2. Vortrag: Das Werk der Oblaten
Exerzitien: die Uhr des hl. Franz von Sales. Unser seliger Vater sagt, dass eine Uhr alle Wochen aufgezogen und alle Jahre gründlich gereinigt werden muss, um gut zu funktionieren.
Jedes Jahr muss man ihre Gewichte aufziehen und sie alljährlich den Händen eines gewissenhaften Fachmannes übergeben, dass er sie Stück für Stück auseinandernimmt, jedes Rädchen säubert, die Achsen, Hemmungen und Perpendikel reinigt und den Gang des ganzen Mechanismus erleichtert, indem man einige Tropfen Öl hineingibt. Nur unter dieser Bedingung hat die Standuhr einen regelmäßigen Gang. Ist der Uhrmacher nicht gewissenhaft, vollzieht er nicht exakt das Werk der Säuberung, so ist der Mechanismus schnell defekt. Diese Uhr, sagt der hl. Stifter, ist unsere Seele. Die Gewichte werden aufgezogen durch die wöchentliche Beichte und gründlich wird sie gesäubert durch die Exerzitien.
Am ersten Tag der Exerzitien muss die Seele stille werden, alle Sorge abgestreift werden, alles zur Ruhe kommen. Doch am zweiten Tag heißt es, das Räderwerk untersuchen und reinigen und sich vorsehen gegen alles, was den Mechanismus stören könnte. Dafür müssen wir Schritt für Schritt dem Direktorium folgen, eine Verpflichtung nach der anderen und auch die Obliegenheiten des Priesterstandes durchgehen. Wir bilden eine Familie und ich nehme vor euch kein Blatt vor den Mund. Ich kann euch darum verraten, was mir passiert ist. Ich wollte sorgfältig diese Vorträge vorbereiten. Seit mehreren Tagen hatte ich den hl. Thomas, die Bibel, unseren hl. Stifter und was weiß ich durchgeblättert. Die Bücher stapelten sich vor mir auf…Das ist übrigens eine Art Studium, dem ich mich gern hingebe. Aber unmöglich, etwas zustande zu bringen. Gestern war ich den ganzen Tag in einem unmöglichen Zustand, ein Widerwillen, eine körperliche Unfähigkeit, irgendetwas vorzubereiten.
Pater Chaveton und die Gute Mutter. Ich weilte einmal in der Pariser Heimsuchung. Der Beichtvater, P. Chaveton, sagte zu mir: „Mutter Maria Salesia hat mir einen bösen Streich gespielt.“ Und er erzählte mir die Geschichte, deren Wahrheit mir die Gute Mutter später bestätigte. Eine Schwester wollte eine Generalbeichte ablegen. Sie hatte das schon mehrere Male getan. Der Pater ist damit einverstanden, obwohl er die Generalbeichte in Anbetracht der Skrupelhaftigkeit der für ziemlich nutzlos hält.
Man kam überein über den Tag des Beginns: es sollten mehrere Sitzungen folgen. Die Schwester verständigte die Gute Mutter davon, die ihr nicht viel dazu sagte, obwohl die Sache ihr sehr gegen den Strich ging. Aber die Gute Mutter sagte zum lieben Gott in der Betrachtung: „Da will doch diese gute Schwester ständig eine Generalbeichte ablegen, und der Pater ist damit einverstanden; er wird in ihr Gewissen Verwirrung bringen und in die der übrigen Schwestern auch, die es ihr nachmachen werden. Nimm beide an der Gurgel und verhindere bitte diese Generalbeichte…“ Am Tag, wo die Schwester anfangen wollte, bekam sie ein Halsleiden, das sie daran hinderte, zur Beichte zu gehen, und P. Chaveton wurde gleichfalls mehrere Tage durch dasselbe Halsleiden zuhause zurückgehalten…Ich habe den Eindruck, dass dasselbe Leiden über mich kommt, dass der liebe Gott und die Gute Mutter mich beim Hals packen, um mich zu hindern, was ich sagen wollte, und mich zwingen, anderes zu sagen, was den Absichten Gottes mehr entspricht.
Das soll natürlich nicht unseren Exerzitienpredigern als Vorbild dienen. Versteht, was ich gestern sagte: Wir brauchen unseren eigenen Geist. Wir sollten eine besondere Zierleiste in den Gebäudeornamenten des himmlischen Jerusalems sein.
Die Gute Mutter war inspiriert von Gott. Wenn ich die Gute Mutter während 50 Jahren ihres Lebens arbeiten sah, Tag und Nacht, um eine Gründung vorzunehmen; wenn ich sie mit solcher Mühe alle Materialien ihres Werkes vorbereiten sah, das ihren ganzen Lebensinhalt ausmachte, wenn ich dann fragte: welches wird die äußere Form und seine Verwirklichung sein, dann antwortete sie: „Ich weiß es nicht. Gott hat Sie dazu auserwählt, um dies zu wissen. Sie werden tun, was er Ihnen sagen wird…“ Ist das eine menschliche Art zu handeln? Ist das nicht ein Beweis der ganz göttlichen Eingebung ihres Werkes?
