5. Vortrag: Die Armut.
Wir wollen unsere Exerzitien in der Sammlung und Gotthingegebenheit fortsetzen, indem wir unser ganzes Denken und Wollen konzentrieren und uns in Gottes Gegenwart halten, um ihn ganz zu verstehen.
Heute Morgen wollen wir uns über die Armut unterhalten. Ihr wisst, worin das Gelübde der Armut besteht: nichts zu eigen zu besitzen und über nichts frei zu verfügen. Denn weder der Besitz noch die Nutznießung von Gütern steht uns zu. Scheint uns aufgrund gesetzlicher Bestimmungen ein Eigentumsrecht zu verbleiben, so unterstehen alle Akte, dieses Recht auszuüben, dem Gehorsam. Armut bedeutet also, nichts sein eigen zu nennen, noch über Dinge unabhängig zu verfügen, die uns aufgrund des Gesetzes oder sonst wie verbleiben, es sei denn mit Erlaubnis des Oberen. Die Ordensregel ist in diesem Punkt sehr genau und streng: Die Kongregation der Bischöfe und Ordensleute hat vor einigen Jahren diese Bestimmungen erlassen und verlangt, sie in die Satzungen der neuen Institute aufzunehmen. Ich brauche hier nicht in Einzelheiten einzutreten, man braucht im Bedarfsfall nur auf den Wortlaut der Konstitutionen zurückzugreifen.
Das Armutsgelübde macht den Ordensmann ( - wenn man diesen Vergleich mal gebrauchen will - ) zu einem abgeschiedenen, in dem Sinn, dass ein Toter eben nichts mehr besitzt und über nichts mehr verfügen kann. Das kanonische Recht sagt deshalb formell: tamquam mortuus (wie ein Verstorbener). Er ist in seinen Verfügungen gebunden und kann Eigentumsakte nur innerhalb des Gehorsams ausführen: andernfalls wäre ein solcher Akt nichtig und schuldhaft. Ein anderer verwaltet und besitzt an unserer Stelle, bestimmt die zu befolgende Ordnung und Richtung und verfügt über unsere Güter. Tun wir alles das selbst, dann nur kraft des Gehorsams, da wir auf ein freies und unabhängiges Besitzrecht verzichten.
Die vollständige Besitzlosigkeit war und ist das Vorrecht gewisser Orden. So praktizierten die Bettelorden eine absolute Armut. Selbst die Kommunität kann bei ihnen nichts ihr eigen nennen, nicht einmal ihre Häuser. Denn die Unterkünfte der Gemeinschaft gehören der Kirche, sind Eigentum des Papstes. Sie rechneten es sich als Verdienst an, nicht einmal einen Stein zu haben, worauf sie ihr Haupt legen können. Das ist sehr schön, ist eine Zierde der Kirche. Diese Orden hatten die Armut unseres Herrn noch überboten und führten buchstäblich das Wort des Evangeliums aus: „Die Füchse haben ihre Höhlen, der Menschensohn aber nichts, worauf er sein Haupt legen kann.“ Diese Bettelorden gibt es immer noch, wo es möglich ist und pflegen ihre Art zu leben. Gewiss sind sie nicht mehr so zahlreich wie ehedem, und zwar wegen der Schwierigkeiten der Zeit und wegen der Freimaurerei, der geheimen Gesellschaften und der Sektierer aller Art.
