Exerzitienvorträge 1885

      

1. Vortrag: Exerzitien.

Um Exerzitien von der Wichtigkeit dieser hier zu vollziehen, sind zwei Dinge nötig: die Fehler der Vergangenheit gutmachen, die Zukunft vorbereiten.

Die Untreuen sühnen. Die Verstöße des verflossenen Jahres sollten wir gutzumachen trachten. Was also? Nun, unsere Verstöße gegen die hl. Regel, die Ordensdisziplin, unsere Untreuen gegenüber der Gnade der Berufung, alles Fehler, die theologisch gesprochen, nicht enorm erscheinen, für uns aber alles sind.

Die Apostel bessern ihre Netze aus. Als unser Herr seine Apostel in Galiläa am Ufer des Sees Genezareth besuchte, fand er sie beim Ausbessern ihrer Netze. Diese Arbeit obliegt auch uns, und während wir das tun, wird der Herr uns heimsuchen. Unsere Netze sind unsere Regel, unsere Satzungen, unser Direktorium, jede Einzelheit unserer Pflichten. Mit Hilfe unseres Netzes nährten sich die Apostel. Wie wollen wir uns ohne unsere Netze erhalten? Und da wir nicht nur Ordensleute zu unserem Eigennutz geworden sind, sondern auch für die andern, befindet sich unser Netz in schlechtem Zustand, sind die Maschen zerrissen oder locker geworden, so verpasst unser Netz seinen Daseinszweck und wir verfehlen unsere Lebensaufgabe.

Der erste Besuch unseres Herrn bei seinen Aposteln geschah also bei der Ausbesserung ihrer Fischernetze. Bringen wir folglich auch die unseren in Ordnung, nehmen wir Masche für Masche vor, damit keine Schnur am Gewebe fehle, sondern alles fest sei und nichts durch die Maschen schlüpfen kann. Während dieser Arbeit sind wir des Besuchs unseres Herrn sicher. Welch reiche Beschäftigung für unsere Einkehrtage! Wie viel entspannte, lockere und zerrissene Maschen werden wir da feststellen!  Auch wir sind ja Fischer, Menschenfischer, wir alle, mögen wir auch nicht alle gleichermaßen in der Seelsorge tätig sein. Wir leisten doch alle unseren Beitrag. Jeder hat auf einem Schiff seinen Posten, obgleich nicht jeder Kapitän oder Steuermann ist. Alle, die schaffen, helfen mit zur guten Fahrt des Schiffes. Betrachten wir also gut das uns anvertraute Netzgewebe, das uns erst zu Menschenfischern macht. Sonst mühen wir uns vergeblich; wir würden den Aposteln in Abwesenheit des Herrn gleichen: „Wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen.“

Die Sünden gutmachen. Das ist die große Beschäftigung der Exerzitien: die Fehler in der klösterlichen wie auch in der christlichen Lebensweise sühnen. Wir blieben im verflossenen Jahr nicht frei von Sünden. Da müssen wir also die Lampen ergreifen, von der Jeremias spricht, die Lampe, die im Heiligtum entzündet wird, die in Wahrheit, ohne Selbsttäuschung und ohne Ausnahme alles ausleuchtet. Wir müssen unsere Seele mit Ernst und nicht nur vage und allgemein untersuchen. Klarheit wollen wir gewinnen über unsere Neigungen, über die Gelegenheiten zum Fall, über unsere Veranlagung.

Wiedergutmachung allen Sichgehenlassens gegenüber dem Nächsten.
Sühnen sollen wir für die Fehler bezüglich unserer kirchlichen und priesterlichen Verpflichtungen. Als der hl. Laurentius seinem Vater im Glauben und in der Gottesliebe, dem hl. Papst Sixtus, begegnete, der zum Martyrium ging, was sagte er da? „Wie, Vater, Sie gehen allein und ohne Ihren Diener, ohne Ihren Diakon zum Opferaltar? Waren Sie etwa gewohnt, ohne mich den Leib und das Blut des Erlösers darzubringen?“ – „Mein Sohn“, antwortete der hl. Blutzeuge, „ich gehe nicht allein fort, das Opfer fängt erst an. Es wird drei Tage dauern. Es wird ein Morgen- und ein Abendopfer geben. Ein noch ruhmreicherer Kampf erwartet Dich.“ Und wir, liebe Freunde, haben wir nicht wie dieser Diakon und mehr noch als er die Sendung empfangen, Leib und Blut unseres Herrn den Seelen zu reichen? Waren wir jedes Mal gut vorbereitet auf dieses Opfer? Haben wir immer abgewogen, welches Gewicht das Blut des Herrn in unseren Händen hatte, brachten wir diesem Blut des Herrn immer die schuldige Ehrfurcht entgegen?