Das Werk der Oblaten: Unseren Herrn auf Erden wieder erstehen zu lassen, ihn nachzubilden. Welchen Geist soll dieses Werk haben, worin besteht er? Was unterscheidet es von den anderen Werken?
Wir sind nicht gekommen, um zu wiederholen, was in der Geschichte bereits einmal geschah. Wir sollen nicht die alten Orden wieder aufleben lassen. Wir sollen nicht die Dominikaner, Franziskaner, nicht einmal die Priester des hl. Ignatius von Loyola wiedererstehen lassen. Auch sind wir keine Priester des heiligsten Herzen Jesu. Gewiss ist die Verehrung des heiligsten Herzen Jesu eine große Andacht dieses Jahrhunderts. Sie hat alles Gute dieses Jahrhunderts bewirkt. Sie hat so viele Kongregationen inspiriert und Priestervereinigungen: die Priester der heiligsten Herzen Jesu und Mariä, die Pikpuspriester-, das Herz-Jesu-Fest. Auf meinen letzten Reisen nach Rom sah ich fast keine Altäre, auf denen nicht ein Bild des heiligsten Herzen Jesu aufgestellt war. So allgemein ist diese Verehrung geworden. Die Gute Mutter liebte sehr das heiligste Herz Jesu. Doch die Verehrung desselben war nicht ihr eigentliches Werk.
Welches war also ihr Werk? Die Verehrung der Person des ganzen Erlösers, nicht bloß seines heiligsten Herzens. Denn heute greift man die ganze Person des Heilands an, indem man auf die Existenz dieser göttlichen Person leugnet. Zielen darauf in der Praxis nicht die Anstrengungen der Freimaurer ab? Vor 60 Jahren griff man das heiligste Herz Jesu an und spottete über Margareta Alacoque. Heute tut man das nicht mehr, sondern vergreift sich an der Person des Erlösers selbst und möchte ihn vernichten. Was sollen wir also tun, wir, die Gott gegen diese neue Not der Kirche sendet? Wir bemühen uns, den Heiland wieder aufleben zu lassen, ihn zu reproduzieren, zu gehen und zu handeln im Verein mit ihm, ihn durch uns und in uns leben zu lassen in all unserem Tun und Lassen. „Man wird den Heiland wieder über die Erde gehen sehen“, sagte die Gute Mutter. Was ist unbedeutender als die Handlung des Dahinschreitens? … Genau das soll der Erlöser aber für uns, an unserer Stelle tun. Das ist der Kult des Liebens und des Handelns. Das Werk der Guten Mutter ist der direkte Gegensatz zu den Angriffen gegen die Person des Heilands. Und wer hätte vorausgesehen, dass die Schläge des Feindes sich unmittelbar gegen die Person Jesu Christi richten würden, als Gott es vor 60 Jahren der Guten Mutter offenbarte?
Der Einfluss der Mutter Maria Salesia zu ihren Lebzeiten.
Darauf zielten all ihre Schriften und all ihre Worte ab. Das war das Wesentliche ihrer Doktrin. Man befragte sie von überall um Rat. Sie stand mit einer großen Zahl von hervorragenden Persönlichkeiten in Briefverkehr. Leider gehorchte man ihr zu sehr und verbrannte einen großen Teil ihrer Briefe. Mehrere Bischöfe baten sie um Rat. Kardinal Morlot aus Paris z.B. und andere Erzbischöfe von Paris, die Bischöfe von Troyes: Mgr. de Hons, Mgr. Deballey, Mgr. Coeur… dieser arme Bischof, der gegen seine erste Erziehung ebenso zu kämpfen hatte wie gegen einen großen Teil seines Klerus. Er schrieb der Guten Mutter: „Nur an der Pforte der Heimsuchung finde ich Frieden und Ruhe.“ Mir selbst aber schrieb er: „Die Heimsuchung ist die Aristokratie des Himmels. Dort werden die göttlichsten und himmlischsten Dinge verhandelt.“
Ich habe noch sehr viel andere Zeugnisse, sogar aufsehenerregende der Päpste. Aber diese zitiere ich hier nicht. Da der Seligsprechungsprozess der Guten Mutter noch anhängig ist, muss man Klugheit walten lassen bei ihrem Lob, um nicht eine Sache vorwegzunehmen, die erst kanonisch beurteilt werden muss.
Die Gewissenserforschung der Exerzitien. Setzt eure Gewissensprüfung fort, macht eure Fehler und Untreuen ausfindig. Aber lasst es nicht dabei bewenden: sucht auch deren Ursache, die Triebfeder dieser Verfehlungen: Eigenliebe, Temperament… Es ist leichter zu kämpfen und zu vermeiden, wenn man weiß, aus welcher Richtung das Übel kommt.
Das Direktorium: das Mittel, unser Werk zu vollenden.
Wir haben das Werk angedeutet, das uns zu vollbringen obliegt. Welche Mittel sind da anzuwenden? Es gibt für uns nur eins: das Direktorium, dieses kleine Büchlein, das so unbedeutend scheint und das so wenig verstanden wird.
