3. Vortrag: Die Entsagung.
Ich bemerkte bei einigen von euch eine gewisse Überraschung über ein Wort, das ich im letzten Vortrag gesagt habe. Das bedarf also einer Erklärung: ich meine die Behauptung, dass das, was für andere Ordensleute genüge, für einen Oblaten nicht genug sei, weil der liebe Gott von Oblaten Vollkommeneres erwarte. Dieses Wort bedarf zweifellos einer Ausdeutung. Nicht im Entferntesten wollte ich damit zum Ausdruck bringen, die Oblaten seien oder würden später etwas besseres sein als die übrigen Ordensleute. Ihr Platz ist, was das Alter betrifft, der letzte, und diesen Platz wollen wir immer einnehmen. Er ist gut und als letzter Platz zieht er immer die Blicke des Erlösers auf sich. Meine Worte sollen vielmehr bedeuten, dass der Oblate keine strengen Fasten, keine drückende Armut zu ertragen hat, dass seine Regel mild und einfach ist. Auch kleidet er sich, schläft und isst wie alle anderen Menschen. Darum wird und kann er gar kein wahrer Ordensmann sein, wenn er nichts Besonderes zu tun hätte. Dieses Besondere ist die Gewissenhaftigkeit, die, aufmerksamer und wacher als bei anderen, viel tiefer reichen muss. Sie erstreckt sich auf die kleinsten Fehler und vermeidet auch ganz kleine Mängel, um der Gnade Gottes uneingeschränkt zu entsprechen. Darauf kommt es an, andernfalls sind wir nichts. Darum wiederhole ich, dass unsere Treue die der anderen übertreffen muss. Aber, Herr Pater, wir werden einmal Missionare in Südafrika sein, werden an den Küsten Afrikas vor Hunger sterben… Jawohl, auch dann wird diese Treue in jedem Augenblick ein starker Trost und eine feste Stütze für euch sein und nur so werdet ihr echte Oblaten des hl. Franz von Sales sein. Bewahrt euch darum ein waches und großmütiges Gewissen. Inmitten all der Mühsale des Apostolates wird euch das an den Küsten Afrikas erquicken, und an allen anderen Orten wird euch das die Achtung und das Vertrauen der anderen einbringen.
Und nun beginnen wir mit unserem Thema: Der hl. Paulus sagt, bei allen Dingen, Worten und Werken sollen wir uns mit der Abtötung Jesu Christi umgeben. Gilt das schon für jeden Christen, wie viel mehr dann für den Oblaten des hl. Franz von Sales. Für ihn stellt das eine absolute Verpflichtung dar. Unser Äußeres sollte einen religiösen Stempel tragen, überall hin begleite uns der Charakter eines echten Ordensmannes. Wenn man uns sieht, möge man uns von anderen Priestern und Ordensleuten unterscheiden können. Schließlich steht der Kartäuser des Nachts auf zum Offizium und der Trappist fastet alle Tage: wir tun das nicht. Überwindung im äußeren Verhalten, Beherrschung unserer Sinne und dieses stets wachsame Auge auf uns selbst kann das sein, was uns charakterisiert und unser Ordensleben zum Ausdruck bringt. Achten wir also mit allen Kräften darauf. Diese Selbstüberwindung will der liebe Gott, heißt es doch im Artikel von der „Guten Meinung“, wir sollten die Mühen, Leiden und Demütigungen, die uns bei unserem Tun begegnen, friedvoll und ergeben als Mittel, überreiche Verdienste zu erwerben, annehmen. Franz v. Sales scheint sich also nicht vorstellen zu können, dass die Oblaten, seine „Kinder“, irgendetwas ohne Selbstüberwindung vollbringen könnten.
Betrachtet ihn selbst. Der Bischof Camus von Belley, der sich ganz nach dem Vorbild des hl. Franz von Sales formen wollte, beging die Indiskretion, ein Loch in die Mauer, die Zwischenwand, die sein Zimmer von dem unseres hl. Stifters trennte, zu bohren. So konnte er sich überzeugen, dass er, wenn er allein war, die gleiche Ehrfurcht wahrte wie in der Öffentlichkeit, untadelig und vollkommen im Zimmer wie vor den Augen vieler Menschen. Und diese Selbstbeherrschung übte Franz v. Sales sein ganzes Leben lang. Das gleiche stellte ich bei der Guten Mutter fest, die eine wahre Tochter ihres vielgeliebten Vaters sein wollte. Und auf das möchte ich euch auch eure Aufmerksamkeit lenken. Nichts erbaut mehr als die vollkommene Selbstbeherrschung im Äußeren, Zurückhaltung in unserem Tun und Lassen.