Bei allen armen Orden hat man die Feststellung gemacht, dass sie sehr fröhlich und glücklich sind. Überall kennt man das Sprichwort, es gäbe nichts Froheres als einen Kapuziner. Ihr armes Leben, wie sie es lieben, bringt ihnen sicher viele Entbehrungen. Gott aber lohnt ihre Opfer, indem er sie zu den fröhlichsten Ordensleuten macht. Mit diesem äußeren und materiellen Vorteil verbindet die Armut gern die Gabe der höchsten Beschauung: Seht nur den hl. Bonaventura und den hl. Franz von Assisi, der eine wie der andere von Gott hoch ausgezeichnet. Gott offenbart sich dem armen Ordensmann auf eine ganz spezielle Weise. Die hl. Theresia rechnete es zur Ehre an, ganz arm zu sein. Bei den Töchtern der hl. Theresia begegnet uns etwas so Gütiges, Angenehmes, Fröhliches und Glückliches, das sich in der Seinsweise dieser Ordensfrauen einprägt. Gott krönt die die Armut mit höchsten Seligkeiten: „Selig die Armen, denn ihrer ist das Himmelreich.“ In der Beraubung von materiellen Dingen liegt mehr Glück und Seligkeit als in ihrem Genuss. Das Maß des Verzichts, den man sich auferlegt, entspricht dem Maß der inneren Seelenfreude. Gott belohnt den Verzicht auf die Dinge dieser Welt und auf die irdischen Genüsse mit übersprudelnder Freude. Kraft unseres Gelübdes sollen wir also nichts unser Eigen nennen, und nichts gebrauchen ohne Erlaubnis. Das vorausgesetzt, wie sollen wir nun in der Praxis unser Armutsgelübde ausüben? Nach den Weisungen unserer Regel! Unsere Kleidung, Nahrung und Unterkunft sollen sich von denen der anderen in nichts unterscheiden, sodass man nichts Auffallendes daran findet und wir jede Übertreibung nach der einen wie der anderen Seite vermeiden. Unsere Kleider seien sauber, und schicklich. Wir suchen keinen Luxus oder Ausgefallenes, dulden aber an uns ebenso wenig Unsauberkeit und Risse, oder was sonst der Schicklichkeit widerspräche. Wir tun dies schon aus Ehrfurcht vor unseren Mitbrüdern und unserer sonstigen Umgebung. Sind unsere Kleider auch sauber und anständig, so wollen wir uns aber auch gern einen kleinen Zwang auflegen in der Art wie wir uns kleiden, sowie die Entbehrungen annehmen, die uns treffen können. Und auch, wenn uns etwas nicht ganz passt, dann freuen wir uns auch darüber, weil wir die hl. Armut auch so spüren können. Bewahren wir für uns ein kleines Geheimnis, wie wir es bei verschiedenen Gelegenheiten diese schöne Tugend fühlen können. Seien wir also auch in dieser Hinsicht treu. Wir haben beschlossen, dass wir uns alle auf dieselbe Art und Weise und bei demselben Schneider einkleiden. Auch die Jesuiten tragen alle dieselbe Kleidung, ihre Soutane ist nicht elegant. Wird ein Jesuit deshalb weniger geachtet als ein anderer Priester, der eine nach dem letzten Schnitt angefertigten Talar oder einen eleganten, wattierten Mantel trägt? Ein Ordensmann mit allzu gepflegtem Äußeren flößt bei den Gläubigen zum mindesten ein gewisses Misstrauen ein – um kein gröberes Wort zu gebrauchen – nämlich einen gewissen Abscheu. Das verlangt freilich zwangsläufig gewisse Verzichte. Nach diesen Exerzitien sei es also eine ausgemachte Sache: alle tragen dieselben Kleider und gehen zum selben Schneider. Dann können uns die Engel jederzeit erkennen. Der hl. Hieronymus behauptet, die Engel seien nicht alle gleich weise. Es gäbe unter ihnen auch brave Typen, die nicht sehr gelehrt sind. Er erzählt von einem Mönch, der in der ägyptischen Thebais wohnte und nach Alexandrien ging, um dort seine Matten zu verkaufen. Vorher aber hatte er auf seine Kutte mehr Sorgfalt gelegt als gewöhnlich. Und siehe da, die Gnade Gottes verließ ihn. Da beschwerte er sich bei seinem Oberen, der Gebete verrichten ließ, um den Grund von Gott zu erfahren. Und er erfuhr durch eine Erleuchtung, dass die Engel den armen Mönch in diesem neuen Kostüm nicht mehr erkannt hatten. Seht ihr, warum auch wir uns alle auf die gleiche Weise kleiden sollen?
Dazu kommt noch etwas anderes: Wir sind arm und müssen deshalb auf die Erhaltung unserer Kleider achten. Ich nenne euch ein ganz einfaches Hilfsmittel, wie ihr eure Flecken wegbringt: nehmt ein Stück raue Wolle und reibt mit Wasser den Flecken ab. Habt ihr keine Wolle zur Hand, so gebraucht einen Strumpf dazu. Ist es ein Ölfleck, muss man die Prozedur ein paarmal wiederholen. Halten wir unsere Kleider immer sauber und gehen wir sorgsam damit um. Arme sind darauf angewiesen. Daran werden uns die Engel erkennen. Nehmen wir das nicht auf die leichte Schulter. Der hl. Bernhard meint, Unsauberkeit sei bei Weltleuten Unsauberkeit, bei Klerikern aber eine Sünde, weil es Vernachlässigung oder Geringschätzung unseres Talars beweist.