Der himmlischen Last auf unseren Schultern gebührt höchste Ehrfurcht. Wir aber haben nicht daran gedacht, sondern haben mancherlei Untreuen begangen. Viel Unnützes und Wertloses füllt unserer Hände Tun. Rechenschaft sollen während der Exerzitien ablegen, über die Beweggründe, die Anlässe dieser Nachlässigkeiten, die uns zu so vielen Verstößen in der Ausübung unseres hl. Seelsorgedienstes führen.

Uns für die Zukunft bereiten. Wir müssen für das kommende Jahr die Weichen stellen. Nach der Betrachtung der Neigungen, der Untreuen, nach Reue und Anklage all unseres Versagens im hl. Gericht (gem. ist die Beichte) heißt es die künftigen Kämpfe voraussehen, um ihnen mannhaft zu widerstehen.

Die Gladiatoren im Kollosäum. Man sieht in Rom in den Arenen des Kollosäums steinerne Badewannen, die unter gewissen kalten und feuchten Unterbauten angebracht sind. Die Wannen wurden mit eisigem Wasser gefüllt, worin sich die Schwertkämpfer vor dem Kampf zu baden hatten, um durch Überreizung ihrer Nerven ihre Kraft und ihren Kampfeseifer zu vermehren. Dieses Untertauchen war ihnen sicher nicht sehr angenehm, und es bedurfte eines gewissen Mutes, um sich aus einer hohen Temperatur in diese Kälte und Feuchtigkeit der Badewanne zu werfen. Tun wir das gleiche! Wie können wir uns vorbereiten? Durch drei Dinge: Wissen, Wollen und Können.

Wissen. Wir müssen alle unsere Obliegenheiten sowie alle Absichten Gottes über uns wissen. Während der Einkehrtage lernen wir diese kennen. Aber unsere Pflichten sind uns ja nicht unbekannt: das Direktorium, die Kapitel und unsere eigenen Betrachtungen sind unsere Lehrmeister. Wir kennen sie also gut, vollkommen und umfassend. Was, ihr kennt sie nicht? Dann lest aufmerksam euer Direktorium wieder durch, und zwar unter den Augen Gottes. Seht nach, ob ihr nicht eine Menge Weisungen vernachlässigt. Haben wir überdies in der Seelsorge jenes wahre Licht, das in unserem Inneren leuchtet, das uns die Seele, die zu uns kommt, kennen lässt und uns ihre Fehler und Bedürfnisse wie unsere Verhaltensweise ihr gegenüber offenbart? Wer soll uns dies alles zeigen, wenn nicht Gott? Gott aber gewährt dies nur den treuen und heiligen Ordensleuten. Wir verfügen über ein Licht, von dem der Prophet Isaias sagt, dass es ein schwaches, kaum wahrnehmbares Licht sei, das nicht die Kraft besitzt, die Dichte der Finsternis an einem düsteren Ort zu vertreiben. Es genügt kaum, uns auf dem Wege Gottes voranzuführen. Wir sind jene „irdisch Denkende“, von denen die hl. Schrift spricht, und wollen doch die Dinge Gottes wissen! Ich rufe eure Aufmerksamkeit vor allem auf diesen Punkt. Wir schulden es der Kirche Gottes, das Blut Jesu Christi nutzbar zu machen, es mit Hilfe der Gnade in die Seelen zu ergießen. Wo werden wir dies aber erlernen, wenn nicht in den Exerzitien? Wann wäret ihr so ungestört und mit euch allein, um diese Dinge zu begreifen und Gottes Erleuchtungen zu empfangen? Mögen die Priester und die, die sich auf die Höheren Weihen vorbereiten, von Gott das Licht und die Gnade erbitten, all das zu wissen und zu verstehen!

Wollen. – Wissen allein genügt nicht, man muss es auch wollen. Es gilt, von den Exerzitien zu profitieren, und den Willen durch gute und großmütige Entschlüsse zu stärken. Ihr habt klar gesehen und durchforscht, mit der Lampe in der Hand, zu tun, was euch zu tun übrigblieb; tut es auf Grund guter und hochherzige, nicht schläfriger und unbestimmter Vorsätze! Wollet nicht jenem Mann gleichen, von dem der hl. Jakobus spricht, dass er mit seinem Stab auf das Meer schlägt, ohne sich darüber klar zu sein, ob dies einen Zweck hat. Wollt ihr euren Lebenswandel bessern, dann müsst ihr während der Einkehrtage diesen Willensentschluss fassen. Ihr müsst genauestens die Punkte markieren, auf die sich eure Erneuerung erstrecken soll. Wenn euer Wille schon während der Exerzitien nicht entschlossen und sicher ist, gelingt euch gar nichts. Schwenkt ihr nicht festen Schrittes auf den Weg des neuen Jahres ein, so erreicht ihr kein anderes Ziel als Staub anzuhäufen auf euren Schuhen. Man muss wollen, sich im Wollen einüben.

