12. Vortrag: Das Opfer.
Wir dehnen unsere Hl. Exerzitien bis morgen nach der Hl. Messe aus, damit wir die zehn vorgeschriebenen Tage vollenden, die für die Aufnahme ins Noviziat und die Zulassung zur Gelübdeablegung erforderlich sind. Lasst die Gnaden dieser Einkehrtage nicht vorzeitig in Nichts aufgehen, sondern verharrt in der Sammlung und Gegenwart Gottes. Das ist ja der Kern und Stern unseres Standes und unseres Daseins, Wesensmitte des Ordensmannes. Der Mönch ist der Mann des Geistes, der Betrachtung. Er ist immer „zuhause“, ergießt sich nicht nach „draußen“, verirrt sich nicht auf die öffentlichen Plätze. In den Schatzkammern seines Herzens sammelt er sorgfältig, was Gott ihm gibt. Jeden Augenblick kann er sprechen: „Hier bin ich, Herr, weil Du mich gerufen hast.“
Im Evangelium findet sich ein viertes Grundthema: das Opfer. Das fleischgewordene Wort hat gebetet, dass er uns gut beten lehre. Er hat gearbeitet, er hat gepredigt und zu guter Letzt hat er gelitten. Diese vier Vorbedingungen brauchen auch wir, um das Evangelium neu aufzulegen. Die vierte und letzte Seite seiner Botschaft ist somit das Leiden unseres Herrn. Unser Herr sollte die Welt erlösen, und zu diesem Zwecke leidet er. Er tut dies zwar freiwillig, doch aufgrund eines vorhergehenden Willensaktes seines Vaters: „Nicht wie ich will“, sagt er, „sondern wie Du willst.“
Wesentliche Voraussetzung ist somit der Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes. Und unser Herr unterzog sich dem Leiden nicht bloß während der Karwoche, er tat es vielmehr sein ganzes Leben hindurch: wie ein Schaf zur Schlachtbank geführt.
Das ist sein beständiger hervorstechender Zug.
Diese ganz besondere Wesensart im Leben unseres Herrn heißt es in uns ausprägen und verwirklichen. Der Prophet der Leiden, Jeremias, sagt, dass Gott drei Dinge verlangt: Ein Opferlamm, eine Opfertat und Weihrauch. Dasselbe lehrt übrigens auch die Gute Mutter. Wir sollen uns als Opferlämmer betrachten, die Gott zu Eigen sind, nicht uns selbst, als Opfergaben des göttlichen Willens.
Die „Gute Meinung“ besagt nichts anderes als diese Hinopferung unseres Seins an Gott. Die Einstellung unserer Seele sei gegenüber über allem, was uns begegnet, sehr demütig: die Regel, die der Oblate übt, der Mitmensch, mit dem er zusammenlebt, die Tätigkeiten und Anstrengungen, die seine Tage ausfüllen: all das ist der Wille oder die Zulassung Gottes, die es anzunehmen gilt und die uns überallhin den Charakter des Opfers tragen lässt. Opferlamm! Der Erlöser war es wesenhaft, in allen Umständen seines Erlöserlebens: In der Geburt, in seinem privaten und öffentlichen Leben, Opfer in den Händen seiner Henker, Opfer auch in den Händen Gottes! Der Charakter eines beständigen Opfers muss auch uns Oblaten begleiten, alles, was uns begegnet, müssen wir in aller Demut und Einfachheit als Opfer annehmen.
Ein Oblate des hl. Franz v. Sales sollte nichts anderes sein als ein Wesen, das opfert und geopfert wird, „oblatus“, ein Hingeopferter.
Diese Bereitschaft zum Opfern sei die beherrschende Note unserer Existenz. Deshalb werden wir aber nicht die erbärmlichsten Menschen sein, weil wir ja selbst den bittersten Kelch zusammen mit unserem Herrn trinken werden. Diese Geneigtheiten zum Opferbringen bewirkt, dass die peinlichsten und mühsamsten Dinge, die uns treffen, mit einem mutigen Herzen von uns gut geheißen und bejaht werden.
Der Prophet fügt aber seine persönliche Opfergesinnung hinzu. Das Opfertier liegt da vor ihm. Wartet es immer nur darauf, geschlachtet zu werden, so hat es wenig Verdienst. Was das Opfertier weiht und zu einem wahren Opfer macht, ist die Opfergesinnung, die Opferbereitschaft. Halten wir uns darum ohne Unterlass bereit zum Opfer, und geben wir großmütig, was Gott von uns verlangt.
Unsere Gute Mutter nennt als ein Gewohnheitsopfer das Kurzabschneiden. Kommt eine Pein über uns, heißt es jedes Überlegen kurz abschneiden. Ohne Murren sollen wir sagen: „Ja, Vater, ich nehme es an.“ Man macht euch zum Stolz, zur Sinnlichkeit: kurz abschneiden! Man macht euch Schwierigkeiten, verachtet euch: Warum sich lange dabei aufhalten? Wozu nach dieser Richtung eure Grübeleien ausdehnen? Kurz abschneiden!