Das beeindruckt die Leute und die Mädchen unserer Heime sehr.
Ich wünsche, dass die Novizen das Beispiel des P. Rollin nachahmen, wie er nicht die Beine übereinanderschlägt, sondern sich beim Sitzen aufrecht und korrekt und wie ein Ordensmann hält. Ja, so sollte es sein, das wollen wir beherzigen. Ihr könnt euch nicht vorstellen, welche Früchte solch eine ständige Selbstbeherrschung, diese etwas mühsame und anstrengende Haltung einbringt. Franz v. Sales gab nach seinem Tod ein frappierendes Zeugnis von dem Zwang, den er sich auf diese Weise auferlegt hat: Ein Teil seiner Leber war verhärtet, und nach Ansicht der Ärzte war dies eine Folge der Anstrengungen, denen er sich unterzogen hatte durch beständige Selbstbeherrschung. So wurde er Vater einer Familie, die das Land Italien überzieht, und das wird auch in den anderen Ländern Schule machen, und durch die Mittlerrolle der Oblaten bis in ferne Länder ausbreiten.
Wenn ihr kniet, schlagt eure Füße nicht übereinander, haltet euch gerade beim Sitzen, und wenn ihr euch ausruht dabei, legt dennoch nicht die Beine übereinander. Haltet euch gerade und krümmt euren Oberkörper nicht nach einer Seite…Diese Selbstbeherrschung in der Haltung bleibt nicht verborgen und verleiht einem Menschen eine gewisse Würde. Die Gläubigen sehen ja nicht in unser Herz, sie sehen nur unsere äußere Haltung, und das wird für sie zu einer eindrucksvollen Predigt. Das beweist die Geschichte des hl. Franz v. Assisi, der zusammen mit Bruder Leo zur Verkündigung des Wortes Gottes auszog. Er führte ihn durch die Straßen der Stadt Assisi, ohne ein einziges Wort zu sagen. Bei der Heimkehr fragte Bruder Leo: „Aber, mein Vater, wollten wir denn nicht predigen?“ – „Das haben wir getan“, erwiderte dieser, „unsere Haltung, unser armes und bescheidenes Äußere war die Predigt.“
Möge euer äußeres Gehabe also Einfachheit ausstrahlen wie das des hl. Stifters. Nichts in unseren Worten, unserer Sprache und unserem Benehmen sei auffallend. Unser hl. Stifter sagte, all das möge dem Wasser gleichen, das nur dann gut zu nennen sei, wenn es nach nichts rieche und schmecke. Gehen wir einfach, offen und natürlich voran ohne alle Künstelei und Geziertheit. Diese Abtötung unserer Haltung und unseres ganzen Äußeren zeige sich im Besonderen in unserer Sprechweise: das lege ich euch dringend ans Herz! Sprechen wir einfach, würdig und korrekt, ohne Schwulst und ohne uns selbst herauszustellen. Natürlich und schlicht wollen wir reden, wie es sich unter aufrichtigen Menschen geziemt, die sich selbst und anderen die gebührende Achtung zollen. Aus solch kleinen Münzen setzt sich unser Schatz zusammen, unser Talent, und so erwerben wir die nötige Vollkommenheit, um auch andere zu bekehren. Euer ganzes Äußere, euer Tun und Sprechen atme immer und überall Natürlichkeit, ohne alles Gesuchte und Seltsame. Der hl. Apostel Paulus nennt es: „Wie schicklich es ist.“ Die alten Schriftsteller haben unseren Herrn so gezeichnet. Der hl. Paulus findet das Benehmen unseres Erlösers so schön, dass er kein besseres Motiv weiß, die Korinther zu beschwören als die Formel: bei der Bescheidenheit Christi. Ich beschwöre euch, schreibt er ihnen, bei der Art, wie sich Christus gab – denn das bedeutet „Bescheidenheit“ – bei seiner Art, sich zu kleiden, zu sprechen, sich zu verhalten. Holt eure Eingebungen in Nazareth: Dort findet ihr ein kleines Haus, ganz einfach und arm, aber göttlich. Das ist der Eingang zum Himmel. Das gleicht Gott am Meisten, denn genau das hat er auf Erden erwählt.
