsere Mutter, und unsere hl. Schutzpatrone werden uns zur Seite stehen. Lassen wir uns bei der hl. Beichte und allen Seelsorgediensten vom Geist des hl. Franz v. Sales leiten und versuchen wir zu tun, wie er getan hätte, zu sprechen wie er es getan, dann stehen wir nicht mehr allein da und sind uns allein ausgeliefert. Dann steht uns eine beständige Gnade zur Seite, ja die Gnade der Gnaden.
Das große Mittel, standhaft zu bleiben, ist somit die Demut, uns für nichts zu halten vor Gott, vor den Menschen und vor uns selbst. Hält man sich dagegen für einen Geistesmann und hochbegabt, der das große Wort führt, so erreicht man nichts und Gott überlässt uns unserem Stolz und unserer Selbstgefälligkeit. Der Mann von einem einfachen bescheidenen Äußeren hingegen, der Ordensmann, der aus solch einer Gesinnung heraus handelt, trägt seinen Wert in sich, er versteht seine Rolle, und Gott ist mit ihm.
Dieses schöne Fundament, auf dem wir unser ganzes Ordensleben aufbauen, diese intensive Gottesliebe, die uns alles durch ihn und in seinem Namen und seiner Kraft tun lässt, lohnt die Mühe, die es aufzubringen gilt, um sie zu erwerben: „Seid standhaft!“ Ich sage es noch einmal: Gott ist da zugegen: „Morgen werdet ihr die Herrlichkeit Gottes schauen!“ Er geht bereits auf den Anfang eurer Wünsche ein und lässt euch gar nicht zu Ende kommen. Er steht euch zur Seite in allem, was ihr in Angriff nehmt. Er beschützt euch in allen Gefahren.
Meine Freunde, keinen Zweifel: Gott hat seine providentiellen Pläne mit der Kongregation vor. Von Tag zu Tag mehren sich die Beweise. Ihr habt die ausnehmende Ehre, einem privilegierten Werke Gottes die Hand zu leihen, seid eingegliedert einer auserwählten Miliz Gottes, für die Gott mit Sicherheit viele Siege bereithält. Schon die Patres, die euch vorausgingen, haben gekämpft und gesiegt. Ihr selbst habt euch schon gemüht und mehr als einmal gekämpft und seid geprüft worden. Das hat euern Eifer nicht gemindert, ja ihr seid gekommen, Gott zu bitten, er möge euch für immer in seinen Dienst nehmen. Unser Gebet verbindet sich mit dem euren. Damit werdet ihr dem Herzen eines jeden unserer Patres noch teurer. Wir werden mit einem ganz neuen Eifer zusammenarbeiten. Und Gott wird unsere bereits jetzt schon so feste und beglückende Einheit segnen. Dank seiner Gnadenhilfe glaube ich schon heute Grund zu haben, ihm zu danken für die Liebe, die euer aller Herzen so sichtbar eint. Mögen seine Gnade und seine Segnungen in reichstem Maße auf euch niedersteigen. Mögen sie auch unsere jüngeren Patres einbeziehen. Mögen sie jene ermutigen, die euch unmittelbar folgen. Mögen diese Segnungen solcher Art sein, dass sie in eurem Gefolge auch viele andere starke und standhafte Seelen anziehen. Amen.