Ein so verstandenes und praktiziertes Opfer ist Gott äußerst angenehm. Ein resolutes Abschneiden alles dessen, was euch an eurem Eigenwillen fesselt, euch nach rückwärts blicken lässt, was euren Fuß ausgleiten lässt und euch gefangen hält! Keine noch so heftige Bewegung wird euch dann noch herausreißen, ihr steckt im Sumpf. Darum rechtzeitig heraus aus dem Morast! Nicht einmal die Sandalen lasst darin! Heraus so schnell wie möglich und ohne Wenn und Aber fliehen!
Wenn man großmütig das Kurzabschneiden praktiziert, erwirbt man sich eine imponierende Fülle von Energie und Kraft. Der Magnet ist für sich allein schwach. Lässt man aber eine gradmäßig sich steigernde Zugkraft auf ihn wirken, verdoppelt, verdreifacht er seine erste Kraft. Zuerst ertragt ihr eine kleine Widerwärtigkeit, am folgenden Tag kann die Unannehmlichkeit schon wachsen und so geht es weiter. Eure Geduld und Opferkraft wird täglich stärker. So gewöhnt ihr euch Tag für Tag, Stunde für Stunde mehr ans Opferbringen. Und wenn dann eines Tages ein Befehl Gottes euch formell eine schwierige Sache abverlangt, sagt ihr ein mutiges und uneingeschränktes „Ja!“
Hier also liegt das Mittel und es ist leicht zu gebrauchen. Nicht durch lange Betrachtungen gelangt ihr dahin, sondern durch das Tun, durch täglich wiederholte Verzichte. Auch die Blutzeugen gelangten nicht erst an ihrem Todestag zu ihrem Heldenmut und Heroismus. Am bestimmten Tag, im Augenblick der Vollendung ihres Lebens hatten sie nur noch einen kleinen Akt zu vollbringen, um ihre Totalhingabe zu besiegeln.
Das Mittel, das ich euch da an die Hand gebe, ist äußerst nützlich und gut. Seht nur die Gute Mutter, wie sie immer ruhig blieb, die Schwächen der Natur und des Temperamentes wie der Gesundheit überwand. Es war das Kurzabschneiden und der Geist des Verzichts. Eines Tages sterben drei Schwestern auf einmal, gerade jene, auf die die Kommunität die größten Hoffnungen gesetzt hatte. Die Gute Mutter war einen Augenblick überrascht. Doch gleich besinnt sie sich wieder: „Wie sollte ich es nicht lieben, da Du, mein Gott, es liebst und so willst?“
An die zahlreichen Zwischenfälle, wo wir dem lieben Gott etwas zu geben haben, trachten wir doch mit einem wohlvorbereiteten Herzen heranzugehen. Wir müssen da gleichsam eine steile Treppe hinaufklimmen: bemühen wir uns, schon vorher drei Viertel von ihr zu ersteigen oder gar fünf Sechstel. Andernfalls riskieren wir, nie hinaufzukommen. Eine Widerwärtigkeit, eine Notlage wartet unser: räsonniert nicht, vertraut dem lieben Gott, schneidet kurz ab mit diesem oder jenem Hindernis, das euch aufhalten und verwirren möchte.
Von „Weihrauch“ spricht der Prophet ferner. Weihrauch erfüllt mit Wohlgeruch. Er ist Sinnbild für Danksagung und anerkennende Liebe. Haben wir einen Sieg davongetragen, gelitten und triumphiert, so erweisen wir Gott Dank und legen Weihrauch ins Weihrauchgefäß, d.h. seien wir dann ehr-lich dankbar und sagen wir das auch dem lieben Gott. Begegnen uns Heimsuchungen und werden wir zu Opferlämmern, so danken wir wiederum, lieben die Prüfung, vor die uns Gott gestellt hat. Der Prophet sagt: „Ich habe das Opfer verweigert, weil man das Weihrauchgefäß nicht herbeigebracht hatte.“ So lasst uns alles großmütig aus der Hand Gottes entgegennehmen. Lieben wir schon die Sache an sich nicht, die uns trifft, so sagen wir wenigstens ein liebendes „Ja“ zum Willen Gottes, damit unser Opfer ein ganzes, volles, Gott genehmes werde.
Es gibt nichts Schöneres und Wirksameres als diese Vereinigung mit dem göttlichen Willen, dieses Wohlgefallen am göttlichen Wollen inmitten der Prüfungen. Der gute Gott liebt und segnet diese Gesinnung. Wir finden Wohlgefallen am Willen Gottes, und Gott findet Wohlgefallen an uns.
