10. Vortrag: Schlussansprache: Die Erbauung des Nächsten.
„Gehet hin und lehret alle Völker.“ Das ist die letzte Empfehlung unseres Herrn an die Apostel vor seiner Himmelfahrt. Ich glaube, meine Freunde, diese Worte sollten wir am Schluss unserer Exerzitien auf uns beziehen. Gehen auch wir und lehren wir alle, die zu uns kommen. Lehren wir sie so, wie ich während dieser hl. Tage geraten habe, durch unser Wissen, durch unsere Lehrweisheit. Unterweisen wir sie auch durch den guten Einfluss, den wir auf unsere Umgebung ausüben, durch das Beispiel, das wir ihnen geben. Lehret alle, auch die Gläubigen, an die wir nicht unser Wort richten. Einen Schüler, zu dem wir nichts sagen. Alle Menschen, die uns nur im Vorbeigehen sehen, und das sind viele. Wie werden sie über uns urteilen? Wenden wir auf sie das Wort unseres Herrn an und ziehen wir daraus Nutzen. Predigen und unterweisen wir durch unser Beispiel. Dieses gute Beispiel soll nicht die Frucht einer Berechnung, einer vorübergehenden Achtsamkeit auf uns sein. „Das Reich Gottes ist in euch.“ Die Macht und die Herrschaft Gottes wirken sich erst in uns aus. Unser hl. Stifter sagt, unsere Tugend sollte erst in uns selbst überfließen und in uns selbst treu praktiziert werden, damit sie durch unser ganzes Wesen dringe und so den Nächsten erbauen kann.
Zur Erbauung sollten wir unseren Kollegien dienen. Können wir das von uns sagen? Bedenken wir, dass die Schüler uns nachahmen und wir ihnen auch zur Ausrede dienen: „Ich mache es so wie der und der Pater.“ Sie sind leichtsinnig, zerstreut bis dort hinaus, aber das sehen sie doch. Über uns täuschen sie sich nicht. Sagt euch darum selber: Ich möchte ein Heiliger werden. Schlage ich euch da nur eine fromme Übung vor? Nein, meine Freunde, das ist eine rigorose Verpflichtung für uns, weil Gott uns die Heiligung der Seelen zur Aufgabe gemacht hat. Wir müssen sie heilig machen, und darum trachten wir, unserem Bemühen Wirksamkeit zu verleihen, indem wir all die Mittel, die in unserer Macht sind, zu gebrauchen.
Lasst uns also am Ende dieser Exerzitien den Entschluss fassen, unsere Schüler nicht so sehr durch unsere Worte zu erbauen, oder durch das, was wir zu sein vorgeben, als vielmehr durch das, was wir wirklich sind. Einem Kind muss man fünfzigmal dasselbe sagen, zum Unterschied von einem Erwachsenen. Will er sich über uns ein Urteil bilden, braucht er von unserer Seite keinen Wortschwall. Er baut sein Urteil auf solidere Grundlagen, die ihn nie täuschen. Er schaut nicht auf das, was wir gesagt oder getan haben, sondern auf das, was wir sind. Ob man will oder nicht, man verrät immer, was man ist. Seien wir darum gute und heilige Ordensleute.