Was unsere Nahrung betrifft: wir arbeiten viel und befinden uns somit in der gleichen Lage wie alle übrigen Menschen, müssen also auch leben wie alle anderen, d.h. wie die Leute gewöhnlichen Standes, die von ihrer eigenen Arbeit leben. Wir sind die Arbeiter der hl. Kirche. Lasst uns diese kleine Abtötung bei Tisch vornehmen, manchmal negativ (alles annehmen, was vorgesetzt wird), was leichter fällt als eine positive Entsagung. Widerstehen wir den Versuchungen, denen man ausgesetzt ist bei Müdigkeit und Schwäche, bei der Volksmission oder sonst wo, und wenn uns ein besseres Mahl vorgesetzt wird. Nehmt einfach, was man euch anbietet, aber übertreibt nicht! Wenn möglich, mischt stets etwas Wasser euerem Wein bei. Das gelte euch als feste Regel! Fürchtet ihr, eure Gastgeber dadurch zu beleidigen, dann lasst das Wasser weg und nehmt dafür weniger Wein! Wir haben zwar keine drei Fastenzeiten wie die Franziskaner, die mehr fasten als wir. Aber wir wollen Ordensleute bleiben.
Erinnern wir uns daran, dass wir bei Tisch uns immer zurückhalten und uns nicht an den Unterhaltungen über die aufgetragenen Gerichte beteiligen sollen. Fragt man uns nach unserer Meinung, so geben wir einfach und offen Antwort. Sonst aber tun wir, wie es armen Ordensleuten so gut ansteht, die derlei Dinge nicht wissen oder sich nicht damit abgeben.
Glaubt einer, größere Entsagungen täten ihm not, dann frage er zuerst den Oberen oder den Beichtvater. Vernehmen wir einen Ruf Gottes, dann wir die Stimme Gottes nicht zu ersticken, holen uns aber das nötige Licht beim Gehorsam. Den Geist Gottes wollen wir nicht auslöschen: wen Gott zu vermehrter Abtötung ruft, soll es tun, jedoch allezeit innerhalb der klösterlichen Observanz und Regel. Was unsere Zellenausstattung betrifft, so glaube ich, dass von dieser Seite keine für unsere Armut droht. Und daran halten wir uns. Wenn wir später einmal richtige Klöster und Wohnungen haben, bleibe die Armut unser Leitstern. Wir wollen mit unserer Bescheidenheit zwar niemand schockieren, aber doch äußerste Einfachheit walten lassen. Wir brauchen im Haus ja nicht die Armut des ärmsten Handlangers praktizieren. Uns genügt der Hausstand eines Arbeiters in mittleren Verhältnissen, dessen Zimmer nicht vollstehen von wuchtigen Lehnstühlen, bequemen Sitzgelegenheiten und luxuriösen Möbelstücken. Ein Armer liebt zwar rechtes Maß und Ordnung, meidet aber alles Ausgesuchte. Nichts skandalisiert mehr die Gläubigen als wenn Ordensleute im Überfluss leben. Gewiss bilden die Kollegien eine Ausnahme. Da bedarf es eines geziemenden und sauberen modus vivendi, der aber gleichwohl allen Luxus ausschließt. Unser einziger Aufwand bestehe in der Größe unserer Klöster und Säle. Ihre Einrichtung aber zeuge von größter Bescheidenheit, wie es eben bei Armen Sitte ist.
Als ich das erste Mal die Heimsuchung von Troyes betrat, fühlte ich mich wie eingehüllt vom Duft klösterlicher Armut, den dort alles atmete. Man spürte einfach in allem den lieben Gott. Der Kirchenraum verdient mehr Schmuck, weil er für den lieben Gott gedacht ist. Unser hl. Stifter sagte, so man etwas Wertvolles besitze, möge es für Kirche und Sakristei vorbehalten bleiben. Ansonsten wahre man – selbst für die Kirche – das vernünftige Maß. Es bedarf keineswegs – wie man mancherorts sieht – heiliger Gefäße von immensem Wert. Ist es ein Geschenk, vermeide man alle Übertreibung. All das ist wichtig, man notiere es sich und erinnere sich bei Gelegenheit daran.