Man fragte die Gute Mutter: „Warum findet man bei den Beichtvätern und den Oberen nicht das, was man bei Ihnen, bei der Oberin, findet?“ – „Weil unsere Beichtväter“ antwortete sie „so heilig und gelehrt sie sein mögen, das Direktorium nicht praktizieren. Sie haben es nicht gelesen, sie schätzen es vielleicht hoch, doch sie praktizieren es nicht…“
Aber das Direktorium ist zu kleinlich, zu eng, es passt mehr für Frauen…Ja, es passt sehr für die Frauen, aber auch für die Männer. Franz v. Sales hat es geübt, und zwar sein ganzes Leben lang, und dank diesem Büchlein hat er solch einen hohen Grad von Heiligkeit und Gottvereinigung erreicht.
Begreift also wohl, was das Direktorium für uns bedeuten soll: es muss unser ganzes Leben in Beschlag nehmen, unsre Tage und Nächte und alle unsere Handlungen.
Es vertritt bei uns die Bußübungen. Die Bußorden wie die Karmeliter haben große Strengheiten: sie kasteien ihren Leib, haben aber keine „Binde um die Stirn“ wie die Heimsuchungsschwestern, wie sie sagen; d.h. sie haben größere Freiheiten zu denken und zu handeln. Auch die Trappisten haben bei ihrem bußstrengen Leben eine viel größere Freiheit als uns das Direktorium lässt, das uns alles nimmt…
Er lässt uns Akte vollkommener Liebe vollbringen. Was heißt also, das Direktorium wählen? Es heißt, Jesus Christus wählen, sein Denken und Lieben übernehmen und ihn an unserer Stelle handeln lassen. Es bedeutet, uns selber ersterben, nie sich selber gefallen wollen nach dem Beispiel Jesu. Es lässt uns eine Akt vollkommener Liebe tun, und all unser ganzes Handeln und Leben in einem Akt vollkommener Liebe verzehren.
Das ist die Heiligkeit. Das also will das Direktorium: die größte Heiligkeit, die wirksamste Heiligung der Seele, die der eigenen Natur erstirbt, indem sie nur noch Gott in vollkommener Gottesliebe lebt. Es ist Gesetz, Evangelium, die ganze Religion und die Heiligkeit in einem.
Setzen wir darum unser Direktorium in die Tat um. „Jene, die sich auf diesem Weg treu erwiesen erweisen“, pflegte die Gute Mutter zu sagen, „nehmen unbekannte Wohnungen im Herzen Gottes in Besitz.“ Ich lese in der Geheimen Offenbarung, dass die Seele, die sich treu erwies im Kampf, nachher die Hand ausstreckt und einen weißen Stein empfängt, auf dem ein neuer Name steht, der Name dessen, was Gott für ihn bedeutet, sein Lohn, sein Endzustand. Was wird das für die direktoriumstreue Seele dieser weiße Stein beinhalten mit dem „neuen Namen drauf, den niemand kennt als nur der Empfänger“?
Ist es sehr schwer, heilig zu werden mit Hilfe des Direktoriums? Nein! Praktizieren wir es also mit unserm ganzen guten Willen!
Der Pfarrer von Ars und das Direktorium. War der Pfarrer von Ars, der ein so großer Heiliger war, mit einem außergewöhnlichen Geist und Charakter begabt? Im Priesterseminar wurde er für sehr mittelmäßig befunden. Wir stellen sogar fest, dass er von ziemlich unentschlossener Gemütsart war: er desertiert vom Militärdienst, lässt seine Pfarrei im Stich…Aber der Pfarrer von Ars hatte sein Direktorium, an dem er mit ganzer Seele festhielt: die Gegenwart Gottes und eine Vereinigung mit Gott, die er nie unterbrach…Aber haben wir den Glauben und die Gottesliebe eines Pfarrers von Ars? Bemühen wir uns jedenfalls, ebenso fest an unserem Direktorium zu hängen! Dieser Glaube, den wir in unser Direktorium setzen, macht uns für die größten Dinge fähig.
Der Magnet und die durchs Direktorium erzielten Resultate.
Ihr kennt einen Magnet – diesen Vergleich gebrauchte die Gute Mutter nie, weil sie die Physik nicht kannte, aber er gibt trefflich ihren Gedanken wieder. Nehmt einen Magnet von 100 Kilo Hebekraft. Wenn ihr dieses Gewicht emporhebt, dann fügt Korn um Korn hinzu; legt ständig mehr darauf…Geht ihr vorsichtig zu Werk, wird es euch gelingen, die Last zu verdoppeln, zu verdreifachen, ohne dass sie herabfällt; ihr könnt schließlich das 5 – 6fache drauflegen. Warum? Weil ihr vorsichtig vorgegangen seid, Korn um Korn. Sicher ist euer Wille nicht stark. Nutzt ihr aber seine Kraft voll aus, fügt Korn um Korn hinzu, ganz allmählich, dann gelangt auch ihr zu enormen Leistungen.
Geht langsam und bedächtig voran, jedoch mit ganzem Herzen!