Unser Ziel ist es, Jesus Christus in allem und ohne Abstriche nachzuahmen. Die Gute Mutter gestand, ihr „Weg“ bestehe nur darin, den Erlöser auf die Erde herabzuholen. Er kam, nicht nur um zu retten, zu erlösen, sondern um uns Vorbild zu sein. Seht nur, wie bescheiden er sich gibt, wie alles in seiner Bescheidenheit wohlgeordnet erscheint. Das offenbar gefällt ihm, das will er also auch von uns. Das unsere Frömmigkeitsübung. Sicher ist es schön, sich ins Herz Jesu zu versenken und in seine heilige Liebe, wir können darin gar nicht genug tun. Aber wir sind und wir werden noch lange Zeit ganz kleine Kinder (im religiösen Leben) sein: darum schauen wir einfach auf den Herrn! In die Geheimnisse seines Herzens und seiner Liebe vermögen wir doch nicht vorzudringen. Wir bewundern zwar diese Geheimnisse – mühen uns vor allem darum, sein Tun und Lassen nachzuahmen, uns zu verhalten und zu gehen wie er. – Hat doch die Gute Mutter gesagt, man werde den Erlöser wieder auf Erden wandeln sehen. Wandeln, was heißt das? Nun, dass wir so vollkommen wie möglich seine Haltung, seine Handlungs- und Seinsweise zum Ausdruck bringen, als käme er erneut auf unsere Erde zurück. Meine Freunde, er, Christus ist das wahre Formeisen der Oblaten, der Urtyp, nach dem wir uns gestalten sollten als seine Abbilder.
Keine unbedeutende Abtötung erwartet der hl. Paulus von uns, darum bestehe ich so sehr darauf: „Allezeit sollen wir die Abtötung Christi an uns herumtragen.“ Haben wir sonst noch eine Last geschultert, so schleppen wir sie nicht endlos mit uns herum. Auch unsere Kleider wechseln wir. Die Abtötung hingegen dürfen wir nie abwerfen!
Tragen wir sie überall mit uns herum: an unserem Schuhzeug, wenn es uns schlecht passt. An unseren Kleidern, wenn sie nicht ganz unseren Wünschen entsprechen. In unseren Blicken, indem wir die Neugier bezähmen. Die Ohren, indem wir sie dem Bösen, dem Gemeinen, Rohen und Unflätigen verschließen. Abtötung in unserer Unterhaltung, indem wir nur dem Einfachen und Guten in uns Zutritt gewähren. In unserem Essen, indem wir uns herzhaft überwinden. Gott sollte überall seinen Anteil haben, und vor allem da.
Ich komme heute vom Hundertsten zum Tausendsten. Aber ich halte diese Dinge für so wesentlich und wichtig für uns wie für die andern, dass wir darüber während der Exerzitien nachdenken und sie ergründen sollten, um energische Vorsätze zu fassen.
Nur noch ein Wort: Diese Art zu leben bietet einen immensen Vorteil: sie formt das Urteil und den Verstand. Es scheint, dass der Ordensmann, der diesen Weg geht, ein abgerundetes Wesen aus einem Guss darstellt, ohne alles Übertriebene und Anstoßende. Alles wirkt bei ihm wohlgeordnet, entspricht dem Ideal des Guten, Wahren und Schönen. Beim Trappisten lässt man vieles durchgehen, Überspanntheiten, Sonderlichkeiten, Merkwürdigkeiten: der Novizenmeister erteilt diesbezüglich keinen Tadel. Andere Predigerorden haben Freiheiten, die wir uns nicht erlauben würden. Was ist die Folge davon? Dass alle Trappisten sich nicht ausnähmen inmitten der Menschen. Einige wären richtige Originale und Sonderlinge, die sicherlich zur Erbauung gereichen würden, aber aufgrund weithergeholter Überlegungen. Andere Ordensleute bekunden einen erstaunlichen Eifer in großartigen Seelsorgeunternehmungen. Doch in ihren Beziehungen zu den Seelen, zum Nächsten spürt man stark den Menschen heraus, eine allzu persönliche Weise zu handeln und zu urteilen.