Die vollkommen geübte Armut verschafft unserer Seele großen Frieden. Wie viel Wonne erlebt die Seele bei einer Armut, die sie unserem Herrn ähnlich macht. Oder waren seine Einschränkungen sowie die des hl. Josef und der seligen Jungfrau etwa nicht die gleichen? Betrachtet unseren Herrn z.B. in der Wohnung zu Kafarnaum, wo er sich nach dem Tod des hl. Josef aufhielt: das sei auch uns eine Lebensregel, eine Grenze, die wir nie überschreiten.
Die wohlverstandene Armut hindert den Oblaten des Weiteren daran, unnütze Ausgaben auf welchem Gebiet auch immer zu machen. Ein Ordensmann gibt in dem ihm zugewiesenen Amt so wenig wie möglich aus. Er beschränkt sich auf das Notwendige und überlegt, wie er die gebotenen Grenzen nicht überschreitet. Das gilt auch für später. In den Belangen der Landwirtschaft wie in allen anderen Fragen wählen wir immer das Schickliche und Notwendige und ahmen Arme nach, die unnütze Ausgaben vermeiden.
Lasst mich noch ein Wort zu diesem Gedanken der Sparsamkeit hinzufügen. Es gibt für die Armen eingerichtete Sparkassen. Reiche Häuser sparen nicht. Das ist nur Sache der Armen. Man kann in seinem Amt mit allem sparsam umgehen, selbst mit Papier und Tinte. Gehen wir da vor, wie es die Armen dieser Welt tun, die sich in allem einzuschränken gezwungen sind, weil es ihnen einfach an übrigem Geld fehlt. Mag die Kommunität reich sein, das hindert in keiner Weise den einzelnen Oblaten, arm zu leben. Wer hätte übrigens das Recht, überflüssige Güter der Kommunität zu gebrauchen? Alle drei Jahre muss Rom der Zustand der finanziellen Lage einer jeden Kongregation gemeldet werden. Dem Papst steht es dann zu, zu bestimmen, welchen Gebrauch man von den nicht notwendigen Dingen machen soll. Ohne seine Genehmigung dürfen wir nicht darüber verfügen.
Die heilige Armut sollte uns allen am Herzen liegen und wir sollten nach besten Kräften sparen. Gehen wir äußerst haushälterisch und sorgfältig mit diesen Dingen um. Gewiss, das legt uns einen gewissen Zwang auf, aber gerade dieser Zwang zieht uns die Segnungen Gottes zu. Auch der Arme dieser Welt draußen schränkt sich ein und überlegt zwei Mal, ob er eine Ausgabe machen soll. Es darf nicht heißen: Die Kommunität kann schon bezahlen. Ich lege euch darum sehr die Sparsamkeit ans Herz, die des Armen in der Welt, auch die unseres Herrn zu Nazareth und der seligen Jungfrau, die nur das unbedingt Notwendige ausgab. So wollen wir es halten, dann wird der liebe Gott immer mit uns sein.
Haben wir Ehrfurcht vor allem, was uns zum Gebrauche dient, meiden wir unnütze Einkäufe, wählen wir stets das Einfache und das für uns Passende, so dass alles den Geist der Armut atmet.
Eine so verstandene Armut gleicht der Rinde am Baum. Der Baum lebt vom Saft. Zieht ihr die Rinde ab, so stockt auch der Fluss des Saftes und der Baum stirbt allmählich ab. So dient auch die Armut wie eine Rinde, die die Frömmigkeit, den Glauben, die Gottesvereinigung und den Gehorsam schützt. Bitten wir unseren hl. Stifter um seinen Geist der Armut. Obwohl er Bischof war, pflegte er diesen Geist in seiner Kleidung und Wohnung. Geht nach Thorens und seht euch den die ärmlichen Zimmer an. Gewiss entfaltete man früher weniger Luxus als heutzutage. Die Möbel sind dort von äußerster Einfachheit.
Unser Herr wird, wenn wir ihn nachahmen, immer mit uns Armen sein. Er wird uns nicht verlassen, wird mit uns gehen, uns unterstützen und dorthin führen, wo es keine Armen mehr gibt, sondern solche, die reich geworden sind durch seine Liebe und Treue für solch eine ganze Ewigkeit.