Diese Willensgymnastik ist zweifellos schön und unser ganz persönliches Eigentum. Gottes Gnade kommt uns von außerhalb zu, auch die Erleuchtungen und Einsichten bringen nicht wir hervor, sondern Gott. Doch das Wollen überlässt er uns. Üben wir uns darin also entschlossenen Herzens. Was tut Jesus im Ölgarten? Worin besteht da seine Mühe, seine Anstrengung? Er wiederholt immer wieder: „Vater, wenn es möglich ist…“ Er stellt also seinen Willen zur Verfügung. Legen auch wir unser Wollen zu Füßen des Erlösers zusammen mit den Tränen von Gethsemane, machen wir während der Einkehrtage eine Statio im Ölgarten. Möchten unsere Knie sich tief in den Felsen eindrücken und keine Schwierigkeit uns wankend machen. Üben wir uns darin, zum Willen Gottes ja zu sagen.

Können. Außer dem Wollen müssen wir auch können. Was aber tun, um recht zu können? Das unfehlbare Mittel, liebe Freunde, ist, die Exerzitienordnung einhalten, die verschiedenen Punkte der Tagesordnung, die Leitung und Richtung beherzigen, die ich euch weise: das ist der Weg; tut das! Das ist also ein Tun eurerseits, und die Folge eines Tuns ist, andere Akte vollbringen zu können. Haltet gute Exerzitien, dann wird das kommende Jahr ein Erfolg. Füllt diese Rahmenordnung voll und ganz aus, und ihr werdet gute Fortschritte machen.

Der hl. Sebastian und das Kind. Als der hl. Sebastian zur Folter ging, schrie ihm ein Kind zu: „Mut, Martyrer Christi, dein Wille gehört Gott, und deine Krone wartet deiner im Himmel!“
Der Heilige fühlte sich durch dieses Wort gestärkt, und die Gnade tat das Ihrige. Er bot sich mutig den Pfeilen dar, die ihn durchbohrten, und vergoss viel Blut. Er war schon im Begriff, seine Seele Gott zurückzugeben. Gewiss nahm dieser sein Lebensopfer in diesem Augenblick noch nicht an, denn der Endkampf folgte erst später, Sebastian jedenfalls gab jetzt schon sein ganzes Sein dem Schöpfer zurück. Macht es wie er und geht mit Mut voran!

Die Schritte, die wir tun, führen zu Gott, zur Herrlichkeit, zur Krönung. Das ist Sinn und Inhalt der Exerzitien. Seien wir mannhaft, unterlassen wir keinen Schritt, folgen wir allen Windungen des Weges; so gelangen wir ans Ziel. Haben wir Vertrauen: wenn unser Wille Gott gehört wie der des hl. Sebastian, wird Gott uns am Tag des Leidens zur Seite stehen. Dann wird uns auch der höchste Mut nicht abgehen; wir waren Gott ja die ganze Straße entlang treu, er aber vergilt Treue mit Treue.

Liebe Freunde, ich lade euch ein, alle Übungen der Exerzitien treu und pünktlich zu vollziehen. Die Tagesordnung wird euch nicht sehr ermüden. Wir ziehen die Vorträge weit auseinander, um 9 Uhr und um 18 Uhr, damit ihr Zeit findet, betend und betrachtend nach Foicy (2 bis 3 km entfernt) zu spazieren, aber allein und ohne zu sprechen. Ihr tragt Gott mit euch herum, wie die Gläubigen zu Zeiten der Verfolgung Christi bei sich trugen. Seid pünktlich beim gemeinsamen Breviergebet. Ich möchte nicht, dass diese Freiheit zum Schaden der allgemeinen Übung ausarte. Man könnte vielleicht die Vesper um 13:30 Uhr beten, die kleinen Horen des Morgens, die Matutin am Abend. Die allgemeinen Übungen sollten wir immer gemeinsam halten.

Der Herr wird mit euch sein. Unsere hl. Beschützerin wird vom Himmel aus über diesen Einkehrtagen wachen. Heute ist der Festtag unserer hl. Mutter, sie wird uns große Gnaden vermitteln. Ihr wisst, wie sehr sie unser Unternehmen wünschte, welch dringende Bitten sie dem hl. Stifter vortrug. Darüber will ich heut Abend sprechen. Verlassen wir uns also auf ihrem starken Schutz.