Bitten wir die Gute Mutter, sie möge in uns diese vierte Seite des Evangeliums neu auflegen. Verharren wir gern in diesem Zustand des Opferns. Er macht uns zu Ordensleuten in all unseren Handlungen, schneidet kurz alles ab, was uns in der Eigenliebe zurückhalten will. Werfen wir auf Gott einen Blick der Liebe, indem wir ihm sagen: „Da Du es so gewollt hast, geschehe Dein Wille. Möge dieser hl. Wille, der im Himmel vollzogen wird, auch in der armen Erde meines Herzens erfüllt werden!“
Verstehen wir es, das Evangelium in uns neu herauszugeben, so werden wir es auch in der Seele des Nächsten zu tun vermögen. Wir werden seiner Seele jene Würde, jenen Ernst einzuprägen verstehen, die ihr für die Angelegenheiten Gottes nur zu oft abgehen. Ein Benediktinerpater, Sekretär des Bischofs Mermillod von Genf, bekundete mir das ebenfalls. Zur Zeit des Krieges (Anm. des deutsch-französischen Krieges 1870/1871), als viele Männer und Frauen in die Schweiz geflohen waren, sagte er zu mir: „Was habt ihr bloß für Beichtväter in Frankreich? – Wer hört denn bei euch Beichte?“ – „Die Priester natürlich.“ – „Wie können eure Priester Menschen zu Christen machen, die eine so kleine Dosis an christlichem Geist haben? Nie und nirgendwo traf ich Christen, so schwach, so wenig christlich wie die französischen Christen.“ – „Mir scheint“, antwortete ich, „das liegt an unserem ganzen Land.“ – „Nun, ich habe den Eindruck, dass eure Beichtväter selber laue Christen sind. Sie verstehen vom Christentum nicht mehr als ihre Beichtkinder. Sehen Sie nur nach: Sie werden in ihnen keine Spur vom Geist des Opfers finden.“
Hatte der Benediktinerpater recht? Ein wenig schon. Wollen wir das Evangelium neu herausgeben, dann müssen wir erst selbst das große Gesetz des Opferns ernst nehmen. Da empfängt ein Sünder die Sakramente. Von einer außerordentlichen Gnade abgesehen – wird er etwa dadurch heiliger werden, wenn sein Beichtvater kein Heiliger ist, wenn ihm der Beichtvater keine Anleitung dafür zu geben vermag? Vielleicht kann er ein Stein im Fundament werden, nie aber ein auserlesener Stein, wenn wir ihn nicht zu behauen verstehen. Das beweist die Erfahrung. Nur eine Opferseele bringt Opferseelen hervor, nur ein Mann des Verzichts erweckt den Geist des Verzichts in anderen. Nur ein dankbarer Mensch veranlasst auch andere zur Dankbarkeit. Andernfalls geht die Seele kalt und eisig aus solchem Umgang hervor. Nichts bleibt mehr vom Wehen des Hl. Geistes, dessen Flamme ihr zu unterhalten verpflichtet seid. Wir bedürfen also wesensnotwendig des Opfergeistes für uns selbst wie für die anderen.
Haltet darüber Predigten und alle nur möglichen Unterweisungen. Sonst ist es Wind, Lärm, tönerne Schellen, die ohne Frucht verhallen. Was bleibt denn zur gegenwärtigen Stunde in den Seelen vom Geist des Evangeliums übrig? Geben wir uns doch nicht zufrieden mit Reden und Schreien…Es wird davon nichts zurückbleiben. Nirgendwo blüht noch der originale Geist des Christentums. Das drückte einmal Papst Leo XIII. einem deutschen Priester gegenüber aus, der ihn besuchte: es war der Fürst von Hohenlohe, glaub ich. Er sagte: „Deutschland ist sehr krank…Sind Sie Priester?“ – „Jawohl, Hl. Vater.“ – „Sind Sie ein guter Priester?“ – „Ich bemühe mich darum.“ – „Dann sage ich Ihnen: Wenn Sie ein guter Priester sind, dann bilden Sie die Seelen nach Ihrem Bild. Sind Sie es nicht, werden auch die anderen Seelen Ihnen gleichen. Sagen sie das allen Ihren Priestern!“
Lasst uns also damit beginnen, wir Oblaten! Beginnen wir mit uns selbst, und dann erst mit den anderen. Ist das sehr schwer? Eine drückende Last auf unseren Schultern? O, legen wir sie uns nur auf, genau in der Mitte der Schultern, und tragen wir sie großmütig: andernfalls zermalmt sie uns!
Beten wir zum Herrn um Verständnis für den Geist des Opfers! Beten wir, dass wir daran denken bei unserem Arbeiten, Studien, Beziehungen zum Nächsten, bei allem – und tragen wir die Abtötung unseres Herrn. Nur so können wir erreichen, dass andere es begreifen und Geschmack daran finden. Die Seelen, die uns dann hören und sehen, werden an ihre Brust klopfen und geloben: „Ja, genau so will ich es auch anstellen.“
Möge der liebe Gott, möge unser hl. Stifter, möge die Gute Mutter Maria Salesia uns die Gnade schenken, diese vierte Seite des Evangeliums wohl zu erfassen! Möge sie der Schlussstein, das Siegel, das Testament unseres ganzen Lebens, unserer Existenz als Ordensmann sein: Opferlamm, Opferpriester und Weihrauch!