Es gibt aber eine äußere Regel, die man beachten muss, um die Mitmenschen und unsere Schüler zu erbauen. Unsere ganze Haltung und unsere Art, uns zu geben, kann sie erbauen. Müssen wir uns dazu zur Steifheit zwingen und uns selbst studieren? Das nicht, aber gewisse Dinge heißt es dennoch gewissenhaft zu meiden: Das Sichgehenlassen, die Hände in die Tasche stecken, mit den Händen übers Gesicht und durch die Haare fahren, weltliche und zerstreute Manieren zur Schau tragen. All das ist doch nichts, sagt ihr vielleicht. O doch, das ist sehr wichtig. Wahrt immer die Würde, ob in der Klasse oder in der Freizeit. Eure Haltung sei korrekt, im Einklang mit eurem Inneren. Ihr sollt ja in der Gegenwart Gottes leben, ihr zusammen mit Gott in euch. In eurem Äußeren sollte eure Aufmerksamkeit auf diese Gegenwart aufscheinen. „Nichts als Ernst und Religiosität möge ihr Äußeres prägen“, sagt das Konzil von Trient von den Klerikern. Umkleiden wir uns mit dieser Würde. Sie möge vor uns herziehen. Stützt euch in der Kapelle wie in der Klasse nie auf, wenn ihr nicht krank seid. Faltet die Hände beim Gebet. Das weckt Sammlung und Gebet. Das erbaut die Schüler und zeigt ihnen, wie man beten soll. Schlagt nicht die Füße oder die Beine übereinander. Beugt euch in eurem Gehen weder nach rechts noch nach links. Stützt euch nicht auf mit einer mehr oder weniger zerstreuten und gelangweilten Miene.
Erbaut die Schüler auch mit den Worten. Sich nicht, indem ihr ständig predigt, sondern durch jene gute Unterhaltung, die den Duft Jesu Christi atmet, indem ihr hin und wieder ein gutes Wort klug, diskret und liebenswürdig an den Mann bringt. Erbaut überall den Nächsten, wo immer ihr mit ihm zusammentrefft. Geht ihr in Ferien oder zu einer weltlichen Versammlung, tut es mit großer Bescheidenheit, Einfachheit und Natürlichkeit. Seid äußerst schlicht und demütig, so trägt man das mit sich herum wie einen Duft, der sich ausbreitet und alles erfüllt.
Seid allezeit darauf bedacht, den Nächsten zu erbauen. Tut das auch in euren Briefen. Wir sollten nicht wie Weltleuten schreiben. Bei uns sollte darin Klugheit und Vernünftigkeit vorherrschen. Predigen wird man nicht, wenn es schlecht am Platz ist. Wie unser seliger Vater wollen wir nur mit Weisheit und Klugheit sprechen. Seien wir das vollkommene Abbild des hl. Franz v. Sales, und tragen wir wie er den Duft unseres Herrn Jesus Christus überall hin.
Wir sind hier in Foicy, an der Stätte, wo das Christentum in Troyes seinen Anfang nahm, und das zu einem Zeitpunkt, wo dieses Christentum in Troyes zu erlöschen scheint. Das geschieht im Hinblick auf die Politik, auf die Ideen, die Dispositionen und die Tugenden der Christen. Man ist fast nur noch dem Namen nach Christ. Man versteht die Fragen des Glaubens nicht mehr, weiß gar nicht, was Abtötung bedeutet. Wir sind verpflichtet, die Kinder zu erziehen, die mit einer so schwachen Dosis von Christentum behaftet sind, dass sie kaum mehr spürbar ist. Gott und die Vorsehung hat uns hier zusammengeführt wie die ersten Apostel, wie einen hl. Paulus, einen hl. Savinian, damit wir die Welt von heute bekehren, wie sie es mit der damaligen getan haben. Das uns fällt uns schwerer als ihnen. Wir besitzen nicht mehr die Heiligkeit, den Eifer und die Glut der ersten Apostel.
Welche Folgerung müssen wir daraus ziehen? Dass wir echte Kinder der hl. Kirche, echte Kinder des hl. Savinian werden müssen. Ihren Mut, ihre Tatkraft und ihren Glauben müssen auch wir erwerben, denn wir haben die gleiche Arbeit zu vollbringen wie sie. Die Welt wartet darauf, dass wir sie bekehren. Und diese Arbeit ist vielleicht schwieriger als die ihre war: Der hl. Savinian predigte auf öffentlichem Platz. Würdet ihr dasselbe tun, käme die Polizei euch verhaften, und die braven Leute würden euch anzeigen und verspotten.
Wer soll aber die Welt bekehren, wenn nicht die Ordensleute? Wer soll den Glauben zurückbringen, wenn nicht wir? Wir Priester und Ordensleute! Wir besonders, weil wir ja zu diesem Zweck existieren, auf diesem dürren, ausgetrockneten und vom Sturmwind verbrannten Gebiet zu arbeiten.