Mit der Abtötung, die uns abverlangt ist, wird der ganze Mensch in das Formeisen geworfen und nach dem göttlichen Modell gestaltet. Da bleibt nichts übrig für Übertreibungen und Sonderbarkeiten: Alles ist auf Gott hin gerichtet. Lieben wir darum, liebe Freunde, diese Art der Selbstverleugnung. Sie ist von großer Tragweite. Wer die nötige Kraft und den Mut dazu aufbringt, kann unseren hl. Stifter in allem und ohne Einschränkung nachahmen. Es bedarf freilich einer enormen physischen Kraft, um diese Last in jedem Augenblick zu tragen, diese Presse auszuhalten, die unser Leben ohne Erbarmen von einem Ende bis zum anderen umschließt und einzwängt. Betreten wir in aller Einfalt und Ehrlichkeit, ohne Scheu und Verlegenheit, ja ohne Anstrengung diesen Weg, es ist der Beste: Gottes Gnade wird das Ihre tun. Vermeiden wir allzu vertraulichen Umgang, das Sichgehenlassen in unseren Bewegungen, Gesten, Umgangsformen, Worten, indem wir allzu frei sagen, was wir denken, obwohl es in diesem Augenblick nicht angezeigt ist. Tragen wir unseren heiligen Talar mit Ehrfurcht. Wir sind kleine Leute, tun keine in die Augen springende Dinge, verstehen nur bescheidene Arbeiten zu erledigen: Mit diesen kleinen Dingen jedoch kommen wir ganz in die Nähe unseres lieben Herrn, ganz in die Nähe seines Herzens und Willen, wie die Offenbarung des Johannes sagt: sein göttlicher Wille und der unsere bilden eine Einheit.
Eines Tages reiste ich in Gesellschaft einer englischen Familie mit der Guten Mutter nach Reims. Diese Familie bestand aus vier Personen: Vater, Mutter, Großmutter und Tochter. Sie waren Protestanten. Der Engländer machte einen gediegenen und vornehmen Eindruck. Er bot der Guten Mutter etwas an, eine Frucht. Diese lehnte charmant ab. In ihrer ganzen Haltung war etwas so würdevolles und ehrfurchteinflößendes, dass der Engländer sich zu mir beugte und sagte: „Diese Dame ist sicher eine Persönlichkeit, eine hohe Persönlichkeit?“ – „Ja“, antwortete ich, „sie ist Oberin einer Ordensgemeinde.“ – „O“, fügte der Engländer hinzu, „wirklich höchst verehrungswürdig!“ – Da seht ihr den Eindruck, den sie infolge einer langen Gewohnheit bei jeder Gelegenheit und in allen Dingen auf andere machte. Als sie bereits achtzig Jahre alt war, stieg ich eines Tages mit ihr zusammen eine Treppe im Kloster hoch. „Gute Mutter, gebrauchen Sie nicht das Geländer?“ – „Nein, ich brauche es nicht“, entgegnete sie. – Sie hatte eben ein Geheimnis, und es bestand darin, sich in jedem Augenblick mit Gott zu vereinigen. Sobald man unter etwas leidet, sobald uns etwas abgeht, dann fühlt man sich nicht sich selbst überlassen. Man stützt sich einfach auf unseren Herrn. Man macht es sich zu einer lieben Gewohnheit, innerlich zu beten und zu betrachten. Seht ihr, diesen Weg sollten auch wir beschreiten, er führt zur Heiligkeit. Und das nützt nicht nur uns, sondern gleichermaßen allen Gläubigen. Welch ein kostbares Mittel für uns wie für sie, sich zu heiligen!
Eines Tages fragte Mutter Chantal den hl. Franz v. Sales: „Was gefällt Gott an Ihrem Tun am Meisten?“ Er antwortete: „Das ist ihm am liebsten, was ich mir entziehe und verweigere.“
Merken wir uns dieses Wort des hl. Stifters, es ist das Geheimnis der Geheimnisse. Der liebe Gott wird euch die Gnade schenken, dies zu verstehen, weil es zu eurer Berufung notwendig gehört.