Exerzitienvorträge 1884

      

5. Vortrag:  Der Gehorsam.

Der Gehorsam: der ganze Ordensstand ruht auf ihm. Ich will heute Abend über ihn sprechen.

„Die Oblaten des hl. Franz von Sales, sagen die Satzungen, werden unserem Hl. Vater, dem Papst, dem Generaloberen sowie dem Provinz- und Hausoberen Gehorsam leisten.“

Der ganze Ordensstand ruht auf ihm, die ganze Bibel besteht auf dem Gehorsam.

Adam und Abraham. Adam wird aus dem irdischen Paradies verjagt, weil er ungehorsam war. Die Erlösung, die dieses Versagen sühnen will, ist nichts als ein einziger Akt des Gehorsams. Abraham gehorchte Gott, indem er in einem heroischen Akt der Unterwerfung, gegen alle Natur und jedes Empfinden, gegen alle menschliche Vernunft seinen Sohn Isaak zum Opfer bringt. Der Lohn dieser Tat ist die Geburt des Gottesvolkes.

Und betrachtet nur, welch zarte Gewissenhaftigkeit und welche Hochherzigkeit Gott im Gehorsam verlangt.

Moses und Saul. Moses zögerte eine Sekunde lang, bevor er auf den Felsen schlug: „Vierzig Jahre wirst Du durch die Wüste wandern, und am Tor zum Gelobten Land wirst Du sterben.“ Saul, der kein Ordensmann war, wartete auf den Propheten, um dem Herrn ein Opfer darzubringen. Die Zeit drängte, der Feind schickte sich an, den Kampf zu eröffnen und der Prophet kam nicht. Da beginnt Saul selbst mit dem Opfern. Nun traf Samuel ein und sagte: „Weil Du ungehorsam warst, hat der Herr sich zurückgezogen von Dir und Deinem Volk. Einem andern wird er Deine Königskrone und Dein Königreich übergeben.“

Die Rechabiten. Sie vollzogen einen übertriebenen Gehorsam; hatte einer gegen den Gehorsam gefehlt, wurde er von der Gemeinschaft ausgeschlossen und lebte hinter Hecke, bis er seinen Fehler abgebüßt hatte.

Das also sagt die Bibel vom Gehorsam, und das ganze Evangelium ist nichts anderes als ein einziger Akt des Gehorsams…

Die Mutter Paula-Serafina. Ich trat als Hausgeistlicher 23jährig bei der Heimsuchung in Dienst und fragte die Oberin Paula-Serafina: „Welche Tugend soll ich Ihren Ordensfrauen empfehlen?“ „O, bei der Heimsuchung gibt es keine besondere Tugend zu üben…Hätten wir doch eine, dann wäre es der Gehorsam. Predigen Sie uns den Gehorsam, weil er alles enthält. Sämtliche Tugenden, die Gott von uns verlangt, sind darin enthalten…“

Heutzutage geht alles gegen den Gehorsam an.
Es ist hart und mühsam. Der Zeitgeist, die Zeitungen, die Erziehung, alles steht im Widerspruch zum Gehorsam. Brecht darum euren Eigenwillen!
Dann werdet ihr Wunder wirken, und Gott wird notfalls Wunder vollbringen, um den Heroismus eures Gehorsams zu belohnen.

Der hl. Prophet und der Mühlstein. Nicht weit von hier, zu Montier-la-Celle, lebte ein Novize namens Frobert. Sein Gehorsam war jeder Prüfung gewachsen, er räsonnierte nicht, sondern schritt gleichsam mit geschlossenen Augen voran. „Holen Sie mir die Molaria!“ befahl ihm der Novizenmeister. Molaria war ein kleiner Kompass (Zirkel), versehen mit einer kleinen Rolle; doch nannte man auch „molaria“ einen Mühlstein. Frobert geht, findet einen Mühlstein, und überzeugt, dieser sei gemeint, hievt er ihn auf die Schulter, so gewaltig auch seine Ausmaße waren, ohne lange zu überlegen, ohne an seine Kräfte zu denken und trägt ihn in die Zelle des verdutzten Meisters… Als Novize läuft er eines Tages zum hl. Benediktus: „Bruder Plazidus liegt im Weiher und ertrinkt!“ ruft er. „Dann zieh ihn heraus!“ befiehlt ihm Benedikt. Und Maurus läuft zum Wasser und zerrt in heldenmütigem Gehorsam seinen Mitbruder an Land.

Die Gute Mutter und der Taler von 5 Franken. Auch die Gute Mutter Maria Salesia wollte einen bedingungslosen Gehorsam. Ein Armer kommt eines Tages zur Pforte. Sie schickt eine Novizin zu ihm ins Sprechzimmer, die jetzige Mutter Maria de Sales de Bellaing. Der arme Mann wollte nach Nancy und hatte keinen Groschen. Er setzt der Novizin seine Not auseinander, die davon ganz gerührt ist. Beim Eintritt ins Kloster hatte sie ein großes Vermögen als Mitgift mitgebracht. Sie sagt zur Guten Mutter: „Wenn Sie mir doch erlaubten, diesem Mann ein Almosen zu geben!“ – „Wieviel wollen Sie ihm geben? Wieviel bleibt Ihnen denn übrig? Sind Sie nicht ebenso arm wie dieser Bettler?  Wenn der liebe Gott Ihnen etwas Almosen für diesen Mann schicken will, dann gehen Sie ins obere Sprechzimmer und sehen Sie nach!“ Die Ordensfrau tut es und findet mitten im Sprechzimmer ein Geldstück von fünf Franken, das sie dem Armen übergibt.

Liebe Freunde, so sollt auch ihr gehorchen, entgegen eurem eigenen Urteil, und wenn nötig, auf heldenmütige Weise!