Haben wir also, wenn irgend möglich, noch mehr Glauben, Eifer und Liebe zu Gott als es diese ersten Apostel und der hl. Savinian hatten. Die Gute Mutter sagte doch: Das Evangelium muss neu gedruckt werden in den Seelen. Was ist der Oblate denn anders als einer, der sich verzehrt bei dieser Neuauflage? Wie wünschte ich, liebe Freunde, dass diese Gedanken ein bisschen in euren aufkeimen würden. Möge jeder das, was ich sage, als an ihn persönlich gerichtet betrachten! Als einen Spezialanruf Gottes, ein Missionar seiner Wahrheit und hl. Liebe werden: Gott ruft mich, ich bin nicht der Meister und Herr, ich habe kein Recht, seinen Plänen über mich eine Grenze zu setzen. Möge unser Herr euch das verstehen lassen. Ihr seid ja keine Kinder mehr, bleibt also nicht gleichgültig! Seid Apostel wie der hl. Paulus und der hl. Savinian. Das möge in euren Herzen vollkommen beschlossen und entschieden sein. Ihr habt eine Sendung Gottes zu verwirklichen, eine Mission, die er euch in seiner Liebe übertragen hat. So erfüllt die Pflichten, die diese Sendung euch auferlegt! Gebt euch Gott hin in diesem Sinn durch das Mittel des Direktoriums, wenn ihr Katechismus gebt, predigt, unterrichtet, Handarbeit leistet. Würde der liebe Gott in diesem Augenblick erscheinen, und euch sagen, was er in seinem ewigen Willen über jeden von euch beschlossen hat, wie viel Seelen er euch zur Heiligung übertragen hat, sie zu trösten und zu retten, da wäret ihr überrascht und vielleicht erschreckt. Was also tun, dass jeder von uns das Programm erfüllt, das zum Himmel führen soll? Was tun, um so viele Seelen zu retten? Welche Mittel anwenden? Das ist ganz einfach: Die Betrachtung, die hl. Messe, die Kommunionen, die ihr empfangt, mit einem Wort, euer Direktorium, den Gehorsam, das Leiden. Unser Herr hat die Welt auch nicht erlöst durch die Predigt allein, sondern durch die Abtötungen seines Lebens, die Leiden seiner Passion, durch sein Blut und seinen Tod.
Ich beschwöre euch bei der Liebe unseres Herrn, begreift, dass ihr andere erbauen müsst, dass ihr die Apostel dieser Weltstunde und dieses Augenblicks sein müsst. Dass ihr nicht müßig euch verdrücken dürft in eine Ecke des Arbeitsfeldes. Die Ernte ruft euch! Ihr könnt euch davon nicht freisprechen, ohne eure Pflichten zu vernachlässigen und euer ewiges Heil aufs Spiel zu setzen. Denkt daran, denkt darüber nach und sagt euch: Ich bin für die Pläne des Apostolates, die Gott mir zugedacht, verantwortlich. Er wird Rechenschaft dafür verlangen. Ich muss ihnen entsprechen durch meine treue Observanz, durch den Glauben, durch meinen Einsatz im Kampf und der in der Prüfung. Lest bei dem Theologen nach, den ihr wollt: Nehmt den hl. Thomas, da seht ihr die Wirksamkeit des Leidens. Nehmt seinen Kommentar über die Lehre des hl. Paulus, dass unser Herr jeden Menschen virtuell und wirkmächtig losgekauft hat. Wird aber sein Blut in Wirklichkeit jedem zugewendet? Wird sein Blut bis zum letzten Tropfen diesem göttlichen Zweck zugeführt? Nein, denn viele gehen verloren. Wer führt also dieses Blut unseres Herrn seinem Ziel und Zweck zu? Unser Herr lebt und handelt in seinen Sakramenten, in seiner Kirche. Aber: Durch wen handelt er? Vor allem durch seine Priester und seine Ordensleute. Durch sie vollendet er seine Erlösung der Welt. Hätte unser Herr bei der Himmelfahrt nicht seine Apostel und seine Kirche auf der Erde zurückgelassen, wer wäre dann gerettet worden? Wir sind also nach den Plänen Gottes und seiner göttlichen Ordnung dazu bestimmt, das Blut unseres Herrn wirksam werden zu lassen, zu ergänzen, was an seiner Passion noch fehlt zur Rettung der Seele.
