10. Vortrag: Armut und Keuschheit.
Unsere Patres am Oranjefluss und die Armut.
Gestern sprach ich viel über die Armut und ich sagte euch, wir können sie kaum so ausführen wie die übrigen Ordensleute. Doch gibt es in unserer Gemeinschaft Mitglieder, die sie in heroischem Maße ausüben: unsere Patres vom Kap. Pater Becoulet schickt mir sein Tagebuch, das von Einzelheiten wimmelt. Beim Essen kein Wein, nur bei der hl. Messe. Dafür salpetersäurehaltiges Wasser. Nicht immer Mehl, und wenn, dann mit Kleie vermischt. Ein Festschmaus ist es, wenn sie eine Art Hasen töten und zubereiten können, der der Ratte und dem Meerschweinchen gleicht. Sein Fleisch ist sehr zäh. Von Zeit zu Zeit schießt man ein Rebhuhn, aber sie sind mager und saftlos. Ich sage zu den Schwestern, sie nicht zu braten, sondern in Reis zu kochen. Sie versuchten es, aber es schmeckte schlecht. Trotzdem aßen sie es fröhlich und sagten: „Unser Vater hat gesagt, so sei es gut.“ Sie schlafen unter ihrem Fuhrwerk oder im Zelt. Doch nachts und morgens frieren sie. Es fehlt an den nötigen Kleidern. Die ihren sind zerlumpt. Sicher besteht für sie keine Versuchung, sich etwas einzubilden, da es nur Hottentotten dort gibt. Trotzdem muss man sich gut kleiden.
Ihre Arbeit ist hart. „Ich brenne Ziegelsteine“, schreibt P. Becoulet, „und transportiere sie weiter, um sie zu gebrauchen. Das ist schwer, und ich pause manchmal erschöpft und sage zum Herrgott: Lass meine Sünden nicht so schwer wiegen wie diese Ziegelsteine!“
Unser hl. Stifter mahnt uns, an die Strengheiten der Wüstenväter zu denken. O seliger Vater, ich bitte Dich um die Erlaubnis, statt an die Wüstenväter an unsre Wüstenpatres, an unsre Mitbrüder in Südafrika, zu denken, die so erbaulich und so mutig arbeiten. Der Obere des Großen Seminars, Herr von Liniers, sagte mir vor einigen Wochen: „O, Sie haben eine Mission, das wird sich als Segen für Ihre Kongregation auswirken!“
Ein Wort über die Gelübde der Keuschheit.
Keuschheit: Abtötung der Freuden des Geistes.
Durch dieses Gelübde verpflichten wir uns, keine Ehe einzugehen. Für den echten Ordensmann muss dies aber viel weiter gehen. Wir verpflichten uns nämlich, uns jedes rein sinnlichen Vergnügens zu berauben, selbst dann, wenn dies den Weltmenschen gestattet wäre. Abtötung der Augen: keine seltsamen und eigenartigen Dinge in unserer Zelle dulden!
Meiden wir auch rein literarische Befriedigungen! Also z.B. literarische Zirkel zum reinen Vergnügen! Heutzutage gibt es deren kaum noch, aber in meiner Jugendzeit kannte ich solche. Zu Zeiten des Bischofs des Hons lud man diese „Senatoren der schönen Wissenschaften“ zu unseren Prüfungen ein. Sie kamen mit ihren Spazierstöcken mit goldenem Knauf und interessierten uns ungemein…Sie waren den Spuren Virgils Schritt für Schritt gefolgt, selbst denen Homers in Italien und Griechenland. Sie kannten sämtliche Meeresküsten, die diese Dichter besungen hatten: all das sind Genüssen, die nicht für uns bestimmt sind.
Die leiblichen Genüsse. Was für die Befriedigung des Geistes gesagt ist, gilt noch mehr für die des Leibes.
Die Versuchungen: Zu Gott fliehen. Jesus, Maria und Josef anrufen! Ja schreien wir zu Gott: „Gott, eile, mir zu helfen!“ Und dann Ruhe bewahren. Müssen wir aber in Gegenwart der Versuchung eine unnatürliche Haltung einnehmen, die Augen verdrehen? … Durchaus nicht!
Sind wir aber verpflichtet, in unserer Lektüre, in unseren Studien dem Bösen zu begegnen, so tun wir es wie die Ärzte zur Zeit der Pest und Cholera: Beten wir, hängen wir nicht unser Herz daran und reinigen wir uns sogleich durch den Geist.
Bescheidenheit der Augen wie der Haltung.
Beherrschen wir die Augenlust! Sehen wir, ohne zu betrachten, wie unser hl. Stifter sagt. Unser Blick sei einfach, natürlich, und er strahle Frieden und Ruhe der Seele aus. Meiden wir, uns lächerlich zu machen und alles Auffällige, sobald wir in Gegenwart von Frauen sind. Wenden wir nicht die übertriebenen Vorsichtsmaßnahmen der alten geistlichen Schriftsteller an: Franz v. Sales und Mutter Chantal wollten nicht, dass ihre Kinder sich lächerlich machen. Die Keuschheit soll wie die Demut und die Abtötung sich nicht zur Schau stellen und äußerlich nicht auffallen. Wer den Tugendbold spielt, den meidet Gott wie einen Stolzen und Anmaßenden. Und ohne Gottes Hilfe fällt man sehr tief.
„Herr, rette uns, wir gehen zugrunde!“ Der hl. Petrus verließ sich nicht auf sein Segel, sein Ruder oder seine Kenntnisse der Untiefen; er ruft unseren Herrn zu Hilfe. Von ihm allein kommt uns in der Tat Hilfe und Kraft.
Das ganze Jahr über in Exerzitien.
Unsere Tage der geistlichen Exerzitien sind zu Ende; das ist der Augenblick, die Früchte zu ernten. Wir setzen die Exerzitien im Schweigen unserer Seele während des ganzen Jahres fort. Erneuern wir in Augenblicken der Angst unsere Entschlüsse; das wird uns Stärke verleihen. Die einen werden bald ihre Gelübde erneuern, die anderen sie bald ablegen. Bitten wir den lieben Gott, uns allen zu Hilfe zu kommen.
Sammlung. Der Hauch Gottes wehte über uns während dieser Exerzitien. Lassen wir ihn weiterwehen auch das kommende Jahr hindurch. Vernehmen wir offenen Ohres, was er uns sagt. Pflegen wir die innere Sammlung, d.h. das innere Leben in Gesellschaft unseres Herrn.
Die Gute Meinung. Das große Mittel, die Sammlung zu wahren, ist die Treue zum Direktorium, besonders zum Artikel von der „Guten Meinung“: heißt das nicht, vor jedem Tun die Hand des Erlösers ergreifen, damit Er im Verein mit uns vollbringe, was uns zu tun obliegt…?