Wenn wir nicht daran denken, stehen wir nicht in der Wahrheit, sind Abenteurer, verlorene Wachposten, die kein Ziel und keinen Zweck haben. Wir tun dann nichts und hoffen nichts. Während dieser Zeit dehnt sich Satans Herrschaft immer weiter aus. Man wirft uns Klerikern und Priestern des Herrn verdientermaßen vor: Wir tun nicht genug! Während der Herr des Feldes schlief, kam der Feind und säte Unkraut. Hätte eine Waffe im Anschlag gehabt, wäre er nicht willens zu kämpfen, anzugreifen, so hätte der Feind nicht gewagt sich zu zeigen. Wären die Priester vom Eifer für das Heil der Seelen beherrscht, vom Wunsch, zu erbauen, niemand Ärgernis zu geben, dann wäre der Feind nicht Herr und seine Verwüstungen bleiben auf dem Acker des Familienvaters gering. Meine Freunde, lasst uns Männer Gottes sein, und gehen wir von dieser Kapelle als Missionare fort, wie die Apostel nach dem Empfang des Hl. Geistes. Ich wiederhole die Worte, die mir der Hl. Vater gesagt hat: „Ich sende Sie nach Frankreich. Sie werden auch anderswo hingehen. Suchen Sie bitte die Bischöfe auf… Ich tat unrecht, nicht das fortzuführen, was ich begonnen hatte. Beginnen wir mit dem Erzbischof von Cambrai, gehen Sie nach Bordeaux, nach Marseille. Besuchen Sie sämtliche Bischöfe und sagen Sie ihnen, was ich Ihnen da auftrage. Ich liebe Ihr Institut. Sie haben immense Dienste zu leisten. Seid treue, großmütige, bis zum Vergießen eures Blutes opfermütige Ordensleute…“ So muss der Ordensmann aussehen, den wir brauchen. Geht jetzt und seid stets eingedenk, dass ihr mit dem Papst arbeitet und der Papst mit euch ist… Im folgenden Jahr hatte ich die Bischöfe nicht aufgesucht, wie der Papst mir aufgetragen hatte. Und er machte mir das zum Vorwurf. Wenn der Papst etwas sagt, etwas zu tun, dann muss man es tun… Nun, ich hatte den Befehl nicht ausführen können, die Umstände waren stärker gewesen, als mein Wille… Ich möchte jetzt nur die Kraft und Energie haben, euren Geist tief zu beeindrucken und euer Herz zu rühren. Mehr kann ich nicht tun. Bittet unseren beim hl. Sakrament, bei der hl. Messe, dass er in euch das heilige Feuer des Apostolates entzünde. Dass er begreiflich macht, was der Hl. Vater von uns will. Sagt euch: „Ich will dem Erlöser folgen dorthin, wo er mich haben will, ich will ihm folgen und seinen Wünschen und Intentionen entsprechen.“
Bittet gleich beim hl. Segen darum, bittet den hl. Savinian und jene lange Kette von hl. Seelen, die einander in diesem Kloster Foicy folgten. Es waren hl. Ordensfrauen, die die Welt mit ihren Almosen und ihrer Regeltreue erbauten. Von hier sind sie zum Himmel eingegangen. In diesem Augenblick schauen sie auf euch und sind glücklich, uns auf dem Boden arbeiten und uns mühen zu sehen, auf dem sie einst gegangen sind. Sie sind voll des Wunsches, dass wir, wie sie es taten, danach streben, den hl. Willen Gottes zu tun.